Joann Crispi – Roxane und Alexander

Das Leben des großen Feldherren Alexander ist ja schon in vielen historischen Romanen aufgearbeitet worden, in denen der junge König meistens mehr schlecht als recht weggekommen ist. Vom ersten echten Pascha war da mal die Rede, an anderer Stelle aber auch vom klugen Kriegsstrategen. Es ist eben die Frage, aus welcher Sicht man Alexander betrachtet, als Menschen oder als Herrscher. Joann Crispi hat sich zum Beispiel in ihrem Roman „Roxane und Alexander“ vorwiegend auf den erstgenannten Teil konzentriert und diesbezüglich speziell die Beziehung zwischen Alexander und seiner Gattin Roxane analysiert – und dies aus Sicht der zunächst unfreiwillig Vermählten, die nach dem Tode ihres Mannes im Alter von gerade mal zweiunddreißig Jahren die Geschichte ihres gemeinsamen Lebensabschnitts niederschreibt.

Story

Voller Entsetzen wird Roxane der grauenvollen Tatache gewahr, dass ihr Leben schon bald eine ungeahnte Wendung nehmen wird. Quasi als Pfand für den Frieden wird sie dem ungeliebten Feldherren Alexander versprochen, nachdem ihr Vater, der Fürst der Sogdier, ein Abkommen mit dem feindlichen König geschlossen hat. Roxane ist schockiert; nicht etwa weil ihre Hochzeit in Kürze bevorsteht, sondern weil ihr der Feldherr, der ihre gesamte Heimat im Kampfe unterworfen hat, in den schlimmsten Tönen beschrieben wurde. Sie hat Angst vor dem als unbarmherzig verschrienen Fremden und kann sich ein Leben als Sklavin eines Tyrannen nicht vorstellen.

Dann jedoch macht Roxane zum ersten Mal persönlich Bekanntschaft mit Alexander und bekommt ein völlig anderes Bild von ihrem zukünftigen Ehemann. Er strahlt etwas Erhabenes aus, hat Charme und verinnerlicht mit seiner undurchdringlichen Aura all die Eigenschaften, die Roxane an einem Mann schätzt. Doch so wunderbar die ersten Eindrücke sind, so enttäuschend ist Alexanders Verhalten der sogdischen Fürstentochter gegenüber. Obwohl sie ihm ständig den Hof macht und aus Herzlichkeit und Liebe alles für ihren Gatten tun würde, spielt Roxane im Leben des Feldherren nur eine untergeordnete Rolle. Er misst ihr nach kurzer Zeit keine besondere Bedeutung mehr zu. Alexander nimmt sich selber das Recht heraus, neben ihr andere (gleichgeschlechtliche) Liebhaber zu haben und sie indirekt der Lächerlichkeit preiszugeben, und dennoch bekommen die beiden gemeinsam ein Kind. Alexander betreibt noch einen letzten Feldzug nach Babylon, stirbt aber kurz vor Geburt seines Stammhalters. Damit dieser aber auch ein authentisches Bild von seinem Vater bekommen kann, schreibt Roxane nach dessen Tod die Memoiren ihrer ungewöhnlichen Beziehung nieder.

Meine Meinung

Joann Crispi hat sich in ihrem erstmals 2001 bei uns veröffentlichten Roman gleich mehrfach spezialisiert. So nimmt sie nicht nur eine eindeutige Sichtweise ein, sondern konzentriert sich ausschließlich auf die letzten knapp fünf Lebensjahre des jungen Feldherren, über welche die Fürstentocher auch nur berichten kann. Sein Aufstieg, Glanz und Gloria und vor allem die ganzen Feldzüge, die Alexander zum gefürchteten und respektierten Kriegsherren gemacht haben, bleiben ergo außen vor. Und das finde ich persönlich auch sehr gut.

„Roxane und Alexander“ ist in diesem Sinne auch kein gewöhnlicher historischer Roman, sondern vielmehr die Charakterzeichnung eines gefühlsmäßig sehr wechselhaften Menschen, für den der Begriff Liebe ganz viele Bedeutungen hatte – nur nicht jene, die sich seine spätere Frau Roxane letztendlich gewünscht hätte. Doch Crispi beschreibt Alexander über ihr Medium Roxane dennoch nicht eindeutig als kaltherzig und skrupellos. Stattdessen sieht sie in ihm einen Menschen, der blind ist für die schönen Dinge, die andere ihm entgegenbringen. Für ihn besteht Liebe ausschließlich darin, sich auf dem Kriegsfeld Respekt, Ehre und Ruhm zu verschaffen, denn nur dafür will er geliebt werden. Für Gefühle hat er aufgrund seiner Stellung, die ihm eigentlich nie erlaubte, innige Beziehungen einzugehen, keinen wirklichen Sinn. Wenn es darum geht, sich mit Frauen oder Männern zu vergnügen, hat er schließlich alle Möglichkeiten. Doch dies ist alles schon bekannt, nur hier noch einmal intensiver dargestellt.

Interessanter wird es da schon bei Roxanes Schilderung ihres eigenen Gefühlslebens. Trotz ihrer Unsicherheit und der eigentlich ständigen Unzufriedenheit über das Gebahren ihres Mannes, bleibt sie ihm treu und folgt ihm. Liebesspiele mit anderen Frauen werden hingenommen und trotz innerlicher Traurigkeit akzeptiert, ebenso wie das kaum zu durchschauende Gemüt ihres zunächst bewunderten Gatten. Und damit beschreibt sie auch sehr detailliert die prikäre Lage, in der sich Frauen damaliger Herrscher fast immer befanden: Diese „Friss oder stirb“-Einstellung, infolge derer eine Frau all ihren Stolz verliert, sich aber dennoch immer wieder bereit erklärt, ihrem überlegen Ehemann unterwürfig aus der Hand zu fressen. Roxane hat vieles durchmachen müssen, wurde verletzt und auf der Gefühlsebene permanent geschlagen und getreten, und doch hat sie nach dem Tod Alexanders ihre Würde und damit auch ihr Gesicht bewahrt. Selbst aus fürstlichem Hause stammend, ist sie als charakterstarke Persönlichkeit aufgewachsen und hat sich auch durch die ganze Peinigung nicht biegen lassen – auch wenn sie das eine oder andere Mal sehr nahe vor dem Aufgeben stand.

Deswegen ist „Roxane und Alexander“ letzten Endes auch kein Buch, das sich herausnimmt, den legendären Feldherren als Tyrannen und emotionslosen Herrscher herauszustellen. Das haben andere schon zur Genüge getan. Joann Crispi geht es mehr darum, die Persönlichkeit Roxane und ihre beharrliche Willensstärke anhand der niederen Bedingungen, die sie trotz ihrer Position bewältigen musste, herauszustellen und somit (wenn vielleicht auch nicht beabsichtigt) das Frauenbild trotz aller schändlicher Behandlung zu stärken. Und das ist Crispi mit diesem sehr emotionalen, bewegenden Buch wirklich vorzüglich gelungen.

Taschenbuch: 416 Seiten
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