Edgar Allan Poe – Grube und Pendel (Gruselkabinett 111)

Inquisitionsfoltern und späte Rache: Poe im Doppelpack

Rom 1846: Der Edelmann Montrésor sieht sich seit Jahren der infamen Verspottung durch Fortunato ausgesetzt und ersinnt daher einen perfiden Plan, sich dieses Plagegeistes zu entledigen – vor allem, da die beiden, was Fortunato gar nicht mehr gegenwärtig hat, eine gemeinsame Vergangenheit haben, die bis in das Jahr 1796 zurückreicht… (Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt das Hörspiel ab 14 Jahren.

Der Autor

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan in Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science Fiction, Short Story. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas.

Mehr Info: „Sie handelt von den Qualen, die ein Gefangener der spanischen Inquisition ertragen musste, wobei Poe historische Fakten im Sinne der „Schwarzen Legende“ modifizierte.“

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher und ihre Rollen:

Eckart Dux: Montrésor
Jürgen Thormann: Fortunato
Johannes Raspe: Junger Montrésor
Herbert Schäfer: Luchesi
Matthias Lühn: junger Fortunato
Louis Friedemann Thiele: Knecht
Florian Jahr: de Lasalle

Regie führten die Produzenten Marc Gruppe und Stephan Bosenius. Die Aufnahmen fanden bei Titania Medien Studio und Planet Earth Studio statt.

Handlung

Auf einem Kostümball unterhalten sich Montrésor und sein Spezi Luchesi über Fortunato, der sich schon seit Jahren über Montrésor lustig macht und ihn verleumdet. Ganz im Vertrauen, hinter vorgehaltener Hand, vertraut Montrésor seinem Kumpan an, dass er sich schon bald an Fortunato zu rächen wissen werde. Aber auf eine Weise, bei der sein Erzfeind nie auf den Gedanken käme, es ginge mit ihm zu Ende.

Ja, es stimmt, dass Montrésor noch eine alte Rechnung zu begleichen habe. Denn vor fünfzig Jahren, gegen Ende des 18. Jahrhunderts, war sein Erzfeind Richter der heiligen Inquisition, bis Napoleon kam und ihn absetzte. Luchesi hat indes recht: Montrésor musste in seiner Jugend unter Richter Fortunato leiden, und zwar nicht wenig: Er wurde unschuldig verurteilt. Erst das Eintreffen der Franzosen bewahrte ihn vor einem qualvollen Ende in den Kerkern…

Die Foltern

Montrésor erwacht auf Stroh in der Finsternis seines nassen Kerkerlochs. Der Hall verrät, dass dies keine gewöhnliche Zelle ist, sondern vielmehr ein Loch von beträchtlichem Durchmesser. Der Umfang beträgt hundert Fuß, so dass er sich ausrechnen kann, wie lang der Radius ist. Das hilft ihm aber wenig, als durch tasten herausfindet, dass in der Mitte dieses Kerkers ein weiteres Loch darauf wartet, ihn zu verschlingen. Ein Steinwurf meldet ihm durch Hall und Poltern, dass ein Sturz in dieses Loch sein Ende bedeuten würde.

Der Kerkerknecht hat seinen täglichen Krug Wasser vergiftet, betäubt sinkt Montrésor zu Boden. Als er wieder erwacht, findet er sich auf einem Sockel oder Podest festgebunden. Damit er nicht verhungert, steht auf seiner Brust eine Schale Brei und sein linke Hand ist ungefesselt, damit er sich selbst füttern kann. Die Decke über ihm zeigt ein ungewöhnlich realistisches Bild vom Schnitter Tod. Dieser hält eine ziemlich große Sense in der Skeletthand – oder ist es doch ein Pendel mit einem sensenartigen Gewicht?

Als sich das Sensenpendel auf ihn herabsenkt, ahnt der Gefangene, dass sein Ende auf teuflische Weise ersonnen und zugemessen wurde. Nun kommt es darauf an, dem Tod mit ebenso viel Witz und Verstand entgegenzutreten. Da fallen ihm die vielen Ratten ein, die ringsum herumwuseln. Sie könnten sich als nützliche Helfer erweisen…

Mein Eindruck

„Keiner schädigt mich ungestraft“ lautet der Sinnspruch, der auf dem Familienwappen der Montrésors steht (genau wie auf dem von Schottland). Um Strafe und Rache geht es im ganzen Hörspiel, das zwei Erzählungen Edgar Allan Poes kombiniert: „Das Fass Amontillado“ bildet die Rahmengeschichte, „Grube und Pendel“ die Binnengeschichte – eine lange Rückblende, die den unterhaltsameren Teil des Hörspiels darstellt.

Jeder kennt die Foltern aus den zahllosen Verfilmungen, etwa von Roger Corman. Aber nur diejenigen erinnern sich an den ziemlich seltsamen Plot von „Das Fass Amontillado“, die die Vertonung durch Alan Parson kennen:

„By the last breath of the four winds that blow / I shall have revenge upon Fortunato“.

Die spannende Frage lautet, wie man einen ehemaligen Richter auf derart unauffällige Weise in eine Todesfalle lockt, dass dieser keinen vorzeitigen Verdacht schöpft. Wie sich herausstellt, muss der Köder der Falle angemessen sein, und der ist nunmal besagtes Fässchen Amontillado. Dieser edle Tropfen ist offenbar so selten, dass Fortunato nicht glauben kann, dass ein Wicht wie Montrésor in den Besitz einer solchen stattlichen Menge gekommen sein könne.

Es ist ein langer Weg für den Rächer und sein Opfer, bis das Ende der ausgedehnter Weinkellergewölbe erreicht ist. Die Gewölbe gemahnen an die ausgedehnten Kerkergewölbe, von denen Piranesi so eindrucksvoll-düstere Zeichnungen hinterlassen hat. Leider sind Fortunato keine hilfreichen Ratten zu Diensten, als er vom Trunke ermattet niedersinkt und sich alsbald in Ketten sieht…

Hinweis

Im Rahmen der POE-Hörspiel-Reihe des Lübbe-Verlags erschien vor Jahren eine Vertonung auf DVD, um den besonderen DD-5.1-Klang der Inszenierung zur Geltung zu bringen. Die dröhnenden Schwingungen des Sensenpendels sind mir noch in bester Erinnerungen. Im Vergleich dazu schneidet die vorliegende Titania-Inszenierung etwas schwächer ab. Das liegt an der Raffung des Geschehens – es ist ja schließlich bloß eine lange Rückblende – aber auch an der begrenzten Klangqualität einer CD (bei diesem Format werden ja von vornherein Kompressionstechniken eingesetzt, damit die Datenfülle auf die Disc passt).

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher

Aufgrund der doppelten Handlung kommt es zu einer interessanten Konstellation: Es treten zwei Sprecherpaare in je einer Figur auf: Eckart Dux und Jürgen Thormann als der alte Montrésor bzw. Fortunato (s.o.), sodann Johannes Raspe und Matthias Lühn als deren jüngere Versionen. Der Kontrast ist durchaus bemerkenswert, denn er lässt den Zuhörer frühzeitig erahnen, ein welch langer Zeitraum – fünf Dekaden – zwischen den Jüngeren und den Älteren liegt.

Die reizvolle Frage lautet nun, ob der ältere Montrésor immer noch so einfallsreich ist wie der junge, und ob der arrogante Richter des Jahres 1796 fünfzig Jahre später immer noch so hochmütig ist, dass er in die perfide gestellte Falle tappt. Der Erfolg, der oben angedeutet wurde, gibt Montrésor recht.

Der Eindruck, der schließlich bleibt, ist der eines fein austarierten Mit- und Gegeneinanders zweier ausgezeichneter Veteranen des Sprechmetiers, eben Dux und Thormann. Für junge Zuhörer stellt sich allerdings bald die Frage, warum er dem ausgedehnten, mitunter lallend geführten Dialog länger als fünf Minuten lauschen sollte, zumal sich die Stimmen der beiden Sprecher auf irritierende Weise ähneln. Das offenbart die Schwäche dieser Inszenierung: Sie verlässt sich zu sehr auf die unleugbaren Qualitäten der Veteranen, schließt aber die Reize von Action oder Romantik dadurch aus. Zumal sich Thormann auch noch verhaspelt und „1896“ sagt statt „1796“. Für mich ist daher der eindeutig spannendere Teil die Rückblende mit den Foltern.

Geräusche

In beiden Handlungsebenen setzt die Tonregie alles ein, was gut und teuer ist. Nach dem Auftakt mit dem Kostümball folgt als herber Kontrast die lange Rückblende auf die Folterkammern. Wasser tropft, Stroh raschelt, Steine poltern, alles ist mit Hall unterlegt. Dann kommen die Ratten und das dröhnende Pendel, das sich auf den Gefesselten herabsenkt. Kaum hat er sich befreit, beginnen glühende Metallplatten, ihn auf die Grube zuzuschieben, signalisiert durch ein tiefes Grollen… Das kann aber auch der Krach einer napoleonischen Kanone sein, denn wenige Momente später wird die Kerkertür quietschend geöffnet: der Befreier.

Wie ähnelt sich doch die Geräuschkulisse in den Weingewölbe Montrésors 50 Jahre später. Die Stimmen hallen wider, sogar ein Käuzchen ruft, Fackeln lodern, von den Wänden tropft giftiger Salpeter. „Auf die Toten!“ lautet der Trinkspruch der Stunde, Flaschen und Gläser klingen. Störend ist nur das fortwährende Husten Fortunatos, dessen Lunge schwer unter dem allgegenwärtigen Salpeter zu leiden hat. (Salpeter ist meines Wissens ein Bestandteil von Schwarzpulver oder dergleichen Sprengstoff.) Die Szene klingt in munterem Kettengeklirr und fleißiger Maurerarbeit aus: Fortunatos Ende ist besiegelt.

Musik

Die musikalische Untermalung spielt eine sehr wichtige Rolle in der handlungsarmen Rahmenhandlung. Sie eröffnet den Kostümball mit Tanzmusik, die ein wenig altmodisch als Barockklänge daherkommt – und das im Jahr 1846! Offenbar wollte die Tonregie etwas an das Hörspiel „Die Maske des roten Todes“ erinnern, das in der Tat im Mittelalter spielt. (Eine „Maske“ ist dort ein Kostümball.)

Musik erklingt erst wieder, als der Gefangene aus dem Kerker befreit wird – das Licht des Tages und der Freiheit beschleunigt seine Lebensgeister, und flotte Musik verdeutlicht diesen Vorgang anschaulich. Doch die Racheszene in den Weingewölben zieht sich völlig musiklos hin, obwohl doch ein wenig unheilvolle Musik dem bevorstehende Lebensende Fortunatos gut getan hätte. Es kann aber sein, dass mir der eine oder andere Klangeffekt entgangen ist. Den Ausklang bestreiten triumphal erklingende Akkorde.

Das Booklet… enthält im Innenteil lediglich Werbung für das Programm von Titania Medien. Auf der letzten Seite finden sich die Informationen, die ich oben aufgeführt habe, also über die Sprecher und die Macher. Die Titelillustration von Ertugrul Edirne fand ich diesmal passend und stimmungsvoll. Firuz Akin macht auch Werbung für sein Buch „Illustration“, das im Heider Verlag erschien.

Im Booklet sind Hinweise auf die nächsten Hörspiele anno 2016 zu finden:

Doppel-Folge 114/115 „Der Ruf des Cthulhu“ aus der Feder von H.P. Lovecraft
Folge 116 „Der schwarze Stein“, nach Robert E. Howard und:
Folge 117 „Ewige Jugend“ nach Leopold von Sacher-Masoch;
Doppel-Folge „20.000 Meilen unter dem Meer“ nach Jules Verne

Unterm Strich

„Grube und Pendel“ trieb anno 1842 den Horror auf eine bis dato unerreichte Spitze: Folter durch die Inquisition, ein mysteriöser Todesfall, Gift im Wasser, ominöse Pendeluhren und schließlich der klaustrophobische Höhepunkt unter dem messerscharfen Pendel selbst. Kulturell gesehen herrscht im Kloster noch finsterstes Mittelalter, bis Napoleons Truppen Freiheit, Licht und Leben bringen. Der Richter (im Original ein Abt) verkörpert die Willkürherrschaft der katholischen Kirche in Spanien. Es herrscht Torschlusspanik, und die Entwicklung der Dinge treibt auf einen Höhepunkt zu.

Die Rahmenhandlung „Das Fass Amontillado“ spielt nicht in Spanien, sondern eigentlich in Italien. Einerlei – Hauptsache, das Motiv für die Rache Montrésors an Fortunato ergibt sich aus der Rückblende. Mit geradezu hämischem Sarkasmus, den der Rächer fortwährend verbergen muss, führt er sein Opfer, den vormaligen Inquisitionsrichter, zu dessen vorbestimmter Zelle, wo er ihn einmauert. Mögen ihm die Ratten helfen. Man sieht also, dass hier der ausgleichenden Gerechtigkeit gehörig nachgeholfen wird.

Das Hörbuch

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen. Jürgen Thormanns und Eckart Dux‘ Stimmen sind deutschen Filmfreunden von zahlreichen amerikanischen und britischen Darstellern bekannt.

Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für gruselige Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, und die Stimmen der Hollywoodstars vermitteln das richtige Kino-Feeling. Für Sammler ist die Reihe inzwischen ein Leckerbissen. Allerdings weist es ein paar Schwächen auf, die ich oben unter „Die Inszenierung“ aufgeführt habe. Ich fand es unter anderem zu lang, und die Stimmen der beiden Sprechveteranen ähneln einander zu sehr. Immerhin ist eines schnell klar: Es ist immer „Fortunato“, also Dux, der hustet und lallt. Darauf heben wir einen!

Spielzeit: ca. 67 Minuten.
O-Titel: The Pit and the Pendulum, 1842.
Aus dem Englischen übersetzt von unbekannt.
ISBN 9783785752548

www.titania-medien.de

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