Fünf Jahre, nachdem sie als Gerichtsmedizinerin entlassen wurde, kehrt Kay Scarpetta nach Richmond, Virginia, zurück. Doch das Wiedersehen mit der Vergangenheit steht unter keinem guten Stern.
Kay wird von ihrem Nachfolger in Richmond gebeten, bei einem rätselhaften Todesfall zu helfen. Ein 14-jähriges Mädchen ist scheinbar ohne erkennbare Ursache gestorben. Als sie eine weitere Leiche in Augenschein nimmt, entdeckt sie eine alarmierende Parallele zum Fall des toten Mädchens: feine Spuren von Knochenstaub auf dem Körper. Allem Anschein nach hat der Täter im Krematorium der Gerichtsmedizin gearbeitet … (Verlagsinfo)
Die Autorin
Patricia Cornwell, 1956 in Miami geboren, war Polizeireporterin und Computerspezialistin am Gerichtsmedizinischen Institut von Virginia, bevor sie zu schreiben begann. Mit den Thrillern um ihr literarisches Alter Ego, die Gerichtsmedizinerin Kay Scarpetta, wurde sie zur „erfolgreichsten Thrillerautorin der Welt“ (Der Spiegel). Cornwell lebt allein in Richmond / Virginia und in Malibu, Kalifornien. (Verlagsinfo)
Die Kay-Scarpetta-Reihe:
1. Ein Fall für Kay Scarpetta
2. Ein Mord für Kay Scarpetta
3. Herzbube (Neuer Titel: Das fünfte Paar)
4. Das geheime ABC der Toten
5. Vergebliche Entwarnung
6. Trübe Wasser sind kalt
7. Keim des Verderbens
8. Brandherd
9. Blinder Passagier
10. Das letzte Revier
11. [Die Dämonen ruhen nicht 729
12. Staub
Die Judy-Hammer-Reihe:
1. Die Hornisse
2. Kreuz des Südens
3. Insel der Rebellen
Sonstige Werke:
1. Zum Sterben gut
2. Kay Scarpetta bittet zu Tisch
3. [Wer war Jack der Ripper? 957
Die Sprecherin
Franziska Pigulla war Moderatorin bei n-tv, SAT.1 und bei der BBC in London. Als eine der bekanntesten Sprecherinnen synchronisiert sie Gillian Anderson aus „Akte X“, Demi Moore, Fanny Ardant und Sharon Stone. Auch als Erzählerin bei „Galileo“-Dokumentation ist sie regelmäßig im Off zu hören. Für |HoCa| hat Pigulla bereits mehrere Romane vorgetragen:
– Blinder Passagier
– Das letzte Revier
– Das fünfte Paar
– Brandherd
– Die Dämonen ruhen nicht
Weitere Cornwell-Hörbücher: [Wer war Jack the Ripper? – Portrait eines Killers; 97 Die Tote ohne Namen.
Handlung
Kay Scarpetta arbeitet inzwischen nur noch als forensische Beraterin für die Firma „Das letzte Revier“, die ihrer Nichte Lucy Farinelli gehört, und wohnt in Südflorida. Dort erreicht sie die Bitte ihres Nachfolgers im Amt des Chefpathologen von Virginia, Dr. Joel Marcus. Sie sagt trotz der Rivalität ihre Hilfe zu. Kay ist seit fünf Jahren aus Richmond weg und wundert sich über die Veränderungen, die sich hier ereignet haben.
Mit ihrem Freund, dem nur wenig „sensiblen“, aber umso effizienteren Ex-Polizisten Pete Marino, betrachtet sie die Baustelle, an der ihre alte Wirkungsstätte Etage für Etage, Trakt für Trakt abgerissen wird. Dass sie einen Bauarbeiter dabei beobachtet, wie er den Motor einer Zugmaschine repariert, während er hinter deren großem Rad steht, soll ihr später noch zu denken geben. Denn wenige Stunden später wird eben dieser Bauarbeiter namens Whitby in die neue Pathologie eingeliefert, wo Dr. Joel Marcus sie widerwillig willkommen heißt. Whitby starb an eingedrücktem Brustkorb und den resultierenden inneren Verletzungen: Er wurde von der Zugmaschine überrollt.
Doch Dr. Marcus wünscht ihren Rat in einem ganz anderen Fall. Die 14-jährige Gilly Paulsen wurde vor vierzehn Tagen in die Pathologie eingeliefert, weil ihr Vater, ein Flugarzt auf einem Luftwaffenstützpunkt in South Carolina, darauf bestand. Gilly, so ergibt Kays Obduktion, starb an mechanischer Asphyxie: Sie erstickte. Die in Tränen aufgelöste Mutter, die Kay und Marino besuchen, schildert, was an dem Tag geschah, als sie Gilly tot in deren Zimmer fand. Aber das ergibt keinen Sinn. Als Marino bei der Durchsuchung eine rote Rose in Gillys Nachttisch und ein nicht verschließbares Zimmerfenster vorfindet, ergeben sich mehrere Möglichkeiten. Hat Gillys eigener Vater, von dem Mrs. Paulsen seit einem Jahr geschieden ist, seine Tochter umgebracht?
Trotz der klaren Abneigung und sogar Sabotageaktionen seitens Dr. Marcus setzt Kay ihre Ermittlungen fort. Sie ist erstaunt über Marinos Auskunft, dass die Bundespolizei in den Fall eingeschaltet ist. Die Spezialagentin Karen Weber sitzt eines Tages am Sitzungstisch und zieht sowohl Marinos Anwesenheitsrecht, Mrs. Paulsens Zurechnungsfähigkeit und Dr. Fieldings Fachkompetenz in Zweifel – allerhand, findet Kay. Und als Dr. Marcus dieser FBI-Agentin auch noch sekundiert, reicht es Kay. Sie kündigt die offizielle Kooperation auf und ermittelt undercover und privat weiter – mit Erfolg, wie sich zeigt.
Unterdessen in Hollywood, Südflorida, in Lucy Farinellis Haus und Hauptquartier.
Lucys Freund und Geschäftspartner Rudy ermitteln in eigener Sache. Jemand ist ins Haus eingedrungen und hat Lucys lesbische Freundin und neue Angestellte Henrietta Walden ersticken wollen, indem er sich auf deren Rücken setzte und sie festhielt (so starb auch Gilly Paulsen). Das ist dem Eindringling jedoch nicht gelungen, weil Lucy ihn durch ihr unerwartetes Auftauchen vertrieb. Er hinterließ eine Botschaft – ein aufgemaltes Auge – und darauf einen wunderschönen Fingerabdruck …
Lucy lässt Henrietta sofort zu Kays Freund Benton Wesley nach Aspen, Colorado, ausfliegen, der sie auf ihren Geisteszustand untersucht. Er kommt zu beunruhigenden Ergebnissen: Henri ist eine schwer gestörte Narzisstin, wahrscheinlich sogar eine pathologische Lügnerin. Er hat völlig Recht, aber was hatte Henri vor?
Diese Erkenntnisse können nicht verhindern, dass wenig später eine chemische Bombe in Lucys Briefkasten liegt. Rudy stutzt – Lucy bekommt nie Post an ihre Privatadresse. Als Rudy Lucys Tante, Scarpetta, davon unterrichtet, beginnt Kay zu ahnen, dass es möglicherweise einen Zusammenhang zwischen den Vorfällen in Richmond und denen in Hollywood gibt. Aber es sollen sich noch seltsamere Dinge ereignen.
Mein Eindruck
Wieder einmal geht’s für Kay Scarpetta zurück in die Vergangenheit, als müsse sie eine Zeitschleife durchlaufen, um ihrer Schöpferin Gelegenheit zu geben, sich etwas Neues auszudenken. Doch dabei geht es im Grunde nur um die Aufarbeitung von Altlasten.
Zunächst scheint der neue Fall überhaupt nicht von der Stelle zu kommen, denn die Umstände wurden noch nicht von allen betroffenen Seiten als Fall wahrgenommen. Und als man sich in der Gerichtsmedizin darauf geeinigt hat, dass eventuell ein oder zwei Verbrechen vorliegen könnte(n), werden Kay und Marino in ihren Ermittlungen massiv behindert. Denn Gillys Vater mischt im Spiel der Geheimdienste mit, und das FBI will ein Wörtchen mitreden.
Eskapaden
Richtig lustig wird es erst in der Mitte der Geschichte, als Marino doch tatsächlich mit Mrs. Paulsen, der angeblich trauernden Mutter, ein wildes sexuelles Spiel veranstaltet – oder war’s umgekehrt? Marino hat einen üblen Kater und kann sich nicht so recht erinnern. Doch Kay nimmt ihn sowohl streng als auch verständnisvoll in die Mangel, und so kommt die nächtliche Eskapade endlich ans Licht – auch in das Blitzlicht ihrer Digitalkamera. Denn Marinos Körper hat allerlei Sehenswertes zu bieten: Bisswunden, Kratzer, Prellungen, das volle Programm – übrigens auch an intimen Stellen. Junge, Junge, denkt sich Kay, was ist denn das für ein Frauenzimmer!?
Es geht voran
Ab dieser Stelle sollte der Leser/Hörer froh sein, dass er so lange durchgehalten hat. Denn nun entwickeln sich die Dinge doch zunehmend in die richtige Richtung. Wir selbst haben ja vom Täter bereits frühzeitig erfahren, von seinen ulkigen Marotten und bizarren Angewohnheiten. Doch Kay und Marino in Richmond sowie Lucy und Rudy in Hollywood müssen dem Täter erst noch auf die Schliche kommen. Das ist doch halbwegs spannend mitzuverfolgen und hält den einen oder anderen Schauder bereit. (Knochenstaub und Asche in Pappkartons? Igitt!)
Längen
Allerdings gibt es in der ersten Hälfte des Buches doch etliche Stellen, an denen man sich fragt, was denn dies bitteschön zum Aufbau einer spannenden Handlung beitragen soll. Vor allem diese doofe Zicke namens Henrietta Walden – wahrscheinlich ein Pseudonym bzw. „Künstlername“ – kann mir herzlich gleichgültig sein. Mehr oder weniger mit Absicht bringt sie gegen Schluss auch noch Benton und Lucy in Lebensgefahr, weil sie sie in einem Schneesturm auf einer Berghütte treffen müssen. Dr. Joel Marcus ist von ähnlichem Kaliber: ein politisch denkender Schaumschläger, der sich wie ein Schauspieler aufführt. Henrietta ist wenigstens eine Schauspielerin, doch Marcus tut nur so.
Humor
Einer der wenigen Lichtblicke neben der stets beherrschten Kay ist zweifellos Pete Marino. Mit seiner kumpelhaften Art und einfachen Ausdrucksweise kommt er bei den niederen Rängen an der Gerichtsmedizin Richmonds hervorragend an und erfährt wesentliche Details darüber, was hinter den Kulissen vorgeht. Sein polternder Humor mag für Kay zwar nicht ganz die feine englische Art sein – geschweige denn für Dr. Joel Marcus -, doch wenn es darauf ankommt, einen Verbrecher zu fangen, gibt keinen hartnäckigeren Verfolger. Süß ist, dass er total auf Kay steht, aber sich keine Hoffnungen zu machen wagt, bei ihr zu landen. Nobody’s perfect.
Die Sprecherin
Wieder einmal macht Franziska Pigulla aus einem mittelmäßigen Buch der Cornwell ein Hörerlebnis, an das man sich noch gerne erinnert. Dabei ragen mehrere Figuren, die sie ausgezeichnet charakterisiert, heraus. Die erste ist Pete Marino. Warum das so ist, habe ich oben bereits ausgeführt. Was mich erstaunt hat, ist die tiefe Tonlage, die ihre Stimme annehmen kann. Dadurch wirkt der sympathische und trinkfeste Ex-Polizist noch etwas authentischer.
Mrs. Paulsen
Die zweite Figur ist Mrs. Paulsen. Sie hat – mindestens – zwei Seiten. Die erste Seite, die sie zur Schau stellt, ist die verheulte und vergrämte trauernde Mutter der armen Gilly. Pigulla krächzt heiser, greint, schluchzt, heult in einem fort, dass es zum Steinerweichen ist. Eine ganz andere Seite offenbart Mrs. Paulsen, als Kay darauf besteht, ihr Schlafzimmer zu durchsuchen und die verschiedenen Utensilien für das in der vorigen Nacht veranstaltete „Spiel“ mit Pete Marino einzusammeln. Pigulla faucht und keift, dass es einem kalt den Rücken runterläuft.
Die Psychos
Die beiden anderen Figuren sind die geistig instabilen Herrschaften. Da ist zum einen Henrietta Walden. Sie ist das, was man in Kalifornien eine „snowflake“ nennt: stets kurz vor dem geistigen Schmelzen. Und ganz und gar nicht von dieser Welt. Pigulla erweckt diese Narzisstin glaubwürdig zum Leben.
Der zweite Psycho ist natürlich der Täter. Er trägt den beziehungsreichen Namen Edgar Allan Pogue, was ihn schon mal in die Nähe jenes für seine morbiden Fantasien bekannten US-Dichters des 19. Jahrhunderts rückt. Dass EAP mit den Toten besser umgehen kann als mit den Lebenden, zeigt sich an seinen diversen Konversationen. Ein Meisterstück der sprachlichen Charakterisierung ist EAPs letzter Auftritt in einem Waffenladen in Richmond. Pigulla kann hier sämtliche Register ziehen, und es ist eine Freude, ihr zuzuhören, wenn sie durch Pausen die Spannung erhöht – bis zur Pointe, wenn der Waffenverkäufer seine wahre Identität enthüllt.
Unterm Strich
Der Originaltitel des Buches lautet „Trace“, und das bedeutet so viel wie „Spuren“. Wer Cornwells Gerichtsmedizinerin Scarpetta kennt, der weiß, dass zu den Spuren auch mikroskopisch kleine Teilchen zählen. Die bedeutenden Spuren in Kays neuestem Fall erweisen sich denn auch als nur unter dem Mikroskop sichtbare „Verunreinigungen“. Das bringt ihren Widersacher Dr. Marcus vollends auf die Palme: „Verunreinigungen? Wie kann so etwas passieren?!“ will er wütend wissen. Kay wird dem Stümper schon Bescheid stoßen.
Doch der Leser / Hörer sollte sich darauf gefasst machen, dass auf ihn zahlreiche Beschreibungen auch kleinster Details warten. Dies betrifft keineswegs nur Dinge auf einem Mikroskop-Objektträger, sondern auch etwa eine Baustelle, die Innenausstattung eines Wohn- oder Schlafzimmers oder den Aufbau einer chemischen Bombe. Da heißt es entweder Geduld haben oder mitdenken, je nach Interessenlage. Ich plädiere fürs Mitdenken, dann hat man nämlich mehr davon und ist nicht so überrascht, wenn Kay eine Erklärung aufftischt. Sie zieht nämlich keine Karnickel aus dem Hut, sondern Schlüsse aus den Fakten. Und das kann richtig spannend sein.
Doch vielleicht habe ich nicht richtig aufgepasst, denn für mich ergeben nur die Handlungsstränge um Kay, Marino und den Täter einen Sinn. Was Henrietta Walden mit all dem zu tun hat, außer eben als zufälliges Opfer, weil Lucy nicht anwesend war, als der Täter kam, ist mir unerfindlich. Auch der Abschluss dieses Handlungsstrangs bleibt im Vagen. Folgerichtig verschwindet Henri wieder im Nichts. Na toll, ich habe schon bessere Schlüsse von Handlungssträngen gesehen. Dass sich Benton und Kay am Ende abknutschen und am liebsten gegenseitig auffressen würden, ist eh klar – happy together.
Die Sprecherin
Franziska Pigulla macht diesen mittelmäßigen Krimi mal wieder zu einem Hörerlebnis, indem sie die diversen Figuren auf ihre spezielle Art und Weise charakterisiert und so zum Leben erweckt. Das ist ihr besonders bei Pete Marino gut gelungen. Das wertet das Hörbuch eindeutig auf.
416 Minuten auf 6 CDs
Originaltitel: Trace, 2004
Aus dem Englischen übersetzt von Karin Dufner