di Fulvio, Luca – Rache des Dionysos, Die

In seiner Heimat Italien hat Luca di Fulvio bereits einige Bücher veröffentlicht, unter anderem auch Kinderbücher. Sein erster deutscher Streich, „Die Rache des Dionysos“, möchte nicht so ganz zu dieser Tatsache passen. Der Thriller ist von einem Kinderbuch ungefähr so weit entfernt wie die Erde von der Sonne. Wer nun wissen möchte, ob di Fulvio eher bei der Lektüre für die Jüngeren oder bei der für die Älteren brilliert – nun, diese Frage kann nicht beantwortet werden, da di Fulvios Kinderbücher es bislang noch nicht bis nach Deutschland geschafft haben.

„Die Rache des Dionysos“ sollte allerdings lieber nicht in Kinderhand geraten, denn das Buch geizt nicht mit Blut und Leichen. Milton Germinal, junger und erfolgreicher Inspektor, wird zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Arbeitervorort Mignetta strafversetzt, nachdem man ihn beim Heroinkonsum ertappt hat. Tatsächlich ist er abhängig, was ihn das ganze Buch lang begleiten wird. Bereits am ersten Tag an seinem neuen Arbeitsplatz geht es rund. In einer Villa in der Nähe ist die Frau eines Aktionärs der Zuckerfabrik, die den meisten Leuten in der Mignetta Arbeit gibt, ermordet worden. Es war ein furchtbares Blutbad, Frau Neef ist buchstäblich zerfleischt worden.

Wer würde so etwas tun? Bei der Obduktion, die der Graf Noverre durchführt, der ohne Arme auf die Welt gekommen ist und nur dank seines Assistenten diesem Beruf nachgehen kann, finden sich weitere Auffälligkeiten. Doch bevor Germinal mit seinen unkonventionellen Ermittlungsmethoden wenigstens eine kleine Spur findet, wird eine weitere Frau ermordet, auch sie hat mit der Zuckerfabrik zu tun. Zur gleichen Zeit versucht ein Sozialist, die Arbeiter der Fabrik zu einem Aufstand zu bewegen, und es scheint, als ob seine Parolen auf fruchtbaren Boden fielen. Germinal, eigentlich ein gewissenhafter Ermittler, wird nicht nur durch seine Drogensucht beeinträchtigt. Zum einen freundet er sich mit dem Grafen Noverre an, der ihm tief in die Seele zu blicken weiß, und verliebt sich in die junge Tänzerin Ignés. Zu spät merkt er, dass all diese neue Bekanntschaften in eine alte Geschichte münden, die einen verheerenden Schaden anrichten könnte …

„Die Rache des Dionysos“ zeichnet sich durch seine düstere Atmosphäre und die lebendig gewordene Geschichte aus. Die Epoche der Industrialisierung wird sehr lebendig und pessimistisch dargestellt. Wenn man bedenkt, wie zu dieser Zeit riesige Moloche von Fabriken entstanden, wirken di Fulvios Schilderungen sehr authentisch, auch wenn er sich sicherlich sehr stark den finsteren Elementen dieser Zeit zuneigt. Dadurch gelingt ihm ein hervorragender Hintergrund für diesen spannenden Thriller, der die Lösung des Kriminalfalls lange nicht preisgibt und dann in ein fulminantes Finale mündet. Wie der Titel schon andeutet, gibt es innerhalb des Buches Referenzen zur griechischen Sagenwelt und natürlich dem Gott des Weines. Allerdings hält di Fulvio diese Stellen angenehm kurz und konstruiert auch keine komplizierte Analogie zu den alten Geschichten. Leser, die sich darauf freuen, tief in die Antike abzutauchen, werden daher enttäuscht. Der italienische Autor hat einen Thriller geschrieben, keinen historischen Roman, und das ist auch gut so.

Obwohl die Handlung gut konstruiert und packend erzählt wird, verlässt sich di Fulvio nicht darauf. Zusätzlich nehmen auch die Erlebnisse und Erinnerungen der fantastisch gezeichneten Figuren sehr viel Raum ein. Das ist nicht negativ, denn die Charaktere, die beinahe genauso düster sind wie der Grundtenor der Geschichte, sind tiefgehend gezeichnet, und jeder scheint ein dunkles Geheimnis zu besitzen. Dadurch erlangt der Roman weitere Spannung und wirkt vor allem sehr sorgfältig ausgearbeitet und konsistent.

Neben dem drogensüchtigen Germinal sticht vor allem der Graf Noverre hervor. Dank seiner ungewöhnlichen Behinderung ist er von vornherein ein interessanter Charakter mit einer sehr eigenen Persönlichkeit. Der Autor schafft es, dem Leser eindringlich zu vermitteln, welche Grenzen einem Menschen gesetzt sind, der ohne Arme geboren wurde. Dabei wird di Fulvio nie pathetisch, sondern behandelt seine Romanfigur mit großem Respekt. Diesen sollte auch der Leser aufbringen, spätestens, wenn er Noverres Lebensgeschichte erfährt. Mehr oder weniger geschickt hat der Autor diese in einem Extrateil aufgeschrieben. Dieser hängt nicht mit der eigentlichen Geschichte zusammen, ist aber wichtig, damit man die Hintergründe des Mörders und dessen Motiv versteht. Auf den ersten Blick wirkt es sicherlich ungewöhnlich, dies nicht direkt in die Geschichte zu packen; bedenkt man jedoch, wie oft Thriller durch die Ausschlachtung von Vergangenem langweilig oder unrealistisch werden, kann man Luca di Fulvio nur loben.

Am Schreibstil gibt es ebenfalls nichts zu meckern. Der Autor schreibt flüssig und sauber mit einem historisch anmutenden Unterton. Er begeht allerdings nicht den Fehler, den einige andere historische Autoren machen, indem er zu geschwollen oder zu erhaben wird.

„Die Rache des Dionysos“ ist ein literarisch ansprechendes, aber den Leser nie überforderndes Buch, das seine düstere Atmosphäre gut zu transportieren weiß. Die Handlung ist fesselnd, die Figuren sind lebensnah und abwechslungsreich. Kinderbücher hin oder her – für Erwachsene kann Luca di Fulvio schreiben. Das hat er hiermit bewiesen!

|Originaltitel: La Scala Di Dioniso
Aus dem Italienischen von Petra Knoch
571 Seiten, Taschenbuch|

http://www.bastei-luebbe.de

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