Daniel Falconer – Der Hobbit. Smaugs Einöde. Chroniken III. Kunst und Gestaltung

Vom Spukschloss nach Stalingrad: die Ideen hinter den Bildern

An der Entstehung des Films »Der Hobbit – Smaugs Einöde« sind hinter den Kulissen viele Künstler und Experten für Make-up, Kostüme und Special Effects beteiligt. Leser können im dritten Band der »Hobbit-Chroniken«-Serie erneut den Prozess ihrer Arbeit anhand von Set-Fotos, Zeichnungen und Erläuterungstexten verfolgen. Ein farbenfrohes und informatives Juwel für jeden Hobbit-Fan! (Verlagsinfo)

Der Autor

Daniel Falconer ist der Art Director von Weta Workshop. Er war schon an den Making-of-Büchern zu den drei „Herr der Ringe“-Filmen und „King Kong“ beteiligt. (Auf Seite 220 wird er detailliert beschrieben.) Regelmäßig war er in den DVD-Dokus zu sehen. An den CHRONIKEN-Bänden sind drei Firmen beteiligt: Weta Workshop, Weta Digital (die Effekteschmiede) und 3Foot7, die Produktionsfirma für Art, Costume und Make-up. Außerdem bedankt sich Falconer bei Warner Bros., dem Studio, das ja mit die Rechte an den Filmen und all ihren Bildern innehat. Er lebt mit seiner Familie in Wellington, Neuseeland.

Die CHRONIKEN

1) Eine unerwartete Reise – Kunst und Gestaltung
2) Eine unerwartete Reise – Geschöpfe und Figuren
3) Smaugs Einöde – Kunst und Gestaltung
4) Smaugs Einöde – Gewänder und Waffen (erscheint Mai 2014)
5) Der Hobbit 3 – Kunst und Gestaltung (erscheint Ende 2014)
6) Der Hobbit 3 – ? (erscheint Ende 2014)

Inhalte und Eindruck

Im Unterschied zu allen Begleitbüchern und Sibleys „Filmbuch“ (dem einzigen mit Interviews) sind die CHRONIKEN von Anfang bis Ende mit Inhalt vollgestopft. Deshalb zählt bereits der Einband: Es ist ein Imitat von Drachenhaut! Die vorderen Innenseiten des Einbands zeigen eine Zeichnung des Konzeptdesigners Alan Lee, die dein Panorama der Stadt Thal zeigt. Ob sie hier vor oder nach der Zerstörung existiert, ist schwierig festzustellen, aber der Ort sieht verlassen aus – dies ist die titelgebende Einöde, die der Drache geschaffen hat.

Die hinteren Innenseiten des Einbands zeigen Alan Lees Impression von Dol Guldur, der „Festung der schwarzen Magie“. Für Sammler ganz wichtig ist das eingeklebte Faltblatt: Es stellt vierfarbig den Bürgermeister von Seestadt dar, gespielt von Stephen Fry in seiner ganzen schmierigen Pracht.

Der Aufbau

Folgerichtig schreitet die mit zahlreichen Bildern belegte Darstellung von Schauplatz zu Schauplatz vor. Nicht jeder Schauplatz, wie etwa Dol Guldur, bekommt die gleiche Aufmerksamkeit gewidmet. Das kann verschiedene Gründe haben. Erstens musste nicht soviel Material an Kunst, Design usw. für einen Nebenschauplatz wie Dol Guldur produziert werden; dementsprechend weniger Belege sind vorzeigbar. Zum anderen kann es sich, wie beim Drachenhort und der Zwergenschmiede von Erebor, um geheim gehaltenes Material handeln, das erst der Kino- und DVD-Zuschauer zu sehen bekommen sollte. Dieser CHRONIKEN-Band erschien bereits am 23.11.2013, also zwei Wochen vor dem Film.

Beorn

Der erste Schauplatz ist Beorns Hütte. Alles in und an ihr ist 1,86 Mal größer als ein Zwerg oder Hobbit. Dementsprechend riesig sind die Möbel, die Fenster, die Werkzeuge und alles Sonstige. Die Chefdesigner John Howe und Alan Lee stellten sich vor, dass sich der Werbär Beorn (sein Name bedeutet „Bär“, vgl. Björn) als letzter Vertreter seiner Rasse die Zeit mit Holzschnitzen vertrieb, wenn er nicht Brot buk, Honig produzierte oder Orks jagte.

Dementsprechend vielfältig und einfallsreich sind die Schnitzereien. Der Tolkien-Fan stößt begeistert auf Motive wie die Weltenesche Yggdrasil und den Drachen Nidhöggr, der an ihren Wurzeln nagt. Auch der Grüne Mann ist vertreten, ein Waldgeist aus vielen Volkssagen. Das Aussehen Beorns selbst als Humanoid und Bär hat viele Entwicklungsstadien durchlaufen, eine interessanter als die andere.

Düsterwald und Spinnen

Eine der Enttäuschungen in „Smaugs Einöde“ waren für mich die Spinnen von Düsterwald. Sie sahen nicht viel anders aus als Kankra in „HdR 3“. Das lag vielleicht daran, dass die Designer wieder zur Basis von Schwarzer Witwe und Wolfspinne zurückkehrten statt einer anderen Arachnidenform den Vorzug zu geben. Wenigstens können diese Spinnen sprechen, was allerdings nur Bilbo hören kann, wenn er seinen magischen Ring aufsetzt.

Dafür ist Düsterwald tausendmal gruseliger als Fangorn aus „HdR 2“. Dieser „Mirkwood“ ist wirklich krank und vom Bösen, das sich Dol Guldurs bemächtigt hat, vergiftet. Die morschen Bäume sind häufig hohl und bilden Schleichwege für die angreifenden Spinnen, sie sind moosüberwachsen, pilzverseucht und schleimig. Der nachgebaute Düsterwald im Studio, den die Darsteller durchwandern mussten, war für sie fühlbar ein Ort leisen Grauen und definitiven Unbehagens. Das lag vielleicht auch an den grellen Farben, die für die 3D-Kamera appliziert worden waren, und dem Gestank nach Leim und Klebstoff.

Die Waldelben

Die Waldelben sind keine trällernden Elben aus Bruchtal oder melancholische Sänger aus Lothlórien. Diese hier sind Ninjas in Tarnfarben. Die taffesten sind Tauriel, die Anführerin der Grenzpatrouille, und Legolas, der Hauptmann, der Palastwache, der sie auf Geheiß seines Vaters Thranduil, nicht lieben darf. Beide führen einfallsreiche, asymmetrische Waffen wie etwa eine Kettenpeitsche und tragen ausgefuchste Gewänder, die an geschmeidige Schuppen erinnern. Im Palast agieren sie wie in einer mit Bernstein gespickten Baumkathedrale, doch in Düsterwald werden sie zu Ninjas. Das zeigt sich später bei der rasanten Verfolgung der in Fässern steckenden Zwerge.

Thranduil

Ian Pace ist ein Glücksfall für die Art Designer gewesen, erzählt der Autor. Hochgewachsen, mit schlankem Hals und „Kleiderbügelschultern“ eignete er sich bestens für Rüstungen und prächtige Gewänder. Auch die Kostümbildnerinnen durften sich an ihm austoben, ebenso wie an Tauriel und Legolas. Für Thranduil wurde eigens ein neuer Stoff gewoben, besser zu sehen in Sibleys „Filmbuch“: außen silbern schimmernd, innen orangerot – wow! Merke: Mit diesem Burschen ist nicht gut Kirschen essen. Ebenso viel Aufwand wurde auf das Aussehen der Plastwachen und der Leibgarde – echt finstere Typen à la Darth Vader – verwandt.

Fässer unverzollt

Schon der Kerker, in den die Zwerge zellenweise gesteckt wurde, ist ein Meisterwerk des Designs. Baumwurzeln und -äste bilden die Wege, ebenso Felssimse. Kili zeigt Tauriel seinen, ähem, seinen Runenstein also. Weil man ihn im Film kaum sieht, ist es schön, ihn auf S. 92 gesondert abgebildet zu sehen, ebenso alle Entwürfe. Thranduils Keller ist ebenso ausgetüftelt wie der Kerker: ein weitläufiges Gewölbe mit zahlreichen Kammern. Witzig ist ja die Laderampe, die sich kippen lässt: ein Wippbrett, wie Alan Lee auf S. 93 erklärt. Es schnappt zurück und lässt Bilbo allein dastehen!

Das System der Wasserwege, inklusive Schleusen etc., ist ein bedeutender Schauplatz. Hier findet ein Drei-Fronten-Krieg statt: zwischen den treibenden Gefährten, den sie verfolgenden Elben und den angreifenden Orks. Dieser Schauplatz beschäftigte die Designer aller Klassen bis zum Ende der Dreharbeiten (und den Cutter danach). Entsprechend umfangreich ist diese Sequenz: Sie dauert gefühlte zehn Minuten. Ihr sind nicht weniger als acht fantastisch aussehende Seiten gewidmet.

Seestadt

Eine geniale Doppelseite zeigt Bard, den Schiffer, wie er die Gefährten in seinem Kahn über den windgepeitschten See gen Esgaroth fährt. Im Hintergrund dräut wie stets der Einsame Berg, mit dessen Zwergenkönigreich Erebor die Stadt einst blühenden Handel trieb. Doch vor 200 Jahren kam Smaug, der Schreckliche, und zerstörte diese Basis des Reichtums. Seitdem, so die Legende der Designer, verfällt die wie Venedig auf Pfählen erbaute Stadt und ihre Einwohner versuchen, über die Runden zu kommen. Mit einer Ausnahme: der Bürgermeister saugt ihnen mit Zöllen und Steuern das Blut aus, um wie die Made im Speck zu leben. Die Missgunst hat ihn Spione aussenden lassen, auf das keine Macht in Frage stelle.

Durch diese Verwahrlosung ist alles in Seestadt schief und vom Zahn der Zeit angenagt. Der September ist hier kalt und eisig, und Eis bedeckt die Kanäle. Die schiefwinklige Holzarchitektur (zehn Seiten!) macht den Ort ebenso ungemütlich – reif für eine Ork-Invasion. Die Kostüme der auf vier Seiten gezeigten Bewohner erinnern an orientalische und mongolische Einflüsse. Diese Leute hatten Handelsverbindungen zum Osten Mittelerdes (über den Fluss Eilend).

Bard, seinen drei Kindern, den Wachen und dem Bürgermeister sind weitere Seiten gewidmet. Die Figur des Bürgermeisters durchlief eine erstaunliche Evolution – vom grausamen Despoten hin zum schmierigen, selbstverliebten Laffen. Stephen Fry machte ihn praktisch unsterblich – siehe dazu das hinten eingeklebte Porträt mit seiner Idealvorstellung. Ein wahres Prachtstück ist deshalb sein Schlafzimmer auf S. 136/37, in dem er seine Schätze am liebsten selbst bewundert. Nicht zu verachten ist auch das Rathaus, das an eine norwegische Kirche erinnert. Wie John Howe verrät, verbergen sich darin Falltüren, Geheimgänge und dunkle Kammern mit veruntreuten Steuereinnahmen …

„Eine zerstörte Lebensform“: Azog und die Orks

Die Bezeichnung „Eine zerstörte Lebensform“ rührt von Tolkien her: Einst waren die Orks Elben, bevor Morgoth (die elbische Bezeichnung für den Vala Melkor) sie in die Finger bekam. Hier geht es um Azogs großen Orks vom Gundabad-Berg, der das nördliche Ende des Nebelgebirges abschließt. Sie spielen eine wichtige Rolle, denn sie sind das Bindeglied zwischen dem Zwergenerbe-Strang der Handlung und dem Strang um den Nekromanten. In „Smaugs Einöde“ stößt Gandalf auf Azog und seine Schar, wie sie sich in Dol Guldur sammeln, um die Zwerge in Seestadt zu überfallen. Das zwingt die Zwerge dazu, schleunigst zum Erebor weiterzuziehen und sich dort zu verschanzen. Clever ausgedacht.

Dieses Kapitel wird mit einer tollen Darstellung des dramatischen Zweikampfs zwischen Thorin und Azog in der Schlacht von Azanulbizar (vor Morias Osttor) eröffnet. Hier sieht Azog noch ganz anders aus als im Film. Das Unheimlichste an Azog ist die Tatsache, dass er keine Rüstung trägt. Das bedeutet, dass, obwohl er als Albino ständigen Angriffen seiner „Kollegen“ ausgesetzt gewesen sein musste, er taff genug war, um jeden anderen zu besiegen. Und das gilt auch für die Zwerge und die Beorns, die er gejagt und getötet hat – belegt durch die tiefen Narben auf seinem Körper.

Azog unterstellt sind die Jäger-Orks, die als Wargreiter den Zwergen nachstellen. Deren Hauptleute tragen die hübschen Namen Narzug, Fimbul (ein altnordischer Name) und Yazneg (von Azogs Wargen auf der Wetterspitze getötet). Sie sind wesentlich hässlicher, aber wehrhafter als Azog. Azogs Warg-Matriarchin ist erneut eine Sonderseite gewidmet.

„Asche und Geister: Thal in Blüte und in Trümmern“: Stalingrad 2.0

Nicht weniger als 22 Seiten, also rund ein Zehntel des Buches, sind allein dem alten und dem zerstörten Thal gewidmet. Das ist ein schöner Ausgleich für die lediglich kurzen Szenen, in denen es in „Der Hobbit 1 + 2“ zu sehen ist. Endlich bekommt man einen genaueren Eindruck von der heimeligen Schönheit der alten Handelsstadt.

Die Rundbögen, schattigen Innenhöfe (Atrien und Patios) und sanft geschwungenen Dächer, beschützt von dicken Wehrtürmen, verleihen der Stadt einen weiblichen Charakter, wie man ihn weder in Minas Tirith noch in Edoras erblickt hat. Überall fließt Wasser, ähnlich wie in Bruchtal, und die Häuser sind mit bunten Fresken bemalt: Dies ist der noble Badeort Pompeji vor dem Kommen des Feuers …

Es ist eine Prämisse der Geschichte, dass viele Einwohner von Seestadt aus Thal geflüchtet waren, also findet man hier ähnliche Bauelemente östlichen Einschlags wieder. Vorbilder waren Nepal und Tibet, wie die Designer berichten. Das ist passend, denn Thal ist eine Gebirgsstadt, die sich zwischen zwei Ausläufer des Einsamen Bergs schmiegt. „Es ist wie ein tibetisches Bergdorf in den Dolomiten“, sagt John Howe. Es wurde als eines der größten Sets real in Miramar, Neuseeland, erbaut und mit Statisten bevölkert: „…als spazierte man in einem orientalistischen Gemälde aus dem 19. Jahrhundert herum“, sagt John Howe.

(Stalingrad reloaded)

Dan Hennah, der Leiter des Produktionsdesigns, lenkt unseren Blick auf das Karussell, das die Kinder in einem der kleinen Höfe reiten. Es ist das Erzeugnis der zwergischen Spielzeugmacher. Wir sehen es vor und nach der Zerstörung durch den Drachen. Die Wirkung soll die gleiche sein wie die jener Brunnenplastik, die in Stalingrad tanzende Kinder zeigte – vor und nach der Zerstörung durch die monatelangen Kämpfe (S. 166/67). Von dieser Brunnenplastik gibt es ein berühmtes Foto, das hier aber nicht noch einmal abgedruckt ist.

Die Kostüme sollten prächtig, bunt und reich sein. Sie sind teils Byzanz, teils Tibet, teils Renaissance, jedenfalls unbestimmt, was ein konkretes Vorbild angeht. Es sollte so aussehen, als würde gerade ein Frühlingsfest gefeiert, was zu den zahlreichen Obstbäumen passt, die in und um Thal zu sehen sind.

Im Prolog zu „Der Hobbit 1“ wird der Flugdrache als erstes zerstört, als Smaug wie eine Naturkatastrophe über Thal hereinbricht. Der Drache ist ein Kinderspielzeug und dadurch ein Sinnbild für Unschuld. Smaug ist das genaue Gegenteil davon: „I am fire, I am death“, brüllt er am Schluss von Teil 2. Eine brennende Puppe belegt das Ergebnis seines Angriffs: Ein Feuersturm, wie er im 2. Weltkrieg in deutschen Großstädten durch Bomberflotten entfacht wurde, legte Thal in Schutt und Asche. Großflächige Gemälde voll Dramatik zeigen diesen Horror. Weitere Bilder stellen das farblose Grau und Schwarz der Ruinen dar. Eine Doppelseite (S. 180/181) zeigt das Vorher und das Nachher zum direkten Vergleich.

„Auf der Türschwelle „

Acht Seiten zeigen den Zugang zum geheimen Eingang. Eine in eine riesige Statue von Thror, die an einen Pharao erinnert, gehauene Treppe führt auf halbe Höhe des Einsamen Berges. Dieser ist im Grunde eine Kombination aus Matterhorn und Mount Hood (USA), musste aber fünf Ausläufer besitzen, denn diese sind auf Thrors Schatzkarte eingezeichnet.

„Der Hügel der schwarzen Magie“: Dol Guldur

Gandalfs Mission besteht darin, den Nekromanten aus seinem Versteck hervorzulocken und zur Rechenschaft zu ziehen. Schließlich ist er ein von den Valar persönlich geschickter Istari, der über die Mächte eines Maia und der Rings des Feuers, Narya, gebietet. Er hat daher keinerlei Furcht, schickt aber vorsichtshalber Radagast zu Lady Galadriel, die ihm ja Hilfe an jedwedem Ort versprochen hatte, sollte er in Not geraten.

In den labyrinthischen Gängen der verfallenen Elbenfestung stößt Gandalf auf Thrain, Thrors Sohn und Thorins Vater, der dem Nekromanten in die Hände fiel, nachdem er vor Smaug hatte fliehen können. Diese Seite (S. 201) ist das erste Mal, dass wir diesen Zwergenkönig zu sehen bekommen und er hat etwas von Gollum und dem verrückten Ben, dem Ausgesetzten auf Stevensons „Schatzinsel“. Er enthüllt Gandalf ein schreckliches Geheimnis: Der Nekromant ist ein Verbündeter Smaugs! (Thrain dürfte im Film wohl erst auf der Extended-Version der DVD zu sehen sein.)

Weil die Elbenkönigreiche noch stark sind, hat er seine Macht heimlich ausgeweitet und sich erst einmal den Düsterwald und das Nebelgebirge (Orkstadt) untertan gemacht. Selbst König Dain aus den nördlichen Eisenbergen will es nicht mehr mit Smaug und dem Nekromanten aufnehmen. Dementsprechend ist der Düsterwald ein fester Bestandteil der Burg, die wiederum „das ultimative Spukschloss“ (Alan Lee) darstellt. Gandalf geht durch Vegetation und steht plötzlich mitten im Burghof.

„Aus gut unterrichteter Quelle“: Smaugs Höhle

Endlich, ganz zum Schluss – der Rockstar dieser Oper: Smaug himself, „entsetzlichste Katastrophe unseres Zeitalters“ (Bilbo). Der Zugang zu seinem Höhlensystem ist wie der Zugang zu einer Pharaonenpyramide: eng, hoch und elend lang, mit kryptischen Zeichen bedeckt.

Ein Relief zeigt den Arkenstein, „das Herz des Berges“. Dieses Herz muss Bilbo finden. Peter Jackson war so schlau, den Zuschauer (und die Zwerge) im Unklaren darüber zu lassen, diesen Edelstein in Smaugs fand oder nicht. Für den Eingeweihten und Buchleser bildet dies zwar keinen Cliffhanger, für alle anderen aber schon. Sie müssen sich fragen: Wie geht die Suche nach dem Arkenstein in Teil 3 aus?

Erebor, das Königreich der Zwerge, ist immer noch weitgehend unzerstört. Es ist weitaus prächtiger als das geisterhafte Moria alias Khazad-dûm. Die Farbe ist chinesischem Marmor entnommen: dunkelgrün wie Jade, aber mit rotgoldenen Adern durchzogen (S. 206). Dan Hennah weist darauf hin, dass Smaug den Erebor-Zwergen nicht nur ihr Gold und ihr Zuhause stahl, sondern auch ihre Ahnen, ihre Vergangenheit, kurzum: ihre Identität. Die Hallen und Gänge waren voller Statuen aller Herrscher seit Durin und aller Helden. Man erinnere sich an Gimlis Trauer um Balin Fundins Sohn in der Grabkammer von Moria. Jeder Zwerg weiß, von wem er abstammt, seit den Tagen, da der Vala Aule diese Rasse heimlich schuf.

Smaug ist der Archetyp aller modernen Drachen. Dass der Blick des Drachen von ebenso tödlicher Tücke ist wie seine Stimme, weiß der Tolkien-Kenner seit der Lektüre des „Silmarillion“. Auf S. 212 richtet Smaug seinen Medusenblick wie einen Laserstrahl auf den unsichtbaren, aber wegen seiner Kleider als Zwerg riechbaren Bilbo. Ein hübscher Einfall, der nur hier zu sehen ist.

Smaugs Körper-Design war eine Gratwanderung: Wie viel Neues durfte man wagen, wie viel Altes würde Langeweile hervorrufen? Peter Jackson gab die Richtung vor: Story und Charakter sollten das Design bestimmen. Smaug ist das in der Höhle allgegenwärtige Böse, verschlagen, listig, ähnlich wie die Schlangen-Medusa in dem Remake von „Krieg der Götter“ vor wenigen Jahren.

Flügel und Krallen wurden von John Howe maßgeblich gezeichnet. Smaugs „Gesicht“ ist die eines verschlagenen Krokodils, das uralt ist und sich immer wieder häutet wie eine Eidechse. Thorins Nemesis ist der letzte und schrecklichste aller Drachen, und wurde kongenial im Computer erschaffen. Benedict Cumberbatch verlieh ihm Stimme und Mimik. Das lesenswerte Interview dazu findet sich in Sibleys „Filmbuch“ (siehe dazu meinen Bericht).

Sonstiges

Eine Doppelseite zeigt eine Landkarte, auf der die Produktionsstätten auf der Miramar-Halbinsel nahe Wellington verzeichnet sind. Die Begleitseite erklärt, was die einzelnen Firmen leisten. Eine weitere Doppelseite stellt Sammelartikel vor: Tauriel, ihre Dolche, Thranduil, Bilbo und Bombur in Fässern sowie eine „echte“ Pergamentkarte von Mittelerde.

Eine Liste der an diesem Buch Mitwirkenden ist nicht der Schluss. Es folgt eine doppelseitige Zeichnung Alan Lees, die Thranduils Kerker und den Fluss mit den Fässern zeigt. Signiert mit „Root 66″…. Auf der hinteren Innenseite des Einbands ist das Faltblatt mit dem Porträt des Bürgermeisters eingeklebt s. o.).

Der hintere Einband zeigt eine sehr schön gestaltete Actionszene, in der Tauriel auf fiese Gundabad-Orks anlegt, die es auf die Gefährten abgesehen haben.

Unterm Strich

Dies ist der erste von zwei Bänden der CHRONIKEN, mit denen jeweil ein Filmteil des HOBBITs gewürdigt wird. Der Band „Kunst und Gestaltung“ wird im Juni von „Waffen und Gewänder“ ergänzt. Es sollte sich daher keinen wundern, wenn entsprechende Aspekte im vorliegenden Band noch nicht ihre Berücksichtigung fanden. Außerdem baut Band III auf den beiden Vorgängerbänden zu Teil 1 des HOBBITs auf. Deren Kenntnis ist eine wertvolle Hilfe zum Verständnis der Inhalte.

Mich als Besitzer dieser gesuchten ersten beiden Bände freute es deshalb, dass die neuen Schauplätze von Teil 2 besondere Berücksichtigung fanden: Beons Haus, Düsterwald, Thranduils Palast, Seestadt, Thal und Erebor. Dass der Stadt Thal nicht weniger ein zehntel des Umfangs gewidmet ist, ist absolut verdient: Wir sehen ja so wenig von dieser schönen Kulisse, selbst in der Extended-Version von Teil 1.

Die beiden Konzeptdesigner und der Produktionsdesigner tragen immer wieder wertvolle Einsichten bei und verraten ihre Absichten bei der Gestaltung bestimmter charakteristischer Details für Schauplätze und Figuren. Die eigentlichen Ausführenden sind hingegen Zeichner, Computerillustratoren und nicht zu vergessen jene Darsteller, die für das Motion-Capture-Verfahren agierten, darunter Andy Serkis und Benedict Cumberbatch.

Die Qualität der grafischen Darstellung ist äußerst hoch und kann nicht höher gelobt werden. Es gibt in meinem Exemplar keinerlei Farbfehler oder gar Verschiebungen von Umrissen. Der Text, den eine Expertin in Sachen Tolkien übersetzt hat, ist ohne jeden Druckfehler und stimmt in allen Details – was man nicht von jedem Begleitbuch zum HOBBIT behaupten kann, siehe meine Berichte zu den Begleitbüchern zum 1. Teil des HOBBITs.

Dies ist ein echtes Sammlerobjekt, das seinen hohen Preis von knapp 30 Euronen wert ist. Leider ist es beim Verlag bereits wieder vergriffen, wie alle seine Vorgänger (und wohl bald seine Nachfolger). Wer kann, sollte es sich bald irgendwie irgendwo besorgen.

Unter allen Filmbüchern zu Peter Jacksons Tolkien-Filmen, die ich gesehen habe, nehmen die CHRONIKEN aufgrund ihrer schönen und doch soliden Machart eine Sonderstellung ein, von ihrer Informationsfülle ganz zu schweigen. Wer jedoch kein Fan ist, sollte die Finger davon lassen und sich lohnendere Beute suchen.

Gebunden: 227 Seiten plus Bürgermeister-Porträt zum Ausklappen
Originaltitel: The Hobbit: The Desolation of Smaug; Chronicles III: Art and Design, 2013; Aus dem Englischen von Cornelia Holfelder-von der Tann
ISBN-13: 978-3608960532

www.klett-cotta.de

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