Spannender Schwedenkrimi mit Magie-Touch
Mittsommer steht bevor, der Moment, da alle Toten zum Leben erwachen, die hellste Nacht des Jahres, die Zeit der Hoffnung, Sehnsüchte und Mythen. In Stockholm werden im Juni die Leichen von vier Menschen gefunden. Unterschiedlich getötet, verbindet sie zunächst nur ein winziges Detail: Sie alle tragen eine kleine Tätowierung an der Kniekehle, die zusammen ein Wort ergeben, einen Namen, der mit der Mittsommernacht zusammenhängt. Doch der Täter hat sein Werk noch nicht vollendet. Ist er zu gerissen für die Ermittler von der A-Gruppe?
Der Autor
Arne Dahl ist das Pseudonym des schwedischen Krimiautors Jan Arnald, der für jene schwedische Akademie arbeitet, die alljährlich die Nobelpreise vergibt. Seine Romane um Inspektor Paul Hjelm werden laut Verlag von Publikum und Kritik begeistert aufgenommen. 2004 wurde er mit dem wichtigsten dänischen Krimipreis ausgezeichnet, dem „Pelle-Rosenkrantz-Preis“. Mehr Infos unter http://www.arnedahl.net.
Weitere Dahl-Krimis sind:
[Misterioso]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2841
Tiefer Schmerz
[Böses Blut]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2416
[Falsche Opfer]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3730
[Rosenrot]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3091
Der Sprecher
Till Hagen ist die deutsche Stimmbandvertretung für Filmstars wie Kevin Spacey, Billy Bob Thornton oder Kevin Kline. Er hat alle Dahl-Romane aufgenommen.
Der Text wurde von Hannelene Limpach gekürzt. Die Aufnahmeleitung hatte Francois Smesny inne, die Technik von |Lambda Audiovision| in Berlin dirigierte Andreas Fuhrmann.
Handlung
Mit einem schönen Fest ist der bisherigen Chef der A-Gruppe, der Kripo-Abteilung für Gewaltverbrechen mit internationalem Charakter, Jan-Olof Hultin, verabschiedet worden. Sogar ein Fotograf war dabei und schoss spektakuläre Bilder. Nun versucht sich Kerstin Holm in die Rolle als Hultins Nachfolgerin einzuarbeiten, doch ständig wird sie abgelenkt von der Sorge um ihren Sohn Anders, der sie erst seit einem Jahr kennt. Verheiratet ist sie nicht, was eine zusätzliche Bürde bedeutet.
Früher hat Kerstin am besten mit Paul Hjelm zusammengearbeitet. Doch den hat man nun zum Landeschef der Internen Abteilung der Kripo gemacht, und bekanntlich sind die „Internen“ bei den Polizisten alles andere als beliebt. Niklas Grundström ist sein Untergebener auf der Ebene der A-Gruppe. Grundström hat einen sehr merkwürdigen Anruf plus Fax erhalten. Der anonyme Anrufer beschuldigt José Chavez, Hjelms bisherigen Partner in der A-Gruppe, in Drogengeschäfte in Sundsvall verwickelt gewesen zu sein. Chavez ist in Vaterschaftsurlaub, also jederzeit zu erreichen, zumal er ja mit Sara Svenhagen, Ermittlerin der A-Gruppe, verheiratet ist. Die Sache ist zu ernst, um sie einem anderen zu überlassen, denkt Hjelm. Doch er darf Chavez nicht einmal ahnen lassen, dass er hinter dem Rücken seines Exkollegen gegen ihn ermittelt.
Leiche Nummer 1
Sara Svenhagen bekommt von Kerstin Holm den Auftrag, diese Sache mit der Kurdin aufzuklären. Sara nimmt Lena Lindberg, das neueste Mitglied der A-Gruppe, mit. Die Kurdin Nasga nennt sich inzwischen Rosa Beckmann. Sie wird verdächtigt, ihren eigenen Bruder Nedim mit einem Messer getötet zu haben. Erst sagt Nasga, Nedim sei bereits tot gewesen, als sie ihn fand, dann sagt sie, sie habe ihn umgebracht. Sie hat Angst, die Zelle zu verlassen, Angst vor Nedims Mörder. Sara und Lena kommt die junge Frau sehr verwirrt vor.
Nummer 2
Arto Söderstedt übernimmt mit dem baumlangen Viggo Norrlander einen anderen merkwürdigen Fall im Juni. Der Fernsehkritiker Lars Inge Rundström hat offenbar den Fernsehproduzenten Svedt in dessen Garage mit frei Schüssen getötet. Aber nun erklärt Rundström, sich an nichts mehr erinnern zu können. Hm, aber er hatte doch zuvor frische Munition für seine Pistole von der Heimwehr gekauft, nicht wahr? Schon. Und er hat sich doch über Svedts neue Doku-Soap „Make over“ ereifert, oder etwa nicht? Schon. Und die Kugeln, die das CSI-Team in Svedt und in der Garagenwand fand, entsprechen der Munition, die Rundström benutzte. Also? Der Mann faselt etwas von einem Wesen, auf das er geschossen habe. Was soll das jetzt wieder?
Nummer 3
Gunnar Nyberg hat es besonders schwer in der A-Gruppe. Nicht wegen Kerstin Holm, sondern wegen des Neuzugangs Jon Andersson. Der ist zwar superintelligent, aber leider auch schwul, wie jeder weiß. Und mit Schwulen kann Nyberg nicht. Als die polnische Krankenschwester Elzbieta Kopanska ermordet aufgefunden wird, entdeckt Andersson auf ihren Kontodaten, welche die polnische Polizei bereitwillig übermittelt hat, dass sie zu viel auf ihrem Konto hatte. Sie bekam eine regelmäßige Zuwendung von unbekannter Seite. Kerstin schickt Andersson in Kopanskas Heimatstadt Posen bei Danzig.
Dort erzählt ihm der Kommissar, dass Kopanska eine Kopfjägerin war. Sie betrieb „aktive Sterbehilfe“ in einem der Krankenhäuser und erhielt von einem Beerdigungsinstitut eine Kopfprämie. Das Institut partizipierte dann nämlich bei den Angehörigen des Verstorbenen vom staatlichen Sterbegeld – ein ordentlicher Batzen. Als ihr der Boden wegen eines Skandals zu heiß wurde, haute Kopanska nach Schweden ab. Aber wer brachte sie um?
Nummer 4
Ausgerechnet ein Gerichtsmediziner findet die vierte Leiche, und zwar in seinem See, wo er nach dem Joggen zu tauchen pflegt. Die Leiche ist männlich, etwa 40 Jahre alt, hat ein ausgesägtes Loch im Schädel und das fehlende Knochenstück im Mund stecken – wie eine Oblate in der katholischen Messe. Was dem Pathologen aber besonders auffällt, ist die kleine Tätowierung in der rechten Kniekehle: ein U. Die Identität des Toten lautet Juha Niemälä, wo Arto Söderstedt, der Finne, herausfindet. Und schau an: Niemäla schlug nicht nur seine Frau Marja Lisa, sondern war auch der Fotograf auf der Pensionsfeier der A-Gruppe. Söderstedt wittert Unrat. Will jemand der A-Gruppe an den Karren fahren, sie in etwas reinreiten?
Der Code
Holm und Co. rätseln über den Zusammenhang, der die vier Leichen verbindet. Alle mutmaßlichen Täter, welche die A-Gruppe in Gewahrsam hat, beteuern ihre Unschuld. Es werden sogar fünf. Da fragt sich die Gruppe: Wenn eines des fünf Opfer eine Tätowierung hat, warum nicht auch die anderen? Der Pathologe hat dieses Detail übersehen, wie er zu seinem Schmerz gesteht. Drei weitere Buchstaben finden sich: P, C und K. Zusammen ergeben die vier Buchstaben P.U.C.K. Das ist der Name jenes ordnenden Geistes in Shakespeares Stück „A Midsummer Night’s Dream“. Will Puck gegenwärtige Verhältnisse zurechtrücken?
Kerstin Holm arbeitet wieder mit Paul Hjelm zusammen. Beide glauben, dass Puck noch nicht fertig ist mit seinem Werk, wie auch immer es aussieht. Und als sie von José Chavez hören, dass seine kleine Tochter Isabell verschwunden ist, da ahnen sie, dass der Einsatz in diesem Spiel soeben erheblich erhöht worden ist.
Mein Eindruck
In der ersten Hälfte des Hörbuch wusste ich, wie bei Dahl üblich, nicht, wo die Reise hingeht. Vielmehr erschienen Details wie die Verabschiedungsfeier für Hultin recht belanglos, doch im Nachhinein erhält sie ihre Relevanz für die Geschichte und einen recht ironisch-bitteren Beigeschmack. Nacheinander tauchen dann die Leichen auf, denen entsprechende Ermittlungen folgen.
Mindestens ebenso wichtig ist dem Autor jedoch die Vorstellung der einzelnen Ermittler, unter denen sich ja einiges geändert hat. So ergibt sich erst aus der Beschreibung Jorge Chavez‘ die Besonderheit des Vorgehens von Hjelm gegen ihn – hinter Chavez‘ Rücken. Und nur dann können wir auch mit Chavez und Hjelm mitfiebern, als Isabell verschwindet. Es gibt dann – ebenso üblich bei Dahl – einen überraschenden und dramatischen Showdown.
Die Botschaft
Diesmal bekommt der Leser bzw. Hörer die Botschaft des Autors vorbuchstabiert, und zwar gleich mehrmals – das fand ich aufdringlich. Dahl bedient sich des Mörders als Sprachrohr, denn „Puck“ ist auf einer höchst moralischen Mission. So wie der schelmische Geist der Mittsommernacht allerlei Schabernack mit Herrschern, Handwerkern und diversen Elfen treibt, so will auch der schwedische PUCK die Verhältnisse, nach denen die A-Gruppe agiert, kräftig aufmischen. Und dabei zugleich auf einige Missstände aufmerksam machen.
Die Hauptkritik PUCKs richtet sich dagegen, dass in der modernen Gesellschaft nur noch nach dem BUCHSTABEN des Gesetzes gehandelt, gedacht, ermittelt und verurteilt wird. Er will, dass nach dem ursprünglichen GEIST, in dem das Gesetz geschrieben wurde, gehandelt und geurteilt wird. Siehe die Ermittlung Paul Hjelms, der allein aufgrund eines anonymen Hinweises gegen seinen eigenen Kollegen Chavez ermittelt.
Die Besonderheit, die Hjelm charakterisiert, ist seine Position bei den Internen. Er darf grundsätzlich zu niemandem über seine ehrverletzende Ermittlung sprechen, nur zu Vorgesetzten und Beteiligten (er ermittelt allein). In diesem stillschweigenden Vorgehen macht sich neben der ersten auch die zweite Kritik PUCKs fest: Die Sprache der Ermittler verbindet sie nicht mehr, sondern trennt sie voneinander, sehr zu ihrem Nachteil, als es darum geht, PUCK zu finden. Erst ziemlich spät merken Holm und Hjelm, dass sie hinter dem gleichen Mann herjagen. Und da ist es für die kleine Isabell bereits zu spät, so scheint es.
Die Lösung?
Ganz klar: Eine neue Sprache muss her. Leichter gesagt als getan. Man nehme nur mal Kerstin Holm. Sie ist auf Liebesentzug, und als Lena Lindberg in einem Single-Lokal einen Lover namens Viktor vermittelt, ist sie über den Sex wirklich froh. Erst später bekommt sie heraus, dass Viktor überhaupt nicht das ist, was er zu sein vorgibt. Und ihm hatte sie ihren Sohn Anders anvertraut. Umgekehrt wird es aber auch nicht gern gesehen: Als Jorge Chavez sich eher leger als liebevoll um seine schlafende Tochter kümmert, meldet ihn sofort eine besorgte Parkbesucher als Kindesentführer. Offensichtlich ist das Urvertrauen zwischen Menschen vollständig verlorengegangen.
Die Tiefenstruktur
Ob dabei eine neue Sprache wirklich Abhilfe schaffen könnte, ist zu bezweifeln, geht es doch um etwas viel Fundamentaleres als die Ausdrucksfähigkeit. Um es in den Begriffen von Noam Chomskys Linguistik zu formulieren: Die Oberflächenstruktur der Ausdrücke ist zwar korrumpiert, aber es ist die Tiefenstruktur der Begriffe, Gedanken und Gefühle, die es zu reformieren gilt. Zwischen diese zwei Schichten liegen die Lügen, die Täuschungen, auch der Selbstbetrug. Dinge also, die in der Mittsommernacht zum Vorschein kommen, auch in der von Shakespeare.
Falsches Bewusstsein kommt auch in der Polizeitruppe selbst vor, und Puck hätte seine helle Freude daran: Rassisten, Schwulenhasser, Chauvis und viele Abartige mehr kommen zum Vorschein, als sich Paul Hjelm auf die Spur von Jorge Chavez und Jon Andersson setzt. Aber auch er kann nicht verhindern, dass Andersson ein Messer in den Bauch gerammt bekommt.
Humor und Komik
In sein Schauerstück hat Arne Dahl auch Szenen von grotesker Komik und ironischem Humor eingebaut. Auf der Pensionierungsfeier Hultins gelingt dem Fotografen (wer auch immer dies sein mag) ein wunderbarer Schnappschuss: Einem der Gäste fliegt das Toupet weg, als er gerade über einen der Tische mit gegrätschten Beinen hechtet – eine unfreiwillige Vorstellung und Enthüllung. Das Haarteil ist ein Dingsymbol für Tarnung und Täuschung, das Generalthema des Romans.
Jon Andersson befragt in Polen die Verwandten der im Krankenhaus ermordeten Opfer der Krankenschwester Kopanska, die später selbst Opfer eines Mordes geworden ist. Unter diesen Angehörigen befindet sich die Witwe eines Admirals, die gottfroh ist, dass der alte Kerl endlich unter der Erde ist. Ihre Ausdrucksweise lässt sich hier nicht wiedergeben.
Der Sprecher
Till Hagen erweist sich als erprobter und stilsicherer Bühnenschauspieler, der genau weiß, wie eine Figur zu charakterisieren ist. Aber auch die Situationen hat er im Griff, in denen sich eine Figur, die sich bislang ganz „normal“ verhielt, auf einmal als jemand anderer zeigt. Ihm gelingt es besonders, die Nebenfiguren hervorragend zu charakterisieren. Er flüstert, schreit, ruft und brüllt sogar, kann aber auch sehr leise und ironisch sein.
Doch Hagen besitzt eine zweite Seite. Mit seiner tiefen Stimme ist er durchaus in der Lage, bedrohliche Stimmlagen und autoritative Stimmen darzustellen, so dass die einem Krimi angemessene Spannung entsteht. Hagen gelingen dank der Erzählkunst des Autors beeindruckende Charakterzeichnungen.
Geräusche und Musik gibt es keine, aber das ist auch gar nicht nötig, wie ich finde. Das Booklet informiert über alle Mitwirkenden und über die Krimireihe.
Unterm Strich
Arne Dahls Krimis sind nie lediglich Thriller, sie sind auch Spiegelbild und Kritik der schwedischen Gesellschaft. In dieser Hinsicht kann er Henning Mankell durchaus das Wasser reichen. Nur dass dieser ungleich populärer ist und einen afrikanischen Background besitzt (Mankell lebt ja in Mosambik). Wie Mankell verfügen Dahls Krimis über ein festes Stammpersonal, das an den Rändern zwar durchaus wechselt, aber im Kern gleich bleibt: die A-Gruppe der „Kriminalpolizei zur Ermittlung bei Gewaltverbrechen von internationalem Charakter“.
Das heißt, diese Ermittler haben von Haus mit Ausländern zu tun. Was ich durchaus interessant finde, aber stets kommen ihnen dabei schwedische Einheimische in die Quere, so auch diesmal. Das finde ich noch viel interessanter. Auch unter Schweden finden sich Faschisten, Rassisten und Hasser von Schwulen und Ausländern. Ihnen hält Dahl den Spiegel vor, und diesmal hat er sich als Puck verkleidet, der Geist der Mittsommernacht. (Man muss Shakespeares Stück nicht kennen; die Figuren geben den Inhalt wieder.)
Nach dem Volksglauben hat diese Nacht für die Liebe eine magische Bedeutung. Wenn man sieben bestimmte Blumen pflückt, so eine Legende des Aberglaubens, werde der bzw. die ersehnte Geliebte an einen denken. Daran klammert sich die faszinierende Kurdin Rasga alias Rosa Beckmann. Das Erscheinen von schattenhaften Wesen, die offenbar Gedanken lesen können, verwirrt nicht nur die Ermittler. Fast gerät der Roman zu einem Werk von Charles de Lint oder einem anderen Autor von Urban Fantasy.
Doch der „Zauber der schwedischen Mittsommernacht“ entpuppt sich als aufgesetzte Masche des Autors, um den wahren Sachverhalt möglichst lange verschleiern zu können. Das fällt angesichts all der Täuschungen, des Hintergehens (Hjelm vs. Chavez) und des Selbstbetrugs (z. B. Kerstin Holm) wirklich nicht schwer. Am Schluss muss die Wahrheit zum Vorschein kommen. Aber ob sie einen angenehmen Anblick bietet, steht zu bezweifeln.
Mir dauerte es etwas zu lange mit der Aufklärung der Verbrechen. Aber das war bei Dahls Krimis noch nie anders. Wenigstens lässt Till Hagens wunderbar feinfühliger und ironischer Vortrag vergessen, was der Autor an magischem Geschwurbel in die Handlung hineinfabriziert hat. In der gekürzten Fassung ist davon zum Glück nicht mehr allzu viel übrig geblieben.
Aus dem Schwedischen übersetzt von Wolfgang Butt
454 Minuten auf 6 CDs
ISBN-13: 978-3-88698-303-2
http://www.sprechendebuecher.de