E.A. Poe & Marc Gruppe – Der Rabe (Gruselkabinett Folge 139)

Poe-Klassiker: Feindliche Seelen-Übernahme

1843 am Rhein: Auf einer Reise lernt ein Engländer in einer alten Stadt am Rhein die äußerst faszinierende Dichterin Lady Ligeia kennen und lieben. Sie arbeitet gerade an einem Werk, welchem sie den Titel „Der Rabe“ gegeben hat… (Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt das Hörbuch ab 14 Jahren. Die Reihe wurde mit dem HörKules ausgezeichnet.

Der Autor

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan in Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine solide Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich tiefer Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel mit seiner Jugendliebe – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science Fiction, Short Story. Neben H. P. Lovecraft und Nathaniel Hawthorne gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten. Seine Literaturtheorie nahm den New Criticism vorweg.

Er stellt meines Erachtens eine Brücke zwischen dem 18. Jahrhundert und den englischen Romantikern (sowie E.T.A. Hoffmann) und einer neuen Rolle von Prosa und Lyrik dar, wobei besonders seine Theorie der Short Story („unity of effect“) immensen Einfluss auf Autoren in Amerika, Großbritannien und Frankreich hatte. Ohne ihn sind Autoren wie Hawthorne, Twain, H.P. Lovecraft, H.G. Wells und Jules Verne, ja sogar Stephen King und Co. schwer vorstellbar. Insofern hat er den Kurs der Literaturentwicklung des Abendlands maßgeblich verändert. In nur 17 Jahren des Publizierens.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher und ihre Rollen:

Johannes Raspe: Noel Baron
Kristine Walther: Lady Ligeia
Reinhilt Schneider: Lady Rowena
Lutz Reichert: Arzt
Detlef Bierstedt: Vermieter
Max Schautzer: Pfarrer
Joachim Tennstedt: Joseph Glanvill

Die Macher

Regie führten die Produzenten Marc Gruppe und Stephan Bosenius. Die Aufnahmen fanden im Titania Medien Studio und in den Planet Earth Studios statt. Die Illustration trug Ertugrul Edirne bei.

Handlung

Noel Baron sieht Lady Ligeia 1843 erstmals am Rheinufer. Sie erkennen, dass sie beide Engländer sind und stellen einander vor. Sie sagt, sie stamme aus einer alten Adelsfamilie, die in den Karpaten lebe. Außer ihrem Vornamen nennt sie jedoch nie den Namen dieser Familie. Die beiden verlieben sich ineinander und heiraten. Er verliebt sich in ihr „majestätisches“ Gesicht: weißer Teint, schwarzes Haar, roter Mund. Sie erscheint Noel wie ein höheres Wesen, dessen Schönheit überirdisch ist.

Der Rabe

Er entdeckt mit der Zeit, dass sie noch belesener ist, allerdings vor allem hinsichtlich der Erforschung des Übernatürlichen, bis hin zu einer „Weisheit, die verboten ist“. Doch sie erkrankt (vermutlich an Tuberkulose) und hustet. Noel ist verzweifelt und fleht selbst den Todesengel an, von ihr zu lassen. An ihrem Sterbetag bittet sie ihn, ihr Gedicht „Der Rabe“ vorzulesen (im Original „Der Eroberer Wurm“). Alle Strophen enden auf das unerbittliche Wort „Nimmermehr“. Kaum ist der Gedichtvortrag zu Ende, schreit sie voll Aufbegehren gegen den Willen Gottes auf und murmelt die Worte des englischen Philosophen Joseph Glanvill. Es geht ihr um die Vorstellung, dass alles Leben Wille sei und dass Sterben nur auf einem Mangel an Willenskraft beruhe.

Lady Rowena

Erfüllt von Kummer reist Noel nach Südwestengland, wo er von Ligeia eine alte Abtei geerbt hat. Deren Innenräume lässt er prächtig wie einen Pharaonenpalast ausbauen und schmücken. Er ergibt sich Opiumträumen, bis die blonde und blauäugige Lady Rowena Trevanion zu Besuch kommt. Sie ist die Tochter des Nachbarn Tremain. Rowena ist sehr freundlich und verständnisvoll, also zeigt er ihr seine Gemächer. Er verliebt sich in sie, hält um ihre Hand an und bereitet die Hochzeit vor.

Die Hochzeitsnacht soll nach seinem Willen in einem Zimmer im großen Turm stattfinden, welches durch spezielle Buntglasfenster von Geisterlicht erfüllt ist. Mystische Objekte werfen magische Schatten. Das indische Bett wird von Sarkophagen flankiert, deren Arabesken Rowena nicht nur befremden, sondern auch anekeln. „Du meine Güte!“ Ein Luftzug verursacht ihr Gänsehaut. Sie hat eindeutig Angst.

Ligeias Rückkehr

Schon nach dem ersten Monat hat sich Rowenas Furcht gesteigert, doch es hilft ihr nichts, sich gegen die Dämonen in Noel zu wehren. Da er sie hasst, findet er einen teuflischen Genuss darin, sie zum Geschlechtsverkehr zu zwingen. Dabei hört er die Stimme der verehrten Ligeia und ruft ihren Namen, während Opiumträume ihn erfüllen. Rowena fiebert und wird krank. Auch sie hat das Bild Ligeias gesehen. „Sie will etwas von mir““, haucht sie. Noel jubelt: Er hat Ligeias Schatten erblickt. Seine Gebete wurden offenbar erhört.

Rowena genest kurz, erkrankt dann jedoch erneut. Dem Arzt ist das ein Rätsel. Rowena wird schreckhaft, und Ende September hört sie Töne: „Es ist diese Ligeia.“ Auch Noel fühlt sich von Ligeias geist berührt. Als er die Tür einmal öffnet, krächzt ihm ein Rabe „Nimmermehr!“ entgegen, doch diesem Wort folgt Ligeias Geisterlachen. Als ein Tropfen Blut aus der Luft in Rowenas Weinglas fällt, ist ihr Ende besiegelt: Rowena wird schwach und deliriert.

In der zweiten Nacht wird die Scheintote aufgebahrt und Ligeia ruft ihren Gatten ins kühle Grab. Doch da färben sich Rowena bleiche Wangen rot und ihre Haare schwarz, auch die Leichenstarre vergeht. Sie schlägt die Augen auf, doch es sich nicht Rowenas Augen, sondern die dunklen, tiefen Augen der Lady Ligeia. Sie verspricht Noel, ihn niemals zu verlassen…

Hinweis

„Ligeia ist der Name einer der Sirenen, die zugleich auch Unheilsdämon ist. Der Name (ursprünglich aus dem Griechischen Λιγεία abgeleitet, dt. hell, laut tönend), der bereits als Epitheton Assoziationen zu Tod und Trauer anklingen lässt, taucht danach häufiger in der Sphäre von Tod und Begräbnis auf. In der lateinischen Literatur wird sie zu Nereide, der Tochter des Meergottes Nereus und seiner Gemahlin Doris, einer Nixe, die durch ihren zauberhaften Gesang und ihre Schönheit die Sterblichen verzaubert, von ihrem Vater aber auch den Weg zu den Hesperiden kennt. Poe selber beabsichtigte Assoziation dieser Art durchaus bewusst; Nereide wird von ihm bereits in seinem frühen Gedicht „Al Araaf“ (1829) gedanklich mit „Schönheit, Melodie und Willen“ verbunden.“

(Wikipedia.de)

Mein Eindruck

In der mehrfach verfilmten Kurzgeschichte, die von den Erzählungen „Morella“ und „Eleonora“ (ca. 1835) begleitet wird, tritt die Titelfigur zweimal auf, und das hat erhebliche Folgen. In ihrem ersten Auftreten ist Ligeia bereits eine Kombination aus Übermutter, leidenschaftlicher Gattin und belesener Verkörperung der – verbotenen – Weisheit: Sie strebt an, den Tod zu überwinden. Als Motiv dient ihr das fiktive Zitat Joseph Glanvills, der den Sterbenden zu schwachen Willen vorwirft, um den Tod überwinden zu können.

Diese Überwindung geht keineswegs selbstständig in Ligeia vonstatten, sondern der Erzähler Noel Baron trägt dazu einen ganz erheblichen Teil bei. Ohne ihn könnte Ligeia nicht wiederkehren. Erstverwandelt er das ehemals CHRISTLICHE Gotteshaus der Abtei in eine HEIDNISCHE Kultstätte der Ägypter und Orientalen, dann vertieft er seine Entfremdung von der Welt durch exzessiven Opiumgenuss. Er hat sich der Idee der Todesnähe anheimgegeben, um an dieser geistigen Position wenigstens noch dem Idealbild „Ligeia“ nahe sein zu können.

Das Generalthema

Schon seit 1829 hat sich Poe mit dem poetischen Thema Schönheit, Melodie (Sirene) und Willen beschäftigt. Ligeia entspricht sowohl der schönen Verkörperung der Sirene, aber auch der Weisheit und der Mutter. Poe verlor ja nicht nur seine Mutter, sondern auch seine junge Verlobte Virginia. Ihm sind sterbende Frauen bestens vertraut und er weiß, wie schnell es mit ihnen zu Ende gehen kann. Die meisten werden ganz real Opfer der Tuberkulose, der Schwindsucht.

Dieser Aspekt verleiht ihren KÖRPERN etwas Vorübergehendes und Zeitweiliges, woraus sich für den Liebenden und Geliebten die Notwendigkeit ergibt, ihre mentale ESSENZ, ihr IDEAL zu erschaffen, das es zu bewahren gilt. Hierin ist Poe dem deutschen Idealismus (Kant, Novalis, Schelling bis Schopenhauer) recht nahe. Er hat seine eigene Konzeption des Idealismus in seinen Schriften zur Komposition der „Short-Story“ niedergelegt und damit dem französischen Symbolismus eine Grundlage bereit. Baudelaire und Mallarmé übersetzten „The Raven“.

Auch Noel Baron, der tätige, ödipale Erzähler, erhebt Ligeia zu einem Ideal, das durch die rein körperliche Beziehung zu Lady Rowena Trevanion nicht verdrängt werden darf. Dem Idealisten ist die körperliche Gegenwart Rowena ein Gräuel, und seinen Hass lässt er sie allzeit spüren. Rowena ist der Gegenpol zu allem, was ihm Ligeia bedeutet. Doch für ihren unbeseelten Körper hat er durchaus noch Verwendung: Er soll seinem Ligeia-Ideal als Gefäß dienen, in dem sie wiederauferstehen kann.

(In „Morella“ dient die gleichnamige Tochter als Gefäß, in „Eleonore“ die Lady Ermengarde.) Die Wiederauferstehung glückt, vor allem durch Noels eigene Willensanstrengungen, Ligeia wiederzubekommen. Rowena ist ihm schnuppe. Doch ob Ligeias Versprechen, sie werde ihn nie verlassen, ein Glück ist, darf bezweifelt werden. Schließlich ist auch Noel „nur“ ein Sterblicher.

„Der Rabe“

Die ursprüngliche Kurzgeschichte wird von ganz anderen lyrischen Ergänzungen ergänzt. In dem vorliegenden Hörspiel hat die Regie das schauerliche Gedicht „Der Rabe“ (1845) eingefügt. Es dürfte wohl zu den bekanntesten Gedichten in englischer Sprache überhaupt gehören und bedarf keines Zitats. Wer möchte, kann es in der Wikipedia nachschlagen. Demnach war der Rabe für ihn das „Sinnbild trauervoller und nie endender Erinnerung“.

Weniger in dieser Hinsicht verwendet die vorliegende Version von Ligeia das Gedicht als vielmehr, um die Unerbittlichkeit des Todes und seinen Boten, des Raben, zu demonstrieren und dagegen aufzubegehren. Kann ist ihr Wille stärker sein als der Tod? Der Wille ist hierbei ein zentraler Begriff, denn nur dieser wendet das Schicksal Ligeias und ihres geliebten Noel. Sie zitiert Glanvill mehrere Male:

„Der Mensch ergibt sich den Engeln oder dem Tod einzig durch die Ohnmacht seines schwachen Willens“.

Doch dieser ominöse Wille besteht nicht im heutigen Sinn als Entschluss und Umsetzung, sondern viel tiefergelegt im unbedingten Lebenswillen:

„Die ungeheure Intensität der Gedanken, Taten und Sprache Ligeias erscheinen dem Erzähler jedoch erst nachträglich nach langem Grübeln als Ergebnis ihrer immensen Willenskraft und heftigen Leidenschaft. Die Betonung des Willens deutet dabei aus der Sicht des Erzählers (und Dichters) auf das Ursprünglichste und Wesentlichste am Menschen, das ebenso wenig wie die Liebe durch den Tod zerstört werden kann. Diese Liebe Ligeias erkennt der Erzähler am Tage ihres Todes als „den Antrieb ihres wilden, unbedingten Verlangens nach Leben“, das, wie Göller ausführt, in seiner „Vehemenz und Leidenschaftlichkeit letztlich mit dem Willen überhaupt identisch“ ist. Ligeia liebt demgemäß nicht den Erzähler als reale Person oder Individuum, sondern „in ihm das Leben als Ausdruck des metaphysischen Willens, der gleichzeitig in Gott ist, im Gegensatz zum Prinzip des Todes.“ (Quelle: Wikipeia.de)

Dieser Lebenswille ist es also, der Ligeia die Schwelle zwischen Leben und Tod überwinden hilft, aber nur als idealisiertes, poetisches Wesen. Die altgriechische Bezeichnung dafür lautet „daimon“ oder „Dämon“. Ligeia ist der Name einer der Sirenen, die zugleich auch Unheilsdämon ist. Diese Auffassung von einer Nereide war Poe schon 1829 bewusst, als er gerade mal 20-jährig seinen ersten Gedichtband „Al Aaraf“ veröffentlichte.

Satire

Die englische Wikipedia erwähnt, dass Poe seine Kurzgeschichte (auch?) als Satire auf die Schauermärchen insbesondere deutscher Herkunft verstanden wissen wollte. Damit ist besonders die Schwarze Romantik gemeint, von Novalis bis E.T.A. Hoffmann. Denn im gleichen Jahr 1838 veröffentlichte er zwei satirische Fabeln über Mädchen. Aber auch gegen den Transzendentalismus, wie in Lady Ligeia zu verfechten scheint, ging Poe immer wieder kritisch vor, doch der hatte in Ralph Waldo Emerson einen sprachgewaltigen Verfechter.

Hinweis

Der englische Wikipedia-Artikel über „Ligeia“ ist sehr viel kritischer und deutlicher gegenüber Poe und der Geschichte eingestellt als der deutsche. Daher sei er sehr zur Lektüre empfohlen.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher

Es gibt nur drei Hauptrollen: Noel und die beiden Ladys. Deren SprecherInnen machen ihre Sache ausgezeichnet. Allerdings ist mir von „Lady Rowena“ kaum noch etwas in Erinnerung, vor allem wohl deshalb, weil die Rolle so schwach angelegt ist: Sie ist todgeweiht, verhasst und eigentlich nur ein Gefäß, das die titelgebende Hauptfigur aufnehmen soll, um die sehnsüchtigen Wünsche Noels zu erfüllen. Von Befremdung über Ekel bis zu Verzweiflung reicht ihre Gefühlsskala.

Die ganze Geschichte ist eine Männerphantasie, und Noel als Erzähler hat darüber die volle Kontrolle, indem er die Geschehnisse ganz nach seinen Wünschen dreht und wendet. Der Verdacht liegt nahe, dass er ein „unzuverlässiger Chronist“ à la Henry James ist und sich völlig auf eine eventuell fehlerhafte Erinnerung verlässt. Durch die glänzende, intensive Darstellung von Johannes Raspe können wir der Figur zumindest glauben, dass sie alles, was sie behauptet, selbst glaubt. Verhielte es sich anders, wäre das gesamte Hörspiel gescheitert.

Die Figur der Ligeia ist nicht eigenständig, auch wenn uns Kristine Walther dies glauben machen will. Sie ist vielmehr als Geist-Wesen ein Produkt von Noels tätiger Erinnerung: Sirene und Todes-Dämon. Sie tritt daher nach ihrem Tod vielfach als spöttisch lachende Stimme auf, die nicht nur Noel vernimmt, sondern auch Rowena. Der Spott gilt den beiden lebenden. Rowena wird sie schon bald „übernehmen“, doch auch Noel dürfte vor ihrer Übermacht nicht sicher sein. Denn immerhin schafft es Kristine Walther, ihre Ligeia als Liebende mit unbändiger Leidenschaft darzustellen – auch vor dem Traualtar. Diese Leidenschaft signalisiert Ligeias Willen, den Tod zu überwinden.

Der Auftritt von Joachim „Sherlock Holmes“ Tennstedt grenzt an Verschwendung von guter Leistung. Tennstedt kann viel mehr, wie jeder Kenner der Sherlock-Holmes-Hörspiele weiß.

Geräusche

Eine große Vielfalt von Geräuschen verwöhnt das Ohr des Zuhörers. Der Eindruck einer real erlebten Szene entsteht in der Regel immer. Papierrascheln, klappernde Teetassen, knisterndes Kaminfeuer – all diese Samples setzt die Tonregie zur Genüge ein, um einer Szene eine Fülle von realistisch klingenden Geräuschen zu vermitteln.

Das trifft besonders auf das mittlere Drittel zu, als sich Noel, der Erzähler, in einen opiuminduzierten Traum aus Arabesken und Pharaonenträumen zurückzieht. Das letzte Drittel wird vom Seelentausch bestimmt, und wir hören deutlich einen Raben „pochen“, krächzen und flattern.

Die Musik

Von einem Score im klassischen Sinn kann keine Rede mehr sein. Hintergrundmusik dient nur dazu, eine düstere oder angespannte Stimmung zu erzeugen, und zwar nur dort, wo sie gebraucht wird. Hier steigert sich die unheimliche Spannung sehr dezent von Szene zu Szene.

Im ersten Drittel erscheint Ligeia vor der Hintergrundmusik von majestätischer Schönheit, flankiert von einem mystischen Flöten-Motiv. Tiefe Bässe deuten an, dass etwas mit Ligeias esoterischem Forscherdrang nicht in Ordnung ist: Es ist verbotene Weisheit, die sie sammelt. Aber sie muss trotzdem hustend und hauchend sterben. Entsprechend traurig klingt die Musik. Das mittlere Drittel ist orientalisch angehaucht, was ja Noels neuem Domizil voll entspricht. Das finale Drittel zitiert wieder Ligeias Flöten-Motiv, doch der Schluss erklingt in Dissonanzen.

Das Booklet

Das Titelmotiv zeigt eine zeichnerische Konstruktion, die die schwarzhaarige Ligeia und die blonde Rowena durch den titelgebenden Raben verbindet. Der Todesvogel sitzt, genau wie im Gedicht, auf einer Büste der Pallas Athene, der Göttin der Weisheit und des Krieges.

Im Booklet sind die Titel des GRUSELKABINETTS verzeichnet. Die letzte Seite zählt sämtliche Mitwirkenden auf.

Im Booklet finden sich Verweise auf die im Herbst 2018 und Frühjahr 2019 kommenden Hörspiele aufgeführt:

Ab Herbst 2018

138: Lovecraft: Die Ratten in den Wänden
139: Poe: Der Rabe
140: M. R. James: Runenzauber
141: Julian Osgood Field: Der Judas-Kuss
142: Kipling: Das Zeichen der Bestie
143: Grant Allen: Der Wolverden-Turm

Ab Frühjahr 2019

144: Arthur Machen: Der gewaltige Gott Pan
145: M.R. James: Das unheimliche Puppenhaus
146: H.G. Wells: Der rote Raum
147: Per McGraup: Die Höllenfahrt des Schörgen-Toni (Original-Hörspiel!)
148: Louisa May Alcott: Im Labyrinth der Großen Pyramide
149: E. & H. Heron: Flaxman Low – Der Fall Teufelsmoor

Unterm Strich

Eigentlich sollte das Hörspiel den Titel „Ligeia“ tragen, denn der Inhalt dieser Poe-Erzählung liefert ja die Vorlage für die Geschichte. Es ist eine gruselige Liebesgeschichte um Verlust und Wiedergeburt, doch der titelgebende Rabe spielt quasi den Kommentator, indem er spöttisch krächzt. Auf diese Weise signalisiert der Todesbote, dass alle Liebe endlich sei. Ligeia widerlegt diese Behauptung.

Ligeias und Noels Gewinn ist indes Lady Rowenas Verlust. Ihr Niedergang und Tod, geschildert im mittleren Drittel, ist der unschönste und gruseligste Teil des Hörspiels, übertroffen höchstens von der Szene des Seelentransfers. Ligeia, die Sirene, darf weiterleben. Kein Wunder, dass diese Poe-Story auch Autoren wie H.P. Lovecraft inspirierte und mehrfach verfilmt und vertont wurde. Auch das Hörspiel funktioniert einwandfrei und entfaltet seine Wirkung.

Hinweis

Die literarische Vorlage weist ein anderes Gedicht auf, nämlich „The Conqueror Worm“. Weil es im Grunde die gleiche Aussage der Vergeblichkeit von Liebe und Leben hat, lässt es sich leicht durch „The Raven“ ersetzen. Für die Inhaltsangabe sollte man den entsprechenden Wikipedia-Artikel (s.o.) lesen.

Das Hörspiel

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen.

Die Leistungen der Hauptdarsteller Johannes Raspe (Noel Baron), Kristine Walther (Ligeia) und Reinhilt Schneider (Rowena) trägt entscheidend dazu bei, dass die Umstellung und Neuausrichtung auf das Gedicht „Der Rabe“ ein Erfolg geworden ist. Allerdings hätte ich gerne gewusst, welche Übersetzung der Verlag verwendet hat. Deutsche Übersetzungen von „Der Rabe“ gibt es seit den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts, und ähnliches lässt sich von „Ligeia“ sagen.

Wer allerdings auf irgendwelche Action gehofft, der sollte woanders suchen. Für die romantische Erotik gibt es einen halben Punkt, ansonsten entfällt die Wertung zugunsten der Gruseleffekte aus.

CD: über 59 Minuten
Originaltitel: Ligeia, 1838
Aus dem Englischen von unbekannt.
ISBN-13: 9783785757192

www.titania-medien.de

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