C.J. Cherryh – Das Tor von Ivrel (Morgaine-Zyklus 01)

Morgaine Frosthaar, Zerstörerin von Welten

Mit dem Fantasyroman „Das Tor von Ivrel“ gab Caroline J. Cherryh 1976 ihr Debüt in der SF- und Fantasy-Szene. Für dieses gute Buch wurde sie mit dem John W. Campbell Award als beste Nachwuchsautorin ausgezeichnet. Eine Kriegerin aus der Vergangenheit muss die Dimensionstore einer untergegangenen Rasse auf verschiedenen Welten vernichten, damit diese keinen Schaden mehr anrichten. Morgaines Arbeit bedeutet häufig den Untergang ganzer Zivilisationen. Ihr Lehnsmann Nhi Vanye gerät dadurch häufig in Konflikte, mit seinen Loyalitäten und mit seinem Gewissen.

Der Roman ist der erste Teil der vierbändigen Morgaine-Serie, deren weitere Bände „Der Quell von Shiuan“, „Die Feuer von Azeroth“ und „Exile’s Gate“ (unübersetzt) heißen.

Die Autorin

Caroline Janice Cherryh, geboren 1942 in St. Louis, ist von Haus aus Altphilologin und Historikerin und lebt in Oklahoma. Sie erhielt schon 1980 ihren ersten Science-Fiction-Preis für ihre umwerfende Novelle „Kassandra“*. 1983 folgte der erste |HUGO Award| für „Pells Stern“, später ein weiterer für „Cyteen“. Beide Romane gehören zu ihrem Allianz-Union- bzw. PELL-Zyklus, der eine Future History darstellt, wie sie schon von anderen Größen des Science-Fiction-Feldes geschaffen wurde, darunter Robert A. Heinlein oder Isaac Asimov.

*: Die Story ist jetzt im Sammelband „The short fiction of C. J. Cherryh“ (Januar 2004) zu finden.

Morgaine-Zyklus

1 Gate of Ivrel (1976)
Deutsch: Das Tor von Ivrel. Übersetzt von Thomas Schlück. Heyne SF&F #3629, 1979, ISBN 3-453-30540-X.
2 Well of Shiuan (1978)
Deutsch: Der Quell von Shiuan. Übersetzt von Thomas Schlück. Heyne SF&F #3732, 1980, ISBN 3-453-30635-X.
3 Fires of Azeroth (1979, in: C. J. Cherryh: The Book of Morgaine)
Deutsch: Die Feuer von Azeroth. Übersetzt von Thomas Schlück. Heyne SF&F #3921, 1982, ISBN 3-453-30847-6.
4 Exile’s Gate (1988)
The Book of Morgaine (Sammelausgabe von 1–3; 1979; auch: The Morgaine Saga; auch: The Chronicles of Morgaine, 1987)
The Complete Morgaine (Sammelausgabe von 1–4; 2015)
Gate of Ivrel / Well of Shiuan / Fires of Azeroth
Deutsch: Tore ins Chaos : Der Morgaine-Zyklus. Illustrationen von John Stewart. Die Karte zeichnete Erhard Ringer. Übersetzt von Thomas Schlück. Heyne SF&F #4204, München 1993, ISBN 3-453-31185-X.

Graphic Novel (mit Jane S. Fancher):

1 Gate of Ivrel: Claiming Rites (1987)
2 Gate of Ivrel: Fever Dreams (1987)

Der vierte Band, „Exile’s Gate“, ist noch unübersetzt. Die ersten drei Bände wurden in einem Sammelband zusammengefasst, der in der deutschen Ausgabe „Tore ins Chaos“ betitelt ist (Heyne 06/4204, 1985).

Handlung

Die „Alten“, Angehörige der Rasse der |qhal|, die vor Jahrtausenden die Galaxis beherrschte, sind längst verschwunden. Doch verstreut über die Galaxis sind jene rätselhaften Dimensionstore zurückgeblieben, mit deren Hilfe sie sich durch Raum und Zeit bewegten, und zum Teil funktioniert dieses Transportsystem noch. Doch durch ein Tor zu gehen, bedeutet stets eine unberechenbare Versetzung in der Zeit …

Das Tor von Ivrel ist eine jener legendären Stätten, scheu gemieden von den Eingeborenen, die auf einer mittelalterlichen Stufe von Kriegerklans leben. Das Tor auf dem Berg Ivrel ist ebenso eine Stätte des Todes wie die kleineren Tore, die es beherrscht. Immer wieder gelangen seltsame Ungeheuer von anderen Welten nach Andur-Kursh und verbreiten hier Furcht und Schrecken, beispielsweise große bleiche Reptilien. Doch die meisten sterben zum Glück rasch, weil ihnen die Lebensbedingungen nicht entsprechen. Aber die Tore senden auch eine Verderben bringende Strahlung aus, die den Genen der umliegenden Klans gar nicht gut bekommt. Häufig ist auch Wahnsinn unter den Klans anzutreffen.

Das Tor von Ivrel wird vom Klan der Hjemur beherrscht, dessen Anführer Thiye ist. Und Thiye lässt sich diese Herrschaft nicht so leicht entreißen. Das Reich Hjemur wurde noch nie erobert.

Nhi Vanye

Als der junge Krieger Nhi Vanye, verstoßen von Stamm und Familie wegen Brudermordes, in der Nähe eines Tors im Süden jagt und in Not gerät, reitet eine junge Frau mit weißblondem Haar aus diesem hervor. Es ist Morgaine Frosthaar, eine legendäre Schönheit, die vor hundert Jahren verschwand. Damals war sie ein Lord unter den Menschen von Ivrel, und zusammen mit vier anderen ihrer Art soll sie zehntausend Krieger Ivrels in den Tod geführt haben. So kennt Vanye zumindest die Legende über Morgaine. Kein Wunder also, dass er diese mächtige Frau, der ein schlechter Ruf vorauseilt, fürchtet. Und wieso lebt sie überhaupt noch? Ist sie etwa ein Geist?

Zu allem Überfluss verfügt sie über Zauberwaffen und ein furchterregendes Schwert namens „Wechselbalg“. Sie besitzt eingehende Kenntnisse über die Alten, die auf Ivrel „qujal“ genannt werden. Da sie ein Lord ist und Vanye nur ein vogelfreier Ausgestoßener, macht sie Vanye zu ihrem zwangsverpflichteten Leibeigenen, ihrem „ilin“, der ihr, seinem „liyo“, für mindestens ein Jahr bedingungslos dienen muss. Sex mit ihr kommt daher nicht in Frage, wohl aber findet sich Vanye zu einer Art furchtsamer Verehrung bereit. Sie verpflichtet ihn dazu, selbst noch nach ihrem Tod den Lord Thiye zu vernichten.

Liell

Gemeinsam reiten sie durch den Winter nach Norden gen Hjemur, um ihre Mission zu erfüllen: das Tor vor weiterem Missbrauch zu schützen, kurz: es zu schließen – auf welche Weise auch immer. Knapp entgehen sie einem Anschlag eines wahnsinnig gewordenen Klansherrn in Leth. Der vermeintliche Retter, Liell, stiftet Vanye zum Verrat an Morgaine an, doch Vanye ahnt eine größere Gefahr von diesem Liell ausgehen. Warum sterben so viele Klansherren im nahen See? Doch wohl kaum eines natürlichen Todes. Er nimmt Reißaus und schlägt sich zum Volk seiner Mutter durch, den Chya.

Chya

Diese Waldbewohner kämpfen noch mit Pfeil und Bogen, doch wenigstens sind sie weder wahnsinnig noch strahlenverseucht. Allerdings stellt ihr Klansführer Vanyes Loyalität erneut auf eine harte Probe. Die Chya haben seinerzeit Vanyes Mutter an die benachbarten Nhi verloren, die Vergewaltigte und Entführte aber nie zurückgeholt. Wie ist es nun um Ehre von Chya und Vanye bestellt? Als Vanye seine Herrin Morgaine und ihre Ziele nicht verrät, steigt er in der Achtung der Chya und erhält sogar das Angebot, zu ihnen zurückkehren zu dürfen. Falls er sein Jahr Lehnsdienst überleben sollte. Was nicht sonderlich wahrscheinlich ist.

Übernahme

Nachdem sie weiter Richtung Hjemur geritten sind, erzählt ihm Morgaine mehr von sich. Hjemurs Herr Thiye wie auch Liell haben wie Morgaine eine besondere Fähigkeit, die aus den Kräften, die die qhal-Tore verleihen, herrührt: Sie können den Körper eines anderen Menschen übernehmen. Auf diese Weise können sie ihr Leben schier endlos verlängern. Ist man alt, übernimmt man den Körper eines Jüngeren. Das hat Liell mit den Klansherren von Leth gemacht. Und so hat wohl auch Thiye von Hjemur das letzte Jahrhundert überlebt.

Was Vanye aber wirklich bis ins Mark trifft, ist Morgaines Andeutung, dass auch sie nicht vor diesem Mittel zurückschrecken würde, um ihr Ziel zu erreichen. Sie würde den Körper ihres „ilin“ an sich reißen. Vanye wird es heiß und kalt, doch er hält seine „liyo“ zu dieser grausamen Tat fähig. Wer weiß, zu welch unvorstellbaren Taten diese seltsame Frau, die vielleicht nicht einmal ein Mensch ist, noch alles imstande ist. Doch er ist durch seinen Eid an sie gebunden, überwindet seine Furcht und reitet weiter. Einem ungewissen Schicksal entgegen …

Mein Eindruck

Es gibt keine losen Enden in dieser Geschichte. Alle Klans, deren Weg Morgaine und Vanye kreuzen, machen sich an die Verfolgung dieser mysteriösen Gestalt. Was hat diese Frau aus der Vergangenheit vor, ist eine der wichtigsten Fragen, die sich jeder Klanführer stellen muss, allein schon aus Selbsterhaltungstrieb. Diese Frage ist durchaus berechtigt, wie sich herausstellt.

Morgaines Schwert Wechselbalg ist eine qujalin-Waffe, die mit der gleichen furchterregenden Energie funktioniert wie die Dimensionstore der Alten. Wie man sich leicht vorstellen kann, will jeder diese Wunderwaffe in seinen Besitz bringen, sobald er ihre furchtbare Wirkung erlebt hat. Die Klinge des Schwertes selbst öffnet einen Abgrund in der Wirklichkeit, der jedes Objekt, sei es Mensch oder Waffe, in sich hinein saugt – ins Nichts. Einmal gerät sogar ein Gefährte, der sich zwischen Schwert und Angreifer stellen will, in den Sog der Waffe – und verschwindet. Das Schwert (er-)kennt, wie Morgaine, weder Freund noch Feind, wenn und solange es seinen Zweck erfüllt.

Morgaines Mission und ihre Kielwasser an Verfolgern haben natürlich weitreichende Folgen für Vanye. Er ist kein tapferer Bursche, sondern ein Überlebenstyp. Nacheinander muss er fast alle Menschen verraten, die ihm etwas bedeuten, um seinen Eid gegenüber seiner „liyo“ erfüllen zu können. Zunehmend wird er zu einem Fremdkörper in der Gesellschaft der Menschen von Andur-Kursh. Schließlich reitet nur noch sein Bruder Erij an seiner Seite, doch die Beziehung zwischen den beiden ist von Misstrauen und Furcht vergiftet. Jeder versucht den anderen zu übervorteilen, bis hin zu widersprechenden Schwüren, die Vanye leisten muss. Es ist wahrlich nicht einfach, der „ilin“ einer Frau wie Morgaine zu sein.

Die Figuren: Männer

Die Autorin erschafft in ihrem Debütroman keineswegs vollkommene männliche Charaktere. Ihre Männer sind freundlich, fähig zu großer Tapferkeit, zu Ehre, tiefen Gefühlen, Zärtlichkeit und Selbstbetrachtung. Die Männer sind auch zu großer Liebe und Zuneigung und Respekt für andere Männer fähig, ohne dass dies sexuell gemeint ist. Die Autorin ist in der Lage, Spannung zwischen Männern, die einander lieben, zu erzeugen, ohne dass dies sexuelle Konnotationen hat oder ein Wirtshausstreit ist. Solche Männer unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von den Helden männlicher Fantasy-Schriftsteller, mit einer einzigen Ausnahme: Michael Moorcocks negativer Held Elric von Melniboné. Er hat ebenfalls ein tiefes und kompliziertes Innenleben.

Die Figuren: Morgaine

Morgaine hingegen ist eine Figur, die alle Menschen um sie herum, insbesondere Vanye, sowohl mit Furcht als auch mit verehrungsvoller Liebe erfüllt. Dabei ist sie im Grunde eine tragische Gestalt. Als Vernichterin und Retterin spielt sie eine Doppelrolle, die sie manchmal zu zerreißen droht. Und da die Dimensionstore für so manche Welt sehr wichtig sind, zuweilen göttlich verehrt werden, zerstört sie mitunter die Grundlage einer Religion bzw. einer Kultur.

Zugleich hat Morgaine ein existentielles Problem: Jeder Tor-Durchgang wirft sie in eine andere Zeit, eine andere Welt, in der sie sich zurechtfinden muss. Immerhin sind alle – erzählten – Welten auf einer mittelalterlichen Stufe, so dass sie mit ihren Waffen aus der Zukunft immer die Überlegene bleibt. Dies nutzt sie selten aus, denn sie ist auf die Hilfe von Führern und Beschützern wie Vanye angewiesen. Auch sie muss ja einmal schlafen. Auch wenn sie aus der Zukunft kommt, so trägt sie doch keinen Superduper-Raumanzug, der sie schier unsterblich und unverwundbar macht. Sie hat ihre menschlichen Momente, und wenn sie es zulässt, ertappt Vanye sie dabei, wie sie weint.

Schwächen

Junge Autoren bekommen für ihren Erstlingsroman meist nur das Minimum an Seiten zugestanden, damit für den Verlag das Risiko minimal ist. Das ist auch bei „Das Tor von Ivrel“ der Fall gewesen: Er umfasst in der Übersetzung und in der Erstausgabe (also nicht in „Tore ins Chaos“) nur 220 Seiten. Daher darf es nicht verwundern, dass der Erzählstil an keiner Stelle ins Schwafeln gerät, sondern stets äußerst straff formuliert ist. Die Handlung wird konsequent und druckvoll vorangetrieben. Und selbst wenn es so aussieht, als würden sich die Figuren in endlosem Streit ergehen, so führt dies doch auf psychologischer Ebene stets zu einem Durchbruch. Danach kann die Handlung auf geänderten Bahnen weitergehen.

Da Morgaine in ihrer Zielgerichtetheit in dramaturgischer Hinsicht wenig interessant ist, konzentriert sich die Autorin fast gänzlich auf Vanye. Wir sehen alles aus seinem Blickwinkel und erfahren auf diese Weise, wie das Erscheinen eines Phänomens wie Morgaine das soziale Gefüge einer Welt verändert. Insofern könnte man die vier Morgaine-Romane als Studien über das Thema „Die Figur und die Rolle des weiblichen Helden“ betrachten. Wichtiger ist aber noch: Wie kann man ein Mann an der Seite einer Heldin sein? Vanye überlebt, und deshalb muss die Antwort lauten: Indem man ihr unverbrüchlich die Treue hält und dabei versucht zu überleben. Keine leichte Aufgabe, wie die Geschichte Vanyes belegt.

Die Fixierung auf seine Perspektive bewirkt, dass Auseinandersetzungen, die woanders stattfinden, nicht eingeblendet werden. In Thiyes Burg hat so ein Kampf stattgefunden. Als Vanye und Erij hier eintreffen, stehen sie vor vollendeten Tatsachen. Das ist keine besonders befriedigende Erzählstrategie. Wir sind neugierig darauf, mitzuerleben, was Morgaine getan hat. Aber das Diktat der Kürze des Debütromans verhindert eine ausgefeiltere Erzähltechnik mit verteilten Perspektiven.

Die Übersetzung

… von Thomas Schlück ist weitgehend in Ordnung. Doch muss sich der heutige Leser mit seiner eigenartigen Verwendung des Wörtchens „da“ anfreunden. „Da“ kann im Deutschen alles Mögliche bedeuten, sogar einen Kausalzusammenhang ausdrücken. Hier setzt Schlück es aber auch relativisch ein, so etwa in der Konstruktion: „der Ort, da ein Tor offenstand“. Wir würden heute sagen: „der Ort, wo ein Tor offenstand“. Das ist recht gewöhnungsbedürftig und kann den unvorbereiteten Leser verwirren.

Unterm Strich

„Das Tor von Ivrel“ ist ein vergleichsweise uneben zu lesender Action-Fantasy-Roman, doch die Fortsetzungen sind besser: Die Autorin hatte einfach mehr Platz! Mit ihren männlichen und weiblichen Heldengestalten liest sich die vierteilige Morgaine-Serie wie eine Kombination aus Joseph Campbells Mythologie-Studie „Der Held mit den tausend Gesichtern“ und C. G. Jungs Psychologie mit ihren Archetypen. Der Stil der jungen Cherryh erinnert in „Das Tor von Ivrel“ noch ein wenig an das Beste von Tolkien, aber schon in den nächsten Büchern sollte Cherryh ihren eigenen unverwechselbaren Stil entwickeln (sie schreibt seit ihrem zehnten Lebensjahr!).

Obwohl die Spannung zwischen den Romanfiguren manchmal unerträglich ist, ist der Stil doch stellenweise auch zu einem sehr trockenen Humor fähig. Das habe ich schon immer an ihrem Stil bewundert. Doch für den unvorbereiteten Leser ist die Spannung, die sie gerne erzeugt, manchmal schier unerträglich hoch, und wenn ihre Figuren ständig mit ethischen Begriffen wie Ehre, Treue, Bindung, Verrat und Täuschung zu ringen haben, so mag dies dem einen oder anderen ebenfalls zu viel werden. Ich finde es immer wieder faszinierend.

Taschenbuch: 220 Seiten
Originaltitel: The Gate of Ivrel, 1974
Aus dem US-Englischen übertragen von Thomas Schlück.
ISBN-13: 9783453305403.
www.heyne.de

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)