Sara Douglass – Der Herr des Traumreichs

Die Adern. Ein harmloser Name für eine unerträgliche Hölle. In Schmutz, Hitze und Gestank schuften hier zahllose Sträflinge, um Glomm abzubauen, einen teerhaltigen Rohstoff, auf dem der größte Teil des Wohlstands in diesem Land beruht. Sie sterben innerhalb weniger Jahre, entweder in einstürzenden Stollen, ertränkt vom hereindringenden Meerwasser, das direkt oberhalb der Stollen rastlos auf und ab wogt, an purer Erschöpfung oder an einer der vielen Krankheiten, die in den Minen grassieren. Jeder Heiler des Landes ist durch Edikt der Krone verpflichtet, drei Wochen im Jahr in diesen Bergwerken Dienst zu tun und Kranke zu behandeln.

So kommt in Begleitung seines Vaters auch der junge Garth an diesen gottverlassenen Ort. Die Zustände in den Stollen setzen ihm schwer zu, doch alles Elend, das ihm begegnet, ist nichts im Vergleich zu der Entdeckung, die er auf Sohle zweihundertfünf bei der Untersuchung eines Gefangenen macht! Der Mann trägt ein riesiges Brandmal am Arm, und Garths Heilerhände spüren unterhalb der Brandnarben eine Tätowierung. Wenn sein Gespür ihn nicht trügt, dann sitzt in dieser Gestalt eines Wracks der Thronerbe des Landes vor ihm, der vor siebzehn Jahren spurlos verschwand!

Von diesem Moment an beherrscht ein einziger Gedanke Garths Tage und Nächte: den Mann zu befreien. Ein schier aussichtsloses Unterfangen! Da erhält er unerwartet Hilfe. Doch kann er dem seltsamen Straßenhändler trauen? Und was soll er von der schönen jungen Ravenna halten?

„Der Herr des Traumreichs“ ist ein Buch mit wenig Action, was viel Raum für die Charaktere lässt. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf Garth und dem verschollenen Prinzen Maximilian.

Garth ist ein junger Bursche mit einem großen, mitfühlenden Herzen und gleichzeitig einem stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Die Tatsache, dass Maximilian, der eigentlich inzwischen das Königreich regieren sollte, stattdessen unter Tage verrottet, ist für ihn schlicht inakzeptabel. So unmöglich ihm eine Befreiung anfangs auch erscheint, er ist nicht bereit, den Gedanken daran fallen zu lassen. Der Gefahr auch für seine eigene Person ist ihm dabei durchaus bewusst, erscheint ihm aber angesichts der Ungerechtigkeit völlig nachrangig.

Maximilian dagegen will zunächst überhaupt nichts davon wissen, wer er wirklich ist. Behutsam und glaubwürdig schildert Sara Douglass die Gefühls- und Gedankenwelt eines Menschen, der mit nur vierzehn Jahren aus seiner Welt herausgerissen, schwer misshandelt und dann für siebzehn Jahre in fast völlige Finsternis verbannt wurde, wo er, um nicht wahnsinnig zu werden, ins Vergessen flüchtet, sodass das Auftauchen aus diesem Grab eine fast ebenso große Qual bedeutet wie das Leben darin.

Die übrigen Personen sind weniger deutlich gezeichnet. Joseph, Garths Vater, ist hauptsächlich Informationsquelle jeglicher Art. Von ihm lernt Garth den Heilerberuf, von ihm erfährt Garth, was es über Maximilians Verschwinden und seine Familie zu wissen gibt, er bringt Garth mit dem regierenden König Cavor zusammen. All das schafft überhaupt erst die Voraussetzungen dafür, dass die Handlung an sich stattfinden kann. Vorstus ist der Gelehrte, der die Informationen über Königtum und Thronanspruch beisteuert, die sonst niemand wissen darf, und gleichzeitig ist er derjenige, der für die Durchführung der erforderlichen Zeremonien zuständig ist. Ravenna ist für die Magie zuständig, die benötigt wird, um Maximilian zu befreien, außerdem ist sie das Bindeglied ins Traumreich, wo der Manteceros, das Wappentier des Königshauses, sich aufhält. Von ihnen erfährt man im Laufe der Geschichte kaum etwas, weder über ihre Vergangenheit noch über ihre Gedanken und Gefühle. Lediglich König Cavor wird im Laufe der Geschichte zu einem ausgeprägteren Charakter.

Auch sonst fasst die Autorin sich recht kurz. Die düstere Stimmung in den Minen kommt deutlich heraus, das Leben in der Hauptstadt Ruen und im Palast, Garths Heimatstadt Narbon, ihr Hafen und ihre Bibliothek, sowie die Sümpfe und der königliche Wald jedoch sind nur umrissen. Das gilt ebenso für die Magie. Allein die heilenden Kräfte von Garths Händen sind detaillierter beschrieben, auf die magischen Fähigkeiten Ravennas sowie die Zusammenhänge zwischen den Tätowierungen Maximilians und König Cavors und zwischen Königshaus und Manteceros wird nicht genauer eingegangen. Dabei hätten die Ideen durchaus Potenzial für eine weitere Vertiefung geboten.

Der Handlungsablauf ist einfach und gerade gehalten. Es gibt nur zwei Handlungsstränge. Garth findet relativ schnell Hilfe bei seinem Vorhaben, und er findet genau die Leute, die er braucht. Alles klappt sozusagen wie am Schnürchen. Lediglich an zwei Stellen kommt es zu Komplikationen, auf der Flucht in den Wald und danach auf dem Weg nach Ruen. Die erste ist schnell überwunden, die zweite dauert etwas länger. Der Kampf zwischen Maximilian und seinem Widersacher bildet den Showdown, wobei auch hier der Schwerpunkt nicht auf Action, sondern auf der gedanklichen Ebene liegt.

Man kann das Buch deshalb nicht wirklich als spannend bezeichnen. Es macht neugierig, lässt aber nicht wirklich richtig mitfiebern, denn irgendwie ist von Anfang an klar, dass natürlich alles gut ausgehen wird. Die Frage nach dem Wie ist es, die den Leser bei der Stange hält! Wie wird der Endkampf ausgefochten? Wie hängt der Manteceros damit zusammen? Und wie lautet der fehlende Teil des Gedichtes der Könige?

Sara Douglass hat diesen Roman absichtlich in einer so schlichten Weise verfasst. „Der Herr des Traumreichs“ wurde als Jugendbuch geschrieben, erkennbar auch an der Kürze der Kapitel und der verhältnismäßig geringen Seitenzahl. Sara Douglass hat sich ganz auf ihre Botschaft konzentriert, die sich um Glaube, Vertrauen und Hoffnung dreht, und dafür auf epische Breite, auf detailgenaue Ausarbeitung der einzelnen Facetten und eine verwickelte Handlung verzichet.

Wer also aufgrund des Untertitels „Ein Weltenbaum-Roman“ mit einer komplexen Geschichte gemäß Sara Douglass‘ Weltenbaum-Zyklus rechnet, wird enttäuscht sein. Der Zusatz ist nicht unrichtig, doch letztlich wohl eher eine Irreführung als eine hilfreiche Information. Zwar spielt die Handlung in einem Teil derselben Welt wie der Weltenbaum-Zyklus, steht mit den dortigen Geschehnissen jedoch in keinem Zusammenhang. Die Verbindung besteht lediglich in einigen wenigen Ortsnamen. Einen direkten Vergleich mit dem Weltenbaumzyklus kann „Der Herr des Traumreichs“ nicht aushalten. Das muss er auch gar nicht. Birnen lassen sich nicht mit Äpfeln vergleichen.

Aber selbst wenn Struktur und Ausarbeitung ein gutes Stück hinter dem Weltenbaum-Zyklus zurückbleiben, die Kernaussage des Buches ist auch für Erwachsene interessant, und die ausdrucksfähige, kraftvolle Sprache der Autorin kommt ebenfalls voll zum Tragen. Für Erwachsene, die zur Abwechslung mal nach etwas Leichterem suchen, kann „Der Herr des Traumreichs“ durchaus etwas sein. Ansonsten wäre es vielleicht besser, die Übersetzung von „The Wayfarer Redemption“, der Fortsetzung des Weltenbaum-Zyklus, abzuwarten. Oder sie gleich auf Englisch zu lesen, denn bisher ist nicht mal die Ankündigung einer Übersetzung in Sicht. Im Hinblick auf den bisherigen Erfolg der Autorin dürfte das allerdings nur eine Frage der Zeit sein.

Sara Douglass arbeitete zuerst als Krankenschwester, bevor sie ein Studium in historischen Wissenschaften begann. Sie promovierte und arbeitete in den folgenden Jahren als Dozentin für mittelalterliche Geschichte. Das Schreiben fing sie nebenbei an, als Ausgleich zum Stress. Nach dem Erfolg ihres Weltenbaumzyklus stieg sie aus ihrem Beruf aus und konzentrierte sich aufs Schreiben und ihren Garten. Sie lebt in einem Cottage in Bendigo/Australien. Außer dem Weltenbaumzyklus schrieb sie diverse weitere Romane und Kurzgeschichten.

Gebundene Ausgabe: 400 Seiten
Originaltitel: Beyond the Hanging Wall
www.piper.de
www.saradouglass.com

Der Weltenbaum-Zyklus:

Band 1: „Die Sternenbraut“
Band 2: „Sternenströmers Lied“
Band 3: „Tanz der Sterne“
Band 4: „Der Sternenhüter“
Band 5: „Das Vermächtnis der Sternenbraut“
Band 6: „Die Göttin des Sternentanzes“