Bill Curtsinger – Unter Wasser

Seit Jahrzehnten taucht Fotograf und Biologe Curtsinger vor allem in die kalten, dunklen Meere und Seen dieser Welt. Ihm gelangen Bilder von Tieren, die so noch niemand in ihrer natürlichen Umgebung sah. Haie, Wale und Robben aber auch scheinbar unspektakuläre Wesen wie Quallen, Schwämme oder Seeflöhe mutieren vor seiner Linse zu atemberaubenden Fabeltieren, die in kurzen, informativen Texten (Autor: ebenfalls Curtsinger) als integrale Bestandteile ihrer speziellen Ökosysteme beschrieben werden: sowohl ein Augenschmaus als auch ein Lesevergnügen.

Inhalt:

– „Antarktis“/„Arktis“: Nirgendwo kann Curtsinger seinen Hang zu Tauchgängen ins Unbekannte so exzessiv nachgeben wie in den polaren Gewässern dieser Erde. Unter dem ewigen Eis blüht im Verborgenen eine einzigartige und reiche Tierwelt. Curtsinger taucht mit Robben und Pinguinen hinab in die Tiefe, bannt außerirdisch bizarr wirkende Quallen auf seinen Film und trifft vier Meter große Seespinnen.

– „Haie“: 1972 wurde Curtsinger bei einem Tauchgang von einem Hai attackiert und schwer verletzt. Das ließ ihn vorsichtig werden, sein Interesse an den Räubern des Meeres jedoch eher noch steigen. Erwischt hat ihn seither kein Hai mehr. Umgekehrt schuf er dagegen eine beachtliche Galerie von Fotos, die zahlreiche Haiarten in ihren natürlichen Umgebungen als genial angepasste Schöpfung einer Natur in Höchstform zeigen.

– „Meeressäuger“: Wale in allen Größen, Delfine und Robben hat Curtsinger in den Meeren der Welt mit besonderem Vergnügen fotografiert. Er beschreibt die Faszination angesichts des Treffens mit Lebewesen, die ihn tatsächlich zur Kenntnis nehmen und auf sein Erscheinen reagieren. Die Bilder, die Curtsinger dabei gelangen, gehören zu den Schönsten seiner Laufbahn.

– „Meeresschildkröten: Für diese urtümlichen und faszinierenden Reptilien wird Curtsinger seiner Liebe zu den außertropischen Meeren und Seen untreu. Er folgt ihnen vom Meer auf die Sandstrände einsamer Inseln, auf denen sie ihre Eier ablegen, und wartet, bis die Jungen schlüpfen, deren umgekehrten Weg er dokumentiert.

– „Golf von Maine“: Vor der Küste des US-Staats, in dem Curtsinger aufwuchs und lebt, geht er noch heute gern auf Tauchstation. Die Wasser sind tief und düster aber reich an Leben. Schweinswale und Mönchsrobben durchschwimmen es, auf dem Grund lauern gruselig anzuschauende Seeteufel, Seewölfe und Seeraben auf Beute.

– „Bikini-Atoll“: Die Südseeinseln mit dem hübschen Namen stehen für ein düsteres Kapitel des Kalten Krieges zwischen den Supermächten UdSSR und USA, der hier zwischen 1946 und 1958 buchstäblich brandheiß wurde: Mehr als zwanzig Nuklearbomben ließen die Amerikaner hier testweise explodieren. Sie pulverisierten mehrere Inselatolle und zerstörten über und unter Wasser jedes Leben. Vierzig Jahre später konnte Curtsinger freilich feststellen, dass sich die Natur regenerieren konnte. Er fotografierte eine Flora und Fauna, die auf die Bikinis zurückgekehrt ist. Eindrucksvolle Bilder entstanden außerdem auf den Wracks der großen Schiffe, die den Atomsprengungen ebenfalls zum Opfer fielen.

– „Kelpwälder“: „Kathedralen unter Wasser“ nennt Curtsinger die gewaltigen Algenwälder unter dem Wasser vor der nordkalifornischen Küste. 30 Meter lang werden die einzelnen Pflanzenstränge, zwischen denen ein eigener, sehr exotischer Lebensraum entstanden ist. Von seinen Bewohnern genießt der possierliche Seeotter regelrechte Prominenz, aber auch andere seltsame Lebewesen vermag Curtsinger in dem düsteren Meereswald aufzuspüren.

– „Baikalsee“: Kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nutzte Curtsinger die Chance, als einer der ersten Taucher den größten Süßwassersee der Welt zu besuchen. Seit 25 Mio. Jahren existiert der Baikalsee – Zeit genug eine Artenwelt hervorzubringen, die oft nur hier existiert und von Curtsinger in gewohnt einzigartigen Bildern präsentiert wird.

– „Lachse“: Legendär ist die Hartnäckigkeit, mit der Lachse aus dem Meer zum Laichen genau dorthin zurückkehren, wo sie geboren wurden. Curtsinger folgt ihnen diverse nordamerikanische Flussläufe hinauf und lässt sich dabei noch konsequenter als sonst auf die Fischperspektive ein. Das Ergebnis sind einzigartige Bilder, die Lachse im Sprung über schäumende Wasserfälle zeigen und unmittelbar von den Anstrengungen künden, die diese Tiere auf sich nehmen.

Anders aber nicht isoliert

Ein einfaches Credo kann ungeahnte Aktivitäten zur Folge haben: Schon in jungen Jahren fasste Bill Curtsinger den Entschluss, Meerestiere nicht einfach zu fotografieren, sondern sie als Bestandteil ihrer jeweiligen Umwelt zu dokumentieren. Gleichzeitig zogen ihn die außertropischen, gar nicht so farbigen, sondern tiefen, düsteren, kalten Gewässer dieser Welt besonders stark an. Hierher wagen sich nur selten Taucher oder Fotografen, vor allem aber Taucher und Fotografen, so dass er weitgehend ohne Konkurrenz arbeiten kann.

In vielen Jahren hat sich Curtsinger zu einem der besten Unterwasserfotografen überhaupt gemausert. Es ist nicht nur seine Fähigkeit, unter schwierigsten Bedingungen grandiose Fotos schießen zu können, sondern auch sein Bestreben, sich möglichst gut vorzubereiten, das diese Erfolge ermöglicht. Curtsinger beschreibt, wie er wochen- und monatelang die Steckbriefe seiner ‚Opfer‘ studiert, die bekannten Fakten zusammenträgt und sich ein Gesamtbild von der Lebenswelt macht, die er auf seiner nächsten Reise in Augenschein nehmen wird. Dieses aufwändige Vorgehen ersetzt keineswegs das mühsame Warten vor Ort, doch es vergrößert die Chance, dem ‚Wild‘ auf die Spur zu kommen.

Curtsinger hat einen Instinkt für Gelegenheiten entwickelt. Der Zufall spielt eine große Rolle, wie er schreibt, aber er hat auch Recht, wenn er anmerkt, dass es sehr nützlich ist, gut vorbereitet zur hoffentlich richtigen Zeit am etwa richtigen Ort zu sein. Die Arbeit ist hart, die Belohnung bleibt oft aus, doch Curtsinger ist hartnäckig. So stellt sie sich schließlich doch ein – in Gestalt beispielloser Fotos von Wesen, die man normalerweise nur kennt, wie sie tot, farblos und als zusammengesunkene Massen auf Schiffsplanken oder Strandsand liegen. Curtsingers Fotos von Haien und Walen – weiß jemand, was ein „Südkaper“ ist? – sind grandios. Er hat darüber hinaus ein Händchen bzw. den Blick für ‚Kleinigkeiten‘, die vor seiner Linse erstaunliche Informations-Qualitäten entwickeln. Wer kennt Mondfische, Heringskönige oder Seespinnen – groteske Kreaturen, die zwar bekannt sind aber in ihrer natürlichen Umwelt nie fotografiert wurden. Sie ergänzen auch für den nicht tauchenden Leser das Wissen um eine Meereswelt, die eben nicht nur von Haien, Walen oder bunten Korallenfischen bewohnt wird.

Sachbuch mit Breitwand-Qualitäten

„Unter Wasser“ ist auch deshalb ein besonderes Buch, weil Curtsinger nicht nur die Bilder zum Text liefert, sondern diesen selbst schreibt. Er ist Fotograf, Autor und Wissenschaftler, was dazu beiträgt, sein Buch ‚rund‘ wirken zu lassen. Bild und Wort bilden eine Einheit. Sachkundig liefert der Autor biologisches Hintergrundwissen. Er ergänzt es durch Autobiografisches; Curtsinger war selbst vor Ort und schildert die Entstehungsgeschichten seiner großartigen Fotografien. „Unter Wasser“ ist auch Curtsingers Lebensgeschichte. Er schreibt über sein Leben, seinen Beruf, die Schwierigkeiten, als Starfotograf möglichst zuverlässig spektakuläres Bildmaterial zu liefern, die harten Arbeitsbedingungen unter Wasser, seine Triumphe, aber auch seine Niederlagen, Sorgen und Nöte, wobei der Tod seiner Ehefrau einen Bruch markiert: „Unter Wasser“ ist für Curtsinger auch eine Bestandsaufnahme, die ihn veranlasst darüber nachzudenken, wie er sein weiteres Leben gestalten wird. Solche Gedanken fließen in den Text ein, ohne ihn dadurch zu verkitschen, wie es gerade US-amerikanische Autoren gern tun, die ihr Schicksal ‚von oben‘ beeinflusst sehen.

Als Buch ist „Unter Wasser“ ein weiteres Highlight des Verlags Frederking & Thaler. Das schwere Kunstdruckpapier ermöglicht die Wiedergabe der Fotos in einer Qualität, die sie fast dreidimensional wirken lässt. Kein Wunder, dass das Werk ein Gewicht von mehr als 2 kg erreicht, was es als Bettlektüre etwas unhandlich macht … Bei einem Format von 24,8 x 24,8 cm wirken vor allem die doppelseitigen Bilder gut. Viel Hirnschmalz wurde in das Layout investiert, das gleichermaßen unaufdringlich wie elegant wirkt. Die Übersetzung liest sich flüssig, ohne dass ersichtliche Fehler oder Irrtümer den Leser stutzen ließen. Der Preis ist für ein Werk dieses Umfangs erstaunlich moderat; antiquarisch ist es inzwischen recht günstig zu erstehen.

Nur in einem Punkt ist negative Kritik angebracht: Auf einigen Seiten wird der Text plötzlich in französischer Sprache wiedergegeben; hier ist bei der Vorbereitung der Druckdateien offensichtlich ein Fehler geschehen, der in einem Buch dieser Preiskategorie nicht vorkommen darf, jedoch wohl der Preis ist, den der Leser in der globalisierten Welt der Buchherstellung zahlen muss: „Unter Wasser“ ist ein Buch, das ein US-amerikanischer Autor für einen in Italien ansässigen Verlag geschrieben hat, der die deutsche Übersetzung in China drucken ließ; kein Wunder, dass dabei etwas schief gegangen ist!

Autor

Bill Curtsinger wurde am 23. Januar 1946 in Philadelphia, US-Staat Pennsylvania, geboren. Aufgewachsen ist er im Süden New Jerseys, lebt aber seit 1971 im Stephen-King-Staat Maine. Curtsinger studierte in Arizona und ging während des Vietnamkriegs zur „Atlantic Fleet Combat Camera Group“, wo er als Navy-Fotograf arbeitete; außerdem ließ er sich zum Taucher und Fallschirmspringer ausbilden.

Nach seiner aktiven Dienstzeit nutzte Curtsinger das Erlernte und machte sich als Fotograf und Autor selbstständig, wobei er sich auf Unterwassermotive spezialisierte. Er arbeitete für zahlreiche Magazine aus aller Welt; allein für den renommierten „National Geographic“ entstanden mehrere Dutzend Reportagen, darunter mehrere Titelstorys. Darüber hinaus lieferte Curtsinger Fotografien für diverse Bücher, drehte Filme und legte ein Archiv für (Unterwasser-) Videos und Filme an.

Gebunden: 408 Seiten
Originaltitel: Extreme Nature (Vercelli : White Star S.p.a. 2005)
Übersetzung: Dr. Marion Pausch
http://www.frederking-thaler.de

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