Douglas E. Richards – Split Second. Zurück in der Zeit

Wissenschaft und Action: eine unterhaltsame Mischung

Dem brillanten Physiker Nate Wexler ist eine wissenschaftliche Sensation gelungen: Er hat einen Weg gefunden, in der Zeit zurückzureisen. Zwar nur für den Bruchteil einer Sekunde, dennoch sind die Konsequenzen, die diese neuartige Technologie mit sich bringt, gewaltig. Gerade will Nate mit seiner Verlobten Jenna auf seinen Erfolg anstoßen, als die beiden in ihrem Haus von Vermummten überfallen werden. Nate wird getötet, Jenna kann in letzter Sekunde entkommen – mit Nates Aufzeichnungen. Aufzeichnungen, die die Naturgesetze revolutionieren könnten … (Verlagsinfo)

Der Autor

Der US-amerikanische Autor Douglas E. Richards hat Molekularbiologie studiert und war viele Jahre in der Biotechnologie als Führungskraft tätig. Er verfasste eine Vielzahl populärwissenschaftlicher Artikel, u.a. für „National Geographic“ und die BBC. Er hat mehrere wissenschaftliche Thriller veröffentlicht. Mit seiner Familie lebt er in San Diego, Kalifornien. (korrigierte Verlagsinfo)

Handlung

Die Genetikerin Jenna Morrison ist mit dem Mathe-Genie Nate Wexler liiert. Sie bekommt von ihm eine Mail, in der er eine bahnbrechende Entdeckung ankündigt. Doch als er dann in ihrer Wohnung eintrifft, treten maskierte Männer eines Spezialkommandos die Tür ein und nehmen die beiden fest. Zu ihrem eigenen Schutz, heißt es, und natürlich nur vorübergehend.

Entführt

Der Weg des mit SEK-Männern vollgepackten Lastwagens führt zum Mount Palomar, doch der Konvoi trifft dort nie ein: Ein weiterer Überfall erfolgt, aber diesmal mit schweren Waffen. Offenbar hat es eine konkurrierende Organisation auf Nate Wexler abgesehen. Als sich die Lage zum Schlechteren neigt, zielt der Kommandierende SEK-Mann auf Nates Kopf und drückt ab. Niemand anderes soll das Wissen in diesem Kopf bekommen. Jenna kann nur geschockt zusehen. Doch dann stürzt der Truck den Berghang hinunter. Jenna gelingt es, aus dem Wrack zu krabbeln und sich aus dem Staub zu machen.

Überlebt

Während sie emotional den Horror des Geschehenen und Nates Verlust zu verarbeiten versucht, wägt sie ihre Optionen ab. Soll sie zur Polizei gehen? Aber die ist vielleicht ebenfalls abgehört und unterwandert. Stattdessen entscheidet sie sich dafür, einen Privatdetektiv zu engagieren. Der müsste allerdings angesichts des bis an die Zähne bewaffneten Gegners über militärisches Können verfügen. Ihre Wahl fällt auf den ausgebufften Aaron Blake, der mit der Ermittlungsarbeit nicht nur Geld verdient, sondern auch sein Gewissen beruhigt: Er hat bei Kriegseinsätzen mehrere Kameraden verloren und gibt sich eine Mitschuld. Als Erstes prüft er Jennas Geschichte. Am Tatort begegnen ihm zwei Revolvermänner, denen er um Haaresbreite entkommt, bevor der eine den anderen umlegt.

Gewieft

Damit wäre der Hauptpunkt geklärt. Eine von Aarons nächsten Fragen lautet natürlich, aus welchem Grund diese zwei rivalisierenden Organisationen hinter Nate her gewesen sein sollen. Jenna weiß es auch nicht, denn Nate konnte ihr vor seinem Tod nur Andeutungen machen. Aber mit ein wenig Grips und unter größter Vorsicht gelingt es ihr, Nates sachdienliche Dokumente zu bergen und auf einem USB-Stick an Aaron zu übergeben. Der macht sich als Erstes daran, Fake-Kopien von dem Stick herzustellen – als Verhandlungsmasse. Ansonsten kann auch er mit dem Mathe-Geschwurbel über dunkle Energie und Zeitsprünge wenig anfangen. Sie brauchen einen Experten für solches abgefahrenes Zeug.

Gejagt

Dieser Experte ist Nates bester Freund und Kollege Dan Walsh. Der ahnt noch nichts von Nates Tod, denn er von den rivalisierenden Organisationen gefälschte E-Mails erhalten, die Nates in einen längeren „Urlaub“ schicken und seine Abwesenheit entschuldigen. Die Wahrheit muss Walsh erst einmal verdauen. Jenna und Aaron gelingt es in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, den Wissenschaftler durch die Tunnel der Heizungsanlage, die sich unter der Universität erstreckt, an den Spähern der Gegner vorbeizuschmuggeln und in ein sicheres Versteck zu bringen.

Erklärt

Walsh kann endlich erklären, was Nate entdeckte. Mithilfe einer Möglichkeit, die überall vorhandene Dunkle Energie des Universums anzuzapfen, bekommt die Welt nicht nur Unmengen kostenloser Energie – sie könnte auch einen Zeitsprung machen. Zugegeben, der Sprung von ein paar Mikrosekunden klingt nicht sonderlich berauschend, aber Nate hat eine Methode gefunden, diesen Sprung zu vervielfachen und eine knappe halbe Sekunde daraus zu machen. Das klingt schon viel besser. Nur: Zu was soll eine halbe Sekunde in die Vergangenheit gut sein?

Qual der Wahl

Das hat der Gegner bereits ausgetüftelt. Mithilfe des Köders des USB-Sticks lockt Aaron die Gegner hervor und erkundet ihre Absichten. Die eine Organisation wird einem Mann namens Cargill geleitet und behauptet, schwarz für die Regierung zu arbeiten. Sie nennen sich natürlich „die Guten“. Cargills Rivale ist ein ehemaliger Mitarbeiter namens Knight, der sich selbständig gemacht hat und nun in einer Festung nahe Las Vegas seinen Hauptsitz hat. Er hat ebenfalls eine Menge Ideen, wie er Nates Theorie anwenden könnte – beispielsweise um die Weltherrschaft zu übernehmen.

Jenna und ihre Helfer müssen herausfinden, wem sie vertrauen können und ob sie mit dessen Organisation kooperieren können. Sie brauchen Sicherheiten. Jenna hofft indes nur, ihren Freund Nate wiederzubekommen. Ihre Hoffnung soll nicht enttäuscht werden…

Mein Eindruck

Eine halbe Sekunde (die maximale Ansammlung der oben genannten Mikrosekunden) erscheint nicht viel, wenn es um eine Zeitreise geht. Was könnte ein gewiefter Wissenschaftler wie Knight schon damit anfangen, fragen sich Jenna & Co. Sie muss – ebenso wie der Leser – abwägen, ob diese neue Möglichkeit, Zeit zu manipulieren, zu guten oder negativen Zwecken verwendet kann. Sieht man von den zahlreichen Actionszenen ab, mit denen Der Autor den Leser zu unterhalten weiß, so läuft es auf die Frage hinaus, ob sie Nate Wexlers Entdeckung überhaupt irgendjemand geben sollte – und falls doch, dann wem?

Erst ganz allmählich findet Jenna heraus, woran Knight genau denkt. Eine halbe Sekunde reicht beispielsweise völlig aus, um Waffen und Sprengstoffe zu duplizieren sowie an einen anderen Ort in der Raumzeit zu transferieren. Man müsste lediglich Sender und Empfänger wie bei einem Funkspruch auf- und einstellen. Man könnte ganze Armeen mit Waffen versehen, ohne dazu ein Schiff oder Flugzeug zu benötigen. Selbst 3D-Druck wäre überflüssig, und das Ganze ginge unbemerkt vonstatten – bis am Empfangsende Unmengen duplizierter Waffen (Atombomben?) eintreffen würden.

Raumzeit

(Dass die Raumzeit eine zentrale Rolle spielt, ergibt sich aus der simplen Physik der Himmelskörper: Die dunkle Energie, die für den Zeitsprung angezapft wird, muss eine Erdposition berücksichtigen, die sich mit großer Geschwindigkeit ändert, nämlich mit 30 km/s: So schnell dreht sich die Erde um die Sonne. Diese wiederum rast mit 220 km/s um das galaktische Zentrum unserer Milchstraße. Aber dieses wiederum saust im lokalen Galaxiehaufen mit, der sich mit rund 370 km/s dem Sternbild Herkules nähert. Und so weiter. Von MONTY PYTHON gibt es dazu einen hübschen Sketch.)

So gruselig dieses Szenario bereits ist, so stellt es doch längst nicht das Ende der Möglichkeiten dar. Die allererste Frage gilt natürlich dem Großvater-Paradox: Wenn ich meinen Opa töte, werde ich dann jemals von seiner Tochter geboren werden können? Auch solche kniffligen Fragen muss der Autor von seinen Figuren erörtern lassen. Denn sie rühren an die zentrale Frage, ob die neue Möglichkeit das Menschsein an sich verändert: Wenn man Menschen en Masse wie in einem Kopierapparat duplizieren könnte (dreimal darf man raten, wer sich zur Vorlage auserkoren hat), wohin sollen all die Kopien geschickt werden? Und welchen Zweck sollen sie dort erfüllen? Die Antwort ergibt sich aus dem Duplizieren von Waffen etc.: Ganze Armeen lassen sich nun heimlich und unaufspürbar erzeugen und verlegen.

Schwarze und weiße Hüte

Dass die Aussicht auf illegale, billig herzustellende Armeen nicht im Sinne irgendeiner Regierung ist, erscheint plausibel. An diesem Punkt kommt Cargill als der Held mit dem weißen Hut ins Spiel. Er arbeitet für den US-Präsidenten – sagt er jedenfalls. Positiv: Er lässt Jenna & Co. die Wahlfreiheit, ihm Nates Unterlagen zu übergeben. Nicht so toll: Knight, der Bursche mit dem schwarzen Hut, wird ihn fertigmachen. Frage also: Kann Aaron mit seinen Helfern das Zünglein an der Waage spielen, indem er Knight ausschaltet? Ob es ihm gelingt, darf nicht verraten werden – denn das ist der finale Showdown.

Die Übersetzung

Der Text liest sich flüssig, plausibel und ist nahezu frei von Druckfehlern.

S. 195: „eines solchen Ressorts“: Eins-zu-eins-Übersetzung von „resort“. Gemeint ist eine Ferienanlage, keine Organisationseinheit.

S. 214: „oder dass Sie sich falsch entschieden h[e]ben.“ Statt eines E’s sollte hier ein A stehen, wie in „haben“.

S. 264: „wie ein Foto von Marty McFly und seinen Geschwistern“. In „Zurück in die Zukunft“ bangt Marty aber nicht um seine Geschwister (falls er welche hat), sondern um seine Eltern, die möglicherweise nicht zusammenkommen, wenn er Mist baut! Dies könnte ein Fehler des Autors sein.

S. 337: „…jedes Team soll über seinen eigenen Job[s], Edison, Zuckerberg und Einstein verfügen?“ Weil Steve Jobs gemeint ist, fehlt hier das S.

Unterm Strich

„Split Second“ kombiniert auf unterhaltsame Weise Action und Tragik mit einer nachdenklich machenden Prämisse: Wenn man die Zeit nur eine halbe Sekunde zurückdrehen könnte, was ließe sich damit für Unfug treiben – oder Gutes bewirken? Die zwei Optionen werden von den beiden rivalisierenden Organisationen verkörpert, mit denen sich Jenna & Co. herumschlagen müssen. Im Finale muss die Entscheidung erfolgen, und das geschieht wie üblich mithilfe von einer Menge Action. Welche Überraschungen die Handlung noch auf Lager hat, darf nicht verraten werden. Nur eines: Wer mit der Zeit herumspielt, sollte sich die Folgen vorher gut überlegen.

Ich habe das Buch binnen weniger Tage gelesen und war erfreut, dass trotz der vielen Actionszenen so viele Szenen mit Überlegungen vorkamen. Der wissenschaftliche Gehalt hinsichtlich Mathe, Physik und Astronomie wird zwar nicht explizit erklärt, aber innerhalb des Textes auf Fragen wie „Was meinen Sie?“ hin erläutert. Der Leser ist also nicht gezwungen, ständig in der Wikipedia nachzuschlagen.

Taschenbuch: 448 Seiten
Originaltitel: Split Second, 2015.
Aus dem Englischen von Maike Hallman.
ISBN-13: 9783453319264

www.heyne.de

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