Cowell, Stephanie – Ballade des Falken, Die

Was für ein Mensch war eigentlich William Shakespeare? Wie hat er gelebt? Wie sah er aus? Was tat er, wenn er nicht gerade damit beschäftigt war, einen seiner zahlreichen Knüller der Weltliteratur zu schreiben, die noch heute unzählige Schüler im Englischunterricht je nach Einstellung in Schrecken oder Begeisterung versetzen?

Um es gleich vorweg zu nehmen: Die „Ballade des Falken“ ist keine Shakespeare-Biographie. Eigentlich geht es auch gar nicht so sehr um den berühmten Dichter, sondern um den Heranwachsenden Nicholas Cooke, den natürlich niemand kennt. Wie könnte man auch, denn Nicholas ist eine fiktive Person.

Die ersten Jahre seines Lebens verbringt Nicholas Tomkins – so heißt er eigentlich – in Canterbury, wo er als Fünfjähriger mit ansehen muss, wie sein Vater als Dieb hingerichtet wird. Seine Mutter sinkt in die Prostitution ab. Nick selber ist äußerst wissbegierig und träumt von einem Theologiestudium. Dieses wird ihm jedoch verwehrt, sodass ihm nichts anderes übrig bleibt, als bei einem unsympathischen Stellmacher in die Lehre zu gehen. Lange arbeitet Nick allerdings nicht bei ihm, denn bei einem Streit verletzt er seinen Meister so schwer, dass er glaubt, er habe ihn getötet. Daraufhin flüchtet der Junge aus der Stadt. Seine Mutter ist bei der Geburt eines Kindes gestorben.

Nicholas verschlägt es nach London. Dort findet er schließlich Zugang zu Schauspieler- und Dichterkreisen. Mit Kit Morley (Christopher Marlowe) geht er eine stürmische Beziehung ein. Der von ihm hochverehrte Dichter wird jedoch ermordet. Nicks ausgesprochenes Talent für das Theater bleibt nicht unverborgen, und so geht der Junge bei dem Schauspieler John Heminges in die Lehre. Über John lernt Nick Shagspere (Shakespeare) kennen und schätzen, der seine innere Zerrissenheit und Einsamkeit versteht und ihn liebevoll „mein Falke“ – daher der Titel des Romans – nennt.

Der rastlose Nick findet keine Ruhe. Sein teilweise extrem egozentrisches Handeln erweckt beim Leser bisweilen alles andere als Sympathie. Zwar verabscheute Nick seinerzeit die Tätigkeit seiner Mutter, was ihn aber nicht davon abhält, sich nun immer wieder mit Prostituierten einzulassen. John Heminges, in dessen Haus Nick lebt, ist ihm sehr wohlgesonnen und ständig bereit, Nick sein nicht immer vorbildliches Verhalten zu verzeihen. Der Junge selber hat ein eher gespaltenes Verhältnis zu Heminges. Dessen Frau bringt er jedoch ganz andere Gefühle entgegen. Die Beziehung scheitert aber am Pflichtgefühl von Rebecca Heminges.

Um am Krieg in Irland teilnehmen zu können, lässt Nick die Schauspieltruppe im Stich. Das verzeiht ihm John jedoch nach Nicks Rückkehr und gibt ihm sogar seine Tochter Susan zur Frau. Die Ehe geht aber dank Nicks unbeständigem Wesen in die Brüche. Mit John versöhnt sich Nick erst viel später wieder, als er seinen Kindheitstraum erfüllen kann, Priester wird und so seinen inneren Frieden findet.

Der in der Ich-Perspektive geschriebene Roman gibt einen ausführlichen Einblick in das England der Renaissance. Vor dem Hintergrund der politischen Auseinandersetzungen erhält der Leser Zugang zu der Welt des Theaters jener Zeit, insbesondere dem bekannten Globe Theatre. Die Personen, die Nick umgeben, sind fast alle historisch. Hier ist der dem Roman beigefügte Anhang positiv hervorzuheben, in dem diese Personen und die sozialen Umstände, die sie umgaben, kurz charakterisiert werden.

Der Roman ist gut zu lesen, bisweilen allerdings ein wenig zähflüssig. Rückblickende historische Gegebenheiten und Umstände wirken manchmal etwas steif und gekünstelt. Im Ganzen zeichnet sich die Erzählweise aber durch eine lebendige und anschauliche Sprache aus.
Das Ende ist für einen modernen Roman ein wenig ungewöhnlich und erinnert eher an eine mittelalterliche Erzählung, was den Reiz dieses Werkes eigentlich erhöht, es sei denn, man erwartet den „Standardschluß“, demzufolge der Held und seine Geliebte sich glücklich in die Arme sinken. Schön, dass es nicht immer so ausgehen muss.

Rezension von _Sabina Schult_ aus Karfunkel Nr. 18, Seite 58
Abdruck auf dieser Seite (powermetal.de) mit freundlicher Genehmigung des _Karfunkel-Verlages_

[Karfunkel – Zeitschrift für erlebbare Geschichte]http://www.karfunkel.de