Arnaud Delalande – Das Vermächtnis von Mont Saint-Michel

Vor fast einem Jahrtausend verschwand eine bedeutende Reliquie. Sie könnte einem kriminellen Kirchenfürsten den Weg auf den Papststuhl bahnen, weshalb dieser zwei Wissenschaftler, die sich ihm idealistisch in den Weg stellen, die Mafia auf die Hälse hetzt … – Einer jener Munkel-Thriller, deren Autoren im Kielwasser von Dan Brown nach Lesern fischen, die den Vatikan gern als Brutstätte uralter Geheimnisse und Intrigen sehen. Der Plot ist – freundlich ausgedrückt – unkompliziert und die Figurenzeichnung flach wie die sprichwörtliche Briefmarke, was die unfreiwillige Komik des Werkes nicht ausgleichen kann.

Das geschieht:

In der Krypta der Benediktinerabtei Mont Saint-Michel an der französischen Atlantikküste versteckt sich 1099 Ritter Hildebert von Ravelle. Einst war er als Kreuzfahrer für Papst Urban II. und König Philipp I. von Frankreich in Heilige Land gezogen, um die ‚heidnischen‘ „Muselmanen“ zu vertreiben. Die Grausamkeit der Kämpfe hat Hildebert in einen gebrochenen, kranken Mann verwandelt, der zudem vom König hintergangen und vom Papst vergessen wurde. Er verschweigt daher, was er aus Jerusalem fortschaffen ließ: die Menora, jenen siebenarmigen Leuchter, den Moses einst auf Geheiß Gottes anfertigte, ein Kunstwerk, das eine der kostbarsten Reliquien der Christenheit und der Juden darstellt. Stattdessen übergibt er den Schatz seinem Bruder Elvio, der ihn der Krypta verstecken soll. Nach dem Tod der Brüder gerät das Geheimnis der Krypta in Vergessenheit.

900 Jahre später taucht in den vatikanischen Archiven ein uraltes Bild auf, das dem Kunsthistoriker Itzhak Witzberg von einem alten Freund, dem Kardinal Leonardo Spinelli di Rosace, zur Begutachtung übergeben wird. Elvio hat es gemalt, um einen verschlüsselten Hinweis auf den verborgenen Leuchter zu hinterlassen. Das weiß Witzberg natürlich nicht, als er gemeinsam mit seiner Lieblingsstudentin, der angehenden Nonne Judith Guillemarche, zu ermitteln beginnt.

Ahnungslos hat Spinelli in ein Wespennest gestochen: Das Gemälde gehört eigentlich seinem alten Rivalen und Erzfeind Kardinal Angelico, einem zwielichtigen und gefährlichen Mann, der nicht nur mit Spinelli um die Gunst des moribunden Papstes Clemens XV. buhlt, sondern auch enge Kontakte zum Mafia-Fürsten Francesco Alfonsi unterhält. Dieser schickt seine Schergen aus, die Witzberg das Bild entwenden und den Kunsthistoriker töten. Doch seine Aufzeichnungen lagern bei Judith, die nun die Spur aufnimmt. Ihr zur Seite steht der fachkundige Professor Bertrand Contarine. Beide geraten sie ins Visier Agelicos, der zum Oberhaupt der Christenheit aufsteigen will, koste es, was es wolle – und sei es das Leben einiger gar zu neugieriger Wissenschaftler …

Absturz in die Mottenkiste

Wer hätte jemals gedacht, dass es zwei Männern, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, weil sie räumlich nicht nur ein Ozean, sondern kulturell sogar eine ganze Welt trennte, gelungen ist, einen eigenen Themenkreis der Unterhaltungsszene ins Leben zu rufen? Aber Umberto Eco, Verfasser von „Der Name der Rose“, und Stephen Spielberg, geistiger Vater von Indiana Jones, schufen beide auf ihre Weise und ziemlich zeitgleich die Quelle, aus der sich auch das vorliegende Werk speist. Spätestens seit Dan Brown 2000 die „Illuminati“ ihr Unwesen treiben ließ, ist die Welt bevölkert von allerlei geheimen Bünden, die über mystischen Schätzen aus dunkler Vergangenheit glucken.

An ihrer Spitze steht die (katholische) Kirche, eine Institution mit 2000-jähriger, höchst farbiger Geschichte und vielen Schattenseiten, die wie geschaffen ist, um wüstes Abenteuergarn daraus zu spinnen. Macht korrumpiert, und angemaßte Unfehlbarkeit reizt die skeptischen Zeitgenossen der Jetztzeit erst recht, nachdem sich mehr als einmal herausgestellt hat, dass nicht nur Politiker Lügenbolde und Heuchler sein können, sondern auch die Kirchenfürsten des Vatikans, die es eigentlich besser wissen und entsprechend handeln sollten.

Auch Armand Delalande bedient sich dieses Stoffs, aus dem triviale Träume sind. Nur rattert sein literarischer Webstuhl leider die meiste Zeit im Leerlauf. Die Ausgangsidee ist gut und wird gelungen entwickelt; das sollte eigentlich die halbe Miete für eine Geschichte sein, die sich um ein historisches Rätsel rankt. Aber sobald Delalande den Sprung in die Gegenwart wagt, wird es unerfreulich = platt. Das betrifft in erster Linie die Figurenzeichnung, die einem ausnahmslos die Tränen in die Augen treibt. Klischee reiht sich an Klischee, soll gar psychologische Tiefe suggerieren, was aber an keiner Stelle nur ansatzweise gelingt. Der Ärger darüber hält sich die Waage mit dem Erstaunen, wie konsequent der Autor in seinem Versagen ist: Wirklich keine Figur kann ihre Herkunft aus der Mottenkiste des Trivialen verhehlen.

Auch Flachsinn will gekonnt sein

Nun gut, dann werten wir „Das Vermächtnis von Mont Saint-Michel“ eben als leichte Entspannungs-Lektüre ohne Tiefgang! Klappt auch nicht, obwohl guter Trash sehr unterhaltsam sein kann. In unserem Fall springt die Kluft zwischen Wollen und Können etwas zu offensichtlich ins Auge. Delalande war klug genug, sich eng an realen politischen, wirtschaftlichen und juristischen Skandale zu orientieren, die in den Vatikan erschütterten.

Was er daraus gemacht hat, spottet jedoch jeder Beschreibung. Seine Unkenntnis der Mechanismen, die vor und vor allem hinter den Kulissen die Weltgeschichte bestimmen, wirkt wie ein Schlag ins Gesicht seines Publikums. Es ist nicht einmal die deutlich zu tiefe Verbeugung vor König Zufall, die ärgerlich stimmt. (Wie wahrscheinlich ist es beispielsweise, dass der Erzschurke die Nummern seiner Schmiergeld-Konten ausgerechnet auf jenem Gemälde verstecken lässt, das gleichzeitig den Weg zum siebenarmigen Leuchter aus der Bibel weist?) Zu deutlich erkennen selbst jene, die sich im Dickicht des Zeitgeschehens verirren, dass sich die Ereignisse, mit denen Delalande unterhalten will, so nicht abgespielt haben können. So etwas ist der Tod jedes Geschichtenerzählers!

Am Ende fällt diese Geschichte völlig auseinander. Während der mythenbefrachtete Leuchter über (allzu) viele Seiten vergessen in der Erde steckt, versucht Delalande unbeholfen ein Intrigenspiel um den Papstthron als spannenden Thriller zu inszenieren. Aus den genannten Gründen misslingt ihm auch das völlig. Die Action-Elemente (wenn man sie überhaupt so nennen darf) scheinen dem fadenscheinigen Höhepunkt einer billigen TV-Serie entlehnt worden zu sein. Selbstverständlich schaltet sich dann von Wolke Sieben eine höhere Macht in das lächerliche Finalduell zwischen dem Bösewicht und dem Über-Bösewicht ein. So plump wie hier hat man den HERRN und seine Sendboten seit den Tagen des Alten Testamentes nicht mehr walten sehen!

Konsequent missraten bis ins Finale

Aber der gute Neu-Papst setzt sich schließlich durch; er wird ändern, was falsch läuft in und mit der katholischen Kirche. Welche Missstände das sind, wissen wir genau, denn Delalande hat sie in dem (wieder einmal misslungenen) Versuch, seinem Historien-Thriller eine Botschaft einzuhauchen, lang und breit vor seinen missvergnügten Lesern ausgewalzt. Der Leuchter wird schließlich ausgebuddelt und kehrt – Halleluja! – nach Jerusalem zurück, wo bald die frommen Gesänge der darob (fast) geeinten Christenheit gen Himmel schallen – aber das ist eine ganz andere Geschichte, wie Delalande sehr richtig selbst bemerkt; zumindest mit dieser verschont er sein Publikum.

Was ist wann schiefgegangen mit diesem Roman? Er ist ein Erstlingswerk, das darf man nicht vergessen, und sein Verfasser noch recht jung. Mangelnde Lebenserfahrung wird leicht zum simplen Vorwurf. Hier lässt sich das Argument trotzdem nicht von der Hand weisen, denn gar zu eindimensional sind Delalande nicht nur seine Figuren, sondern auch die Handlung geraten. Das betrifft wie schon gesagt in erster Linie die in der Gegenwart spielenden Sequenzen, während die Rückblenden auf historische Ereignisse überzeugender wirken. Kein Wunder: Die Vergangenheit ist die Domäne weniger Spezialisten, während die Gegenwart den meisten Zeitgenossen immerhin so vertraut ist, dass sie instinktiv merken, wenn etwas nicht stimmt, ohne Delalandes Fehler und Versäumnisse beim Namen nennen zu können.

Wie der Klappentext vermerkt, arbeitet Arnaud Delalande hauptberuflich als Drehbuchautor. Insofern ist sein Debütwerk keine Empfehlung. Der stolze Romancier hat offensichtlich vergessen, dass sich formale und inhaltliche Schwächen in gedruckter Form nicht durch bunte Bilder und laute Musik übertünchen lassen. Das Ergebnis ist entsprechend: ein Historien-Thriller der (besonders) schlichten Art und damit eines jener Ärgernisse, unter denen sich die Abverkaufstische der Buchladenketten biegen.

Autor

Arnaud Delalande wurde 1971 in Lusaka, der Hauptstadt des afrikanischen Staates Sambia, geboren. Schon früh begann er zu schreiben, wobei er sich auf abenteuerliche, gern mysteriengetränkte Thriller in historischen Kulissen spezialisierte. Delalande schrieb auch für das Fernsehen und schreibt Szenarien für diverse Comic-Serien. Er lebt heute in Paris.

Taschenbuch: 334 Seiten
Originaltitel: Notre-Dame sous la Terre (Paris : Editions Grasset & Fasquelle 1998)
Übersetzung: Ingeborg Ebel
http://www.droemer-knaur.de

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