Christoph Marzi – Die wundersame Geschichte der Faye Archer

Faye Archer hat ihr Studium abgebrochen, nun arbeitet sie als Verkäuferin in einem kleinen Buchladen in Brooklyn und gibt gelegentlich Konzerte in einer früheren Fabrikhalle. Im Großen und Ganzen ist sie mit ihrem Leben recht zufrieden. Bis eines Tages ein Mann den Buchladen betritt und einen Satz sagt, der Faye vollkommen elektrisiert …

Eigentlich passt „Die wundersame Geschichte der Faye Archer“ überhaupt nicht in mein Beuteschema. Um reine Liebesgeschichten mache ich normalerweise einen großen Bogen. Als ich dann zu Hause damit auf dem Sofa saß und zum zweiten Mal den Klappentext las, fragte ich mich, warum in aller Welt ich es hatte lesen wollen! Es kann wohl nur des Autors wegen gewesen sein. Christoph Marzis Schreibstil gefiel mir schon in seinem Zyklus der Uralten Metropolen ausgesprochen gut. Also las ich jetzt eben eine Liebesgeschichte.

Und ich muss sagen, es war eine sehr angenehme Liebesgeschichte. Keinerlei Kitsch, keinerlei Klischees, dafür unglaublich viel Stimmung, Lebendigkeit, Charme. Das liegt zu einem großen Teil an der Protagonistin.

Faye ist eine ausgesprochen sympathische Zeitgenossin. Morgenmufflig, ein wenig chaotisch und mit einem Faible fürs Ruhige und Nostalgische. Sie ist gern freundlich zu den Menschen, ihr Selbstbewusstsein ist allerdings nicht allzu ausgeprägt, weshalb es einfach ist, sie ein wenig unterzubuttern. Vor allem aber ist Faye ein überschwänglicher, emotionaler Mensch. Und weil sie das ist, reißt sie den Leser mit, ganz gleich, ob es ihr gerade blendend geht oder eher miserabel.

Aber das ist es nicht allein. Faye ist Musikerin, Musik spielt folglich eine große Rolle. Ganz gleich, ob beiläufig erwähnt wird, was gerade im Radio oder in der Kneipe läuft, ob Faye bei Freunden im Plattengeschäft steht und nach etwas sucht, das zu ihrer Stimmung passt, oder ob sie zu Hause etwas Entsprechendes auflegt, die Songs sind ein zentraler Bestandteil der Geschichte. Wohl dem, der all den Titeln und Interpreten auch Melodien zuordnen kann. Ich konnte es leider nicht immer, das tat der Sache jedoch zum Glück keinen allzu großen Abbruch. Denn abgesehen von all den genannten Liedern komponiert und textet Faye auch selbst. Nicht, dass sie sich dabei lang und breit über Details ausließe, und doch hatte ich beim Lesen eine ziemlich genaue Vorstellung vom Ergebnis. Nicht unbedingt meine bevorzugte Ecke, aber das Konzert hätte ich mir schon angehört. Dazu kommt, dass Faye auch empfänglich für Geräusche ist, die nicht unmittelbar mit Musik zu tun haben. Natürliche Geräusche wie Regen, Wind, raschelndes Laub, aber auch das Lachen von Kindern, Fahrradklingeln, Motorgeräusche, all das ist Bestandteil des entstehenden Bildes.

Natürlich besteht das Bild nicht nur aus Klang, sondern auch aus Farben. Faye ist ein ausgesprochen bunter Mensch, ausgedrückt in ihrer Kleidung, was gut zu ihrer gefühlsbetonten Art passt. Außerdem ist es Herbst, und auch dessen Farben fließen mit ein, Sonnenlicht und buntes Laub ebenso wie Pfützen und Regenwolken. Dazu Fayes liebenswertes Telefon, ihr gepunktetes Sofa sowie die ausgesprochen plastische Beschreibung des etwas unkonventionellen Buchladens, und das Bild ist perfekt.

Wer sich zu allem Überfluss noch in Brooklyn auskennt, kann vielleicht auch der Beschreibung der diversen Örtlichkeiten folgen. Ich war noch nie in New York und konnte deshalb mit den genannten Straßen – oder Brückennamen nichts anfangen. Die Grundstimmung des Stadtteils, vor allem im Kontrast zum benachbarten Manhattan, kommt jedoch auch bei Nichtkennern an und rundet das Bild zusätzlich ab.

„Die wundersame Geschichte der Faye Archer“ ist eine einzige Hommage: an die amerikanische Literatur im Allgemeinen und an „Frühstück bei Tiffany“ im Besonderen, an alte Hollywoodfilme, jegliche Art von Musik, den etwas altmodischen Charme von Brooklyn, fernöstliche Weisheiten, den Herbst, alles Unerwartete, Verrückte, Bewegte und an das Leben selbst. Christoph Marzi hat all das in seiner unnachahmlichen Sprache eingefangen und zu einem dichten Geflecht aus unbeirrbarer Lebensfreude gewoben, selbst an den Stellen, an denen Faye verwirrt, gekränkt oder wütend ist. Sogar das Cover spiegelt diesen Ausdruck wieder, sehr gelungen.

Da verzeiht der Leser selbst die Tatsache, dass die Ursache für all die Wirrnisse und Missverständnisse nicht unbedingt neu ist. Und auch nicht im geringsten logisch. Denn wie Alex so treffend feststellt, ist es angesichts der Tatsachen eigentlich nicht wichtig.

Um es kurz zu machen: Das war die erste Liebesgeschichte, die ich wirklich gern und mit Genuss gelesen habe. Das ganze Buch atmet Fayes Begeisterung für alles Schöne im Leben, sei es nun Natur, Kunst oder Technik. Selbst an den deprimierten Stellen ist seine Ausstrahlung positiv. Man kann beim Lesen gar nicht anders als schmunzeln. Ein Buch für Lebenskünstler, Romantiker und alle, die eins von beidem oder beides werden wollen. Außerdem als Therapie empfohlen für alle, die gerade Liebeskummer haben.

Christoph Marzi studierte Wirtschaftslehre und ist heute hauptberuflich als Lehrer tätig. 2005 erhielt er den deutschen Phantastik-Preises für sein Romandebut „Lycidas“, dem drei Fortsetzungsbände folgten. Außerdem stammen aus seiner Feder die Trilogie Malfuria sowie eine ganze Anzahl weiterer Romane, darunter auch Jugendbücher. Er lebt mit seiner Familie im Saarland.

Taschenbuch 383 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-52992-2

www.christoph-marzi.de
www.heyne.de

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