Elizabeth A. Lynn – Sardonyx Netz. SF-Roman

In der Galaxis der Sklavenhalter

Das NETZ ist ein gewaltiges Raumschiff, das regelmäßig den Sardonyx-Sektor der Galaxis befährt. Es ist in Privatbesitz der märchenhaft reichen Familie Yago, die auf Chabad ihren Sitz hat, und führt eine besondere Ware mit sich: Sklaven.

Da auf Chabad die Sklaverei nicht verboten ist, kauft die Familie Yago im gesamten Sektor verurteilte Straftäter auf, um sie für die Zeit ihrer Haft als Sklaven auszubeuten – und jede der besiedelten Welten ist froh, ihre Verbrecher los zu sein.

Dana Ikoro, ein kleiner Handelskapitän, der seinen Unterhalt hauptsächlich mit Schmuggeln verdient, legt sich leichtsinnigerweise mit Zed Yago an, dem Kapitän der NETZ, nicht ahnend, dass er damit einer von krankhafter Machtgier und Sadismus zerfressenen jungen Mann zum Gegner hat. Ehe er sich versieht, hat man ihn zum Haussklaven der Yagos gemacht. Und mit Entsetzen wird ihm klar, dass er die zehn Jahre, zu denen er „verurteilt“ wurde, nur überleben kann, wenn er sich unterwirft, aber nicht zerbrechen lässt. (Verlagsinfo)

Die Autorin

Die US-Autorin Elizabeth Anne Lynn (*1946) erregte mit ihrer überdurchschnittlich guten Fantasy-Trilogie „Die Chronik von Tornor“ weltweit Aufsehen. Für „Die Zwingfeste“ (weitere Bände waren „Die Tänzer von Arun“ und „Die Frau aus dem Norden“) wurde sie 1980 mit dem World Fantasy Award ausgezeichnet. Lynn brachte in ihren Fantasy-Romanen neue Blickwinkel in das alte Thema der Gleichberechtigung und Selbstbehauptung von Mann und Frau in der Gesellschaft ein. Viel später erschien ihr Fantasy-Roman „Dragon’s Winter“, der mit „Dragon’s Treasure“ eine Fortsetzung fand.

Mit „Sardonyx Netz“ bewies sie, dass sie auch packende Science Fiction schreiben kann. Darin kritisiert sie diverse Formen der Sklaverei. Mit größtem Bedauern wurde Mitte der achtziger Jahre ihr Rückzug aus diesen beiden Genres zur Kenntnis genommen, denn sie litt unter einer schweren Schreibblockade. Stattdessen unterrichtete sie Kampfsport.

Fans finden einen Querschnitt ihres Könnens in der Storysammlung „Die Frau, die den Mond liebte“ (1981/84, Heyne 06/4119). Wie schon in ihrem Erstlingsroman „A Different Light“ (1978; dt. Titel: „Das Wort heißt Vollkommenheit“) versieht Lynn eine Geschichte, deren moralische Seiten offenbar entschieden sind, stets mit einer ironischen Wendung.

„Ihre Geschichten zeichnen sich durch eine einfühlsame psychologische Zeichnung ihrer Figuren aus. Oft wird sie als Vertreterin einer „feministischen Science-Fiction“ bezeichnet. Häufig wiederkehrende Themen in ihren Geschichten sind Geschlechtsidentität und Homosexualität.“ (Wikipedia)

Lynn arbeitet als Rezensentin für die „San Francisco Review of Books“ und lehrt innerhalb des Woman Studies Program an der San Francisco State University.

Die Chronik von Tornor

1) Die Zwingfeste (1979, dt. 1983)
2) Die Tänzer von Arun (1980)
3) Die Frau aus dem Norden (1981)

Ab 2000 brachte Knaur die Trilogie als Neuauflage unter dem Titel „Die Türme von Tornor“ heraus:

Die Winterfestung. 2000 ISBN 3-426-70210-X (Watchtower. 1979)
Der Rat der Hexer. 2001 ISBN 3-426-70211-8 (The Dancers of Arun. 1980)
Die Träumer von Kendra. 2001 ISBN 3-426-70212-6 (The Northern Girl. 1981)

Handlung

Die NETZ ist ein gewaltiges Raumschiff, das regelmäßig den Sardonyx-Sektor der Galaxis befährt. Es befindet sich im Privatbesitz der märchenhaft reichen Familie Yago, die auf Chabad ihren Sitz hat, und führt eine besondere Waren mit sich: Sklaven. Da auf Chabad die Sklaverei nicht verboten ist, kauft die Familie Yago im gesamten Sektor verurteilte Straftäter auf, um sie für die Zeit ihrer Haft als Sklaven auszubeuten – und jede der besiedelten Welten ist froh, ihre Verbrecher los zu sein.

In einer Welt, die in ihrer Andersartigkeit und ihren teils abstoßenden, neuen sozialen Regeln ein ganz klein wenig an Aldous Huxleys Zukunftsvision „Schöne neue Welt“ erinnert, trifft unser Held, der Schmuggler und Raumschiffkapitän Dan Ikoro, auf ein merkwürdiges Geschwisterpaar: die Pseudo-Zwillinge Rhani und Zed Yago.

In Wirklichkeit ist Rhani die ältere von beiden, doch sie und ihr Bruder sind so eng miteinander verbunden, dass sie während der Geschichte lange Zeit als untrennbare Einheit erscheinen. Tatsächlich gehen ihre Identitäten ineinander über; sie stellen zwei Seiten einer Medaille dar, ähnlich wie die beiden Hauptfiguren in Hermann Hesses verfilmtem Roman „Narziss und Goldmund“.

Allerdings entwickeln sich in Hesses Buch die beiden Persönlichkeiten erst allmählich, um nach einem weiten Auseinanderdriften wieder aufeinander zuzukommen, ist es hier umgekehrt: Zunächst scheinen die Positionen klar verteilt zu sein: Rhani ist „die Gute“, Zed „der Böse“.

Rhani Yago

Obwohl sie als Patrizierin in einer Sklavenhaltergesellschaft lebt und durch Sklavenhandel ihren Unterhalt bestreitet, ist sie zu Anfang die freundliche Herrin, die ihre Angestellten gut behandelt und offenbar völlig schuldlos von einer verbrecherischen Organisation terrorisiert wird. Zed dagegen, ein einzelgängerischer Arzt und nebenbei ebenfalls Raumschiffkapitän, wird als irrer Sadist präsentiert, der die Wehrlosigkeit der von ihm transportierten Sklaven ausnutzt, um persönliche Gelüste zu befriedigen.

Ikoro ahnt in seiner Konfrontation mit Zed nicht, dass er einen von krankhafter Machtgier und Sadismus zerfressenen jungen Mann zum Gegner hat. Ehe er es sich versieht, hat man ihn zum Haussklaven der Yagos gemacht. Und mit Entsetzen wird ihm klar, dass er die zehn Jahre, zu denen er „verurteilt“ wurde, nur überleben kann, wenn er sich unterwirft, aber nicht zerbrechen lässt

Zed Yago

Erst allmählich, als Kapitän Ikoro (als Sklave, verurteilt wegen Drogenschmuggels) in die kleine, einfache Welt dieses Paars hineingeworfen wird, eröffnet sich dem Leser ein neuer Blickwinkel. Rhani ist gar nicht so gut, wie sie nach außen hin scheinen möchte. Sie kennt die psychischen Beeinträchtigungen ihres Bruders, ist aber weit davon entfernt, ihm auf irgendeine Art helfen zu wollen, sondern setzt ihn und seine „Krankheit“ gezielt ein, um für Ordnung in ihrem Imperium zu sorgen. Zed, das nützliche Rädchen in ihrer Maschinerie, versucht im Laufe der Handlung sich von ihr zu lösen, auszubrechen, muss allerdings feststellen, dass das nicht so leicht möglich ist.

Die Standpunkte sind festgefahren. Die Sklavenhaltergesellschaft, die Rhani und Zed umgibt, und auch Kapitän Ikoro können und wollen die Geschwister nicht anders sehen als „gute Rhani“ vs. „böser Zed“; es gibt für beide kein Entkommen, wohl aber für den Helden Ikoro, den Rhani vorzeitig aus der Sklaverei entlässt, und dem man anmerkt, dass er einfach nur erleichtert ist, aus dieser Umgebung verschwinden zu können.

Alles klar, oder?

Dieser Trick der Autorin, beim Leser ein großartig-mulmiges Gefühl des Ich-bin-der-Einzige-der-hier-klarsieht! zu hinterlassen, macht das Buch wirklich zu etwas besonderem. Obwohl (oder gerade weil) alle das Paar umgebenden Charaktere darauf bestehen, dass Rhani die nette, normale Frau mit Karriere und Kinderwunsch ist und Zed der geifernde Irre, schafft es die Autorin, eben diese Sichtweise beim Leser gründlich infrage zu stellen. Der weiß, dass er gerade manipuliert wird (so, wie Rhani ihre Umgebung fortwährend manipuliert), lässt es aber interessiert geschehen und wundert sich darüber, welche Wirkung das Buch hinterlässt.

Unterm Strich

Wie schon in ihrem Erstlingsroman, „A Different Light“ (1978) versieht die Autorin eine Geschichte, deren moralische Seiten offenbar entschieden sind, mit einer ironischen Wendung. Zunächst scheint alles klar und eindeutig zu sein: Sklaverei ist schlecht für Planeten, Drogen sind schlecht für die Gesellschaft, Sadismus ist schlecht für die Seele – doch die moralischen Grenzen verwischen sich im Laufe der Erzählung.

Obwohl die Autorin die Sklaverei auf dem Söldnerplaneten Chabad nie rechtfertigt, so nimmt sie doch die komplexen Interaktionen innerhalb der Sklavenhaltergesellschaft deutlich wahr. Den Sadismus des Kapitäns und Sklavenhändlers Zed Yago auf der NETZ drückt Lynn so lebendig als Auswirkung seines verletzten seelischen Zustands aus, dass er fast selbst zur Hauptfigur des Romans wird.

Die Autorin brachte in ihren Fantasy-Romanen neue Blickwinkel in das alte Thema der Gleichberechtigung und Selbstbehauptung von Mann und Frau in der Gesellschaft ein. In „Die Tänzer von Arun“ (Band 2 der TORNOR-Chroniken) und „A Different Light“ befasste sie sich mit dem Thema der Homosexualität. In „Sardonyx Netz“ versieht sie das Thema Sklaverei mit neuen, nachdenklich machenden Aspekten. Ein Buch, das von psychologischer Spannung statt äußerer Action profitiert. Vergleicht man diesen Roman mit den Space Operas von C.J. Cherryh aus ihrem Allianz-Union-Universum, so erscheint „Sardonyx Netz“ als sehr viel subversiver und eindringlicher.

Taschenbuch: 510 Seiten
O-Titel: Sardonyx Net, 1981
Aus dem US_Englischen übersetzt von Roland Fleissner.
ISBN-13: 9783453309746

www.luebbe.de

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