Dan Simmons: Kalt wie Stahl – Der 3. Joe-Kurtz-Thriller

Der Schnüffler im Kreuzfeuer

Privatschnüffler Joe Kurtz gerät immer tiefer zwischen die Fronten der verfeindeten Mafia-Clans in Buffalo. Als ein Unbekannter auf ihn und seine Bewährungshelferin schießt, wird die Sache persönlich. Ironischerweise schwören sowohl Toma Gonzaga als auch die schlüpfrige Angelina Farino, nichts mit dem Attentat zu tun zu haben. Joe kommt der Wahrheit bei einer waghalsigen Klettertour in den Ruinen eines alten Vergnügungsparks auf die Spur. Und auf wen hat es eigentlich der Däne, ein gefährlicher Kopfgeldjäger aus Kurtz‘ Vergangenheit, abgesehen? (Verlagsinfo)

Der Autor

Dan Simmons ist bekannt geworden mit dem Horror-Roman „Sommer der Nacht“, der auch für „A Winter Haunting“ den Hintergrund bildet. Noch erfolgreicher wurde er allerdings mit Science-Fiction-Romanen: „Hyperion“ und Hyperions Sturz“ sowie „Endymion“ und „Endymion – Die Auferstehung“ fanden ein großes Publikum. Diese Tradition setzte er im Herbst 2003 mit seinem Roman „Ilium“ fort, in dem griechische Götter eine wichtige Rolle spielen. (Die Fortsetzung trägt den Titel „Olympos“ und kam Mitte 2005 auf den Markt.)

Außerdem ist Dan Simmons ein Verfasser exzellenter Kriminalthriller (z. B. „Darwin’s Blade/Schlangenhaupt“) und Kurzgeschichten (z. B. „Styx“ bei Heyne). Mit „Hardcase“ hat er eine Krimireihe um den „gefallenen“ Privatdetektiv Joe Kurtz gestartet, die mit „Hard Freeze“ und „Hard as Nails“ fortgesetzt wurde. Simmons wuchs selbst in Buffalo, dem Schauplatz der drei Kurtz-Romane, auf, bevor er 1974 nach Boulder in Colorado umzog.

Die Kurtz-Trilogie

1) Eiskalt erwischt (Hardcase, 2001);
2) Bitterkalt (Hard Freeze, 2002)
3) Kalt wie Stahl (Hard as nails, 2003).

Handlung

Gleich auf den ersten Seiten kriegt Joe Kurtz eine Kugel an den Kopf. Zugegeben, eigentlich ist es mehr ein Streifschuss, aber der Schuss, der sein Hirn um Haaresbreite verfehlt, setzt ihn erst einmal außer Gefecht. Und das kam so.

Joe hat elfeinhalb Jahre im Staatsgefängnis von Attica für Totschlag gesessen. Nun ist er, nachdem er den Knast wunderbarerweise überlebt hat, seit fast einem Jahr auf Bewährung draußen. Leichen pflastern seinen Weg, weil jeder dahergelaufene Mafioso was von ihm will (siehe “ Eiskalt erwischt“ und „Bitterkalt“), aber die Behörden können ihm nichts anhängen, so gerne sie das auch täten. Und das Beste ist: Seine Bewährungshelferin Peg O’Toole, die er gerade besucht, findet ihn integer und möchte seine Bewährungsauflagen lockern. Dann braucht er sich nicht mehr jede Woche, sondern nur noch jeden Monat bei ihr melden.

Sie erbittet eine kleine Gegenleistung. Er soll doch mal herausfinden, wo ein paar Fotos von einem alten, verfallenen Rummelplatz im Grünen aufgenommen wurden. Sie sei da auf eine Spur gestoßen. Leider scheint ihre Aktivität jemandem gewaltig auf den Zeiger zu gehen, denn als zuerst O’Toole und dann Kurtz die Tiefgarage betreten, werden sie beschossen. Alle Lampen sind abgeschlagen – das kommt Joe gleich verdächtig vor. Er schießt zwar zurück auf das Mündungsfeuer, doch plötzlich bricht O’Toole zusammen und er selbst erhält besagten Kopfschuss. Feierabend?

(K)Alte Zeiten

Nicht ganz. Während O’Toole irgendwo auf der Intensivstation liegt, wird Joe gleich nach dem Erwachen von zwei Mitarbeitern des Morddezernats des Buffalo Police Departments (BPD) vernommen. Es handelt sich um seine alte Jugendflamme (Cathy) Rigby King und ihren Partner Detective Kemper. Sie erinnert ihn später an die alten Zeiten: Als Joe und Rigby einst im kirchlichen Waisenhaus – fein säuberlich nach Jungs und Mädels getrennt – aufwuchsen, trafen sie sich in der Basilika an einem versteckten Plätzchen, um Liebe zu machen. Jetzt würde Rigby gerne an die alten Zeiten anknüpfen, denn sie will Joe für einen Plan benutzen. Dazu setzt sie auch ihre weiblichen Waffen ein, und die sind beachtlich.

Kalte Fäuste

In der ersten Nacht nach dem Aufwachen erhält Joe unangenehmen Besuch. Der Onkel von O’Toole, ein ehemaliger Major der Army, haut ihm links und rechts eine in die Fresse. Als sei das nicht deutlich genug gewesen, schwört er ihm auch noch Rache. Bevor noch mehr ungebetene Besucher auftauchen, macht sich Joe lieber aus dem Staub. Er sieht mit seinem blutigen Kopfverband aus wie der wandelnde Tod und sein Schädel brummt wie tausend Glocken, doch irgendwie hängt Joe an seinem Leben. Wahrscheinlich, weil er nur eines davon hat.

Kaltmacher

Zunächst schnappen ihn sich aber zuerst die Mafiafamilien, zuerst Toma Gonzaga, dann die Lady der Farinos. Beide wollen das Gleiche, als hätten sie sich abgesprochen. Doch sie verdächtigen sich gegenseitig. Joe soll herausfinden, wer ihre Junkies und Heroindealer kaltmacht. 22 Leute in nur vier Wochen, das ist eine ganze Menge. Und wer ihre Abnehmer kaltmacht, versaut den Markt. Schon klar. Während Angelina Ferrara Farino ihm karge 15.000 Mäuse bietet, winkt Toma Gonzaga mit immerhin 100 Riesen. Das Angebot ist verlockend – und „eines, das er nicht ablehnen kann“. Diese „Paten“-Sprüche gehen Joe total auf den Geist.

Paten

Dennoch Joe hat zunächst andere Prioritäten. Und er hat völlig Recht, zuerst herausfinden zu wollen, ob er oder O’Toole das Ziel des Anschlags in der Tiefgarage war. Die Spur führt zu einem Jemeniten, der als Schütze missbraucht und dann entsorgt wurde, und zu eben jenem Major Michael O’Toole, der so scharf auf Joes Kopf ist. Dort in Neola, im Süden des Bundesstaates New York, erlebt Joe eine handfeste Überraschung. Hier laufen viel zu viele Fäden zusammen, als dass es ein Zufall sein könnte. Und das Städtchen Neola ist geradezu „absurd wohlhabend“ …

Mein Eindruck

„Kalt wie Stahl“ funktioniert ein wenig anders als „Eiskalt erwischt“. Während im Startband der Joe-Kurtz-Trilogie sich die Action in verschiedenen Episoden entfaltete, steigert sich in Band 3 die Spannung mit der Komplexität der Handlung, bis so etwas wie eine kritische Masse erreicht ist. Dann explodiert die Action geradezu mit einem monumental inszenierten Generalangriff, der das gesamte dritte Viertel des Romans einnimmt. Obwohl es sich um einen Krieg der Drogenimperien handelt, kommt dieser Angriff einem Söldnerangriff schon ziemlich nahe.

Entsprechend blei- und hämoglobinhaltig sind die Resultate. Aber das Ziel ist edel: Rigby King, seine Jugendflamme, muss gerettet werden, als handle es sich um die Jungfrau in Not. Und das ist sie in der Tat. Denn Kurtz weiß aus eigener schmerzhafter Erfahrung, welchen Unmenschen sie in die Hände gefallen ist. Und außerdem: Ihn kostet es keinen Cent, wenn sich die Drogenbarone gegenseitig umbringen. Er muss nur sich und Rigby mit heiler Haut da rauskriegen. Ob das hinhaut?

Tapfere Mädels

Es ist erstaunlich, aber nicht nur die beiden Frauen Rigby King und Peg O’Toole liegen Kurtz am Herzen, sondern auch seine Tochter Rachel, seine Sekretärin Arlene DeMarco und deren Schwester Gail – bei der Rachel aufwächst, nachdem Joe (in „Bitterkalt“) ihren üblen Stiefvater ausgeschaltet hat. Auch Arlene selbst sieht ein: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“ (Kästner), und stellt sich zur Verfügung, um die Verlobte des jemenitischen Todesschützen an der kanadischen Grenze in Empfang zu nehmen. Wie sich zeigt, ist Arlenes Mission nicht nur menschenfreundlich und mutig, sondern auch lebensgefährlich. Denn der Killer jener 22 Junkies wurde ebenfalls entsandt, um die junge Jemenitin „in Empfang“ zu nehmen. Sie weiß zu viel.

The Dodger / Der Däne

Dieser Auftragsmörder ist eine recht interessante Figur. Er trägt den Spitznamen „The Artful Dodger“ oder kurz „Dodger“, nach einem bekannten Roman von Charles Dickens: „Oliver Twist“. Auch der Titel des Romans ist ein Zitat aus diesem Buch: „Hard“, replied the Dodger. „As nails“, added Charley Bates.< Der Killer heißt Dodger, weil er allen Gefahren und Verfolgern auszuweichen versteht. Die Übersetzung „Der Däne“ entfernt diesen Bezug vollständig, was ich ziemlich schade finde.

Keiner außer seinem Boss kennt den Killer. Nicht einmal sein eigener Vater weiß, dass er am Leben ist. Und an jedem Halloween-Fest veranstaltet der Dodger mit den Leichen seiner jüngsten Opfer eine ganz besondere Rummelplatzveranstaltung. Denn Halloween ist schließlich sein Geburtstag.

Manchen Amazon.com-Lesern war dieser Psychopath ein Dorn im Auge, denn solch eine Figur hat offenbar in einem ordentlichen Krimi nichts zu suchen. Dafür sind offenbar Thrillerautoren wie Thomas Harris („Das Schweigen der Lämmer“) oder Patricia Cornwell zuständig. Ich halte diese Trennung für künstlich und den Auftritt des Psychopathen für nicht nur plausibel, sondern auch sehr wirkungsvoll. Er ist eine Marionette, die von einem Unbekannten gesteuert wird. Dieser Unbekannte hat es auf das Drogengeschäft im westlichen Bundesstaat New York abgesehen.

Deus ex machina

Mehr Probleme bereitete mir hingegen das zweite Finale des Romans. Joe ist wieder einmal in einer aussichtslosen Lage, wie so oft. Und wie so oft, findet sich eine Rettung für ihn. Allerdings wusste sich Joe in den ersten zwei Bänden selbst zu helfen, diesmal tritt eine Art „deus ex machina“ auf. Für mich war dies immer ein Beleg für schlechte Handlungsentwicklung. Es wirkt künstlich.

Humor ist, wenn man trotz Tränen lacht

Der Aspekt des Humors darf in keinem Joe-Kurtz-Roman fehlen. Besonders im ersten Viertel wimmelt es von extrem ironischen Seitenhieben und Bemerkungen. Die bekommt man leider oft nur mit, wenn man die Umgangs- und Gangstersprache kennt. Diese wird ziemlich intensiv in den entsprechenden Dialogen mit Gangstern benutzt. Und der Autor tut den Teufel, um den Leser mit der Nase auf komische Stellen zu stoßen.

Am ehesten tut Simmons das noch an folgender Stelle. Arlene (oder Rigby?) sagt: „So eng wie das Arschloch des Hundes eines Proktologen.“ Und dann wird hinzugefügt: „Kurtz dachte einen Moment darüber nach.“ Nun muss man natürlich wissen, was ein Proktologe macht. Ich werde den Teufel tun und euch den Witz erklären. Das müsst ihr selbst herausfinden.

Unterm Strich

Wieder einmal ist es Simmons gelungen, mich zwei, drei Tage völlig in seinen Bann zu schlagen. Ich wollte unbedingt herausfinden, wie diese Joe-Kurtz-Story ausgeht. Oftmals sah es nicht gut für den Helden aus, aber selbst mit drei Schusslöchern im Mantel, einem verbundenen Schädel und rasenden Kopfschmerzen nimmt es der Unbezwingbare mit allen Bösewichtern der Welt auf. Damit er nicht wie eine Comicfigur wirkt, erfahren wir diesmal sehr viel über seine Vergangenheit: Joe wuchs (neben Rigby) als Waise auf, tat Dienst als Militärpolizist in Bangkok, wurde Privatermittler in Buffalo (Partnerin: Samantha, die Mutter von Rachel) und schließlich eingebuchtet – siehe oben.

Von Bösewichtern gibt es in Buffalo und Umgebung mehr als genug. Der Bundesstaat New York ist unter fünf Mafiafamilien aufgeteilt worden, damit man sich nicht ins Gehege kommt. Hinzu kommen noch kleinere Lokalfürsten der Unterwelt, mit denen sich Kurtz auskennt. Nun drängen weitere Konkurrenten auf den Drogenarkt. Des Weiteren wären da natürlich noch korrupte Polizisten und irgendwelche Finsterlinge, die mit brandneuen Superautos durch die Straßen rollen. Das sind die Schlimmsten: FBI, CIA, DHS (Heimatschutz), private Sicherheitsdienste – die reinste Buchstabensuppe.

Simmons lässt dazu einige bissige Bemerkungen fallen, die nicht alle aus dem Mund von Kurtz kommen. Im Jahre 2 nach 9/11 (also 2003) scheint sich diese Pest rasant auszubreiten. Und diese neuen Typen reden einen aufgesetzten englischen Akzent wie Pierce Brosnan, kleiden sich in 3000-Dollar-Anzüge und nennen ihre Opfer zynisch „alter Kumpel“ (old sport). Was ist aus der Welt geworden, wenn sich nicht mal mehr die Schurken wie Schurken kleiden, sondern wie Banker? Vielleicht besteht da ja auch gar kein Unterschied mehr.

Wie heißt es so schön? Simmons macht in den Joe-Kurtz-Romanen keine Gefangenen. Das ist vielleicht zu gut, um wahr zu sein. Aber was ist an einem Roman schon wahr? Doch wenn ich mir heutzutage einen harten Krimi à la Chandler und „Mike Hammer“ aussuchen könnte, dann würde meine Wahl auf jeden Fall auf einen Krimi mit Joe Kurtz fallen.

Broschiert: 448 Seiten
Originaltitel: Hard as Nails
Aus dem US-Englischen von Manfred Sanders
ISBN-13: 978-3865522306

www.festa-verlag.de