Elizabeth Gaskell – Das alte Kindermädchen erzählt (Gruselkabinett Folge 165)

Der Fluch der bösen Tat

Northumberland, 1852: Nach dem Tod ihrer Eltern zieht die kleine Rosamond zusammen mit ihrem Kindermädchen Hester nach Manor House zu ihren Verwandten. Doch alsbald beginnt Hester, sich über das blasse Gesicht und die kalte Ausstrahlung ihrer Gastgeberin zu wundern. Als eines Abends die verwitterte Orgel zu spielen vermag und ein Kind an die Fensterscheibe klopft, ohne Spuren im Schnee zu hinterlassen, wird Hester klar, dass das Haus offenbar ein düsteres Geheimnis birgt … (Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt das Hörbuch ab 14 Jahren.

Die Autorin

Elizabeth Cleghorn Gaskell (* 29. September 1810 im Londoner Stadtteil Kensington and Chelsea; † 12. November 1865 in Holybourne, Hampshire) war eine britische Schriftstellerin. Noch heute wird sie im englischen Sprachraum oft nur „Mrs. Gaskell“ genannt. (Quelle: Wikipedia)

Romane

1) Mary Barton: A Tale of Manchester. 1848 (deutsch Mary Barton: Eine Geschichte aus Manchester. Nach der dritten englischen Auflage übersetzt. 1849–1850, Grimma, vier Bände).
2) Cranford. 1853. (deutsch Cranford. Aus dem Englischen übersetzt von Hedwig Jahn. 1917, Leipzig).
3) Ruth. 1853 (deutsch Ruth: eine Erzählung. Aus dem Englischen übersetzt von C. Büchele. 1853, Stuttgart.)
4) North and South. 1855. (deutsch Margarethe. Eine Novelle. Payne, Leipzig/Dresden 1865).
5) The Grey Woman. 1861.
6) Sylvia’s Lovers. 1863 (deutsch Sylvia’s Freier. 1864, Leipzig, vier Bände).
7) Wives and Daughters: An Everyday Story. 1865 (deutsch Frauen und Töchter.)

Verfilmungen

• 1971: Wives and Daughters
• 1972: Cranford
• 1975: North and South
• 1999: Wives and Daughters (BBC)
• 2004: North & South (BBC)
• 2007: Cranford (BBC)
• 2009: Die Rückkehr nach Cranford (Return to Cranford) – Fortsetzung der BBC-Verfilmung von 2007

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Rollen und ihre Sprecher:

Alte Hester: Herma Koehn
Junge Hester: Julia DeLuise
Miss Jenkins: Claudia Urbschat-Mingues
Mrs. Esthwaite: Sigrid Burkholder
Rosamond: Marlene Bosenius
Lord Furnivall: Jürgen Thormann
Mr. Henry: Lutz Reichert
James, der Butler: Horst Naumann
Dorothy, seine Frau: Monika John
Agnes, das Hausmädchen: Reinhilt Schneider
Miss Furnivall: Elga Schütz
Miss Stark, ihre Gesellschafterin: Ingeborg Kallweit
Schäfer: Dietmar Wunder
Miss Grace: Fabienne Hesse
Miss Maude: Daniela Hoffmann
Maudes Tochter: Ella Refle
Alter Lord: Bert Stevens
Diener: Marc Gruppe

Die Macher

Regie führten die Produzenten Marc Gruppe und Stephan Bosenius. Die Aufnahmen fanden bei Titania Medien Studio und den Planet Earth Studios statt. Die Titelillustration trug Ertugrul Edirne bei.

Handlung

1846 sitzt die vierzehnjährige Hester in der Dorfschule, als Mrs. Esthwaite, die frischgebackene Frau des Pfarrers das Klassenzimmer betritt. Sie fragt die Lehrerin Miss Jenkins, ob sie ein Kindermädchen für ihr kommendes Baby empfehlen könne. Diese empfiehlt Hester. Sie zwar schlecht im Rechnen, aber gut mit Nadel und Faden, außerdem grundehrlich. Die Familie Esthwaite nimmt Hester wie eine Tochter auf, und als Rosamond auf die Welt kommt, kümmert sie sich liebevoll um das Kind.

Als Hester 1852 19 Jahre alt ist, rafft ein Fieber die beiden Eltern dahin. Als die Mutter im Sterben liegt, ringt sie Hester das versprechen ab, sie stets um Rosamond zu kümmern, und Hester gibt ihr dieses Versprechen mitvollem Ernst. Deshalb ist sie sehr froh, dass sie Rosamond begleiten darf, als diese von ihrem neuen Vormund zu einem neuen Zuhause geschickt wird. Dort lebt ihre Tante in ihrem großen Landsitz Manor House, umgeben von kahlen, kalten Mooren. Sie tröstet Rosamond auf der stundenlangen Kutschfahrt und als sie ihrer neuen Herrschaft vorgestellt wird. Doch Miss Furnivall und deren Gesellschafterin Miss Stark lachen über das Ansinnen, Hester und Rosamond könnten mit ihnen das Abendessen einnehmen. Das müssen sie schon bei den Dienern in der Küche zu sich nehmen.

Stimmen und Bilder

James, der Butler, und Dorothy, seine mit ihm verheiratete Köchin, schließen die beiden Kinder in ihr Herz. In der Nacht hört Hester im Traum eine Stimme: „Hilf mir!“ Doch über Geister weigert sich jeder im Haus, auch nur ein Sterbenswörtchen zu verlieren. In den Bildergalerie hängt ein Porträt, die jetzige Miss Furnivall als junge Frau Grace zeigt: Sie wirkt stolz und lächelt höhnisch, findet Hester. Ermutigt holt James, der Butler, das Porträt von Maud, Graces Schwester, aus einem Versteck hervor: Auch diese junge Dame ist stolz, aber weitaus schöner. Maud sei schon lange tot, erzählt James. Und absolut niemand darf ihren Namen auch nur erwähnen.

Geistermusik

In der Nacht hört Hester Orgelspiel. Ihr war schon bei der Ankunft eine riesige Orgel in der Eingangshalle aufgefallen. Aber niemand sitzt an den Tasten. Weil James und Dorothy stur leugnen, etwas dergleichen gehört zu haben, muss Hester Agnes, das Hausmädchen, quasi dazu nötigen, mit der Wahrheit herauszurücken. Auch Agnes habe das Orgelspiel vernommen. Also ist es nicht eingebildet. Als sie sich ins Innere der Orgel wagt, ist dort nichts außer Verfall und Zerstörung zu entdecken.

Als ein Kind an die Fensterscheibe klopft, ohne Spuren im Schnee zu hinterlassen, und Rosamund verschwunden ist, wird Hester klar, dass das Haus offenbar ein grausiges Geheimnis birgt…

Mein Eindruck

„Gespenster sind Erinnerungen“, weiß der Dichter. Und so kann s nicht ausbleiben, dass die junge Hester eine gerade psychotherapeutische Geistesreise erlebt: Die führt hinab zu den Ursachen jenes dunklen Geheimnis, das die Atmosphäre des Manor Houses der Furnivalls überschattet. Drei Geister der Vergangenheit suchen das Anwesen heim, und sie haben es darauf angelegt, die kleine Rosamond, Hesters Augapfel, zu entführen. Doch um Rosamond, die Verkörperung der Zukunft dieser Familie, zu retten, muss Hester ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen.

Vor sechzig Jahren brachte die junge Miss Maud angeblich Schande über die Familie, ließ sich vom Musiklehrer und Orgelbauer schwängern und heiratete ihn – heimlich, um ihren Vater nicht zu erzürnen. Wie Grace, die den Lehrer ebenfalls liebte, dieses Geheimnis herausfand, erfährt Hester von der Köchin Dorothy allerdings nicht, dafür aber umso mehr von den Folgen. Die eifersüchtige Grace verpetzt Maud beim herrischen Daddy, dem nichts Besseres einfällt, als Maud mitsamt ihrem Töchterchen – das eigentlich auf einem Bauernhof aufwuchs, aber irgendwie ebenfalls entdeckt wurde – in den Schneesturm hinauszuschicken.

Drei Generationen sind inzwischen ins Land gegangen, doch für Miss Grace ist alles wie gestern. Nun jährt sich die grausame Tat erneut, der November-Schneesturm heult – und die Geister holen Rosamond. Die Krise spitzt sich zu, während Hester der enteilten Rosamond nachläuft, hinauf zum umtosten Hochplateau. Doch merkwürdig: Neben der Fußspur des Mädchen ist der Schnee völlig unberührt…

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher

Die alte Hester (Herma Koehn) erzählt Titelfigur von ihrer jüngeren Version (Julia DeLuise), so dass sich die Struktur einer Rahmenhandlung ergibt, die eine Binnenhandlung umrahmt, welche ihrerseits zwei oder drei Rückblenden anzubieten hat. Obwohl es also mehrere Reflexionsflächen gibt, entsteht an keiner einzigen Stelle Ironie. Tatsächlich fehlt jeglicher intelligente Humor, und das Kinderlachen bleibt für die unschuldige Rosamond (Marlene Bosenius) reserviert. Die Autorin meint es also bitterernst.

Die Verkörperung dieses Ernstes bilden Grace Furnivall und ihre ebenso unleidige Gesellschafterin Miss Stark. Das Manor House ist ein Haus, in dem nur Frauen das Sagen haben. Das gilt übrigens auch für die Geister: Maud Furnivall wird von Daniela Hoffmann gesprochen, der bekannten Stimmbandvertretung von Julia Roberts. Ihr Gegenpart, die junge Miss Grace, ist Fabienne Hesse und somit weitaus weniger bekannt.

Die Männerrollen sind für allesamt für ältere Herrschaften reserviert, und die entsprechenden Sprecher kennt der Gruselkabinett-Fan zur Genüge: Horst Naumann, Lutz Reichert, Jürgen Thormann und Bert Stevens (als Geist des alten Lords). Der einzige Mann, der kein Geist und kein Gefangener der erstarrten Weiberwirtschaft des Manors ist, ist der rettende Schäfer, den Dietmar Wunder leider nur allzu kurz sprechen darf. Er sollte viel öfter auftreten, denn seine Zeit als James-Bond-Sprecher von Daniel Craig dürften längst vorüber sein.

Geräusche

Eine große Vielfalt von Geräuschen verwöhnt das Ohr des Zuhörers. Der Eindruck einer real erlebten Szene entsteht in der Regel immer. Papierrascheln, klappernde Teetassen, knisterndes Kaminfeuerklirrendes Geschirr – all diese Samples setzt die Tonregie zur Genüge ein, um einer Szene eine Fülle von realistisch klingenden Geräuschen zu vermitteln.

Am besten gefielen mir die Gänsehaut erzeugenden Windgeräusche: der Sturm heult und seufzt, als wäre er ein lebendiges Wesen, und die Stimmen der Geister seufzen wie ein kalter hauch – direkt das Rückgrat hinunter.

Die Musik

Dieses Hörspiel zeichnet sich durch höchst klassische Hintergrundmusik aus: kein einziges modernes Instrument wurde verwendet. Von einem Score im klassischen Sinn kann keine Rede mehr sein. Die Hintergrundmusik dient nur dazu, eine düstere oder angespannte Stimmung zu erzeugen, und zwar nur dort, wo sie gebraucht wird. Hier steigert sich die Spannung sehr dezent von Szene zu Szene, bis es zu einem dramatischen Finale kommt. Entspannung erlauben nur gelegentliche heitere Passagen und natürlich das wunderbare Piano-Outro.

Das Booklet

Das Titelmotiv zeigt die Szene, in der ein Geistermädchen an die Scheibe des Manor House klopft und die kleine Rosamond zu sich ruft, um mit ihr auf den Berg der Geister zu gehen. Der Mond im Hintergrund übergießt die kalte Szene mit Silberlicht. Merkwürdig, dass der kleine Finger der linken Hand wie ein Daumen gekrümmt ist. Das verzerrt die Perspektive etwas.

Im Booklet sind die Titel des GRUSELKABINETTS und der Sherlock-Holmes-Reihe verzeichnet. Die letzte Seite zählt sämtliche Mitwirkenden auf.

Ab Frühjahr 2019

144: Arthur Machen: Der gewaltige Gott Pan
145: M.R. James: Das unheimliche Puppenhaus
146: H.G. Wells: Der rote Raum
147: Per McGraup: Die Höllenfahrt des Schörgen-Toni (Original-Hörspiel!)
148: Louisa May Alcott: Im Labyrinth der Großen Pyramide
149: E. & H. Heron: Flaxman Low – Der Fall Teufelsmoor

Ab Herbst 2019:

150: Lovecraft: Herbert West, der Wieder-Erwecker
151: Die Topharbraut
152: England: Das Ding
153: Storm: Bulemanns Haus
154: Hodgson: Tropischer Schrecken
155: E. & H. Heron: Flaxman Low – Der Geist von Baelbrow

Unterm Strich

Die Story aus dem Jahr 1852 ist eine mahnende Gespenstergeschichte an die sittenstrengen Viktorianer. Sie sollten die Sünden der Vergangenheit (also ca. 1792) endlich durch Sühne oder Vergebung bereinigen, bevor die junge Generation ihrer Zukunft beraubt wird. Das ist nicht schwer zu begreifen, und auch die Umsetzung der Geschichte ist recht geradlinig gestaltet. Natürlich erfahren wir das wahre Geheimnis, das hinter den rätselhaften Erscheinungen steckt, erst kurz vor dem Finale. Daraufhin dürfte klar sein, dass ein Finale folgen muss, das die dramatische Krise herbeiführt. Danach ist der Fluch von dem Haus genommen, die Zukunft leuchtet hell.

Die Wirkung der Geschichte beruht ausschließlich auf Empathie. Dieses Einfühlungsvermögen muss der Zuhörer mitbringen, um die Stimmung aufzugreifen und die Handlungen der meist weiblichen Figuren nachzuvollziehen und sich mit bestimmten Figuren zu identifizieren. Das fällt bei Hester nicht schwer, denn sie ist zugleich Erzählende und Erzählte: Sie rettet die Zukunft Rosamonds. Wer mit der Welt von Kindern und Kindermädchen nichts anzufangen weiß, sollte sich anderes Hörfutter suchen.

Das Hörspiel

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen.

Die Sprecherriege für diese neue Reihe ist höchst kompetent und renommiert zu nennen, handelt es sich doch um die deutschen Stimmen von Hollywoodstars wie etwa von Michael Caine (J. Thormann), Julia Roberts (D. Hoffmann) oder Daniel Craig (D. Wunder). Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für spannende Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, und die Stimmen der genannten bekannten Synchronsprecher vermitteln das richtige Kino-Feeling.

CD: Spieldauer 78 Min.
Originaltitel: The Old Nurse’s Story, 1852.
Aus dem Englischen von Heiko Postma.
ISBN-13: 9783785781920

www.titania-medien.de

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