Lee Child – In letzter Sekunde [Jack Reacher 5]

Ex-Militärpolizist Reacher wandert durch die USA. In Texas versucht ihn die verzweifelte Carmen Greer anzuheuern: Er soll ihren verhassten Gatten umbringen. Reacher will helfen, aber nicht morden und begleitet Carmen nach Echo, dem Privat-Städtchen des skrupellosen Greer-Clans, der hier das Sagen hat … – Der fünfte Hochgeschwindigkeits-Thriller aus der Reacher-Serie; lakonisch im Ton, hervorragend im Spannungsaufbau, ohne modische Metzel-Mätzchen, wenn auch ausschließlich zusammengesetzt aus bekannten Genre-Elementen und Western-Klischees sowie im Finale auf Feuerkraft statt Auflösung plus Kind-in-Gefahr-Szenario setzend.

Das geschieht:

Jack Reacher hat es auf seiner unsteten Wanderschaft durch die Vereinigten Staaten ins wüstenheiße Westtexas verschlagen. Dem Streit mit einem rauflustigen, aber im Zweikampf glücklosen Kleinstadt-Cop verdankt der Ex-Militärpolizist die Bekanntschaft der schönen Carmen Greer, die ihn in ihrem Wagen aufliest und aus der Schusslinie bringt. Dadurch gerät wie so oft vom Regen in die Traufe: Die junge Frau ist auf der Suche nach einem Killer, der sie von ihrem gewalttätigen Gatten befreit. Die Greers sind ein Clan texanischer Ölbarone, wie er im schlechten Buche steht. Sloop, der bewusste Gatte, hat genug von seiner geprügelten, gedemütigten Frau, will sie loswerden und ihr die gemeinsame Tochter rauben – dies umso mehr, als Carmen ihn vor anderthalb Jahren ans Finanzamt verpfiff und ins Gefängnis brachte. Über seine degenerierte Familie lässt er Carmen samt Tochter gefangen halten bis zum Tag seiner Freilassung. Der steht nun bevor, und dann wird Sloop sich rächen.

Reacher ist kein Mörder, helfen will er aber trotzdem. Er begleitet Carmen auf die Greer-Ranch und ins einsame Städtchen Echo, das den Greers mit Mann und Maus praktisch gehört. Alle warten auf den Moment, da Sloop erscheinen wird – die in unheiliger Vorfreude schwelgenden Greers, die verängstigte Carmen und ihre Tochter, der abwartende Reacher – und ein Trio mysteriöser Killer, die es offenbar auf den im Umgang mit dem Geld seiner Geschäftsfreunde notorisch laxen Sloop abgesehen haben – oder hat Sloop selbst sie angeheuert?

Reacher verliert den Überblick, als sich die Ereignisse überstürzen. Carmen erweist sich als Mörderin und Lügnerin, Sloop ist womöglich gar kein Unmensch. Die Killer belagern die Ranch; auf ihrer Todesliste steht inzwischen auch Reacher. Doch der lockt sie in die Wüsteneinsamkeit – und dann beginnt Echo wahrlich zu brennen …

Von A nach Z – ohne Umwege

Jack Reacher-Romane sind Unterhaltungs-Literatur reinsten Wassers. Sie werden von ihrem Verfasser fabriziert wie Möbelstücke. Jedes Jahr wird einer pünktlich fertig: solide Ware, ohne Schnickschnack, gern gelesen und treu neu gekauft. Das hat seine Gründe, Reacher-Thriller sind wirklich gut, was kein Wunder ist, denn Lee Child hat die Gesetze des Genres genau studiert und hält sich daran. Geradlinig und schnell müssen seine Geschichten sein, die Handlungsstränge sind arm an Zahl und Verwicklungen, Originalität oder Anspruchsdenken stören nie den Ablauf.

Ein harter Mann, eine schöne Frau, eine von Schuften bevölkerte Wüstenstadt, die zusätzlich von Verbrechern bedroht wird: Dies ist eine sehr klassische Konstellation, die schon manchen Western zuverlässig bis zum großen Final-Showdown gebracht hat. Die Story ist also wohlbekannt, die Figuren sind es auch, Child gibt gar nicht vor das Rad neu erfinden zu wollen. Stattdessen erzählt er einfach seine Geschichte. Hier und da vorkommende Übertreibungen und allzu plakative Bilder – die Greer Ranch ist von den Grundmauern bis zum Dachfirst höllenrot gestrichen – verzeiht man dem Verfasser bzw. wertet sie großzügig als Reminiszenz an große Vorbilder; hat nicht schon Clint Eastwood in „High Plains Drifter“ (1973, dt. „Ein Fremder ohne Namen“) eine ganze Stadt rot anstreichen lassen, um deren Verkommenheit zu brandmarken?

Dass Child Texas als Hort grenzdebiler Rassisten, korrupter Sheriffs, heruntergekommener Cowboys und absolutistischer Wüstenkönige schildert, muss er selbst mit den Einheimischen ausmachen … Als Kulisse funktioniert diese Provinzhölle jedenfalls gut. Sie erfüllt zudem den perfiden Zweck, die Leser in falscher Sicherheit zu wiegen. Als sie schon glauben, die Figuren zu kennen, sorgt Child für Spannung durch Unsicherheit, indem er Gute und Böse die Rollen tauschen lässt bzw. die Trennung zwischen ihnen aufhebt. Trauen können wir nur Reacher, denn der wird Tarnungen und Täuschungen garantiert und rabiat auf- und in die Luft fliegen lassen.

Denken und handeln statt Grübeln und Zögern

Reacher = Ritter. Auf diese Formel lässt sich die ohnehin karge Persönlichkeit unseres Reisenden reduzieren. Wenn er nicht gerade den Entrechteten und Hilflosen zur Seite springt, vertreibt er sich die Zeit damit, durch sein Heimatland zu treiben. Was ihn dazu bringt, die Sesshaftigkeit so zu fürchten, kann Child trotz diverser Erklärungsversuche nicht recht begreiflich machen. Letztlich ist es wohl so, dass Reacher ist, wie er ist, um als ideale Serienfigur eine schwungvolle Handlung an vielen Orten in Gang zu setzen. Lee Child ist ein ungemein ökonomisch arbeitender Autor, dem solcher Pragmatismus keineswegs fremd ist.

Als Mensch mögen wir Reacher nicht unbedingt, aber wir begleiten ihn gern bei seinen Abenteuern. Er redet nicht viel bzw. so viel Unsinn wie seine Action-Kollegen, er will uns weder belehren noch überzeugen. Stattdessen ist er einfach da und handelt. Solche Eindimensionalität lässt man sich durchaus gern gefallen, wenn sie so spannend verpackt ist wie hier. Ein dumpfer Schläger ist Reacher sicher nicht.

Die verfolgte Schöne ist zwar schön und sexy, aber hilflos ist sie auch in übler Lage nicht. Child bemüht hier ein wenig das (politisch korrekte) Bild von der stolzen Latino-Prinzessin, die sich in eine rasende Mutter-Löwin verwandelt, doch auch das ist Täuschung: Carmen Greer ist sogar noch zäher als selbst Reacher es lange ahnt.

Im Land der Gallonen-Hüte

In Texas ist alles überlebensgroß – das Land, die Städte, die Hüte und auch die Arschlöcher. Letzteres ist Childs Interpretation, die er jedoch mit Leben zu füllen weiß. Reaktionäre, von sich eingenommene, großmäulig-laute, rassistische, chauvinistische, bigotte etc. Großfamilien hat es in Literatur und Film viele gegeben. Auch hier ist Child nichts Neues eingefallen. Seine Leistung besteht darin, die eigentlich zum Klischee geronnenen Horror-Gestalten mit Leben zu füllen. Die Greers wirken schrecklich lebendig in ihrer angemaßten Selbstherrlichkeit, deren Demontage man deshalb genüsslich verfolgt.

Wieder einmal die Kirsche auf dem Kuchen sind Childs Nebendarsteller. Sofort in den Bann zieht die Darstellung des Killer-Trios; keine sadistischen Irren, die tarantinoesk dekorativ mit großkalibrigen Feuerwaffen umherfuchteln, sondern nüchterne, erfahrene, hart arbeitende Männer und eine Frau, Profis, denen man gern bei der Arbeit zusieht – und sofort ein politisch korrekt schlechtes Gewissen deshalb verspürt.

Eines Besseren seien jene belehrt, für die sich das alles negativ anhört. Wie die vier Vorgängerbände (und die inzwischen zahlreichen Nachfolgebände) bietet „In letzter Sekunde“ atemlosen Action-Lesespaß. Den ohne die Unterstützung durch Kino oder Fernsehen zu produzieren, ist ein hartes Handwerk; dies belegt eine Legion von Unglücksraben, die ihre Leser stattdessen mit Brutal-Stammeleien zu fesseln versuchen.

Autor

Lee Child wurde 1954 als Jim Grant im englischen Coventry geboren. Nach zwanzig Jahren Fernseh-Fron (in denen er u. a. hochklassige Thriller-Serien wie „Prime Suspect“/„Heißer Verdacht“ oder „Cracker“/„Ein Fall für Fitz“) betreute, wurde er 1995 wie sein späterer Serienheld Reacher ‚freigestellt‘.

Seine Erfahrungen im Thriller-Gewerbe gedachte Grant nun selbstständig zu nutzen. Die angestrebte Karriere als Schriftsteller ging er generalstabsmäßig an. Schreiben wollte er für ein möglichst großes Publikum, und das sitzt in den USA. Ausgedehnte Reisen hatten ihn mit Land und Leuten bekannt gemacht, sodass die Rechnung schon mit dem Erstling „Killing Floor“ (1997, dt. „Größenwahn“ aufging. 1998 ließ sich Grant, der sich als Autor „Lee Child“ nennt, in seiner neuen Wahlheimat nieder und legt seither mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks in jedem Jahr ein neues Reacher-Abenteuer vor. Zehn sollten es ursprünglich werden, doch zur Freude seiner Leser ließ der anhaltende Erfolg Child von diesem Plan Abstand nehmen.

Man muss die Serie übrigens nicht unbedingt in der Reihenfolge des Erscheinens lesen. Zwar gibt es einen chronologischen Faden, doch der ist von Child so konzipiert, dass er sich problemlos ignorieren lässt. Jack Reacher beginnt in jedem Roman der Serie praktisch wieder bei null.

Taschenbuch: 504 Seiten
Originaltitel: Echo Burning (London : Bantam Press/Transworld Publishers/The Random House Group Ltd. 2001)
Übersetzung: Wulf Bergner
https://www.leechild.com
https://www.randomhouse.de/Verlag/Blanvalet

eBook: 2272 KB (Kindle)
ISBN-13:: 978-3-6410-3814-4
https://www.randomhouse.de/Verlag/Blanvalet

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