Edward Berry – Der verrückte Ritter (Die schönste Geschichte aller Zeiten 3)

Spaßige Abenteuer mit Drachen und Rittern

Mit Unterstützung ihrer Tante Bea, die zu einer geheimen Gilde von Buchhändlern gehört, des Literaturkritikers Leo Gutenberg und des klugen, aber ziemlich chaotischen Tintengeists Nero, bestehen Alba und Diego ein neues Abenteuer in der Welt der Bücher. Diesmal haben sie entsetzt festgestellt, dass Don Quijotes Reittier nicht etwa der alte Klepper Rosinante ist, sondern ein ausgewachsener, feuerspeiender Drache…

Der Autor

Hinter dem Pseudonym „Edward Berry“ verbirgt sich das Schriftstellerduo Pierdomenico Baccalario und Eduardo Jàuregui, ersterer der italienische Autor der bekannten Jugendbuchreihe „Ulysses Moore“. Auch in dieser Reihe spielen Türen, die das Reisen in vergangene Zeiten und an andere Orte ermöglichen eine entscheidende Rolle.

Eduardo Jàuregui ist in England geboren, aber in Spanien aufgewachsen, wo er auch heute noch lebt und als Dozent an der Universität von Madrid arbeitet. Bekannt ist der auf Humor und Positive Psychologie spezialisierte Wissenschaftler inzwischen für seinen einfühlsamen Roman „Gespräch mit meiner Katze“. Das lässt vermuten, dass er besonders zum feinen, hintergründigen Humor der Geschichte beiträgt. (Quelle: Corinna Hein auf Buchwurm.org)

Die Reihe “ Die schönste Geschichte aller Zeiten “

1) Das verschwundene Buch („Peter Pan“)
2) Das geheime Tor („Die drei Musketiere“)
3) Der verrückte Ritter („Don Quijote“)

Vorgeschichte

Die Geschwister Diego und Alba lassen ihre Phantasie freien Lauf, wenn sie nach der Schule ihre schöne Heimatstadt Barcelona durchstreifen. Tante Beatriz, die Buchhändlerin ihres Vertrauens, hat ihnen je ein Exemplar von „Die schönste Geschichte aller Zeiten“ versprochen.

Ihre Bestürzung ist groß, als sie den Buchladen erreichen, der von zahlreichen Leseratten belagert wird. Tante Bea ist dabei, die Exemplare des angekündigten Buches von – wie hieß sie noch gleich? – zu entfernen. Als sie ihre Nichte und ihren Neffen eingelassen hat, zeigt sie ihnen, was damit nicht stimmt: Bis auf die Seitenzahlen und and andere unwichtige Details fehlt der Text! Doch das ist nur die Hälfte der Katastrophe. Man sehe sich nur den Kinderbuchklassiker „Peter Pan“ an: Captain Hook bedroht den fliegenden Helden der Kinderzimmer mit einer neumodischen Laserpistole und – festhalten, Kinder! – befördert diesen sogar ins Jenseits!

Solche Fehler finden sich in so vielen weiteren Kinderbuchklassikern, dass es das Trio schaudert. Auch ihr Literaturlehrer fällt vor Schreck in Ohnmacht. Die Regierung lässt Buchhandlungen im ganzen Land absperren: Die Buchinhalte sind viel zu gefährlich. Stattdessen soll an der Schule eine Software für Gehirntraining eingeführt, die die Firma eines gewissen Mr. Zargo vertreibt. Diego, der Maler, hat Probleme mit öden Zahlen und ist niedergeschmettert, als seine Punktzahl im Gehirntraining unter den Durchschnitt fällt, wohingegen Alba, die Sprachkünstlerin, brilliert. Wenn er wüsste, dass Mr. Zargo hinter den manipulierten Büchern steht, wäre Diego nicht so trübselig.

Doch Tante Beatrix hat einen kühnen Plan, für den sie das Geschwisterpaar gewinnen kann. Sie verfügt über Zauberkräfte, die ihr der altägyptische Schreiber-Gott Thot verliehen hat, und damit will sie Diego und Alba in das jeweilige Kinderbuch versetzen, damit sie alles wieder ins gewohnte Lot bringen…

Trotz anfänglicher Zweifel erklären sich Alba und Diego aus Liebe zu den Kinderbüchern und aus Vertrauen zu Tante Bea bereit, sich in die Buch-Welt versetzen zu lassen. Eine kleine Beigabe werde ihnen ermöglichen, wieder in die hiesige Welt zurückzukehren: der Tintengeist Nero, der nicht nur erlaubt, das FINIS-Tor zu zeichnen, sondern auch so manchen guten Ratschlag bereithält.

Handlung

Als Leo Gutenberg, der berühmteste Literaturkritiker der Welt, in Tante Beas Buchhandlung tritt, hat diese gerade einen wichtigen Brief aus den Niederlanden erhalten: eine Einladung zu einer wichtigen Sitzung ihres Ordens. Davon muss Leo nun wirklich nichts wissen. Und er findet auch nichts Wesentliches heraus. Aber es wird Bea, Diego und Alba klar, dass er sich wirklich um Lucy Ferriers Buch „Die schönste Geschichte der Welt“ und die Verunstaltungen zahlreicher Kinderbuchklassiker sorgt. Er beklagt das neueste Opfer, den „Don Quijote“ von Miguel Cervantes. Dann muss er wieder abfliegen, nicht ohne zuvor Tante Bea seine Zuneigung bekundet zu haben.

Doch der Feind liegt in Gestalt von Gustav Wart, dem Handlanger Mister Zargos, bereits auf der Lauer. In einem unachtsamen Augenblick gelingt es ihm, den bewussten Brief zu stibitzen und unbehelligt zu entkommen. Das Buchretter-Trio muss ihm zuvorkommen und sofort abreisen!

Die Ordenssitzung findet in einer umgewidmeten alten Kirche statt. Die Ordensleitung macht sich wirklich Sorgen wegen der Eigenmächtigkeiten, die Bea Castells gezeigt hat, um diverse Aktionen auszuführen. Soll man die allzu selbständige Buchhändlerin bestrafen oder unterstützen? Der Zirkel ist sich uneins. Aber bald bemerken auch diese alten Herrschaften, dass am Kirchturm ein ungebührlichen Radau herrscht – rückt der Feind abermals an? Es ist in der tat Gustav Wart, der sich trotz seines Übergewichts als Fassadenkletterer versucht. Doch er hat nicht mit dem Hunger der Tauben gerechnet…

In Spanien

Das mittlerweile bereits vertraute Ritual, das Diego und Alba in die Welt des Buches über Don Quijote befördert, muss in höchster Eile vollzogen werden. Dennoch vergisst Tante Bea nicht, ihnen ein Fläschchen Zaubertinte Marke „Nero“ zuzustecken. Sie landen in den schon betagten Körpern des Herzogs von Alba und seiner Gemahlin. Der Herzog ist ein ruhmreicher Feldherr des spanischen Königs Philipp II und somit überall bestens angesehen.

Zumindest theoretisch, denn praktisch gesehen sitzen die Geschwister gerade ziemlich in der Bredouille: Um sie herum tobt eine Schlacht, und als dann auch noch ein feuerspeiender Drache anfliegt, um sie aufs Korn zu nehmen, ist guter Rat teuer. Da kommt ihnen ein recht unwahrscheinlich auftretender Ritter zu Hilfe. Er pfeift auf seinen Finger, und das Ungetüm wird auf einmal lammfromm. Kurzerhand steigt er auf den Rücken der riesigen Bestie und fliegt von dann.

Sancho Panza, sein treuer, aber beleibter Knappe, entschuldigt sich beim Herzog Alba. Sein Herr müsse verrückt geworden sein. Naja, aber besser als gegen Windmühlen zu kämpfen, ist es allemal…

Mein Eindruck

Dieses Abenteuer Diegos und Alba findet in einem alternativen Geschichtsverlauf statt, der jedem SF-Kenner vertraut vorkommen dürfte: Die Spanier haben Großbritannien besetzt, nachdem ihre Armada im Ärmelkanal gesiegt hatte. Diesen alternativen geschichtsverlauf haben bereits Kingsley Amis in „Die Verwandlung“ und Keith Roberts in „Die folgenschwere Ermordung Ihrer Majestät Elisabeth I.“ (alias „Pavane“) lebhaft ausgemalt.

Nun gebietet innerhalb von Philipps Kaiserreich kein anderer als Don Quijote, sein Günstling, über Westeuropa – und Sancho Panza soll Regent über England werden. Das passt Philipp zwar gar nicht, denn Ländereien sollten seines Erachtens adligen Fürstenhäusern zugesprochen werden, was man Don Quijote nicht behaupten kann. Aber der Ritter hat ein gewichtiges Argument: seinen feuerspeienden Drachen.

Die Geschwister unternehmen wie gewohnt mehrere Versuche, den Drachen loszuwerden. Doch erst als sie in Quijotes Gegenwart den Namen „Dulcinea“ aussprechen, beginnt sich in dessen Seele etwas Altes zu regen. Aber hat diese „Dulcinea“ überhaupt je existiert, oder ist sie nur wie die Riesen alias Windmühlen nur eine Ausgeburt seiner romantischen Einbildung?

Wie die Geschwister herausfinden, existiert tatsächlich eine junge Dame, der einst Qujotes Herz gehörte. Allerdings ist sie eine einfache Schweinehirtin und er jetzt ein großmächtiger Fürst, der in Kürze Ulrica, die Prinzessin von Schweden, heiraten soll. Wie sollen die beiden also jemals wieder zusammenkommen, fragen sich die Geschwister. Tatsächlich ist eine ganz besonders raffinierte Inszenierung nötig, um Don Quijotes Sinn zu ändern. Dazu gehört in der Trauungskirche der Auftritt einer Horde von Teufeln…

Die Übersetzung

Das Buch bietet neben einem dreidimensionalen Titelmotiv (siehe Abbildung) auch etliche Zeichnungen. Das Finale wird mit einer Doppelseite gewürdigt. Auf der Innenseite des vorderen Einbands werden auf der Doppelseite die zentralen Figuren mit Namen, Bild und Eigenschaften vorgestellt.

Auf der Innenseite des HINTEREN Einbands ist ein Bücherregal abgebildet, doch auf einem Lesepodest liegt der Klassiker, um des in diesem Auftaktband geht: „Don Quijote – La Mancha 1605“. In einer Buchlücke ist der Tintengeist NERO zu sehen.

Der an Kunstleder erinnernde Einband schmeichelt dem Tastsinn, denn die Buchstaben und Figuren sind erhaben eingeprägt. Ein weiterer Bonus: Wer die Seiten schnell durchblättert, kann unten rechts das Daumenkino bewundern, das zeigt, wie der kleine Tintengeist NERO wächst und schrumpft.

Fehlerliste

S. 27: „schummrig“ statt „schwummrig“. „Schummrig“ beschreibt niedrige Helligkeit, „schwummrig“ ist ein instabiler Geisteszustand. Ein typischer Fehler der Rechtschreibkorrektur in MS WORD.

S. 30: „Ach, da[s] steht ja mein Name…“ Das S ist überflüssig.

S. 45: „Die Taupe gurrte glücklich…“: „Taube“ wird mit B geschrieben.

S. 116: „Strunzdumm“: Über die stilistische Angebrachtheit dieses Ausdrucks kann man sich streiten. Kinder sind darüber wahrscheinlich begeistert.

S. 131: „Weist du“, fuhr Sancho fort…“ Korrekt müsste es „weißt du“ heißen.

Unterm Strich

Dieser dritte Band zeigt die beiden Autoren auf der Höhe ihres Könnens. Mit Souveränität kombinieren sie die kontrastierenden Handlungsstränge um die Geschwister und ihren Widersacher Gustav Wart, um Tante Bea und ihren Verehrer Leo Gutenberg und schließlich die turbulenten Ereignisse in der Buch-Welt. Die Souveränität erlaubt es ihnen, die irrwitzigsten Abenteuer um Gustav Wart und Don Quijote zu erfinden, ohne eine Miene zu verziehen. Letzteres dürfte aber dem jungen Leser, der hoffentlich Spaß versteht, umso leichter fallen: Die Szenen sind wirklich zum Kringeln.

Bemerkenswert ist diesmal die Art und Weise, wie Don Quijote von seinen Fürsten Ambitionen zurückkehrt zu jener Welt, in der eine gewisse „Dulcinea“ eine Rolle spielte. Diese Veränderung vollzieht sich rein innerlich, und der Auftritt der Teufel, die seine Liebste in einem Käfig gefangenhalten, ist nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, d.h. seine Liebe zu der schönen Schweinehirtin.

Dass die schwedische Prinzessin ebenso wenig wie der König und alle geladenen Gäste dem höllischen Schauspiel nur wenig Erbauliches abgewinnen können, vermag man sich gut vorzustellen: Sie nehmen alle kreischend Reißaus. Bliebe also nur noch das kleine Problem mit dem Riesendrachen und dessen hoffentlich baldigem Verschwinden. Darüber darf ich jedoch nicht mehr verraten. Die schönen Illustrationen verraten ja schon einiges.

Die Zielgruppe

Ob das Buch ab neun Jahren schon verstanden wird, ist fraglich (s. o.), denn die Vokabeln sind mitunter recht schwierig – und Fußnoten gibt es hier keine. Ob es aber ab 12 Jahren NOCH gelesen wird, ist ebenso zweifelhaft: So ein Z-Phone ist einfach viel interessanter, nicht wahr? Dem Buch bleibt also nur ein sehr kurzer Lebensabschnitt als Leserschaft. Doch was ihm wirklich fehlt, ist das interaktive Element. Deutsche Verlage haben sich hinsichtlich Interaktivität schon sehr viel einfallen lassen, so etwa bei den ???-Krimis. Sanssouci sollte sich daran ein Beispiel nehmen.

Mir hat die Lektüre jedenfalls großen Spaß gemacht, so dass ich das Buch in nur zwei Tagen bewältigte. Junge LeserInnen schaffen es sicherlich an nur einem Nachmittag (wenn das Z-Phone sie lässt).

Hardcover: 200 Seiten
Originaltitel: El cuento mas maravilloso jamas escrito – Don Quijote y el Drac, 2016
Aus dem Spanischen von Anja Rüdiger
ISBN-13: 9783990560624

Sanssouci

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