Clifford D. Simak – Heimat Erde

Auf der zum Friedhofsplaneten umgestalteten Erde stoßen Reisende auf neues Leben, was von der kriminellen Verwaltung totgeschwiegen wird. Beim Versuch, die Geheimnisse der Erde zu lüften, geraten die Besucher an Mutanten, Roboter, Gespenster u. a. seltsame Zeitgenossen … – Zwar routiniert und wortgewaltig aber ohne echten Plot oder roten Faden spult der Autor in diesem Spät-Roman vor allem „Daheim-ist’s-am-schönsten“-Nostalgien ab, die er mit selten erklärten Rätseln aufpolstert: lesbar, aber keines der ‚guten‘ Simak-Werke.

Das geschieht:

Vor zehn Jahrtausenden hat ein Krieg die Erde verwüstet. Die wenigen Überlebenden sind hinaus ins All geflüchtet. Zurück blieb eine vergiftete Erde, die sich allmählich erholte, jedoch nie wieder neubevölkert wurde. Dennoch genießt die „Heimatwelt“ eine Sonderstellung: Viele ehemalige Siedler lassen sich auf der Erde begraben. Das lukrative Geschäft hat sich die „Mother-Earth“-Gesellschaft gesichert, die diskret aber entschlossen dafür sorgt, dass ihr keine Konkurrenz entsteht.

Vom Planeten Alden reist der Künstler Fletcher Carson auf die Erde. Er möchte die ‚Stimmen‘ des Planeten mit Hilfe seines „Kompositors“ – der auf den Namen „Bronco“ hört und ein Roboter ist, der sich mitteilen sowie laufen kann – aufzeichnen und in eine multimediale Symphonie verwandeln. Dabei hilft ihm der ehemalige Kampfroboter und Mechaniker Elmer, der einst auf der Erde gebaut wurde.

Ebenfalls von Alden stammt die junge Cynthia Lansing, die auf der Erde nach den Relikten der „Anachronier“ fahndet, die den Planeten einst unbemerkt besucht haben sollen. Sie schließt sich Carson und seinen Begleitern an, denn die Regionen außerhalb des Friedhofsgeländes sind unerforscht und gelten als wild und gefährlich – eine Sicht, die vor allem „Mother Earth Inc.“ vertritt, um sich auch dieses Land aneignen zu können.

In der Tat ist die irdische Wildnis reich an Überraschungen. Überlebende Erdmenschen siedeln hier; ihre Sitten sind rau und nicht immer herzlich. Seltsame Kreaturen schleichen durch die Nacht. Roboter Elmer entdeckt eine der uralten Kriegsmaschinen aus der Zeit des großen Krieges. Der mysteriöse „Volkszähler“ hilft ihnen mehrfach aus der Bredouille; ihn unterstützen waschechte Gespenster. Nach und nach kristallisiert sich ein Erd-Bild heraus, in dem „Mother Earth Inc.“ eine düstere Rolle spielt …

Was „Heimat“ wirklich ist

Kritiker urteilen recht streng über die die späteren Romane von Clifford D. Simak. „Heimat Erde“ kommt besonders schlecht bei ihnen weg, wofür es durchaus handfeste Gründe gibt. So fällt negativ auf, dass der erzählten Geschichte eigentlich ein Plot fehlt; hinzu kommt ein Spannungsbogen, der eher eine Serie sachter Froschhüpfer gleicht. Es gibt keinen Höhepunkt, wenig dramatisch reiht sich Episode an Episode: Hier konnte – und wollte – Simak nicht verhehlen, dass „Heimat Erde“ ursprünglich in Fortsetzungen im SF-Magazin „Analog“ erschien. Für die spätere Buchausgabe machte sich der Autor offensichtlich nicht die Mühe, den Text entsprechend zu überarbeiten.

Das ist schade, denn die belanglosen Ereignisse spielen sich in einer eindrucksvollen Kulisse ab, für die Simak zudem wunderbare Landschaftsbeschreibungen findet. Die Erde als Friedhofsplanet ist so, wie der Autor es hier in Worte fasst, keine absurde Idee. Die Umsetzung verrät das Alter dieses Garns: Natürlich ist die Organisation der galaxisweit operierenden „Mother Earth Inc.“ rein analog. Die beschriebene Zukunft wirkt in der Rückschau generell altmodisch, und Simak kümmerte sich selten um die ‚Glaubwürdigkeit‘ seiner Science Fiction.

Ihn trieben andere Motive um. „Heimat Erde“ ist trotz der Routinen, in die der Verfasser sich hier flüchtet, ein gutes Beispiel dafür. Simak interessierte die Frage, wie der zukünftige Mensch in seiner Alltagswelt verwurzelt sein würde. „Heimat“ war für den Autor keine Phrase, sondern ein elementarer Bestandteil des Lebens. Wie würde deshalb der Mensch „Heimat“ definieren, wenn er die Erde buchstäblich hinter sich gelassen hatte?

Tatsächlich wäre ihm das nach Simaks Ansicht unmöglich. Die Erde als Friedhof ist ein behauptetes Geschäftsmodell, hinter dem sich längst echtes Leben nicht nur regt, sondern den Planeten neu bevölkert. „Mother Earth“ – schon der Name ist ironisch gemeint – hat den „Heimat“-Begriff profitabel pervertiert. Es bedarf des ‚Außerirdischen‘ Fletcher Carson, um dies zu entlarven.

Neuankunft als Rückkehr

Die „Heimat Erde“ wird von einer kleinen Gruppe bereist. Wiederum setzt Simak sanften Spott ein: Der einzige ‚echte‘ Erdling ist Elmer, ein Roboter, der in dieser Zukunft kein Maschinendiener mehr ist, sondern Bürgerrechte geltend machen kann. Simak spielte gern mit SF-Klischees und Erwartungen, weshalb ‚seine‘ Roboter oft ‚menschlicher‘ als ihre lebendigen Zeitgenossen wirken: Menschlichkeit ist eine Eigenschaft, die erworben werden kann – von Menschen, Robotern und ‚echten‘ Außerirdischen wie dem „Volkszähler“.

Die wahre Heimat entdecken Carson und seine Begleiter erwartungsgemäß jenseits der Friedhofsgrenzen. Eine Grabstätte kann nach Simak kein Ort für das Leben sein. Tatsächlich hat sich die Erde nach einem Atomkrieg regeneriert. Sie ist wieder eine Heimat – für ‚wilde‘ Pflanzen und Tiere, aber auch für Menschen, die jenseits der starren Regeln leben wollen, mit denen „Mother Earth“ sie gängeln will. Es mögen recht raue Gesellen sein, auf die Carson & Co. treffen, doch sie repräsentieren ein Temperament, das vor allem Leben darstellt.

Leider belässt es Simak bei der Feststellung dieser Tatsache. Der rote Handlungsfaden besteht aus den Versuchen von „Mother Earth“, die lästigen Eindringlinge auszuschalten. Die Flucht treibt die Gruppe tiefer und tiefer in die Wildnis – und in die Obskurität, denn Simak weiß nicht recht, wie er sie dort beschäftigen soll. Also rankt sich ein Handlungsstrang um die „Anachronier“, die seit Jahrtausenden die Erde besuchen, um dort für sie interessante Artefakte zu sammeln. Intelligente (und reumütige) Kampfroboter treten auf, Gespenster spuken umher, und zu allem Überfluss treten Fletcher Carson und Cynthia Lansing eine Zeitreise an, über deren Sinn sich trefflich streiten ließe. Logisch oder wenigstens sinnvoll ist diese Episode jedenfalls nicht.

Nett vs. eingeschränkt böse

Es sind keine Abenteurer oder gar Krieger, die das Geheimnis der Erde lüften. Ein brotloser Künstler und eine wissbegierige Frau geraten eher passiv in Ereignisse, die der Autor über sie hereinbrechen lässt. Simaks war nie für ausgefeilte weibliche Charaktere bekannt. Cynthia Lansing ist recht offensichtlich nur dabei, weil eine Frau in jede Entdeckergruppe gehört – es könnten ja auch Leserinnen zu diesem Buch greifen. Wirklich zu tun hat Cynthia hier nichts – und es wird nicht dadurch besser, dass sie sich geradezu blutsturzheftig in Fletcher verlieben muss.

Auch Elmer und Bronco bleiben Nebenfiguren ohne besonderes Gedächtnisprofil. Über mehrere Kapitel verschwinden sie sogar spurlos aus dem Geschehen und kehren im Finale abrupt zurück, ohne ihrer aufwändigen Einführung jemals gerecht geworden zu sein. Ebenso aufgesetzt ist das ‚Geheimnis‘ der Anachronier, das irgendwann ohne Dramatik gelöst wird.

In dieser Geschichte treten Bösewichte auf. Freilich war wirklich üble Schurken in Simaks Werk kaum jemals handlungstragend sowie notorisch besserungsfähig. Hier ist es u. a. ein „Stahlwolf“, der sich von der todbringenden Verfolgungsmaschine in einen friedlichen Blech-Hund verwandelt. Der eigentliche Schurke ist die „Mother Earth Inc.“, ein ausschließlich profitkonzentrierter Konzern, dem Simak ein ‚Gesicht‘ in Gestalt des blasierten Bürokraten Maxwell Peter Bell gibt. Der verschwindet ebenfalls bald aus dem Geschehen und tückt im Hintergrund. Folgerichtig gibt es kein Final-Duell; der Konzern wird gewaltfrei ausgehebelt.

So schlendert dieses Garn gemächlich von Ereignis zu Ereignis. Simak punktet mit Stimmungsbildern, die jedoch eine stringente Handlung nur ansatzweise ersetzen können. Dennoch ist „Heimat Erde“ auch oder gerade wegen seiner pastoral wirkenden Friedlichkeit lesbar geblieben: Man merkt, wie wichtig es dem Verfasser war, eine Alternative zur auch oder gerade in der Science Fiction allgegenwärtigen Gewalt zu bieten. Ebenfalls eine Erwähnung wert ist die sorgfältige deutsche Übersetzung. Sie verrät ein Gespür für die unzähligen Details, die wichtig für diese Geschichte sind.

Autor

Clifford Donald Simak wurde am 3. August 1904 in Millville, einem Städtchen im Südwesten des US-Staates Wisconsin, geboren. Naturwissenschaft und Journalismus waren seine frühe und lebenslange Leidenschaft. Simak studierte an der Universität von Wisconsin und wurde 1922 zunächst Lehrer. 1929 wagte er den Absprung und wurde für diverse Zeitungen des Mittelwestens tätig. Ab 1939 war er fest beim „Minneapolis Star“ angestellt, wo er bis 1976 blieb und u. a. die Wissenschaftsbeilage betreute.

Der junge Simak war von den Science-Fiction-Magazinen fasziniert, die in den 1920er Jahre erschienen. Er wurde bald selbst schriftstellerisch aktiv. Eine erste Kurzgeschichte erschien 1931 in Hugo Gernsbacks „Wonder Stories“. 1938 wechselte Simak als Autor zu „Astounding Science Fiction“. Unter dem charismatischen Herausgeber John W. Campbell jr. (1910-1971) begann er seine eigene Stimme zu finden. In den nächsten Jahren entstanden jene Storys, die 1952 zum „City“-Zyklus zusammengefasst wurden.

Obwohl Simak zu den Gründervätern der Science Fiction gezählt wird, begann seine eigentliche Karriere erst nach dem II. Weltkrieg. Der Autor sperrte sich gegen aktuelle Modeströmungen und blieb ‚seiner‘ SF treu. Einfache Männer bilden seine Hauptfiguren: Handwerker, Journalisten, Lehrer, oft am Rande der Gesellschaft lebend, etwas verschroben aber aufgeschlossen, tolerant und neugierig (sowie in der Regel begleitet von einem Hund). Gern lässt Simak das Fremde in den vertrauten Landschaften des Mittelwestens auftauchen, wo außerhalb der großen, anonymen Städte Männer und Frauen in übersichtlichen Gemeinschaften leben und gesunder Menschenverstand allemal über weltfremdes Spezialistentum gestellt wird.

Mit seinen ‚pastoralen‘ SF-Werken schuf sich Simak eine literarische Nische, in der er sich behaglich einrichtete. Selbst die eifrigen und manchmal eifernden Vertreter der „New Wave“, die Ende der 1960er Jahre der SF grundlegende neue Impulse gaben, ließen ihn in Ruhe. Schon 1973 wurde Simak in die „Science Fiction Hall of Fame“ aufgenommen. In den 1970er Jahren erweiterte er sein Repertoire und verfasste erfolgreiche Fantasy-Romane. Erst sein Tod am 25. April 1988 in Minneapolis setzte dieser erstaunlichen, fast sechs Jahrzehnte umspannenden Karriere ein Ende.

Taschenbuch: 173 Seiten
Originaltitel: Cemetary World (New York : G. P. Putnam’s Sons 1973)
Übersetzung: Horst Pukallus
Cover: Karel Thole
www.randomhouse.de/heyne

E-Book: 645 KB
Cover: Das Illustrat, München
ISBN-13: 978-3-641-21319-0
www.randomhouse.de/heyne

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