Die Grenzgängerin. Interview mit Andreas Eschbach zu AQUAMARIN

Michael Matzer unterhielt sich auf der Frankfurter Buchmesse 2015 mit Andreas Eschbach über dessen jüngsten Roman AQUAMARIN.

Frage: Von der Wüste an den Ozean, und rund 140 Jahre in der Zukunft. Heißt das nun: Die Zukunft der Menschheit liegt im Meer?

Eschbach: Auf jeden Fall ist das Meer ein noch ziemlich unerschlossener, unbekannter Raum. Darauf hat uns ja vor einiger Zeit auch Frank Schätzing sehr prägnant aufmerksam gemacht. Und ehe man so Projekte angeht wie „Wir besiedeln den Mars“, wäre es vielleicht sinnvoll, sich mal zu überlegen, ob es nicht gescheiter wäre, erst einmal ein paar Städte auf dem Meeresgrund zu bauen. Ist nicht so weit weg und auch nicht so strapaziös, was den Transport und die Umweltbedingungen anbelangt. Und selbst die Antarktis zu besiedeln wäre weniger aufwendig als den Mars.

Na ja, und dann schwebt mir natürlich auch immer noch dieser alte Prolog aus „Raumpatrouille“ durch den Kopf: „Wir schreiben das Jahr 3000, der Meeresboden ist als Lebensraum erschlossen.“

Frage: Wow! Da wäre ich jetzt nicht drauf gekommen. Du bist ein Liebhaber von „Raumpatrouille“?

Eschbach: Ja. Die tollste Science-Fiction-Serie aller Zeiten. Da kommen alle anderen nicht ran.

Frage: Fehlt nur noch der Rücksturz. – Du erwähnst da Methanfabriken, am Rand des Kontinentalschelfs. Das kommt ja auch bei Schätzing vor, im „Schwarm“. Die Sache mit den Methan ….

Eschbach: Das ist Methankondensat. Das ist Methangas, das dort in einer Art halbfestem Zustand unter dem hohen Druck sitzt und im Prinzip eine Zeitbombe ist. Gut, darauf gehe ich in dem Buch nicht weiter ein, denn es geht um etwas anderes.

Frage: Methan ist ein Ozonkiller.

Eschbach: Ja, ja. Klar. Aber nicht, wenn man es vorher verbrennt. Dann ist es ein Kraftstoff.

Frage: Man muss aber an das Methan erst einmal herankommen. Mit den entsprechenden Unterwasserfabriken …..

Eschbach: Na ja, warum sollte es nicht gehen? Heutzutage bohren sie in 1000 Meter Tiefe mit ganz langen Rüsseln, die sie da runtersteuern. Ob man da jetzt Öl anbohrt oder Methan, ist eigentlich egal.

Frage: Okay, aber in 150 Jahren ist auf jeden Fall das Meer irgendwie ein Raum für Ausbeutung, für Ressourcen. Momentan, also im ersten Band der AQUAMARIN-Reihe, wird noch nicht erwähnt, wer das jetzt alles verteilt hat. Also irgendwelche Konzerne tauchen da auf in der Handlung, die haben das alles unter sich. Und Thawte hat auch seine Finger drin.

Eschbach: Also, in der Welt von AQUAMARIN gibt es diese Konzernzonen. Das heißt, wenn man dort lebt, dann ist man nicht Bürger beziehungsweise Vertragspartner einer Zone, in der sich eine bestimmte Lebenshaltung herausgebildet hat, sondern man ist dann quasi Angestellter dieser Konzerne und lebt in dem Territorium, das dieser Konzern zugeteilt bekommen hat und verwaltet. Und man ist an dessen Regeln gebunden. Die Welt, die ich schildere, ist eine sehr vielfältige Welt, in der es alle möglichen Lebensweisen nebeneinander gibt, und jeder Bürger hat das Recht, dort hinzugehen, wo er Gleichgesinnte findet, um dort aufgenommen zu werden.

Frage: Der kann aber auch wieder rausgeschmissen werden?

Eschbach: Der kann rausgeschmissen werden. Das wird an einer Stelle kurz angedeutet, dass es den sogenannten Bürgervertrag gibt. Wann du in einer Zone geboren bist, musst du, wenn du volljährig bist, so einen Vertrag schließen. Das heißt, einen Vertrag zwischen dir und der Gemeinschaft, in dem die Regeln, Rechte und Pflichten genau festgelegt sind. Das ist die Grundlage. Und wenn man gegen diesen Vertrag verstößt, kann dieser Regelungen hinsichtlich dessen enthalten, was dann mit dir geschieht, beispielsweise Bestrafung oder eben Verbannung.

Frage: Damit kommen wir jetzt auf das Problem, dass Saha in sich entdeckt oder in ihrem Leben oder in ihrem Körper, je nachdem, wie man es haben möchte. Sie ist ein Mischwesen. Sie gehört weder zur menschlichen Rasse noch zur anderen Rasse, was auch immer das sein mag.

Eschbach: Ja, gut, insoweit es ein Mischwesen geben kann zwischen zwei Spezies. Ich weiß nicht, was Biologen genau dazu sagen.

Frage: Nennen wir es einfach mal „genmanipuliertes Wesen“.

Eschbach: Das ist sie auf jeden Fall, denn es stellt sich schließlich heraus: Sie ist das Kind eines genmanipulierten Wesens, eines Menschen, der unter Wasser lebt, und eben ihrer menschlichen Mutter. Und sie ist zwischendrin und kann beides. Was die absolute Ausnahme ist. Sonst geht nur „entweder oder“, und man kann ein bisschen die Luft anhalten. Beziehungsweise die Submarines, die können ein bisschen das Wasser anhalten….

Das wird in künftigen Bänden das Spannungsfeld zwischen Menschen und Submarines sein. Das ist das Thema, ebenso die Rolle, die Saha dabei als Vermittlerin und Botschafterin hat. Aber im Moment, also in Band 1, ist ihr Problem, dass sie in dieser Zone rund um Seahaven lebt, einer neotraditionalistischen Zone. Genmanipulationen, die nicht der Krankheitsbeseitigung dienen, sind hier verboten. Der Verdacht, den sie hegt, ist der, dass sie ohne ihr Wissen genetisch manipuliert worden ist, und in diesem Fall hätte sie kein Bleiberecht in der Zone. Und zwar unabhängig von ihrem Alter.

Frage: Das ist ja genau das Spannende an der Geschichte.

Eschbach: Deswegen versucht sie es erst einmal zu verheimlichen, kann dann aber der Faszination ihrer neuen Fähigkeit nicht widerstehen.

Frage: Ich habe mich gefragt, ob du nicht ein paar ethische Fragen aufwirfst – so ganz im Hintergrund, wo sie fast aus dem Blickfeld verloren gehen. Du schreibst nämlich zum Beispiel, dass die Neotraditionalisten so eine ambivalente eigene Wahl haben, was jetzt andere Lebewesen anbelangt, die nicht menschlich sind. Sie möchten, sagen sie, andere Lebewesen verschonen, haben aber trotzdem sämtliche Schlangen ausgerottet. Also, das ist eben dann doch heuchlerisch, oder?

Eschbach: Das waren aber nicht die Neotraditionalisten. Das ist nach den Energiekriegen passiert, im Zusammenhang mit der Erschließung des Meeres, dass man gesagt hat: Es gibt rund um Australien so viel gefährliches Meeresgetier, das müssen wir jetzt alles mal dezimieren. Das waren, wie gesagt, nicht die Neotraditionalisten, sondern etwas, was davor stattgefunden hat.

Frage: Danke für die Korrektur. Meine nächste Frage bezieht sich natürlich auf die Genmanipulation. Ist die denn ethisch gerechtfertigt?

Eschbach: Die Neotraditionalisten rechtfertigen das und sagen: „Okay, wenn es ein Einzelfall ist, in dem eine Erbkrankheit zu beseitigen ist, dann kann man es genehmigen.“ Aber generell sind sie dagegen, vor allem weil sie Missbrauch befürchten, der in anderen Zonen offenbar stattfindet. Es kursieren Gerüchte, dass es Leute mit Federn statt Haaren geben soll, mit blauer Haut und Katzenohren und Schuppen und so weiter. Wobei sich die Frage stellt, was stellt so eine Änderung dar? Nehmen wir gerade so was wie Katzenohren.

Frage: Relativ unauffällig.

Eschbach: Ja. Aber das kann man ja nicht an sich selber machen, sondern nur an einem Kind, das man aber vorher nicht fragen kann. Und genau das wird eben als unmoralisch betrachtet und ist es sicherlich auch, weil das Kind mit der Entscheidung seiner Eltern leben muss, an dieser Stelle in den natürlichen Lauf der Dinge einzugreifen.

Frage: Du bietest ja den Lesern mehr oder weniger an, sich mit Saha zu identifizieren. Das ist der Sinn eigentlich jeder Geschichte, die eine Heldin oder einen Helden hat. Sie entdeckt, dass sie genmanipuliert ist. Und nun muss sie entscheiden, ob das gut oder schlecht ist. Diese Entscheidung trifft eigentlich ihre Umwelt: weil sie dann nämlich rausgeworfen wird, und ihre Tante gleich mit dazu. Dass es aber auf der anderen Seite vielleicht gut ist für die Menschheit. Weil sie dann nämlich die Vermittlerin sein kann.

Du beschreibst ja öfter Grenzgänger, Jugendliche, die eine besondere Fähigkeit habe, wie zum Beispiel in „Perfect Copy“. In einem anderen Roman gibt es jemanden, der sich vielleicht unsichtbar machen kann. Aber auch in „Kelwitts Stern“ gibt es mit dem Alien Kelwitt einen Grenzgänger. Das ist schon ein immer wiederkehrendes Motiv. Warum?

Eschbach: Weil es interessant ist. Eine Geschichte muss ja von der Ausgangssituation interessant genug sein, dass sie mich ein Jahr lang fesseln kann und mich auch durch die Phasen trägt, in denen man sich sagt: „Oh, hätte ich nur was anderes geschrieben als das, was ich angefangen habe!“ Und da sind einfach die, die anders sind als andere, interessant. Wobei es nicht nur solche Helden gibt. Ich habe ja auch Bücher geschrieben mit Jedermann-Figuren – was weiß ich, Fontanelli, aus »Eine Billion Dollar«, der keinerlei besondere Eigenschaften hatte. Oder Mark Westerman in „Ausgebrannt“. Alles relativ normale Typen.

Frage: …mit denen man sich auch identifizieren kann, denen aber etwas Besonderes widerfährt?

Eschbach: …denen etwas Besonderes widerfährt. Aber die darauf dann reagieren, wie die meisten von uns mehr oder weniger reagieren würden.

Frage: Wie würdest du dich verhalten, wenn…

Eschbach: Da sind wir bei der Frage, was wäre wenn? Das kommt entweder von außen oder es kommt von innen. Aber es muss ein „Was wäre wenn?“ daherkommen, erst dann beginnt die Geschichte. Das ist in dem Fall von AQUAMARIN die Frage: Was wäre, wenn jemand unter Wasser atmen könnte wie Saha…?

Herzlichen Dank für das Gespräch.