Karl Heinz Ohlig / Gerd R. Puin (Hg.) – Die dunklen Anfänge. Neue Forschungen zur Entstehung und frühen Geschichte des Islam

Über die Zeit Mohammeds ist historisch fast überhaupt nichts bekannt. Neuere Islamforscher stoßen derzeit allerdings auf eine recht unerwartete Sicht der frühen Entwicklungsgeschichte des Islam. So gehen sie derzeit davon aus, dass es einen historischen Mohammed in der Form, wie er später im Koran festgehalten ist, überhaupt nicht gegeben haben könnte. Sie gehen stattdessen davon aus, dass „Muhammad“ die arabische Bezeichnung für Jesus war, der später durch die Verehrung eines „Ali“ („Erhabenen“) abgelöst wurde. Da Jesus nach dem Koran nicht am Kreuz gestorben ist, hat er nach seiner Entrückung die Funktion eines „Verborgenen Imams“.

Mohammed („der Bevollmächtigte“, „der Gepriesene“, „der Erwählte“) ist der Jesus, mit dessen jederzeitigem Erscheinen die Araber zu dieser Zeit noch fest gerechnet haben. Erst im 8. und 9. Jahrhundert wurde Mohammed zu einer eigenständigen Gestalt gemacht, mit Mekka und Medina verbunden, um eine arabische Identität herzustellen. Die ältere Ali-Verehrung wurde zunächst wieder zurückgedrängt, lebt aber heute noch in den schiitischen Strömungen fort. Die Weiterentwicklung des Muhammedanismus erforderte die Bildung einer Paarung, welche die Verkündigung und ihre Umsetzung repräsentiert. Dem Erwählten (muhammad) wird ein Erhabener (Ali) beigesellt, welcher der Bevollmächtigte des Propheten und Exekutor seines Willens ist.

Mit Ali sind die altsyrischen Märtyrervorstellungen verknüpft, und jeder Ali wird ebenso zum Märtyrer wie auch seinen Nachkommen das Martyrium nicht erspart bleibt, denn das Fortwirken der Vorstellungen des Kults der syrischen Märtyrer muss auch für ihn und seine Familie das Erdenleben in einer Katastrophe enden lassen. Nach dieser Erfahrung ist auch das Ende des historischen Alis und seiner männlichen Nachkommen vorhersehbar.

Der überlieferte Koran scheint wenig mit einem wirklichen Mohammed zu tun zu haben, stattdessen gab es lange vor Mohammed eine Art von Urkoran mit Hymnen aus einem arianischen Milieu. Der Koran ist in einem arabisch-syroaramäischen Sprachumfeld entstanden und seine grammatische Struktur entspricht durchweg der syrischen. In dieser Frühgeschichte waren es sogar eigentlich Christen, die im Nahen Osten lebten. Kulturell am wichtigsten waren hierbei der Iran und Syrien, wo die Staatsform immer noch der zoroastrische Feuerkult war, aber die Bevölkerung mehrheitlich als Religion bereits das Christentum angenommen hatte. In diese Zeit werden später rückführend Mohammed und Medina integriert, der 622 nach Christus einen die muslimischen und jüdischen Stämme der Oase zusammenfassenden Staatenbund errichtete, für den er die erste schriftliche Staatsverfassung der Welt erließ. Damit beginnt die islamische Zeitrechnung. Dieser Staat war revolutionär, weil er erstmals in der Weltgeschichte die Staatsangehörigkeit nicht an Kriterien wie Sippe, Rasse, Hautfarbe oder Sprache knüpfte, sondern allein an ein religiöses Bekenntnis. Medina war insofern ein ideologischer Staat.

Die Menschen sprachen allerdings noch aramäisch; wichtig war zu dieser Zeit eigentlich Syrien, wo sich in Damaskus die Heilige Stätte des Johannesgrabes befand. Das Heiligtum Johannes‘ des Täufers befand sich in einer Krypta im ehemaligen Tempelbezirk. Dort wurde in einem Korb die Reliquie des Täuferhauptes verwahrt. Johannes der Täufer stand als Prophet in hohem Ansehen bei den Arabern und seine Krypta stand als Konkurrenz zur Grabeskirche in Jerusalem. An religiösen Gegenkräften standen sich in dieser Zeit hauptsächlich auf der einen Seite die nestorianischen und arabischen Christen Irans und auf der anderen Seite die griechisch-römische Christenheit gegenüber – nicht, wie in den Geschichtsbüchern behauptet, arabisch-islamische Eroberer gegen byzantinisch-christliche Kaiser. Es handelte sich gänzlich um einen Religionskrieg zwischen den orientalischen Anhängern eines semitischen Verständnisses vom Christentum und den Vertretern der hellenistischen und römischen Sonderentwicklung.

Wie eingangs schon dargestellt, war die neue religiöse Bewegung unter der Fahne mit dem „muhammad“-Motto lediglich das Fortwirken der syrischen Theologie eines spezifischen Christentums. Der Islam, wie er als solcher dann verstanden wurde, ist das Werk von Al-Ma`mun (749). Dieser Imam traf mit Gnostikern zusammen. Selbst zu seiner Zeit bezog man den Terminus „muhammad“ noch auf Jesus: „Unser Prophet Jesus-Mohammed ist auserwählt/gepriesen“. Erst 839/840 nach dem Zerfall der Bewegung, welche für die Durchsetzung eines Verständnisses von Jesus als dem „erwählten / gepriesenen Gottesknecht“ stand, wird die Vorstellung von einem „Muhammad bn `Abd Allah / der Gepriesene, Sohn des Gottesknechtes“ als eines Gesandten Allahs im Rahmen einer neuen, staatsreligiösen Ausrichtung des Verständnisses von Islam verkankert.

Der Felsendom von Jerusalem wird als das früheste islamische Bauwerk betrachtet (694 n.Chr.), aber die Übersetzung der Inschriften richtet sich ausschließlich an Christen, die seit dem Konzil von Nizea (325) eine andere Auffassung von Christus vertreten. Es entspricht dem vornizenischen syrischen Christentum, das nicht, wie es heute meist heißt, judenchristlich war, sondern zutreffender syrisch-arabisches Christentum darstellte. Auch hier war das Gerundiv „muhammad“ kein Eigenname, sondern als Eulogie in Gebrauch: („gelobt sei“) Jesus, Sohn der Maria. Geht man aber davon aus, dass es bereits 570 bis 632 den historischen Mohammed gegeben haben sollte, so bestätigen das die Inschriften im viel späteren Felsendom nicht. Also wäre der historische Mohammed nur als Symbolfigur anzusehen.

Die Textanalyse der Inschriften zeigt außerdem sehr deutlich, dass mit dem Begriff „islam“ kein Eigenname, sondern die „Übereinstimmung“ mit der Schrift gemeint ist. Da nach dem christologischen Inhalt das Evangelium gemeint ist, und nicht der Koran, bestätigt sich erneut die Vermutung, dass der historische Islam frühestens ab Mitte des 8. Jahrhunderts entstanden ist. Der vorher schon vorhandene Koran war ein Buch des syrisch-arabischen Christentums. Und gesprochen wurde dort seit rund 1000 v. Chr. Aramäisch, das auch noch Jesus‘ Muttersprache war. 600 Jahre vor Christus entstand der Zoroastrismus (Zarathustra).

Syrien ist kein homogener ethnischer und kultureller Raum. Vor allem der Hellenismus hat seit den Eroberungen Alexanders des Großen tiefe Spuren hinterlassen, auch kommen starke Einflüsse der persischen Kultur hinzu. Westsyrien dagegen gehörte schon in vorchristlicher Zeit, dann in der römischen Kaiserzeit und bis zur Zeit des Kaisers Heraklios zum Römischen Reich. Ungeachtet all dieser Einflüsse prägten die syro-aramäische Tradition, Denkweise und Sprache die Grundströmung dieses Raumes. In Syrien konnte das Christentum schon früh Fuß fassen. Ein beträchtlicher Teil der neutestamentlichen Schriften ist in Syrien entstanden. In Antiochien, dem späteren kulturellen Zentrum Westsyriens, wurden die Anhänger Jesu erstmals als Christen bezeichnet.

In dieser frühen Zeit waren vor allem noch gnostische Richtungen beheimatet: Der Markionitismus ist ab dem Ende des 2. Jahrhunderts in Syrien sehr verbreitet. Auch die „Oden Salomos“ und das gnostische Thomasevangelium sind im 2. Jahrhundert in Syrien entstanden, ebenso das Perlenlied in den apopkryphen Thomasakten, wahrscheinlich auch das Phillipusevangelium. Auch die beiden „Bücher des Jeu“, in denen Seth eine herausragende Rolle spielt, wie überhaupt die sethianische Gnosis und die mit ihr verwandte Barbelo-Gnostik (im „Apokryphon des Johannes“ überliefert), sind diesem Raum zuzuordnen. Ganz sicher gilt das auch für die im Irak und Iran entstandenen Mandäer (von manda, Gnosis). Diese benutzten zunächst die Selbstbezeichnung Nazoräer und werden im Koran Sabier genannt. Der Manichäismus ist im 3.J ahrhundert in Persien entstanden.

In Syrien konnte also das Konzil von Nizäa nie richtig Fuß fassen. Noch im 5. Jahrhundert gab es unter den syrischen Christen weder Mönchstum noch Zölibat und sogar die Oberhäupter der syrischen Kirche waren verheiratet. Erst im 6. Jahrhundert änderte sich dies. Die Verurteilung des Nestorius auf dem Konzil von Ephesus 431 hat die syrische Kirche nicht mitgetragen.

Der wichtige Unterschied aber zum Konzil von Nizäa ist, dass in der aramäisch-syrischen Kirche Jesus zwar „Gottessohn“, aber dennoch nur Mensch ist. Der Gottessohntitel ist lediglich ein Würdename – einer unter vielen –, kein Seinsbegriff wie in Nizäa, sondern heilsgeschichtlich verstanden. Es hat sich eingebürgert die Kirche im Sassanidenreich nach dem Konzil von Ephesus als „nestorianisch“ zu bezeichnen. Jesus ist hier kein Gott, sondern Mensch, die Trinitätslehre Gott, Jesus und Maria (bzw. Heiliger Geist) wird abgelehnt. Jesus ist entrückt und seine Stellvertreter (Mohamed/Ali) übernehmen seine Rolle.

All das besagt auch der Koran. Lediglich der Kreuzestod wird im Koran bestritten; reicht das aus, um daraus ein islamisches anstatt nichtchristliches Buch zu machen? Aber selbst in der syrischen Kirche bewährte sich der Geist Gottes in Jesus |bis| hin zum Tod am Kreuz (nicht: |durch| den Tod). Von allen Christen ist gefordert, es ebenso zu tun. Die meisten theologischen Aussagen aus dem Koran – zur Gottesvorstellung, zur Christologie und Eschatologie – stammen aus syrisch-christlichen Traditionen. Aber man kann nicht sagen, der Koran sei antiochenisch oder nestorianisch, aber er ist von der syrischen Theologie geprägt. All das sind spannende Thesen und werfen ein völlig neues Licht auf den Islam.

Literaturgrundlage

Ohlig, Karl Heinz / Puin, Gerd R. (Hg.)
„Die dunklen Anfänge. Neue Forschungen zur Entstehung und frühen Geschichte des Islam“
406 Seiten, Hardcover,
Verlag Hans Schiler
10/2005
ISBN 3899301285
ISBN-13: 9783899301281

Mehr Info:

http://de.wikipedia.org/wiki/Islam
http://de.wikipedia.org/wiki/Mohammed__%28Prophet%29
http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte__Syriens
http://de.wikipedia.org/wiki/Koran