Crompton, Anne Eliot – Gawain und die Grüne Dame

Wieder einmal entführt Anne E. Crompton den Leser in die Welt der Artuslegenden (siehe auch [„Merlins Tochter“ 1154 ). Diesmal widmet sie sich dem laut Wilperts Lexikon der Weltliteratur „beste[n] Werk der mittelenglischen Artusdichtung“. Dieses „verbindet heimisch-germanische und französische Stiltraditionen und zeigt Bilder höfischer Kultur kontrapunktisch verbunden mit Schilderungen der wilden Natur und detailreicher Jagden. […] Das Werk zeigt den idealen Ritter in der höfischen Gesellschaft und auf einsamer Abenteuerfahrt.“

Da Crompton in ihrem Buch eine eigene Lesart des tradierten Stoffes anbietet, sei Wilpert auch noch zum Inhalt zitiert: „Der grüne Ritter soll im Auftrag der Fee Morgne [sic!] den Artushof demütigen. Gawain sucht auf mühsamen Wegen den Ritter, der zu einer Mutprobe (Kopfabschlagen) aufgefordert hatte. Im Schloß Bercilacs de Hautdesert kann er drei Tage den Verführungen der Schloßherrin widerstehen; am vierten trifft er den grünen Ritter, der ihm mit der Axt den Hals ritzt, da er einen lebenssichernden Gürtel, ein Geschenk der Dame, verheimlicht hatte. Der Ritter gibt sich als Bercilac zu erkennen und erklärt Gawain, dessen Tapferkeit und Tugend den Plan Morgnes zunichte gemacht haben, das Geschehen. Gawain schämt sich wegen seiner Feigheit; am Artushof wird er freudig empfangen und getröstet.“

Die Autorin behält dieses Schema im Wesentlichen bei, setzt aber die Akzente anders und erzählt eine (wesentliche und ausgedehnte) Vorgeschichte: Gawain, auf Erkundungsfahrt im Norden, erreicht ziemlich mitgenommen ein kleines Dorf. Dort wird ein Fest gefeiert – und kaum werden die Dorfbewohner seiner ansichtig, krönen sie ihn anstelle eines jungen Burschen zum Maikönig und machen ihn zum Mann der Maikönigin. Das ist Gwyneth, die (grün gekleidete) „Grüne Dame“, Angehörige einer Familie von Weisen Frauen (oder Hexen, wenn’s beliebt) – und eine äußerst sympathische, lebenslustige junge Frau, kräftig, lebendig, reizvoll, kein Burgfräulein oder dergleichen Ziergewächs mit Hoher Minne und all dem idealen Kram … Gawain muss bei ihr liegen und sie lieben, und zwar täglich, damit die Saaten gut gedeihen. Er hat denn auch Spaß daran, genau wie am guten Essen und am „Rittertraining“ mit den männlichen Dorfbewohnern; er weiß nicht, dass der Maikönig am Ende des Sommers den unsichtbaren Mächten, der Göttin geopfert wird. Als er es durch Zufall erfährt, erpresst er Gwyneth durch Liebesentzug – und da sie ihn wirklich liebt, willigt sie ein, gemeinsam mit ihm zu fliehen. Sie lässt sogar ihre Tochter zurück …

Natürlich endet die Geschichte nicht mit dieser Flucht (der Grüne Ritter tritt auch noch auf, keine Sorge), aber man erkennt schnell, dass Crompton zum einen die Traditionen feministisch geprägter Fantasy aufgreift (ohne sich freilich mit Werken wie „Die Nebel von Avalon“ messen zu können), zum anderen (gleichfalls tradiert) die alte Religion der Göttin, der Hexen und Druiden mit der neuen des Christengottes konfrontiert. Ihre Sympathien sind dabei eindeutig auf Seiten der Frau gegen den Ritter, auf Seiten der Göttin gegen Christus und Maria, auf Seiten des Alten gegen das Neue. Dennoch, und das ist angenehm zu lesen, verfällt sie nicht in Schwarzweißmalerei: Auch die Grüne Dame hat ihre dunklen Seiten, ist nicht nur Opfer, und Gawain wird nicht verteufelt – er macht Fehler, begeht Verrat (auch an seiner Ritterehre), aber er ist tapfer genug, sich der eigenen Schuld zu stellen. Und es ist schließlich ein Mann, der Druide Merry, Vater von Gwyneths Tochter, der entscheidend dazu beiträgt, dass der Hass erlischt, dass beide gelernt haben, was sie lernen müssen. Für Gawain freilich endet das Abenteuer nicht nur durch den Streich mit der Axt schmerzlich: Er erlebt die Schmerzen einer neuen Selbsterkenntnis und eines neuen Anfangs.

„Gawain und die Grüne Dame“ wird schnörkellos erzählt; auffällig ist die Eigenart der Autorin, ihre Protagonisten (vor allem die Titelfiguren) mit sich selbst reden zu lassen. Gwyneth tritt in ihren Kapiteln als Ich-Erzählerin auf, die das eigene Handeln reflektiert, aber auch Zwiesprache mit den Mächten (und Dämonen) der Natur hält, während Gawain quasi über zwei innere Stimmen verfügt, eine ermahnt ihn immer wieder, moralisch zu handeln. Das Werk wirkt homogen, denn es erzählt nur einen Zeitraum von gut eineinhalb Jahren, und Crompton konzentriert sich ganz auf die Vorgänge im bzw. beim Dorf und das Innenleben der beiden Hauptfiguren, einen kurzen, nötigen Ausflug an den Artushof ausgenommen. Auch Merlin oder Artus selbst treten nur in Nebenrollen auf, nichts wird hinzugefügt, was nicht nötig wäre. Es gelingt der Autorin, ihre eigene märchenhafte Geschichte zu schaffen und Probleme wie Mysterien zufriedenstellend aufzulösen (wobei, was auch gut ist, ein Rest Geheimnis bleibt). All dies macht das Buch zu einem durchaus empfehlenswerten Stück Lesestoff.

|Orginaltitel: Gawain and Lady Green
Übersetzt von Birgit Oberg und Birgit Reß-Bohusch|

_Peter Schünemann_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de veröffentlicht.|