Von Dorne über Winterfell bis jenseits der Mauer, von den Eiseninseln über die Sklavenbucht bis nach Asshai – die Welt, die George R. R. Martin erschuf, ist komplex. Verrat, Macht und Intrigen und obendrauf noch Untote und Drachen. Doch was ist der Suchtfaktor von Game of Thrones? Warum schauen wir dem Kampf zwischen Targaryen, Starks, Lennisters & Co. so gebannt zu?
Elke Brüns folgt dem tödlichen Spiel um die Macht, beleuchtet Charaktere und Themen – und findet die Fakten & Fiktionen der erfolgreichsten Fantasy-Serie aller Zeiten. (Verlagsinfo)
Die Autorin
Elke Brüns ist habilitierte Literaturwissenschaftlerin. Sie lehrt Neuere Deutsche Literatur an der NYU Berlin. Ihre wissenschaftlichen Arbeiten befassen sich mit Gender, Psychosexualität, deutscher Geschichte, Film und Armut; zudem schreibt sie für Zeitungen sowie Zeitschriften und produziert Radiobeiträge.
Inhalt
Cold Open
„Cold open“ ist der Fachbegriff für die Eröffnungssequenz eines Films noch vor dem Vorspann. In einem zweiten Sinn ist der Ausritt der Nachtwachenkrieger in die raue Gegend jenseits der MAUER gemeint. Die Sequenz gibt dem Publikum einen Vorgeschmack dessen, womit es rechnen muss: viel Gewalt, viele Leichen – und eine sehr fremdartige Welt, die aber dennoch halbwegs mittelalterlich aussieht: Die Krieger reiten zu Pferd statt den Porsche aus der Garage zu holen. Sie zücken keine Superwaffen, sondern altmodische Schwerter. Und ihre Gegner sind echt schräg drauf, eine Kombination aus Zombie und Vampir.
Im Folgenden führt das Kapitel den Leser zu den Ursprüngen der Geschichte, zu den Machern Benioff und Weiss sowie zu den ersten Hauptfiguren. Die Doppelseite 6+7 präsentiert GoT in Zahlen: Diese sind wirklich eindrucksvoll. Die Serie gewann 47 Emmys (TV-Oscars) bei 132 Nominierungen, der Sender HBO machte etwa 1 Mrd. US-Dollar mit der Serie (1/6 des Gesamtumsatzes) bei Produktionskosten zwischen 50 und 90 Mio. US-Dollar pro Staffel. Hinzukommen Einnahmen aus dem Merchandising à la STAR WARS plus ein Social-Media-Universum, das großen Einfluss hatte. Das Autorenporträt des Autors GRR Martin erstreckt auf drei Seite (15-17).
Das Spiel – Macht, Krieg und Utopie
Das Spiel das ist eben „GAME of Thrones“, und hier werden die Regeln und die Figuren beschrieben. Doch worauf stützte sich Autor Martin überhaupt? Nun, er hat sich die blutigsten Ereignisse wie etwa die Rote Hochzeit nicht aus den Fingern gesogen, sondern überall in der Geschichte des Mittelalters Vorbilder gefunden. Dennoch macht die Autorin zahlreiche Bezüge zwischen dem geopolitisch-sozialen Raum von GoT und der jeweiligen Gegenwart der letzten zehn Jahre aus, so etwa die Occupy-Bewegung mit ihrer Elitenkritik, Kleinfingers Philosophie des Chaos‘ als Aufstiegsleiter und diverse Herrschaftsformen.
„Formen des Politischen“ heißt denn auch die folgerichtige Überschrift des nächsten Unterkapitels. Was zeichnet einen guten Herrscher aus, ist macht automatisch böse, kann es Demokratie geben usw. Tyrion Lennister, der Zwerg, ist nicht nur Machtpolitiker, sondern auch, als Außenseiter, Machtanalytiker. Die Macht der Frauen ist ein häufiges Thema der Serie, und sie wird viele Male im Bordell oder im Bett ausgeübt. Die Mutterfiguren lehren diese Macht die Tochterfiguren (Olenna zu Margaery, Cersei zu Sansa), um sie nutzbringend zu gebrauchen. Melisandre steigt auf, weil sie Stannis Baratheon einen Erben verspricht. Doch Macht ist nie sicher: Die zahlreichen unvorhersehbaren Todesfälle und Schlachten in der Serie belegen dies. Die Serie bewahrt ihre Spannung.
Die Figuren – Genealogien und Geschlechter
Der Leser würde hier das Herunterbeten von Geschlechtern und Häusern erwarten, doch die Autorin überrascht ihn und sie mit einer Erörterung des Themas „Feminismus“. GRR Martin hat sich als Feminist geoutet, also darf man sich die Strategien der Frauenfiguren mal genauer anschauen. Ein höchst interessanter Abschnitt. Ein Abschnitt über diverse Aufsteiger wie Ser Davos, Ser Varys und Grauer Wurm folgt. Mit letzterem und seiner Geliebten Missandei treten „people of color“ auf – und bekommen ihre eigenen Liebesszenen, ohne gleich für diesen „Frevel“ ins Gras beißen zu müssen.
Umgekehrt geht’s auch. Wer hoch steigt, kann auch tief fallen. Beispiele sind Cersei, Ser Loras, Lady Olenna und natürlich Jaime Lennister, der Königsmörder. Theon Graufreud hat sich ebenfalls hoch aufgeschwungen, zum Herrn von Winterfell, doch sein Fall könnte tiefer nicht sei, sowohl als Adliger wie auch als Mann. In dem Unterkapitel „Schwärzer als grau“ listet die Autorin eine ganze Serie von Bösewichten auf, und dabei sind doch einige ziemlich grau, so etwa Baelish Kleinfinger und Euron Graufreud. Das Kapitel schließt mit dem Abschnitt „Seltsame Pärchen“, von denen es ja in GoT einige gibt: Tyrion & BVarys, Arya und der Bluthund Clegane, Brienne und Jaime Lennister – und schließlich Tormund und Brienne.
Sexpositions – Lust und Gewalt
Was uns zu Sex bringt, dem vielleicht kontroversesten Thema in einer ziemlich kontroversen Serie, denn es Sex ist fast immer mit Gewalt verbunden (Ausnahmen bestätigen die Regel). Nur ein Pay-TV-Sender wie HBO durfte Sexszenen zeigen, denn alle anderen Free-TV-Sender sind a) von der Federal Communications Commission (FCC), einer Regierungsbehörde, zensiert und b) vom Geld der Werbekunden abhängig. Aber GRR Martin wollte von vornherein Dinge erzählen, die im Fantasy-Genre, sowohl im Buch wie im TV, verboten waren.
Die Frage war also: Wie weit durften die Showrunner gehen? Wie sexistisch, chauvinistisch, ausbeuterisch usw. durften sie sein? Dieses Kapitel setzt sich mit den heikelsten Aspekten auf kluge, argumentierende Weise auseinander. So zeigt sie auf, dass bis Staffel 5 Vergewaltigungen vorkamen, in Staffel 6 und 7 jedoch keine mehr. Warum? Weil das Fandom dagegen war. Das gleiche gilt für „Torture Porn“, also Folter als Form des Lustgewinns (auch beim Zuschauer). Den Vogel schießt die doppelseitige Übersichtskarte der schier unzähligen Todesarten, denen die Figuren zum Opfer fallen. Dies ist ein Quiz, und die Auflösung des Rätsels findet der leser auf S. 100.
Die Regionen – Westeros versus Norden und Osten
Diese Welt mag zwar eine Fantasie sein, aber die Macher folgen der erfolgreichen Strategie Peter Jacksons, die Geschichten so zu erzählen, als seien sie verbürgte Historie, die in einer verbürgten Welt spielen. Zumindest gelten für die allermeisten Menschenfiguren diejenigen empirischen Bedingungen, die das Publikum kennt: Die allermeisten sind sterblich, und wo sie geöffnet werden, sind sie rot. Ausnahmen sind Daenerys und Jon Schnee, beide Targaryen, sowie der Nachtkönig und die Weißen Wanderer.
Jede Region hat die ihr entsprechenden klimatischen Bedingungen und folglich auch Kostüme. Michelle Clapton war die Kostümbildnerin, die jeder Region, jedem Stand und jedem Geschlecht einen angemessen erscheinendes Outfit zuwies. Aber dann ist da noch die MAUER. Diese erblickte GRR Martin 1981 bei einer Reise an den Hadrianswall nahe Schottland. Beim Anblick dieses 113 km langen Schutzwalls fragte er sich, was wohl ein afrikanischer Legionär jenseits dieser Mauer vermutet hätte: Riesen, Drachen, Ungeheuer? In GOT kommen noch die Untoten hinzu. Im Fall von GoT sind die Nachtwachenkrieger die Legionäre, und sie betrachten die Wildlinge mit berechtigtem Misstrauen.
Norden und Osten verbinden sich in dem Herrscherpaar Daenerys und Jon Schnee. Weil beiden aus Weltgegenden stammen, die von den mittelalterlichen Christen (und auch von JRR Tolkien) als minderwertig angesehen werden, stellen sie Außenseiter dar, aber nur im Hinblick auf den „zentralen“ Westen: Westeros. Spiegeln sich hier aktuelle Konflikte wider, darf die Autorin zu recht fragen – ebenso wie Vorurteile. Alles hängt vom jeweiligen Standpunkt ab.
Kleine Exkurse über die Eiserne Bank und die erfundene Sprache der Dothraki beschließen das Kapitel mit interessanten Informationen und Einblicken.
Fantasy – Anderswelt und Wirklichkeit
Der Begriff „Fantasy“ existiert seit 1949, als mit dem millionenfachen Erfolg des „Herrn der Ringe“ wurde Fantasy ein Erfolgsrezept – mit einem Beigeschmack. Cosplayer, die sich als Elben, Zwerge oder Orks verkleideten, wurden als ebenso verrückt angesehen wie Nerds, Freaks und Ausgestoßene – „aber jetzt beherrschen wir die Welt!“, triumphiert GRR Martin (S. 82 unten). Schon Lessing, ein Stückeschreiber des 18. Jahrhunderts, hatte nicht gegen Gespenster, Hauptsache, sie funktionierten auf der Bühne. Und Shakespeare ließ Geister (Banquo, der Geist von Hamlets Vater), Hexen (in „Macbeth“) und Phantasiewesen wie Puck reihenweise auftreten. Kein Wunder: Geister sind Erinnerungen, denen Gestalt verliehen wird.
Sam Tarly sinngemäß: „Menschen ohne Geschichte und Erinnerung sind nichts weiter als Tiere.“ Sam stößt in der Bibliothek auf altes Wissen, das zum Sieg verhilft, zum Sieg über den Nachtkönig und seine Weißen Wanderer. Das Ziel des Nachtkönigs ist der kulturelle Tod der Menschheit. Dazu muss er vor allem Bran, den gebrochenen König und den Seher des Dritten Auges, töten. Darum geht es v.a. in Staffel 8. Der Autor stellt den Leser und Zuschauer stellt in seiner phantastischen Welt diesem kulturellen Tod entgegen, als sei es das Natürlichste der Welt. Garantiert wollte Martin keine Disney-Fantasy schreiben, ganz im Gegenteil: Seine Figuren sind so grimmig und menschlich, wie es bei Disney nie erlaubt wäre.
Zudem ist das Grundthema der Serie die kommende Apokalypse: Die Toten werden die lebenden ebenso töten wie der kommende Winter. Ist das ein Verweis auf den vielfach geleugneten, ignorierten oder verharmlosten Klimawandel? Ist dies die Politik des Phantastischen à la Martin: Eine weltweite Community zu erschaffen, die sich als bedrohte Spezies betrachten kann? Ausführungen über das „Erfolgsrezept beschließen dieses Kapitel: „GoT sei keine Show, sondern ein way of life.“
Abspann – Firestorm und Shitstorm(S. 95-100)
Die verflixte 8. Staffel! Widersprüche, Logiklöcher, Pannen, abgebrochene Erzählstränge, die Heldin (Daenerys) abgemurkst – die Fans heulten auf. Und erzeugten einen immensen Shitstorm. Ein Resümee der Serie folgt ebenso wie der Versuch eine Deutung und eine Einordnung des Stellenwerts einer TV-Serie, deren letzter Staffel Millionen von Menschen rund um die Welt entgegenfieberten.
Die Auflösung des Quiz von S. 62/63 folgt auf S. 100.
Anhang
Im Anhang findet der Leser bzw. Fan Lektüretipps mehr oder weniger nützliche Hinweise zu Bücher und Internetseiten sowie zu dem Nachschlagewerk „Phantastik“ (2013) von Brittnacher & May. Herausragend ist auf jeden Fall das Buch „Hinter den Kulissen“ von Bryan Cogman, denn dieser Mann befand sich mitten im Zentrum des geschehen und kannte als Skriptautor und Produzent alle Geheimnisse.
Unterm Strich
Die Autorin kennt sich nicht nur mit der Serie und deren Privatuniversum, dem „Martinverse“ à la GoT, bestens aus. Sie hat auch Literatur- und Medientheorien drauf, die sie in an geeigneter Stelle für ihre Argumentation einsetzt. So etwa im Kapitel „Sexpositions“, das die umstrittenen Aspekte Lust und Gewalt, Feminismus und Rassismus aufgreift. Den definierten Begriff „Sexposition“ habe ich oben nicht erläutert, deshalb der Leser ihn in diesem Buch nachschlagen. Er ist für Brüns‘ Argumentation von zentraler Bedeutung.
Da die meisten Leser, die nach diesem Buch greifen, eh schon Fans der Serie sind, muss ihnen die Autorin etwas Besonderes bieten: nämlich die kritische und literaturhistorische Perspektive. Für Einsteiger hingegen, die die Serie erst noch (näher) kennenlernen wollen, liefert die Autorin eine umfassende Einführung in sehr viele Aspekte der Serie, vor allem in die Welt von Westeros, die GRR Martin erschaffen hat. Das stimmt allerdings bei den letzten drei Staffeln nicht mehr so ganz: Bekanntlich sind die Showrunner Benioff und Weiss von den Büchern abgewichen, um ihre eigene Story zu erzählen. So scheint der Nachtkönig ihre private Erfindung zu sein.
Mehrere Tabellen und Textkästen lockern die Textwüste auf, die ohne sie entstanden wäre. Humor blitzt durch, wenn etwa Witze über GRR Martin wiedergegeben werden. Die Anhänge führen zu weiteren Aspekten der Megaserie weiter, sei es in Form eines Buches, eines Blogs oder Wikis.
Hinweis
Was das Buch nicht leisten will und kann, ist eine Art Reportage über die Entstehung der Serie, also ein „Making-of“ in Buchform. Dieses findet man seit November 2020 in James Hibberds kenntnisreichem Buch „Feuer kann einen Drachen nicht töten“, das bei Penhaligon im Randomhouse-Verlagsimperium erschien (Besprechung folgt.)
Hinweis
Wer, zum Geier, ist Pierre Bourdieu (S. 40), mag sich der Leser fragen. Es gibt weder eine Fußnote noch eine bibliografischen Verweis dazu. Der Leser ist gezwungen, den Namen im Internet nachzuschlagen. Man findet diesen Soziologen (1930-2002) in der Wikipedia.
Taschenbuch: 102 Seiten
ISBN-13: 9783150205563
www.reclam.de
Der Autor vergibt: