Dan Simmons – Kalt wie Stahl (Joe Kurtz 3)

Das geschieht:

Der aktuelle Besuch bei seiner Bewährungshelferin Margaret O’Toole endet für Ex-Detektiv und Ex-Häftling Joe Kurtz im Krankenhaus: Im Parkhaus hat man beiden aufgelauert. Kurtz konnte dem Feuerüberfall Widerstand leisten, bis eine Kugel seinen Schädel streifte und ihn außer Gefecht setzte. O’Toole hat es wesentlich stärker getroffen; sie liegt im Koma, was Kurtz einen heimlichen Nachtbesuch des wütenden Onkels und weitere Wunden einträgt: Ex-Major und Vietnam-Veteran Michael O’Toole macht ihn verantwortlich für die Attacke.

Auch die Polizei glaubt, dass man Kurtz ausschalten wollte. Dieser entlässt sich selbst aus dem Krankenhaus und beginnt auf eigene Faust zu ermitteln. Sowohl Angelina Farino Ferrara, Oberhaupt einer der in Buffalo aktiven Mafia-Familien, als auch Tomas Gonzaga, ihr entschiedenster Widersacher, streiten eine Beteiligung an dem Anschlag ab, obwohl Kurtz ihnen beiden schon mehrfach in die kriminelle Suppe gespuckt hat. In der Unterwelt geht freilich das Gerücht um, der „Däne“ sei Kurtz auf den Fersen. Er hat den ungemein tüchtigen Auftragskiller schon kennen und fürchten gelernt.

Sowohl die Ferraras als auch die Gonzagas haben genug eigene Probleme: Ein Killer, den man den „Dodger“ nennt, bringt systematisch ihre Dealer und Drogenkäufer um. Die Leichen – mehrere Dutzend inzwischen – nimmt er mit, um mit ihnen ein privates Irrsinns-Projekt zu verwirklichen. Auch Kurtz soll der „Dodger“ im Auftrag seines anonymen Auftraggebers töten.

Somit steht Kurtz abermals im Visier gleich mehrerer mächtiger Feinde, zu denen sich noch die Polizei in Gestalt seiner alten Freundin Rigby King gesellt. Sie alle suchen und jagen Kurtz, der allmählich feststellt, dass ein geheimer Drogenkrieg ausgebrochen ist, dessen Verursacher sämtliche Konkurrenten ausschalten will. Durch seine Verletzung angeschlagen aber mit der üblichen Kompromisslosigkeit will Kurtz klären, wer hinter den Kulissen die Fäden zieht, um anschließend für Frieden zu sorgen – oder für Friedhofsruhe …

Aller blutigen Dinge sind drei

Wer dachte bzw. befürchtete, dass Joe Kurtz bzw. Dan Simmons im Treibsand des seriellen Thrillers allmählich die Luft ausgehen würde, darf sich freuen: Der Autor verfügte über bisher nicht angezapfte Energiereserven! Es geschieht selten, dass hochgesteckte Erwartungen erfüllt und sogar übertroffen werden können. Dies gilt erst recht, wenn eine Figur wie Joe Kurtz in „Kalt wie Stahl“ bereits sein drittes Abenteuer erlebt. Band 1 und 2 waren Hochgeschwindigkeits-Thriller, neben denen anerkannte Meister des Genres sehr alt aussahen. Zum Tempo kamen durchaus raffinierte Plots und Figuren mit enormem Wiedererkennungswert – viele Figuren, denn spätestens im Finale lichteten sich ihre Reihen stets beträchtlich.

„Kalt wie Stahl“ treibt das Konzept einerseits auf die Spitze, während Simmons andererseits einen etwas anderen Weg einschlägt. Der Plot steht dieses Mal deutlicher im Vordergrund. Simmons gleitet nur selten ins Episodische ab. Die grotesken, meist körperlich verunstalteten und völlig verrückten Schurken geben sich nicht mehr die Klinke von Kurtzes Unterschlupf in die Klauen. Aus Teil 2 schaut ein fieser Als-ob-Indianer vorbei, der noch eine Rechnung mit Kurtz offen hat aber rasch ein böses Ende nimmt. Ansonsten beschränkt Simmons sich auf den „Badger“, der freilich irrsinnig genug ist, um ein ganzes Rudel Killer-Mutanten zu ersetzen.

Die Handlung greift dieses Mal über Buffalo hinaus. Simmons entfesselt einen Bandenkrieg, der von einer bemerkenswerten Koalition einstiger Todfeinde und vorgeblicher Patrioten gesteuert wird. Da kann Kurtz gegenhalten, obwohl der Kampf dieses Mal über seine Kräfte geht. Er schmiedet deshalb trickreich ein Bündnis eigentlich bitter zerstrittener Gangs, die schwieriger als jeder Sack Flöhe zu hüten sind.

Wozu hat man Freunde – oder freundliche Feinde?

In den Kurtz-Romanen lässt Autor Simmons eine recht gallige Weltsicht durchscheinen. Der Selbstzweck wird zum Lebensinhalt erklärt und somit angeprangert. Ganz vorn dabei beim Ausverkauf der Werte sind jene, die sich ein Stück vom Kuchen greifen können. Ob es gestohlen, verdient oder durch Wahl erworben wird, ist dabei nebensächlich, denn die Grenzen verschwimmen. Letztlich läuft es darauf hinaus: Wer hat, will behalten. Rivalen lassen sich durch Gewalt oder gut bezahlte Anwälte ausschalten.

Der Staat hat eine eigene Abkürzung perfektioniert: Nach dem 11. September 2001 gehört die Freiheit des Bürgers (nicht nur) nach Simmons der Vergangenheit an. Vor der eigenen Regierung und ihren „Heimatschutzbehörden“ muss man sich womöglich stärker fürchten als vor dem organisierten Verbrechen, das lieber unter sich mordet, um das Kerngeschäft zu schützen.

In dieser Welt ist es nicht ungewöhnlich, dass der übelste Schurke sich als gefeierter Kriegsheld entpuppt, der wirklich jede patriotische Schwingung ins Negative verkehrt hat und selbst abgebrühte Mafia-Killer das Fürchten lehrt. Was man ihm für das Schlachtfeld beigebracht hat, konnte Major O’Toole gut anwenden, als der Vietnamkrieg zu Ende ging. Da Simmons keine Furcht vor dramatischer Übertreibung kennt, konstruiert er der Familie zusätzlich einen kapitalen Genschaden, der seinen Gipfelpunkt im „Dodger“ findet.

Der dramatische Höhepunkt ist Simmons-Ironie reinsten Wassers: Wie im Vietnam-Kriegsfilm „Apocalypse Now“ rücken ausgerechnet Kurtz und seine kapitalkriminellen Verbündeten dem Gegner per Hubschrauber auf den Leib.

Machiavelli mit Talent zur Menschlichkeit

Joe Kurtz ist ein interessanter Charakter: ein Psychopath mit menschlichen Zügen. Inwieweit dies realistisch ist, muss uns nicht interessieren, da Realismus kein Element der Kurtz-Thriller ist. Das Gangstertum bleibt weitgehend unter sich, die Polizei außen vor, wenn sie nicht korrupt oder wie Rigby King bereit ist, das Gesetz zwar nicht zu brechen aber doch bis an die juristischen Belastungsgrenzen zu biegen.

Kurtz ist das Ideal-Produkt der von Simmons postulierten Welt: kampfstark und erfolgreich, weil er willens und fähig ist, der allgegenwärtigen Gewalt einfallsreich und noch ein wenig brachialer entgegenzutreten. Nur ein toter Gegner ist ein zukünftig ungefährlicher Gegner: Entsprechend handelt Kurtz, wobei Simmons immer wieder damit überrascht, wie rigoros er seinen Helden zuschlagen lässt. Der Leser wird zum Zeugen und Mitwisser, der sich dabei ertappt, wie er Kurtz applaudiert: Endlich jemand, der die Strolche dieser Welt persönlich und direkt zur Verantwortung zieht und dabei keinen Unterschied zwischen verrückten Killern, brutalen Schlagetots oder Weißkragen-Kriminellen macht. Kurtz gibt ihnen allen, was sie verdienen.

Ein wenig stärker als bisher kommt der ‚private‘ Joe Kurtz zu Wort. Mit Band 3 ist es amtlich, dass Kurtz der Vater der grausam verstorbenen (und gerächten) Partnerin ist. In dieser Rolle fühlt er sich denkbar unsicher, und ein persönliches Happy-End fällt aus: Simmons hält das Zwischenmenschliche so bewundernswert knapp, dass dem romanzenkrimigeschädigtem Leser vor Dankbarkeit die Tränen kommen: Es gibt sie also noch: Figurenzeichnungen, die der Handlung unterworfen bleiben, statt sie aufzuweichen oder gar zu ersetzen!

Dreck am Stecken

Simmons lässt Kurtz niemals ‚cool‘ erscheinen. Gewalt ist ein Mittel zum Zweck, und sie ist Teil schmutziger, düsterer Jobs. Das trifft nicht nur auf die ‚Berufskriminellen‘, sondern auch auf Joe Kurtz zu. Seine Fähigkeit, Menschen ohne Bedauern und Zögern auszuschalten, jagt sogar seinen wenigen aber treuen Freunden manchmal Angst ein. Breit ist der Grat nicht, der Joe Kurtz von den Bösen trennt!

Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist: Dan Simmons hat sich an die alte aber bewährte Regel gehalten. Mit „Kalt wie Stahl“ war 2003 Schluss mit Joe Kurtz. Selbst Simmons wollte sein Glück bzw. sein Talent offensichtlich nicht überstrapazieren. Das Ende ist dennoch offen. Zwar werden die losen Enden aus drei Bänden zufriedenstellend verknüpft, doch es zeichnen sich bereits neue Konflikte ab. Das Leben von Joe Kurtz wird keineswegs friedlicher ablaufen. Leider können wir keine Zeugen mehr sein. Bleibt die Hoffnung, dass Simmons seine Kurtz-Batterien wieder auflädt und irgendwann zu dieser Figur zurückkehrt!

Autor

Dan Simmons wurde 1948 in Peoria, Illinois, geboren. Er studierte Englisch und wurde 1971 Lehrer; diesen Beruf übte er 18 Jahre aus. In diesem Rahmen leitete er eine Schreibschule; noch heute ist er gern gesehener Gastdozent auf einschlägigen Workshops für Jugendliche und Erwachsene.

Als Schriftsteller ist Simmons seit 1982 tätig. Fünf Jahre später wurde er vom Amateur zum Profi – und zum zuverlässigen Lieferanten unterhaltsamer Pageturner. Simmons ist vielseitig, lässt sich in keine Schublade stecken, versucht sich immer wieder in neuen Genres, gewinnt dem Bekannten ungewöhnliche Seiten ab.

Über Leben und Werk von Dan Simmons informiert diese schön gestaltete Website.

Taschenbuch: 443 Seiten
Originaltitel: Hard as Nails (New York : St. Martin’s/Minotaur 2003)
Übersetzung: Manfred Sanders
Cover: yellowfarm
www.festa-verlag.de

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