Patricia Cornwell – Brandherd [Kay Scarpetta 9]

Ein Brandstifter entfacht wahre Höllenfeuer. In der Asche finden sich Leichen, die nur die geniale Gerichtsmedizinerin Kay Scarpetta identifizieren kann. Sie erkennt, dass hier eine Serienmörderin, mit der sie vor Jahren schon einmal zu tun hatte, wieder aktiv geworden ist, erkennt deren perfiden Racheplan aber beinahe zu spät … – Der 9. Band der erfolgreichen Scarpetta-Serie bietet erneut spannende Thriller-Unterhaltung mit bizarren Morden und Forensik-Exotik, leidet aber unter allzu dick aufgetragenen, predigtähnlich die Handlung ins Stocken bringenden Seifenoper-Elementen.

Das geschieht:

Kay Scarpetta, Leiterin des gerichtsmedizinischen Instituts der Stadt Richmond im US-Staat Virginia, untersucht einen Großbrand auf dem feudalen Landgut und Gestüt des Medienmoguls Kenneth Sparkes, Der ist ein konservativer, einflussreicher, finanzstarker und schwarzer Geschäftstycoon; eine explosive Mischung, besonders in den Südstaaten, wo es noch immer viele Zeitgenossen gar nicht gern sehen, wenn sich ein farbiger Mitbürger sich über sie zu ‚erheben‘ wagt.

In den Ruinen wird die Leiche einer jungen Frau gefunden, die eines grässlichen Todes starb, was durch das Feuer vertuscht werden sollte. Der Hausherr taucht dagegen quicklebendig auf; er war außer Landes und gibt nun völliges Unwissen vor. Polizei und FBI sind misstrauisch, denn Sparkes Alibi ist recht wackelig. Rätselhaft bleibt, wie der oder die Mörder ein wahres Höllenfeuer entfachen konnten, das die Leiche beinahe einäscherte. Solche seltsamen Todesfälle hat es in der jüngsten Vergangenheit schon mehrfach gegeben. Stets wurden junge, gesunde, gutaussehende Frauen und Männer umgebracht.

Dann entdeckt Scarpetta auf einem Videoband, das eines der Opfer kurz vor seinem Ende zeigt, die Serienmörderin Carrie Grethen. Vor fünf Jahren hatte sie mit ihrem Killergenossen Temple Brooks Gault die USA in Angst und Schrecken versetzte. Scarpetta musste Gault schließlich in Notwehr töten (vgl. „Die Tote ohne Namen“). Grethen mimte die Wahnsinnige, landete in einer psychiatrischen Anstalt, schickte Scarpetta und deren Nichte Lucy, mit der sie einst ein lesbisches Verhältnis verband, Drohbriefe – und konnte schließlich flüchten. Erfüllt von Rachedurst und Mordlust und offensichtlich erneut mit einem Serienmörder ‚zusammenarbeitend‘, stellt Carrie Grethen eine schreckliche Gefahr dar. Scarpetta, ihr Lebensgefährte Wesley Benton, Lucy und Pete Marino von der Mordkommission treffen ihre Vorsichtsmaßnahmen, doch sie unterschätzen ihre Gegnerin gewaltig und müssen einen schrecklichen Preis dafür zahlen …

Feuer frei für flotte Handlung

Ist eine Thriller-Serie beim neunten Band angekommen, wird es wichtig, womöglich allzu ausgefahrene Gleise zu verlassen und neue Wege einzuschlagen. Dies zu wissen und trotzdem die Serienvergangenheit nicht nur aufleben zu lassen, sondern ins Zentrum der Handlung zu stellen, zeugt von schriftstellerischem Mut. Man muss es erfreulicherweise nicht Dummheit nennen, denn Patricia Cornwell ist dieser Weg mit „Brandherd“ (fast durchgängig) gelungen.

„Brandherd“ ist pure Unterhaltung, wie man sie gern liest: schnell, spannend, hervorragend recherchiert, nicht zimperlich dort, wo es garstig und blutig wird. Erneut gelingt es Cornwell, ein neues Spielfeld für ihr dem Publikum inzwischen wohlbekanntes Figurenpersonal zu finden. Dass „Ermittlung“ in einer Brandsache heutzutage mehr ist, als zwischen verkohlten Resten nach einem leeren Benzinkanister zu stochern, haben selbst die Nichtraucher unter den Krimilesern dank Kino und Fernsehen gelernt.

Im Detail ist es faszinierend, quasi zeitgleich mit Kay Scarpetta zu erleben, wie ein Feuer von seiner ‚Geburt‘ bis zum Erlöschen mit modernen wissenschaftlichen Methoden rekonstruiert werden kann. Zweifellos hat sich Cornwell wieder eingehend und vor Ort informiert. Sie schreckt bekanntlich zum Wohle ihres Publikums in dieser Hinsicht vor gar nichts zurück und weiß als ehemalige Pathologin ihren Magen unter Kontrolle zu halten. (Unvergessen ist Kay Scarpettas Besuch auf der „Body Farm“ des FBI, wo man zu Forschungszwecken menschliche Kadaver verrotten lässt.)

Genial und irre: eine unwiderstehliche Mischung

Auch der zweite Handlungsstrang, der sich um den Rachefeldzug der Carrie Grethen rankt, lässt an Dramatik nichts zu wünschen übrig. Psychopathische Serienmörder sind zwar in der Unterhaltungsindustrie im Dauereinsatz, aber sie füllen ihre Bösewicht-Rolle weiterhin zuverlässig mit finsterem Leben. Cornwell ist klug genug, Carrie Grethen bis zum Finale gar nicht auftreten, sondern sie als unsichtbare Bedrohung wirken zu lassen. Dass sie eine echte Hauptfigur opfert, um die dramaturgische Schraube noch fester anzuziehen, ist im Kriminalroman und hier besonders in einer Serie eher selten. Doch je weniger Figuren Leser in Sicherheit wiegen können, desto höher steigt der Spannungspegel!

Außerdem bringt das Ende einer zentralen Figur buchstäblich frisches Blut in die Handlung, Wie bitter nötig dies ist, belegt die einzige, allerdings kräftige Negativkritik, die gegen „Brandherd“ vorzubringen ist. In den Scarpetta-Romanen rückte in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre die Nichte Lucy mehr und mehr in den Mittelpunkt. Sie ist inzwischen zur zweiten Inkarnation der Autorin geworden. Während Kay Scarpetta diese glaubwürdig als selbstbewusstes, berufserfahrenes, nicht mehr junges, aber vom Leben nur gebeuteltes, nicht gebrochenes Alter Ego vertritt, repräsentiert Lucy jene Patricia Cornwell, die selbst lesbisch ist, doch dies verborgen hielt, bis 1997 ihre Liebesbeziehung zu einer verheirateten FBI-Agentin spektakulär offenbar wurde, weil der gehörnte Gatte wutschnaubend versuchte, letztere auf der Schwelle des Cornwell-Hauses ins Jenseits zu befördern.

Kein Wunder also, dass Cornwell gut um die Schwierigkeiten, Vorurteile und Diskriminierungen weiß, der sich eine homosexuelle Frau in noch immer männerdominierten Domänen wie der Polizei oder gar dem FBI ausgesetzt sieht. Dies möchte sie anprangern und natürlich für Änderung sorgen; ein an sich ehrenvolles Unterfangen, das jedoch in einem Thriller nichts verloren hat. Jede Mission für eine gute Sache birgt in sich den Keim eines Kreuzzugs, und wie die historisch Bewanderteren unter uns wissen, ist bisher noch jeder Kreuzzug in ein übles Gemetzel ausgeartet.

Mit Feuereifer, aber ohne Rücksicht auf die Leser

Auch Cornwell predigt und wettert, und darüber vergisst sie, Lucy in das Geschehen zu integrieren. Die Handlung wird praktisch ausgesetzt, sobald sie auf der Bildfläche erscheint. Dann wird tüchtig geweint und ob der Intoleranz der Welt und ihrer Bewohner gebarmt .Anschließend geht es weiter im Thriller-Programm. Das funktioniert einfach nicht, sondern stört gewaltig: Unterhaltung erleidet Schiffbruch, wenn sich der erhobene Zeigefinger gar zu hoch über das Deck erhebt.

In diesem Punkt ergeht es Patricia Cornwell wie Anne Perry: Sie wird von ihrer eigenen, offensichtlich unbewältigten Vergangenheit überwältig, lässt über ihr Werk angestauten Druck ab und macht dabei einen entscheidenden Fehler: Anteilnahme, Zustimmung und Unterstützung lassen sich auch von prominenten Zeitgenossen mit großer Fangemeinde nicht erzwingen.

Es ist symptomatisch, dass sich die Lucy-Sequenzen ungelesen überspringen lassen, ohne dass die Handlung dadurch jemals aus dem Tritt geriete. Wahrscheinlich ist es das Beste, wenn man genau dies macht. Dann ist „Brandherd“ jedenfalls ein kurzweiliges Lesevergnügen, das neugierig darauf macht, welche neuen Nackenschläge sich Patricia Cornwell für Scarpetta und Co. ausdenken wird.

Autorin

Patricia Cornwell ist weltberühmt, Infos über Leben und Werk sind leicht per Internet zu erhalten, weshalb hier nur auf die Existenz entsprechende Websites verwiesen wird.

Taschenbuch: 475 Seiten
Originaltitel: Point of Origin (New York : G. P. Putnam’s Sons 1998)
Übersetzung: Karin Kersten
http://www.patriciacornwell.com
https://www.randomhouse.de/Verlag/Goldmann

eBook: 1265 KB (Kindle)
ISBN-13: 978-3-4558-1075-2
http://www.hoffmann-und-campe.de/ebooks/

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