E.-E., Marc-Alastor – Kriecher (De Joco Suae Moechae 1)

„Kriecher“ ist der Auftakt des Dark-Fantasy-Zyklus „De Joco Suae Moechae“ um den gleichnamigen Antihelden des Autoren Marc-Alastor E.-E. Die 236 Seiten des Buches bringen dem Leser die Hintergründe der komplexen Welt Praegaia näher, wobei das Augenmerk auf der Geschichte Kriechers liegt, die in fünf zusammenhängenden, düsteren Kurzgeschichten erzählt wird.

Der Autor greift auf eine in langen Jahren gewachsene mittelalterliche Fantasywelt zurück, in der klassische Wesen wie Orks, Elfen und Drachen existieren. Die Religion dieser Welt verdient allerdings besondere Beachtung: Der Geisterdrache M’Zaarox und die dämonische Göttin Medoreigtulb liegen im ständigen Widerstreit in einer Welt, die am Rand eines Kataklysmus steht: Medoreigtulb arbeitet auf das Ende der bekannten Welt und die Schöpfung einer neuen hin. Neben ihrer aus albtraumhaften Wesen bestehenden Armee sind ihre gefürchtetsten Schergen die sogenannten „Pechstrenger“, schattenartige Lebensformen, deren Körper wie schwarzes Pech zerfließen können, die über unheimliche Fähigkeiten und übermenschliche Stärke verfügen – perfekte Attentäter und Spione der Göttin.

Auch Kriecher ist ein Pechstrenger – doch zuvor war er ein charakterschwacher Mensch, der Schuld auf sich geladen hat. Seine Geliebte Menona betrog ihn mit einem Söldner, der zutiefst gekränkte Mann rächte sich an beiden und ermordete sie. Medoreigtulb nahm sich seiner an, verführte den Gebrochenen, machte ihn zu ihrem Diener und gab ihm den Namen „Kriecher“.

Er erweist sich jedoch als Versager, sein erster Mordauftrag schlägt fehl, Kriecher wird von der Erinnerung an seine Schuld gequält und ermordet die Falschen. Die Göttin bestraft und verstößt ihn, lässt das in ein Monster verwandelte Wesen hilflos zurück. Kriecher lebt weiter – gequält von der Erinnerung, auf das Vergessen hoffend, ohne konkretes Ziel und Lebenssinn.

Es folgen weitere Episoden, welche die Tragik Kriechers verdeutlichen. So wird in einer Waldhütte die Reisegesellschaft eines Barons von einem Pechstrenger niedergemetzelt, nur der junge Fylan entkommt, weil Kriecher sich ihm entgegenstellt. Doch ein Pechstrenger sieht aus wie der andere… Die Schuld wird Kriecher gegeben. Man hegt Hoffnung, dass er Erlösung findet, als er bei einer alten Frau Unterschlupf erhält, die ihn wie ein scheues Tier pflegt und ihm Nahrung gibt, sie hält ihn nicht für den gesuchten Mörder, als den man ihn darstellt. Doch sie und der Leser hoffen vergeblich…

Die interessanteste, beste und für den Zyklus relevanteste Kurzgeschichte ist die letzte – sie legt den Grundstein für die Handlung im Folgeband „Adulator“: Kriecher wird von zwei Zyklopen gefangen und in die Armee der Hexe Llalizh eingegliedert – die in Kürze zum Kampf gegen Medoreigtulb antreten wird! Auf wessen Seite werden Kriechers Loyalitäten sein? Llalizh hilft Kriecher, das ganze Potenzial seiner Fähigkeiten zu erkennen und versucht, ihn auf ihre Seite zu ziehen.

Kriecher überlebt das Gefecht – und sammelt die Reste der Armee um sich, gründet Innocenz, eine Stadt der Verfemten und Asylsuchenden. Hier trifft die Elfenkönigin Gvynlane Keridwen, die mit den Resten des geschlagenen Elfenvolkes auf der Flucht vor Medoreigtulb ist, auf Kriecher, der von Innocenz‘ Bewohnern als der ungekrönte „Fürst“ der Stadt angesehen wird. Doch Innocenz ist nicht die Zufluchtsstätte, die es zu sein scheint…

Marc-Alastor E.-E. gelingt es, seinem gescheiterten Antihelden eine sympathische Note zu geben. Man leidet mit Kriecher, hofft für ihn, wird enttäuscht und verfolgt mit Spannung seinen Werdegang. Man erahnt die epische Breite, die hinter dem Buch steht, das Lust auf mehr macht. Anfangs etwas holprig und verwirrend ist der Sprachstil: Kriechers Gefühle werden zwar differenziert und wortgewandt dargestellt, zwingen aber zu genauem Lesen und machten nicht sofort Eindruck auf mich. Danach steigert sich die Qualität der Geschichten immer mehr, ebenso die Atmosphäre, sie lassen sich auch flüssiger lesen. Eine gewisse Vorliebe für das Lateinische merkt man den Untertiteln der Kapitel an, kein Wunder, ist der Zyklus doch von einem lateinischen Versband, dem „Liber Incendium Veritas“, inspiriert worden. Die okkulten Interessen des Autoren mögen auch ihren Teil dazu beigetragen haben, es tut der Stimmung des Buches sehr gut, die von den wirklich perfekt dazu passenden SW-Illustrationen hervorragend unterstrichen wird – man bemerkt deutlich den positiven Einfluss, den der Autor auf den Künstler ausübte, sie befinden sich zudem am richtigen Ort und sind inhaltlich stimmig. Etwas unglücklich ist das breite und hohe Format des Buches, der Text ist deshalb etwas breit formatiert und etwas gewöhungsbedürftig zu lesen, dafür schön groß und gut lesbar.

Neben Kriecher fasziniert vor allem die dämonische Göttin Medoreigtulb (den Namen bitte einmal rückwärts lesen…) mit ihrer dunklen Erotik und Verruchtheit; da „Kriecher“ eine Sammlung von Kurzgeschichten ist, haben auch nur wenige andere Charaktere Platz, aber viele davon werden bereits im Folgeband Adulator zum Zuge kommen.

Mein persönlicher Favorit ist die Geschichte um Innocenz, die mich stark an eine Geschichte um den Helden Kane von Karl Edward Wagner erinnert (Bloodstone). Hatte Kane feuerrote Haare und stechend blaue Augen, bietet Kriecher seinen pechschwarzen Körper mit bernsteingelben, verrauchten Augen auf. Die Entwicklung der beiden Antihelden ist zwar unterschiedlich, aber so wie Kane der verfluchte Mörder seines Bruders ist, so ist Kriechers Mord an seiner Geliebten sein Fluch. Ich halte Kriechers Metamorphose und Weiterentwicklung allerdings für spannender und interessanter, stimmungsmäßig kann er Wagners Kane gelegentlich Paroli bieten und ihn in der Innocenz-Geschichte sogar übertreffen. Brutal geht es zu, teilweise sexuell explizit und freizügig – keine weichgespülte deutsche Standard-Fantasy à la „Das Schwarze Auge“, sondern das, was man von Dark Fantasy erwartet: Emotional intensiv und mitreißend, nachdenklich machend.

Die einführenden 37 Seiten gefielen mir zwar nicht so gut, aber ab der Geschichte „Kummerstrang“ entwickelt sich das Buch immer mehr zum Highlight – bedauerlich ist nur, dass es relativ kurz ist. Mein Interesse an der Welt Praegaia und Kriechers weiterem Werdegang hat das Buch jedenfalls geweckt, von ihm und Medoreigtulb möchte man einfach mehr lesen – dabei ist der Geisterdrache M’Zaarox noch gar nicht in Aktion getreten, man darf also gespannt sein!

„Kriecher“ kann (auf 999 Exemplare limitierte Auflage) über den Blitz-Verlag bezogen werden:
http://www.blitz-verlag.de.

Wer mehr über die Welt Praegaia, den Autoren Marc-Alastor E.-E., sowie die Dark-Fantasy-Serie „Geisterdrache“ und ihren Zyklen wissen möchte, wird hier fündig:

http://www.geisterdrache.de/
http://www.marc-alastor.de/
http://www.praegaia.de/

Bitte beachtet auch mein [Interview]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=22 mit dem Autor Marc-Alastor.