Frivole Gespräche und neckische Spiele
Sittenbilder aus der sogenannten feinen Gesellschaft des vorrevolutionären Paris. Junge Mädchen, Zöglinge in einem Kloster, vertreiben sich die Langeweile mit lustvoll-raffinierten Spielen, entdecken ihr Geschlecht und die Wonnen, die sie einander bereiten können.
Thérèse, die das Kloster bald verlassen darf, um zu heiraten, besucht ihre Freundin Augustine, die heimlich einen Vetter der Mutter Oberin in ihr Zimmer eingelassen hat. Er ist noch kein Mann, aber für den Anschauungsunterricht doch geeignet.
Thérèse wird in die Gesellschaft eingeführt, und sie langweilt sich. Ihr Mann, der Graf, hat eine Mätresse, die schöne Chonchette, die ihrerseits die kleine Minutte unterrichtet und ihr die unerlässlichen Tricks des Gewerbes beibringt.
Die feinen Damen der Gesellschaft vergnügen sich miteinander, um die lästigen ehelichen Pflichten zu vergessen; Thérèse hält sich einen Liebhaber, Montade. Da taucht Augustine, inzwischen Madame de Rastard, wieder auf und berichtet, dass Montade sich mit einer langen Liste von Liebhaberinnen brüstet. Thérèse lässt sich „bekehren“: Sie verachtet die Männerliebe, und beide Frauen spielen wieder ihr altes Spiel… (ergänzte Verlagsinfo)
Der Autor
Claude Prosper Jolyot Crébillon der Jüngere (1707-1777) war zu seiner Zeit ein viel gelesener Verfasser schlüpfriger Romane und Erzählungen. Sein bekanntestes Werk ist „Le sopha. Conte moral“ aus dem Jahr 1742 (deutsch bei Pawlak-Verlag u.a.). Die „Sittenbilder“ entstanden zwischen 1750 und 1760. Die erste vollständige dt. Übersetzung durch Max Hecker wurde offenbar 1875 in Brüssel veröffentlicht.
Er schrieb das Buch, das zunächst nur in einem einzigen Exemplar gedruckt wurde, im Auftrag von Alexandre Jean-Joseph Le Riche de la Popeliniére (1693-1762), den einem Generalsteuereinnehmer König Ludwigs des XV, mit üppigen Lebensstil und literarischem Ehrgeiz. Deshalb schrieb man dieses Buch zunächst ihm zu. Heute gilt es als gesichert, dass er lediglich der Verfasser der „Geschichte der Zairette“ ist. Dieser Text wurde häufig zusammen mit den „Sittenbilder“ veröffentlicht.
Die 17 Gespräche
Erstes Gespräch: Mutter Christine und ihr Klosterzögling Thérèse
Thérèse ist vor zwei Jahren von ihrer Mama, der Frau von S., ins Kloster der Augustinerinnen gesteckt worden, um dort eine sittliche Bildung zu erhalten. Mutter Christine ermahnt sie, sich nicht weltlichen Dingen wie etwa Männern zuzuwenden, sondern zu meditieren und fromme Gedanken zu hegen. Thérèse ist schlau genug, zu allem Ja und Amen zu sagen.
Zweites Gespräch: Thérèse und die Gouvernante
Thérèse lässt sich von der „Gouvernante“ des Klosters frisieren und erhält dabei brühwarm die heißesten News aus ihrem Elternhaus: Sie soll an einen Grafen verheiratet werden! Die Friseuse weiß weder, wie der Bräutigam heißt noch wie er aussieht, nur, dass er wohl jung ist und wahrscheinlich aus Paris stammt. Thérèse möchte auf keinen Fall in der Provinz bei den Bauerntrampeln versauern, denn sie ist klug und aufgeweckt. Was die Liebe angehe, brauche sie, Thérèse, sich keine Sorgen zu machen: Gatte und Gattin würde heutzutage in getrennten Zimmern oder Hausflügeln leben und sich nur sehen, wenn’s nötig ist. Thérèse ist erleichtert, denn ihre Vorliebe gilt ganz klar den Vertreterinnen ihres eigenen Geschlechts.
Drittes Gespräch: Thérèse und Frau von S…
Frau von S… ist Thérèses Mama. Die eröffnet ihrer Tochter, dass sie gar nicht fünfzehn, schon fast siebzehn Jahre alt sei. Als wäre dies nicht genug, um das Mädchen umzuhauen, informiert sie sie, dass die Hochzeit mit einem vermögenden Grafen bereits in sechs Tagen stattfinde. Thérèse hat dazu nur Ja und Amen zu sagen, dann ist alles in Butter. Immerhin wird ihr die Gunst gewährt, den Bräutigam zuvor zu sprechen.
Viertes Gespräch: Thérèse, ihre Mutter und der Graf
Da ist der Bräutigam auch schon. Da der ganze Deal bereits in trockenen Tüchern ist und der Termin für die Hochzeit schon feststeht, bleibt ihm lediglich sie seiner Zuneigung zu versichern und zu hoffen, ihr „Vertrauen und Wohlwollen“ zu erwerben. Jetzt ist aber gut, meint Maman und bricht die ganze Chose ab. Immerhin wird dem Grafen ein tägliches Rendezvous mit seiner Braut gewährt – hinter Gittern, versteht sich. Männer können ja so gefährlich sein; man kann nie wissen.
Fünftes Gespräch: Thérèse und Augustine
Thérèse ist bei ihrer Leidensgenossin Augustine, die sich ihr überlegen wähnt. Doch soeben ist Thérèse ein Jahr älter geworden, und nur die Körpergröße unterschiedet die beiden Mädchen noch. Sie haben Augustine letzte Nacht bei der Mutter Oberin gesehen, zusammen mit der kleinen Monique. Haben sie nicht alle die Rute verabreicht bekommen? Mitnichten, kontert Augustine, nur die kleine Monique. Und wenn Thérèse nicht gleich um Verzeihung bitte, sie ausspioniert zu haben, werde sie sie verpfeifen – und dann würden sich ihre Hochzeitspläne in Luft auflösen.
Alles, bloß das nicht! Thérèse jammert und gibt klein bei, zur Strafe soll ihr hübscher Hintern selbst die Rute zu schmecken bekommen. Die sanften Zweige eines Lavendelstraußes soll sie selbst zurechtmachen, dann kann’s losgehen. Während Augustine ihre junges Opfer mehr streichelt als bestraft, erzählt sie, wie sie einst selbst in die Gemeinschaft der strafenden Zöglinge aufgenommen worden war: Bei einem Pfänderspiel durfte sie sogar selbst die Strafen bzw. Pfänder festlegen. Seitdem ist sie Teil einer verschworenen Gemeinschaft im Kloster.
Das Spiel zwischen Thérèse und Augustine entwickelt sich zu einem echten Dialog. Dass sie noch wesentlich mehr über Männer weiß als Thérèse, will sie ihr beweisen, indem sie ihr den Marquis de … vorstellt, kein geringerer als der Cousin der Mutter Oberin.
Sechstes Gespräch: Thérèse, Augustine und der Marquis
Mit dem Marquis inszeniert Augustine ein neckisches Ratespiel, bei dem es darum geht zu erraten, mit welcher Hand ein Klaps auf den Allerwertesten verabreicht worden ist – rechte oder linke Hand. Zu Thereses nicht geringer Bestürzung ist es dabei zwingend notwendig, die Unterkleidung zu entfernen und den Unterleib freizulegen. Als sie an der Reihe wäre, Klapse verabreicht zu bekommen, geht sie in den Streik und ins Bett.
Während sie zuschaut, zeigt sich, wie unerfahren der junge Marquis noch ist. Es gelingt ihm nicht, die willige Augustine zu penetrieren. Als Therese ihr zur Hand geht, ergibt es sich, dass sie selbst penetriert wird, aber an der Hintertür. In fünf Tagen wird Therese als Halbjungfer in die Ehe gehen.
Siebtes Gespräch: Thérèse und ihre Gouvernante
Ihre Gouvernante erfährt nichts davon, hält aber schockierende Neuigkeiten parat: Thereses Künftiger habe bereits eine Mätresse. Das wäre weder ungewöhnlich, noch unüblich adligen Kreisen, doch leider arbeite die Betreffende an der Oper, und solche Damen seien nun mal die kostspieligsten überhaupt. Therese sieht sich bereits einem – bis dato unbekannten – Mann ausgeliefert, dem der nahe Ruin droht. Nach dieser nicht gerade ermutigenden Enthüllung rät ihr die Gouvernante, dass sich Therese erstmal acht Tage lang weigere, das Bett mit ihrem Bräutigam zu teilen. Diese Taktik würde ihn lehren, sie hochzuschätzen.
Achtes Gespräch: Gräfin Thérèse und ihre Mutter, Frau von S
Der Morgen nach der Hochzeitsnacht. Thérèse wird von ihrer Mutter verhört. Die Nacht muss voller Schrecken gewesen sein, denn Thérèse verweigert ihrem frischgebackenen Ehemann den Gehorsam. Er habe ja eine Mätresse an der Oper, hielt sie ihm vor. Er stritt dies vehement ab. Schließlich konnte sie seinen Zudringlichkeiten nichts mehr entgegensetzen. Es habe eine Riesensauerei gegeben, klagt Thérèse angeekelt. Maman jedoch scheint höchst zufrieden über die Tatsache, dass das Nachthemd ihrer Tochter voller Blut ist. Sie solle sich gefälligst anziehen, denn Maman erwartet Gäste.
Neuntes Gespräch: Der Graf und Chonchette
Einen ganzen Monat hat der Graf seine Mätresse vernachlässigt. Sie ist entsprechend ungehalten, als er sich wieder mal blicken lässt. Er verteidigt sich, dass er als Thereses Gatte und als Sohn seiner Mutter gewisse Pflichten zu erfüllen habe, doch das Argument besänftigt Chonchette nicht. Sie will Genugtuung, und deshalb schenkt er ihr einen Diamantring und „leiht“ ihr eine silberne Tabaksdose, die ihm seine Mutter zur Eheschließung geschenkt habe. Der Smaragd auf dem Deckel der Dose beeindruckt die Operntänzerin doch noch. Doch sobald er ihr eine Möbelgarnitur versprochen hat, hört sie Geräusche an der Tür – und er muss durch die andere Tür verschwinden.
Zehntes Gespräch: Chonchette und Minutte
Chonchette, die große Kokotte, ist auch die Lehrmeisterin der jungen Minutte, die es in dem Gewerbe der Kokotten zu etwas bringen will. Minutte hat sich bislang nur einen Gerichtsassessor geangelt, aber das bringt kaum etwas ein. Chonchette rät ihr, sich eine „Tante“ zuzulegen, die als Gelegenheitsmacherin nicht nur neue Kunden ranschafft, sondern auch dafür sorgt, dass Freier ihre Zeit nicht überziehen und gar über Nacht bleiben. Sie zitiert das Beispiel eine Abbé, der renitent werden und gar den Lohn zurückhalten wollte. Nein, sowas! Die „Tante“ sorgte für genügend psychologischen Druck, dass der Abbé nicht nur den vollen Lohn beglich, sondern sich auch alsbald vom Acker machte.
Eins ist klar: Die Männer sind zum Ausnehmen da. Minutte verspricht, sich die vorgeschlagene „Tante“ zuzulegen, um so ihr Auskommen zu steigern. Die Provision der „Tante“, die üblichen zehn Prozent, würde sie bestimmt bald wieder verdient haben. Chonchette gratuliert – doch das kommt schon der nächste Gast.
Elftes Gespräch: Augustine (jetzt Madame de Rastard) und Frau Dodo
Im reifen Alter von 18 Jahren hat Augustine immer noch keine Kinder. (Und wenn sie welche hätte, würden sich Amme und Kindermädchen darum kümmern.) Deshalb hat sie Zeit, Soupers zu besuchen. Nach einem solchen erfährt sie am nächsten Tag Erstaunliches von einer Blumen- und Parfumverkäuferin: Sie werde geliebt und begehrt! Und zwar ausgerechnet von der reichen Madame Copen, ebenfalls erst 21 Lenze alt, die nur Angehörigen ihres eigenen Geschlechts zugetan sei. Daher kommt es, dass Augustine rein gar nichts für das reichhaltige Angebot der Blumen- und Parfumverkäuferin bezahlen soll – es wurde bereits von Madame Copen erworben und ihr geschenkt.
Augustine wird ganz blümerant und überlegt, wie sie sich dafür revanchieren könnte. Frau Dodo schlägt vor, eines der bei Madame Copen beliebten Rollenwechselspiele mitzumachen, allerdings inkognito: Beim Souper wäre Augustine sie selbst, doch später im geheimen Garten wäre sie als Knabe verkleidet. Gesagt, getan!
Zwölftes Gespräch: Nochmals Madame de Rastard und Frau Dodo
Vor Ort im geheimen Garten des Landhauses von Madame Copen. Es geht auf Mitternacht zu, und Augustine ist mit Frau Dodo allein. Um der lesbischen Gastgeberin den geplanten Streich zu spielen, muss sich Augustine umkleiden. Frau Dodo hat die nötige Verkleidung dabei und erweist sich als ebenso lüstern wie die Gastgeberin. Weil sich Augustine an ihre eigenen Neigungen im Kloster erinnert, lässt sie die Zudringlichkeiten gerne zu. Eine letzte Warnung: Die Copen liebe es, ihre Gespielinnen durch eine Zeremonie an sich zu binden: die der Züchtigung. Dann kann’s losgehen. Sie ahnt nicht, was sie erwartet.
Dreizehntes Gespräch: Madame de Rastard, als Knabe verkleidet, und der Stiefsohn von Madame Copen, verkleidet wie seine Stiefmutter
Der Moment der Begegnung ist gekommen. Doch anstelle der Gastgeberin stellt sich ein Mädchen ein, dass sich als junger Mann entpuppt. Er ist der Stiefsohn der Copen, behauptet er, und weil er die Botschaft an seine Stiefmutter abgefangen habe, sei er hierhergekommen, um sich davon zu überzeugen, was für Spiele seine Stiefmutter eigentlich heimlich veranstalte. Nun wisse er es. Und er verlangt, dass ihm der Knabe, der da vor ihm steht, sein Hinterteil zeige, auf dass er ihn züchtigen könne.
Sehr zu seiner Verwunderung zeigt ihm Augustine Hinterbacken, die doppelt so groß und rund sind wie seine eigenen (die sie bereits bewundern durfte). Bei weiterer Inspektion findet sich keine männliche, sondern weibliche Grundausstattung. Nun verlangt er, dass ihn das Mädchen, das er für gedungen hält, ihm zu Diensten ist. Doch Augustine weiß ihn zu überlisten: Statt des angepeilten Hintereingangs landet sein Türöffner an der Vordertür. Der junge Mann nimmt’s philosophisch, zahlt seine zwei Goldstücke und verschwindet.
Vierzehntes Gespräch: Thérèse, die Gräfin, und Montade
Montade versucht die Gräfin davon zu überzeugen, dass es keine gute Idee ist, sich zurückzuziehen und das zufriedene Eheweib zu spielen. Da die Gräfin gerade erst 20 Jahre alt ist, sollte sie sich eigentlich der Liebe in jeder Form hingeben. Therese entgegnet, dass es Montade selbst sei, warum sie sich so zurückgezogen habe, vor allem seine Zudringlichkeiten, die ihr herz aufwühlten. Montade argumentiert weiter, bis ihr der Kopf schwirrt, so dass es ihm gelingt, dass sie schließlich nachgibt und nicht mehr des Hauses verweist: Montade darf bleiben. Da klopft es an der Tür…
Fünfzehntes Gespräch: Die Gräfin, Montade und der Graf
Es ist der gräfliche Gatte Thereses. Montade tut so, als würde er ihr aus einem Buch vorlesen. Wie sich herausstellt, handelt es sich um „Gullivers Reisen“ von Jonathan Swift. Der Graf, nicht gerade der Schlaueste, beschwert sich bei seiner Frau darüber, wie sie ihren Gast, also Montade, behandle und dass sie nicht unter Leute gehe. Ihre Argumente interessieren ihn nicht, sondern er verlangt von ihr, dass sie Montade angemessen unterhalte. Dann geht er mit Montade soupieren, also zum Abendessen.
Sechzehntes Gespräch: Die Gräfin und Montade
Zehn Tage später kehrt Montade zurück und weiß, dass er jetzt freie Hand bei Madame hat. Die weiß genau, dass ihr Gatte sich bei der Chonchette vergnügt und ihr sein Geld hinterherwirft, also lässt sie Montade, der sie anhimmelt, allzu gern ein und nimmt ihn mit nach oben in ihr Boudoir. Natürlich tut sie so, als würde sie sich sträuben, denn sie ist ja kein Flittchen. Außerdem erinnert sie sich daran, dass sie von Augustine im Kloster immer auf den Popo gehauen wurde, und das bringt ihren Lover auf dumme Gedanken. Nachdem sie unter erheblichen Schwierigkeiten – sie tragen Unmengen von Textilien – zweimal zur Vereinigung gekommen sind, beschließt Therese, ihre alte Freundin wiederzusehen.
Siebzehntes Gespräch: Die Gräfin (Thérèse) und Madame de Rastard (Augustine)
Augustine hat viel über Montade zu erzählen, das nicht gerade schmeichelhaft ist. Er habe noch viele weitere Frauen erobert und genossen, ja, es gebe sogar Listen, auf denen sich die Chevaliers der Gesellschaft mit ihren Eroberungen brüsten. Augustine stehe selbst auf einer. Erst als Therese zugegeben hat, dass sie Montade liebe, erzählt auch Augustine, dass sie Herrn von B liebe. Dem gelangt es, eine solche Liste unbemerkt zu erbeuten und abzuschreiben, bevor er sie zurückgab. Kurzum: Die Damen der besseren Gesellschaft, wie sie beide, seien nur Freiwild für die Chevaliers.
Als Trost gibt es aber immer noch die Umarmung der jeweils anderen, die an selige Zeiten im Kloster erinnern. Zum Schluss leiht Augustine ihrer Freundin den zweiten Band eines besonderen Buches, das den Titel „Die Schicksale Zairettes“ (aus dem Jahr 1760) trägt. Der ersten Band habe sie einer anderen Freundin geliehen, aber sie könne dessen Inhalt mühelos wiedergeben. Und das tut sie auch bis zum Schluss dieses Gesprächs.
Gesamteindruck
Das Buch besteht, wie man sieht, aus mehreren großen Szenen, die man schon fast „Geschichten“ nennen könnte. Nach einem Auftakt im Kloster wechselt die Szene zum Grafen, der, wie sich zeigt, genauso unter der Fuchtel seiner Mutter steht wie Therese selbst. Sie hat die Ehe mit Therese, der künftigen Gräfin von S, arrangiert. Allerdings hat der Graf, von seinen Pfründen bestens versorgt, keine Lust auf Ehepflichten mit so jungem Gemüse wie Therese, sondern lässt sich lieber von erfahrenen Liebesdienerinnen wie der Tänzerin Chonchette unterhalten. Dass diese noch andere Liebhaber ausnimmt, muss er billigend in Kauf nehmen. Ihre Philosophie erklärt sie ihrer Schülerin Minutte, die ebenfalls ins Gewerbe der Kokotten einsteigen will.
Jede und jeder braucht Abwechslung im jungen leben, und da kommt es Augustine wie gerufen, als sie ein Bäumchen-wechsel-dich-Spiel mit dem Stiefsohn der lesbischen Madame Copen erleben darf. Solche neckischen Gender-Spiele sind in französischen Erotika weit verbreitet und tauchen noch bis 1925 auf. Wahrscheinlich auch noch später. Das Motiv findet selbst bei Shakespeares Komödien, und diese Idee hatte der barde wahrscheinlich aus der italienischen Commedia d’arte.
Therese bekommt ihre eigene „Geschichte“ mit ihrem Liebhaber Montade spendiert. In drei Gesprächen wird das Motiv der – sehr dialoglastigen – Verführung variiert. Pikant dabei: Ihr eigener Gatte assistiert bei der Annäherung an den Chevalier Montade, obwohl er doch wissen müsste, dass dieser nur auf einer Hasenjagd seine „Abschussquote“ erhöhen will. Sind also die schmachtenden Liebesbeteuerungen von Montade und Therese ernstzunehmen? Leise Zweifel sind wohl angebracht.
Klarheit bringt das letzte Gespräch, das den Kreis schließt: Therese und Augustine finden zurück zu den altgewohnten Sexspielen, die sie im Kloster praktizierten, inklusive der Anwendung von Lavendelruten. Denn angesichts der gewohnheitsmäßigen Treulosigkeit der Männer – zumindest der adligen – bleibt Frauen nichts anderes übrig, als sich mit ihresgleichen zu vergnügen.
Die Übersetzung
Der Übersetzer scheint aus dem süddeutschen oder österreichischen Raum zu stammen und befleißigt sich eines altertümlichen Stils aus dem späten 18. Jahrhundert, denn es wimmelt darin vor französischen Vokabeln wie „soupieren“ oder „eskamotieren“.
S. 11: „Und sie (!) werden ja nirgends anderswo hinkommen als zu ihm.“ Doch dieses „sie“ meint die angeredete Therese selbst. Sie müsste mit „Sie“ angesprochen werden.
S. 22: “eine Aigrette”: als Schmuck im Haar oder am Hut getragenes, in einem Ring aus Edelmetall zusammengefasstes Bündel von [Reiher]federn.
S. 37: “eine Butte mit Lavendelreisern“: süddeutsch, schweizerisch und österreichisch für Bütte, also „ein Gefäß, in dem besonders Lebensmittel aufbewahrt werden (ostdeutscher Raum) · einen hölzernen Rückentragekorb oder Kiepe“. (Wikipedia)
S. 48: “Sapristi!”: “zum Donnerwetter!“
S. 50: “Heusitz”: aus dem Burgenländischen Dialekt: ein Sitz aus Heu oder Stroh, auf dem der Kutsch- oder Wagenfahrer sitzt.
S. 80: “im mein Hemd“ sollte besser „in mein Hemd“ heißen.
S. 81: „gegen mich, dass (!) war wie ein Feuerbrand…“: Statt „dass“ sollte hier „das“ als Relativpronomen stehen.
S. 116: „In Wahrheit, Madame, ich kann Ihnen darüber nicht allzu viel erzählen…“: Falsche Satzstellung. Korrekt müsste es heißen: „In Wahrheit, Madame, kann ich Ihnen darüber nicht allzu viel erzählen…“ Hier hat sich der Übersetzer keinerlei Mühe gegeben, den französischen Satzbau an den deutschen anzupassen. Er tat dies des öfteren.
S. 141: “Gib mir deine Tutterl!“ Das ist ein österreichischer Ausdruck für weibliche Brüste.
S. 178: Thereses Boudoir ist “von zwölf Fuß Länge und sechs Fuß Breite“: Legt man das englische Längenmaß zugrunde, ergäbe sich eine Zimmerlänge von etwa vier und eine Breite von etwa zwei Metern. Wie plausibel ist dies, mag sich der aufmerksame Leser fragen. Wenn man berücksichtigt, dass die Menschen um 1780 allgemein viel kleiner waren als wir heute (auch Friedrich der Große hatte in genau dieser Zeit Mühe, seine „großen Kerls“ für seine Armee aufzutreiben) und Wohnraum in der Großstadt Paris knapp, dann könnte das hinkommen.
S. 180: “ein gewisses Etwas steif machen“: eine schamhafte Umschreibung für einen Phallus.
S. 181: “Von meinem Kameraden…”: dito.
S. 181: Wieder eine falsche Satzstellung: „Nichts, ich wette!“
S. 183: “Nimm ihn jetzt ohne Gene um die Mitte!“ gemeint ist Montades Penis. Doch mit „Gene“ ist nicht Erbgut gemeint, sondern Schüchternheit.
S. 210: “Es gelang ihm, die Liste unbemerkt zu eskamotieren.“ Also „hinauszuschmuggeln“: durch einen [Taschenspieler]trick, durch ein [Zauber]kunststück verschwinden lassen; wegzaubern.
S. 214: „Ein kleiner Knabe, hübsch zum Anbeißen.“ Falsche Satzstellung. Richtig: „zum Anbeißen hübsch“.
S. 214: „Familiaritäten und Zudringlichkeiten“: Familiaritäten ist „plumpvertrauliches Verhalten“ (Wikipedia).
Die Illustrationen
Der Urheber der Illustrationen wird vom Herausgeber Ferdinand Korff leider nicht genannt. Meinen bescheidenen Kenntnissen zufolge handelt sich um eine Serie von zeitgenössischen Kupferstichen aus dem 18. Jahrhundert. Sie lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, denn der Priapus des Liebhabers ist stets deutlich dargestellt. Erstaunlich ist vielmehr die Vielfalt der abgebildeten Liebesstellungen.
Unterm Strich
Die „Sittenbilder“ sind zweifellos eines der qualitätsvolleren Erotika aus der galanten Zeit vor der französischen Revolution. Die Gespräche sind geistvoll und zeugen von einem literarisch gebildeten Verstand. Auch die beiden Literaturhinweise auf „Gullivers Reisen“ und „Das Schicksal Zairettes“ (1760) belegen dies. Letzteres ist wohl kostenlose Werbung für den namensgleichen Roman von Crébillons Freund Le Rich de la Popelinière (1693-1762), dem die „Sittenbilder zunächst zugeschrieben wurden.
Wechselnde Szenen mit jeweils anderen Akteuren sorgen für Abwechslung, doch die Fortsetzung der Einzelszenen verleiht dem geschehen Kontinuität. Nie kommt der Verdacht auf, bei den „Sittenbildern“ handle es sich um eine Nummernrevue. Der O-Titel lautet ja „Tableaux des moeurs“. Das Vorbild der „Lebenden Bilder“, die ebenfalls „Tableaux“ sind, legt diese Assoziation nahe.
Und die Sitten des Adels und der Kirche, die hier geschildert werden? Sie sind verlottert und von Genusssucht geprägt. Ausnahmsweise kommt die Kirche hier noch gut weg. Hierfür gäbe es auch abschreckende Beispiele wie etwa die „Memoiren des Saturnin“ von LaRouche oder „Die philosophische Therese“, von de Sades Romanen ganz zu schweigen. Bei Crébillon hat der Humor ebenso eine Chance – Geschlechterwechsel, Hetärengespräche – wie die galantesten Verführungsszenen, die man sich vorstellen kann.
Wären die sprachlichen Hürden in der Übersetzung und die etlichen Druckfehler nicht, würde ich dem Erotikon die volle Punktzahl verleihen, denn es hat mich gut unterhalten.
Hinweis
Wie einmal ein Herausgeber von Erotika schlau beobachtet hat, dienten seinerzeit Werke wie diese nicht nur der Unterhaltung, sondern, weil die Kirche alle sexuellen Aktivitäten verbot und unterdrückte – es sei denn, sie dienten der ehelichen Fortpflanzung – , auch der Aufklärung. Sie bildeten eine wichtige, wenn auch sehr exklusive Informationsquelle. So erfuhren die Zeitgenossen der Autors bzw. der Autorin – eine französische Herzogin war eine der fleißigsten Verfasserinnen – zum Beispiel, dass Sex nicht nur der Fortpflanzung, sondern dass menschliche Körper eine unerschöpfliche Quelle der Lust sein konnten. Sofern man es richtig anstellte…
Taschenbuch: 221 Seiten.
O-Titel: Tableaux des moeurs du temps dans les différents âges de la vie, 1760.
Aus dem Französischen von Max Hecker.
ISBN 9783442060061
Der Autor vergibt: