Dolores Redondo – Das Echo dunkler Tage

Das geschieht:

Elizondo ist ein Dorf in der nordspanischen Provinz Navarra. Es liegt im Tal von Baztán nicht weit von den Pyrenäen entfernt in einer noch immer abgeschiedenen, mit dichten Wäldern bestandenen Region. Die Menschen hängen an alten Sitten und Bräuchen. Man ist zwar fromm, glaubt aber vorsichtshalber auch an eher heidnische Geschöpfe und Geister wie den „Basajaun“, einen Waldmenschen, der ein Auge auf die Natur hält und Waldfrevlern oder Wilderern die Leviten liest.

Der Basajaun gilt deshalb zumindest den Einheimischen als Verdächtiger, als im Tal mehrere junge bzw. frühreife Mädchen ermordet aufgefunden werden. Die Leichen sind entblößt und wurden bizarr inszeniert. Amaia Salazar, Inspectora der Mordkommission in Pamplona, geht dennoch von einem menschlichen Serienkiller aus. Ihr wurde der Fall übertragen, weil sie in Elizondo geboren ist und Land wie Leute kennt. Die Familie Salazar lebt weiterhin in dem Dorf, das Amaia nur selten besucht, da sie verwischte aber hässliche Erinnerungen an eine unglückliche Kindheit plagen.

Die Indiziendecke ist dünn, denn der Mörder verwischt seine Spuren systematisch, obwohl er die Kontrolle über seinen Trieb zu verlieren scheint: Immer kürzer werden die Abstände zwischen den Morden. Die Medien heulen, Amaias Vorgesetzte drängen auf Resultate. Da bei allen Leichen Tierhaare gefunden wurden, lässt Amaia prüfen, ob ein Bär – diese Tiere gibt es in den Pyrenäen noch – als ‚Täter‘ in Frage kommt.

Da schlimmer bekanntlich immer geht, muss Amaia entdecken, dass Mitglieder ihrer Familie in den Fall verwickelt sind. Da ist Ex-Schwager Freddy, der mit einem der Opfer ein Verhältnis hatte. Auch Schwester Flora benimmt sich eigenartig. Zu allem Überfluss fällt Amaia nach und nach wieder ein, wieso sie Elizondo nicht mag; sie muss sich eingestehen, dass sie einer verdächtig dysfunktionalen Familie entstammt …

Krimis und Familienkrisen

Den Ermittlern mit privaten Problemen, die in ihrer Intensität mindestens dem gerade übernommenen Fall entsprechen, gehört die heutige Krimi-Welt. Dies kann man positiv sehen, da Ermittler auch Menschen sind und sich anders als Sherlock Holmes und seine auf die Kriminalistik limitierten Kollegen mit Familien, Freunden und Feinden herumschlagen müssen. Leider degeneriert der durch Zwischenmenschliches durchaus bereicherte Kriminalroman allzu häufig zur Seifenoper, für die Partnerprobleme, Familienkrach u. a. Bedrängnisse dramatisch aneinandergereiht werden. Das eigentliche Verbrechen geht darin oft unter.

Auch Dolores Redondo kann in ihrem ersten Kriminalroman der Verlockung nicht widerstehen. Wo gleich drei charakterlich unterschiedliche Schwestern (plus eine esoterisch aufgeladene Tante) aufeinandertreffen, ist eine Menge schmutziger Familienwäsche zu waschen. Die Autorin geht davon aus, dass ihr Publikum dies ebenso faszinierend wie die Suche nach einem Serienkiller findet. Das ist ein Irrtum bzw. trifft eben nicht auf die gesamte Leserschaft zu. Glücklicherweise konzentrieren sich die familiären Kabbeleien so, dass die entsprechenden Seiten problemlos übersprungen werden können.

Dieses Bockspringen lohnt sich, da Redondo jenseits endloser „Du-bist-schuld-dass“-Debatten bei Rotwein und baskischen Häppchen eine spannende Krimi-Handlung gelingt. Das nordspanische Bergland bildet eine interessante Kulisse, die Redondo bis ins Detail recherchiert hat. Auf ihrer Website zeigt sie Fotos von dörflichen Straßenzügen und Landschaftsaufnahmen, die einen guten Eindruck vom Baztán-Tal vermitteln.

Der Anbruch neuer Zeiten

Die Konfrontation von Tradition und Moderne birgt weiteres, gern genutztes Konfliktpotenzial. Jenseits der touristisch vermarktbaren Idylle war und ist das Leben schwer im Tal von Baztán. Auf der einen Seite hält man zusammen. Die Nähe zum Nachbarn bedingt freilich Streitigkeiten, die nicht selten generationsübergreifend währen. Zwar bringt die ins Tal drängende Außenwelt Einkünfte, doch dafür geraten etablierte Regelwerke und Werte allzu schnell ins Wanken.

Als Wanderer zwischen den Welten ist Amaia Salazar das Radar für diese Veränderungen. Sie hat sich von den Einschränkungen befreit, die mit der nur scheinbaren Dorfidylle einhergehen, und führt in der Fremde ein selbstbestimmtes Leben. Was sie gewonnen hat, vermitteln ihr gern und vorwurfsvoll die Schwestern. Flora und Rosaria haben den Absprung nicht geschafft. Zwar haben sie beruflich ihr Glück gemacht, sind jedoch privat in tief ausgefahrenen Familienpfaden gefangen.

Die Entdeckung, dass ein Serienmörder ein Mitglied der Talgemeinschaft ist, sorgt unweigerlich für eine Verschärfung ohnehin schwelender Konflikte. Hinter verschlossenen Türen hüten die guten und weniger guten Menschen von Baztán viele Geheimnisse. Die polizeilichen Ermittlungen drohen Aufdeckungen an, deren Folgen lange nachwirken werden, selbst wenn der Mörder längst verurteilt ist. Deshalb wird Amaia Salazar nicht gerade mit offenen Armen empfangen.

Der Mystik eine Bahn!

Das Tal von Baztán hat viele Sagen und Legenden hervorgebracht. Noch heute sind sie bekannt, auch wenn ihnen offiziell längst kein Glauben mehr geschenkt wird. Autorin Redondo meint dies ändern zu müssen und wagt sich dabei eigentlich unnötig auf dünnes Eis. So trifft Amaia Salazar im Laufe ihrer Nachforschungen nicht nur auf den leibhaftigen Basajaun, sondern auch auf die Naturgöttin Maya, die eigentlich für die Fruchtbarkeit gebärfreudiger Frauen zuständig ist, sich hier aber hilfreich in die Ermittlung einschaltet, um der Inspektora einige Tipps zu geben.

Weiterhin haben die Salazar-Schwestern und ganz besonders Amaia das Zweite Gesicht, woran Esoterik-Tante Engrasi nicht müde wird zu erinnern. Deshalb werden Entscheidungen gern unter Einsatz von Tarot-Karten getroffen. Dies schafft eine schwurbelige New-Age-Ebene, die sich mit der Sachlichkeit der Krimi-Handlung beißt.

Redondo ist sichtlich bemüht, Lokalgeschichte, Folklore und Moderne harmonisch zu verknüpfen. „Das Echo dunkler Tage“ ist nicht ‚nur‘ Kriminalroman, sondern auch Auftakt einer Romantrilogie, deren gemeinsamer Handlungsort das Tal von Baztán sein wird. Deshalb dürfen wir erwarten, hautnah mit weiteren historischen Tatsachen, aber auch mit Mythen konfrontiert zu werden. Redondo behandelt ‚ihr‘ Tal offenbar wie eine Blase, in der das 21. Jahrhundert nur punktuell begonnen hat.

Das (Polizisten-) Leben ist hart

Davon ausgeschlossen ist der Polizeialltag. Ihn fasst die Autorin in nüchterne Worte, die ihr besser gelingen als das Baztàn-Panorama. Eine Mordermittlung ist harte Arbeit, die von Sackgassen und Rückschlägen geprägt wird, während der Täter womöglich seine nächste Untat vorbereitet. Daraus resultieren die üblichen Querelen, die Redondo angenehm zurückhaltend beschreibt. Die geifernde Presse wird erwähnt, bleibt aber im Geschehen außen vor.

Nicht verzichten mag die Autoren auf dienstinterne Streitigkeiten. Natürlich musste sich Amaia Salazar als Frau doppelt und dreifach bewähren, um ihren hohen Rang zu erreichen. Ebenso selbstverständlich hat sie männliche Neider, denen ihr Geschlecht und ihre Tüchtigkeit als Ablehnungsgründe dienen, was in einer Nebenhandlung weidlich ausgewalzt wird. Die weiblichen Leser mögen sich als Ausgleich am Göttergatten James erfreuen, der seiner Amaia rücksichtsstark und selbstlos in allen beruflichen und privaten Schwierigkeiten zur Seite steht und darüber hinaus ein toller Liebhaber ist. Eher nüchtern eingestellte Leser müssen auch hier wieder durch Seifenschaum waten.

Obwohl Dolores Redondo das Krimi-Pulver also nicht neu erfindet, steht „Das Echo dunkler Tage“ dennoch über den Dümpel-Thrillern à la Elizabeth George, die eine weibliche Ermittlerin eher im Kampf gegen das Schicksal als gegen das Verbrechen zeigen. Die baskischen Kulissen tragen ihren Teil dazu bei, das Publikum bei der Stange zu halten. Das wird umso wichtiger, wenn die Autorin in der Auflösung nicht gerade originell einen Täter enthüllt, der schlicht zu dämlich wirkt, um sich seit Jahrzehnten unerwischt durch das Tal zu morden. Eine wenige steife Übersetzung könnte auch die allzu ausführlichen Monologe beleben, zu denen die Figuren neigen.

Autorin

Dolores Redondo Meira wurde 1969 in Donostia – San Sebastián, der Hauptstadt der Provinz Gipuzkoa (spanisch: Guipúzcoa), in der spanischen Autonomen Gemeinschaft Baskenland geboren. Sie studierte Jura, schwenkte dann jedoch auf die Gastronomie um und führte einige Jahre ein Restaurant.

Nachdem Redondo zunächst Kurz- und Kindergeschichten geschrieben hatte, veröffentlichte sie 2009 ihr Romandebüt „Los privilegios del ángel“. Ihm folgte 2013 „El guardián invisible“ (dt. „Das Echo dunkler Tage“), ein Kriminalroman, der gleichzeitig erster Band der Baztán-Trilogie ist.

Dolores Redondo lebt und arbeitet in der Ribera Navarra im nordspanischen Weinanbaugebiet.

Website

Taschenbuch: 400 Seiten
Originaltitel: El Guardián Invisible (Barcelona : Ediciones Destino 2013)
Übersetzung: Matthias Strobel
www.luebbe.de

eBook: 506 KB
ISBN-13: 978-3-8387-2595-6
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