Ed McBain – Polizisten leben gefährlich

In einer US-amerikanischen Großstadt eröffnet ein Mörder die Jagd auf Polizeibeamte, die er aus dem Hinterhalt niederschießt. Unter großem Druck auch der Medien versuchen die Kollegen, den Täter dingfest zu machen, bevor der nächste Cop zu Boden geht … – Schon der erste von insgesamt 55 Romanen um das 87. Revier bietet knappe, spannende, dabei gefühlsduselfreie aber keineswegs emotionslose Krimi-Unterhaltung und verdeutlicht, wieso die ein halbes Jahrhundert fortgesetzte Serie so erfolgreich war: ein moderner Klassiker.

Das geschieht:

Isola, eine Großstadt an der Ostküste der USA: Die Kriminalitätsrate ist generell hoch, und sie nimmt in den heißen Sommermonaten zu. Nun lässt die Hitze selbst nachts kaum nach, was manchen Bewohner buchstäblich in den Wahnsinn treibt. Die Beamten des 87. Polizeireviers leiden ebenso unter den Temperaturen, während sie versuchen, mit dem Verbrechen schrittzuhalten.

Zwischen den Polizisten und den Kriminellen herrscht eine gewisse Waffenruhe: Solange sie dem Gesetz und den braven Bürgern von Isola nicht gar zu frech auf den Nasen herumtanzen, können zumindest gewaltfrei agierende Strolche ihrer ‚Arbeit‘ relativ ungeschoren nachgehen. Gar nicht geduldet wird Gewalt gegen Polizisten, was von den ‚normalen‘ Verbrechern verstanden und akzeptiert wird. Deshalb ist auf beiden Seiten der Schrecken groß, als der Kriminalbeamte Mike Reardon auf dem Weg zur Nachtschicht aus dem Hinterhalt erschossen wird.

Reardon gehörte dem 87. Revier an, weshalb dort umgehend eine intensive Fahndung anläuft, die an Intensität noch zunimmt, als ein zweiter Polizist umgebracht wird. Die Unterwelt wird auf der Suche nach dem Täter buchstäblich auf den Kopf gestellt, was sich dort geschäftsschädigend auswirkt, weshalb die kriminellen Mitbürger zu einer Zusammenarbeit bereit sind. Doch niemand kennt den Mörder. Als wieder Schüsse fallen, steht fest, dass hier ein „Cop-Hasser“ sein Unwesen treibt und seinen persönlichen Zorn auf Polizisten auslebt.

Dafür muss es einen Grund geben, der den Weg zum Täter weisen könnte. Die Ermittlungen werden noch einmal ausgeweitet. Fieberhaft gehen die Beamten jeder Spur nach, während sie sehr wachsam sind: Der Mörder könnte auch sie jederzeit ins Visier nehmen …

Gesetz und Ehrenkodex

Normalerweise hat niemand gern mit der Polizei zu tun. Wenn die Beamten gerufen werden, steckt entweder man in einer Notsituation oder ist für sie verantwortlich, was im Krankenhaus bzw. im Gefängnis endet – beides wenig verlockende Orte, weshalb jene, die sich dort wiederfinden, stellvertretend besagte Polizei dafür verantwortlich machen. Auch Verkehrskontrollen sorgen für Verwünschungen, weil einerseits nie streng genug geblitzt wird oder man andererseits erwischt wurde. Diebstähle scheinen stets dann ohne Aufklärung (und Sühne) zu bleiben, wenn man selbst betroffen ist.

Die Liste ließe sich problemlos verlängern. Trotzdem wird niemand die grundsätzliche Notwendigkeit einer Polizei als Hüter von Recht und Ordnung in Frage stellen. Diese Aufgabe ist mit Gefahren verbunden, denn nicht jeder Zeitgenosse, der sich etwas zuschulden kommen lässt, kann gewaltfrei festgesetzt werden. Deshalb existiert zwischen Polizisten – Feuerwehrleute oder Soldaten denken ähnlich – ein besonderer Zusammenhalt auf einer Ebene, die von beruflichen oder persönlichen Problemen unberührt bleibt.

Man lässt sich – notgedrungen – viel gefallen, doch damit ist Schluss, wenn ein Kollege oder Kamerad auf der Strecke bleibt. Eine solche Tat gleicht dem Stockhieb gegen ein Wespennest, weshalb kluge und professionelle Kriminelle Gewalt gegen Polizisten tunlichst vermeiden. Sie müssen dabei den Kürzeren ziehen, wenn sich die geballte Ermittler-Energie gegen sie richtet.

Motiv und Gelegenheit

Folgerichtig geht es in Isola, jener fiktiven Großstadt, die uns Autor Ed McBain im Rahmen einer ebenso hymnischen wie kritischen Einleitung vorstellt, besonders hoch her: „Zuerst sieht man nur die Skyline der Stadt …; es verschlägt einem den Atem; ein seltsames Gefühl von Ehrfurcht bei diesem Anblick von majestätischem Glanz überkommt einen …“ Aber: „Vor den Häusern, hinter den Häusern und zwischen den Häusern gibt es Straßen. Und es gibt viel Abfall in diesen Straßen …“

Dieser Abfall wird aufgerührt, weil nicht nur ein Polizist – ein „Cop“ -, sondern auch ein Bruder jener Gemeinschaft, als die sich die Ordnungshüter betrachten, hinterrücks ermordet wurde. McBain stellt die Ungeheuerlichkeit dieses zudem wiederholten Vorgangs heraus, während er die Opfer als hart arbeitende Beamte und liebende Ehegatten und Väter darstellt. Wer wagt es, die blau gewandeten Ritter herauszufordern?

McBain investiert viel Mühe darin klarzustellen, dass hier kein raffiniertes Verbrechen begangen wird, das womöglich Bewunderung hervorruft. Die Kriminalromane um das 87. Revier sollen keine altmodischen „Whodunits“ sein. Verbindend wirkt höchstens die Tatsache, dass der Autor aus dem Täter möglichst lange ein Geheimnis macht. Praktisch unmöglich ist dagegen das klassische Miträtseln der Leser. Sie haben keine Chance, diesen vor dem Finale und quasi zeitgleich mit dem Verfasser oder womöglich vor ihm zu entlarven: McBain beschreibt ein Verbrechen, dessen Motiv überaus ‚modern‘ und damit brutal auf die Lösung eines Problems gerichtet ist. Die meisten Kapitalverbrechen sind gewöhnlich und schmutzig. Symbolhaft dafür steht, dass dieser Täter eine Pistole des Kalibers .45 benutzt, deren Projektile Menschen nicht einfach töten, sondern in Stücke fetzen, was Mordlust und Verachtung ausdrückt. McBains Verdienst besteht darin, diese Tatsache in Unterhaltung zu verwandeln, ohne darüber zynisch zu werden.

Geduld und Zufall

Obwohl „Polizisten leben gefährlich“ kein Rätsel-Krimi ist, bleibt der Leser an der Seite der ermittelnden Beamten. McBain plante nicht nur einen Einzelroman, sondern bereits eine Serie, weshalb er sich die Zeit nimmt, uns das 87. Revier und seine Beamten vorzustellen. Dies schloss bei ihm stets das Privatleben ein, wobei McBain nie Seifenschaum schlug, sondern Durchschnittsmenschen beschrieb, die ihr Leben führten, während sie einem anstrengenden und manchmal gefährlichen Job nachgingen. Dieses Konzept hat er nicht erfunden aber entwickelt und verfeinert. Es ist zeitlos und ist bis heute beispielsweise das Rückgrat zahlreicher, oft lang laufender Fernsehkrimi-Serien.

„Polizisten leben gefährlich“ kennt keine einzelne Hauptfigur. Ein Ensemble steht im Mittelpunkt: die Beamten des 87. Reviers. Wir lernen sie hier erstmals kennen. Im Laufe vieler Lektüre-Jahre werden wir sie immer wieder treffen: Steve Carella und die taubstumme Teddy Franklin, Bert Kling, Hal Willis, Lieutenant Byrnes. Das Team verändert sich im Laufe der Jahre, doch bestimmte Mitglieder bleiben präsent, schieben sich für einen Roman ins Rampenlicht und treten im nächsten in den Hintergrund zurück.

Obwohl der Mörder erst auf den letzten Buchseiten auftritt und uns zuvor völlig unbekannt war, streute McBain zuvor Informationen, ein, die nun ihre Bedeutung offenbaren. Das Verbrechen hat eine Vorgeschichte, und es gibt eine ‚Erklärung‘. Sie stellt alle bisher geäußerten Vermutungen auf den Kopf, ist simpel bzw. banal und gerade deshalb besonders erschreckend; sie gibt dem Originaltitel „Cop Hater“ eine völlig neue Deutungsrichtung. Lakonie und Emotionen, verbunden mit Spannung, Tragik und Witz: So wurde „Polizisten leben gefährlich“ zur Blaupause für die ganze Serie, die sich wie dieser Roman auch heute mit Genuss lesen lässt.

„Polizisten leben gefährlich“ im Film

1958 inszenierte der auf B- und C-Movies spezialisierte Regisseur William Berke (1903-1958) – er drehte zwischen 1934 und 1958 knapp 100 solcher Streifen – den gleichnamigen Film nach McBains Roman (dt. „Polizistenhasser“). Das Drehbuch schrieb Henry Kane (1918-1988), der wie McBain ein fleißiger Autor ‚harter‘ Krimis war. Steve Carella spielte ein noch junger Robert Loggia (1930-2015), in der Nebenrolle eines Spitzels brilliert Vincent Gardenia (1920–1992). Nur 75 Minuten lief dieser Film, der deshalb ohne Längen und trotz des sichtlich schmalen Budgets spannend auf den Punkt kommt.

Autor

Ed McBain wurde als Salvatore Albert Lombino am 15. Oktober 1926 geboren. Dies war in den USA in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg kein Name, der einem ehrgeizigen Nachwuchsschriftsteller hilfreich gewesen wäre. Also ‚amerikanisierte‘ sich Lombino 1952 zu Evan Hunter und schrieb ‚richtige‘ Bücher, d. h. Literatur mit Botschaft und Anspruch, darüber hinaus Kinderbücher und Drehbücher.

Da sich der Erfolg in Grenzen hielt, wählte Vollprofi Hunter ein neues Pseudonym und verfasste als „Ed McBain“ den ersten der von Anfang an als Serie konzipierten Kriminalromane um das 87. Polizeirevier. Schnelles Geld sollten sie vor allem bringen und ohne großen Aufwand zu recherchieren sein. Deshalb ist Isola mehr oder weniger das Spiegelbild von New York, wo Lombino im italienischen Getto East Harlems groß wurde. Aber Hunter bzw. McBain kochte nicht einfach alte Erfolgsrezepte auf. Er schuf ein neues Konzept, ließ realistisch gezeichnete Polizisten im Team auf ‚richtigen‘ Straßen ihren Job erledigen. Das Subgenre „police procedural“ hat er nicht erfunden aber entscheidend geprägt.

1956 erschien „Cop Hater“ (dt. „Polizisten leben gefährlich“). Schnell kam der Erfolg und es folgten bis 2005 54 weitere Folgen dieser Serie, der McBain niemals überdrüssig wurde, obwohl er ‚nebenher‘ weiter als Evan Hunter publizierte und als McBain die 13-teilige Serie um den Anwalt Matthew Hope verfasste. Mehr als 100 Romane umfasste das Gesamtwerk schließlich – solides Handwerk, oft genug Überdurchschnittliches, geradlinig und gern fast dokumentarisch in Szene gesetzt, immer lesenswert -, als der Verfasser am 6. Juli 2005 einem Krebsleiden erlag.

Taschenbuch: 156 Seiten
Originaltitel: Cop Hater (Garden City/New York : Permabooks/Doubleday 1956)
Übersetzung: Ernst Heyda
www.ullsteinbuchverlage.de

E-Book (unter dem Titel „Cops leben gefährlich“): 622 KB
ISBN-13: 978-3-95988-003-9
www.culturbooks.de

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