John Connolly – Das dunkle Vermächtnis [Charlie Parker 2]

Ex-Polizist Charlie Parker gerät ins Schussfeld der Mafia, die nach verschwundenen 2 Mio. Dollar sucht. Gangster, schießfreudige Hinterwäldler und ein gruseliges Killerpärchen mischen sich ein, aber erst als auch noch ein mythischer Serienmörder auftaucht, bekommt Parker echte Schwierigkeiten … – Der 2. Parker-Thriller verbindet abermals gekonnt Thriller-‚Realität‘ und Jenseits-Mystik. Obwohl die Eindringlichkeit des Vorgängerbandes fehlt, bleibt „Das dunkle Vermächtnis“ ein ausgezeichneter, weil spannender und gut geschriebener Roman.

Das geschieht:

Nachdem er dem „Fahrenden Mann“, jenem Serienmörder, der seine Familie ermordet hatte, zur Rechenschaft gezogen hatte, quittierte Charles „Bird“ Parker, Detective des New York Police Department, den Dienst. Nun lebt er in Scarborough, einem kleinen Ort im Norden des US-Staates Maine. Er hat das Haus seines Großvaters restauriert, lebt zurückgezogen und hat gerade eine Lizenz als Privatdetektiv beantragt.

Für Rita Ferris, eine entfernte Bekannte, soll er Unterhaltsgeld eintreiben. Ex-Gatte Billie Purdue ist ein cholerischer Kleinkrimineller mit ausgeprägtem Hang zur Gewalt, aber Parker kann das Geld aus ihm herauspressen. Das gehört allerdings der Mafia: Billie hatte Wind von der Entführung einer Gangsterboss-Tochter bekommen, nahe der Übergabestelle gelauert, alle Anwesenden über den Haufen geschossen und sich mit 2 Millionen Dollar aus dem Staub gemacht. Mafiaboss Toni Celli will das Geld zurück, denn er hat selbst Geld unterschlagen und steckt deshalb tief in der Klemme, was ihn jede Rücksicht vergessen lässt.

Ebenfalls vom verschwundenen Lösegeld angelockt werden die beiden bösartigen Auftragskiller Abel & Stritch, die sich nach Jahrzehnten des Mordens und Folterns gern zur Ruhe setzen wollen. Sie würden Billie Purdue gern ‚befragen‘, doch der ist rechtzeitig untergetaucht. Doch er flüchtet nicht nur, sondern sucht gleichzeitig seine Eltern, die ihn als Kleinkind zur Adoption freigegeben hatten. Parker folgt den Spuren und findet jene, die er befragen möchte, immer nur tot. Läuft Billie Amok und rächt sich für sein verpfuschtes Leben?

Aber es gibt es einen weiteren, schrecklichen Gegner: Eine alte Frau kündigt vor ihrem spektakulären Selbstmord die Rückkehr des Caleb Kyle an. Er hatte 1965 binnen kurzer Zeit sechs junge Frauen entführt, geschlachtet und in wie vorzeitliche Menschenopfer in einen Baum gehängt. Einen der Polizisten ließ der Fall niemals los: Charlie Parkers Großvater. Caleb Kyle wurde zum Mythos. Sein Enkel bekommt nun die Gelegenheit, das Geheimnis endlich zu klären, sollten die Mafia, Abel & Stritch und Billie Purdue ihn gewähren lassen …

Magnet für Monster

Nach „Das dunkle Herz“ ist dies der zweite Band der Charlie Parker-Serie. Wer den Vorgänger nicht kennt, wird förmlich niedergewalzt von der Wucht, mit der John Connolly das Böse auf diese Welt niederfahren lässt. „Das dunkle Vermächtnis“ ist ein dichter Thriller mit einer zum Teil überfrachteten Handlung. Schon im ersten Band beschränkte sich Connolly nicht auf einen Killer. Quasi von allen Seiten drangen die Bösewichter auf den geplagten „Bird“ Parker ein. Das führte zu einigen unnötigen Ausbuchtungen einer ansonsten stromlinienförmigen Handlung – eine Beobachtung, die sich auch dieses Mal machen lässt. Zumindest Abel & Stritch sind – obwohl sehr unterhaltsam – eigentlich überflüssig in dieser Geschichte. (Einige allzu leichenreichen Massen-Metzeleien weniger hätten es übrigens auch getan.)

Nicht weiter nachdenken sollte man auch über die Wahrscheinlichkeit, die ausgerechnet Opa Parker über den Superkiller Kyle stolpern ließ, den er Enkel Charlie vererbte. Wenn dies gelingt, zieht „Das dunkle Vermächtnis“ sein Publikum von Seite 1 in seinen Bann. Connolly versteht es meisterhaft, aus zunächst scheinbar zusammenhanglosen, brillanten Einzelszenen nach und nach ein ungeheuerliches, mitreißendes Gesamtbild zusammenzufügen, bei dem man nach Realismus nicht mehr fragt.

Da unsere Geschichte in Maine spielt, stören die ausgeprägten übernatürlichen Elemente weniger als in einem ‚normalen‘ Thriller. Schließlich wandelt John Connolly hier im Land von Stephen King. Da dürfen den armen Charlie Parker des Nachts schon einmal die Geister seiner ermordeten Familie und weiterer Mordopfer heimsuchen, während Caleb Kyle erfolgreich die Rolle der Hexe von Blair übernimmt.

Die ‚Guten‘ & die ‚Bösen‘: schwer zu unterscheiden

Die Eindringlichkeit der Handlung setzt sich in der Figurenzeichnung fort. John Connolly hat mit Charlie Parker einen echten Charakter ins Leben gerufen. Ihm bleibt wahrlich nichts erspart. Das grausame Ende seiner Familie hat er zwar überlebt, aber er ist und bleibt gezeichnet. Deshalb belastet ihn Opas „Vermächtnis“ besonders stark; der Schock des Verlustes trieb Parker in gewisser Weise in den Wahnsinn. Er hat Visionen, ihm erscheinen seine ermordete Frau und Tochter, gefolgt von weiteren Mordopfern, deren Enden ungesühnt blieben. Sie treiben ihn in seinem Tun an, aber natürlich ist diese Quelle Gift für Parkers geistige Gesundheit. Dennoch wandelt er sich langsam vom blindwütigen Rächer in eigener Sache zum Racheengel der Verdammten. Auf diese Weise kehrte er langsam ins Leben zurück.

So wie Robert B. Parker seinem Serienhelden Spenser für allzu grobe Gewaltakte den Söldner Hawk an die Seite stellte, kann Charlie Parker sich im Notfall auf seine unorthodoxen Kumpels Angel und Louis, Einbrecher bzw. Mietkiller im Halbruhestand, verlassen. Connolly legt sie als schwules Paar an; dies aber nicht aufdringlich politisch korrekt, sondern ganz ‚normal‘, d. h. wie eher ein altes Ehepaar mit allerdings ungewöhnlichem Gewerbe. Trotz aller Bemühungen bleiben die beiden Figuren recht flach: das Großmaul und der intellektuelle Mörder mit moralischen Grundsätzen (die er auf den Seiten 278-280 allzu aufdringlich beschwört – ein arger Stilbruch), sympathisch aber auch bemüht, da sowohl Angel als auch Louis nicht wirklich ‚böse‘ sein dürfen, um den der (amerikanischen) Schwarz/Weiß-Sicht verhafteten Leser nicht zu verwirren.

Ohne entsprechende Rücksicht darf Connolly Angels und Louis’ düstere Gegenstücke Abel & Stritch zeichnen. Sie wirken in ihrer comichaften Bösartigkeit überzeichnet; in der Realität dürften ihnen als Killer wohl kaum eine derartige Karriere gelungen sein. Als Schurken wirken sie überzeugend, weil Connolly ihre Übeltaten ohne Scheu vor blutigen Details und wortgewandt aber trotzdem primär im indirekten Bericht in Szene zu setzen weiß und auch darf, denn sie werden ihrer gerechten Strafe nicht entgehen!

Nicht ganz über die volle Distanz

Caleb Kyle, der Schatten der Wälder, kann seinen Status als unverwundbarer, womöglich übermenschlicher Killer lange aufrechterhalten. Connolly lässt ihn nur an den Rändern der Handlung auftreten oder geschockte Zeugen ängstlich über ihn erzählen. Als Kyle dann die Bühne betritt, vermag er die Versprechen des Verfassers nicht wirklich einzulösen. Letztlich ist er der schlaue Irre vom Dienst, der sich vor dem turbulenten Finale die Zeit nimmt, ausführlich über seine Motive zu referieren. Das Rätsel verdunstet, es sprechen die in ihrer Wirkung liebevoll beschriebenen Waffen.

Das alles hat nicht mehr die zermahlende Wucht von „Das dunkle Herz“, womit auch nicht zu rechnen war, denn ein weiterer Abstieg in die Tiefen der (seelischen) Finsternis wäre kaum mehr möglich gewesen. Nüchtern betrachtet ist „Das dunkle Vermächtnis“ ein Remake des Vorgängers. Da der Autor die Parker-Serie bis heute fortsetzt, verflüchtigt sich die Eindringlichkeit quasi notgedrungen weiter, denn ein solches Niveau lässt sich nicht dauerhaft halten. Inzwischen hat Connolly sicherlich ein paar krude Gauner und Geister zu viel in Parkers Welt gesetzt. Weiterhin mischt er die Karten jedoch gut und spielt sie mit der Könnerschaft eines versierten Falschspielers aus, dem seine Opfer – wir – mit lemminghafter Aufmerksamkeit folgen oder folgen würden, denn leider wird die Parker-Serie hierzulande nicht mehr übersetzt und fortgesetzt.

Autor

Obwohl er die Odyssee eines US-amerikanischen Privatermittlers beschreibt, wurde John Connolly 1968 im irischen Dublin geboren, wuchs dort auf, studierte und arbeitete (nach einer langen Kette von Aushilfsjobs) als Journalist (für „The Irish Times“), was er fortsetzt, obwohl sich der Erfolg als freier Schriftsteller inzwischen eingestellt hat. Die amerikanischen Schauplätze seiner Charlie-„Bird“-Parker-Thriller kennt Connolly aber durchaus aus eigener Erfahrung; schon seit Jahren verbringt er jeweils etwa die Hälfte eines Jahres in Irland und den Vereinigten Staaten.

Verwiesen sei auf die in Form und Inhalt wirklich gute Connolly-Website, die nicht nur über Leben und Werk informiert, sondern quasi als Bonus mehrere Gruselgeschichten und Artikel präsentiert.

Taschenbuch: 464 Seiten
Originaltitel: Dark Hollow (London : Hodder & Stoughton/Hodder Headline PCL 2000)
Übersetzung: Jochen Schwarzer
http://www.ullsteinbuchverlage.de

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