Ein reicher und königsgleich mächtiger Mann wird bedroht. Vater und Sohn Queen, zwei bekannte Detektive, sollen den angekündigten Mord verhindern. Sie finden den Täter, doch der Anschlag findet statt: Wie konnte dies geschehen? – Der 23. Queen-Roman stellt nicht die Frage nach dem „Wer?“, sondern nach dem „Wie?“ der Bluttat; die Lösung ist kompliziert aber einleuchtend, dieser Krimi auch dank Verzicht auf Seifenoper-Elemente unterhaltsam.
Das geschieht:
Sogar die Regierung wünscht, dass Ellery Queen, Schriftsteller und Detektiv, diesen Fall übernimmt: Kane „King“ Bendigo, unermesslich reicher, wirtschaftlich global präsenter und auch politisch mächtiger Industriemagnat, erhält anonyme Drohbriefe, die seinen Tod ankündigen. Bendigo kümmert sich nicht um diese Post, doch Bruder Abel, der auch Kanes rechte Hand im Geschäftsalltag darstellt, ist besorgt.
Ellery Queen soll herausfinden, wer die Briefe schreibt und sendet, sein Vater Richard, der für die Polizei von New York City arbeitet, ihn begleiten und unterstützen. Dies erfordert eine Reise um den halben Erdball: Kane Bendigo residiert auf einer Insel irgendwo im Atlantik. Sie ist auf keiner Karte zu finden und wurde im II. Weltkrieg zu einem Stützpunkt ausgebaut. Bendigo hat sie gepachtet, sie stellt das Herz seines Imperiums dar. Hier lässt er Naturwissenschaftler forschen und Hightech entwickeln.
Auf seiner Insel ist Bendigo der unumschränkte Herrscher. Er unterhält sogar eine eigene Leibgarde. Eigentlich müsste der „König“, wie sich Bendigo gern nennen lässt, bestens geschützt sein. Dennoch treffen weitere Drohbriefe ein, die den Zeitpunkt des angekündigten Mordes immer präziser bezeichnen. Die Queens ermitteln, dass der Absender im unmittelbaren Umfeld Kane Bendigos leben muss. Außer Abel gibt es einen weiteren Bruder: Juda ist seit Jahren dem Alkohol verfallen und nicht an den Familiengeschäften beteiligt. Gattin Karla scheint Kane gleichzeitig zu lieben und zu fürchten.
Den Queens gelingt es, den Attentäter zu entlarven. Doch dieser zeigt sich unbeeindruckt; Kane Bendigo werde zum genannten Zeitpunkt sterben. Der potenzielle Mörder wird unter strengste Bewachung gestellt. Kane hält sich zur genannten Stunde in seinem privaten Bunker auf, den die Queens sorgfältig untersucht haben. Niemand kann dort an Kane heran, dennoch trifft ihn eine Kugel …
Was können wir ihn noch erleben lassen?
Erfolg ist erfreulich, doch er kann auch zur lästigen Pflicht und schließlich zur Qual werden: Was ihn brachte, will in der Regel mit neuem Input versorgt werden. Beruht besagter Erfolg auf einer Idee, die seriell ausgewertet wird, besteht das Problem darin, einerseits publikumsbeliebte Vorgaben zu erfüllen, während andererseits neue Ideen für die Fortsetzung der lukrativen Bindung sorgen müssen.
1952 schrieben Frederic Dannay & Manfred B. Lee den 23ten Roman um ihren Meisterdetektiv Ellery Queen. Sie waren Profis der Unterhaltungsliteratur und berühmt für die ausgefeilten Plots ihrer Kriminalromane. Außerdem war es ihnen gelungen, die Figur Ellery Queen seit 1929 mehrfach den veränderten Zeitläufen anzupassen, ohne ihr dadurch jenen Reiz zu rauben, den die Leser schätzten.
Nichtsdestotrotz gingen dem Autorenduo allmählich die Ideen aus. Schon länger experimentierten sie. In den 1940er Jahren waren sie u. a. auf den unheilvoller aber leider fruchtbaren Gedanken gekommen, die Krimi-Handlung durch Liebesgeschichten ‚aufzuwerten‘. Auf diese Weise sollten weibliche Leser gelockt werden. Ellery Queen wurde nicht selten zu einer Nebenfigur, während ein junger Mann und eine junge Dame gegen die Irrungen & Wirrungen des Schicksals kämpften und damit viele, viele Buchseiten füllten. Erst im Finale tauchte der Detektiv wieder auf, um einen quasi nebenbei zu klärenden Kriminalfall aufzulösen.
Der unmögliche Mord: die ultimative Variante
Erfreulicherweise gehört „Detektive entführt“ nicht zu den Queen-Romanen, die diesen seifigen Weg gingen. Stattdessen traten Dannay & Lee die Flucht nach vorn an. Sie konstruierten einen Plot, der das klassische Rätsel um den faktisch unmöglichen Mord in einem hermetisch verschlossenen Raum auf die Spitze trieb: Das Attentat auf „King“ Bendigo ist kein „Whodunit“. Noch bevor der Anschlag erfolgt, ist der Täter entlarvt. Zum angekündigten Mordzeitpunkt hält sich das Opfer in einem Raum auf, der als Bunker gebaut wurde. Dannay & Lee lassen Ellery Queen und seinen Vater diesen Ort, der den Leser penibel beschrieben wird, gleich mehrfach untersuchen. Es gibt keine geheimen Zugänge, selbst exotische Mordattacken – etwa durch Giftgas – sind unmöglich.
Dennoch liegt Bendigo mit einer Kugel im Leib in ebendiesem Raum. Eine Waffe wird nicht gefunden, ein bizarres Mordinstrument kam nicht zum Einsatz. Die Tat kann nicht begangen worden sein; Dannay & Lee investieren viel Aufwand, um jedes denkbare Schlupfloch zu stopfen. Wie konnte Bendigo trotzdem angeschossen werden?
Genau das ist die zentrale Frage. „Detektive entführt“ ist ein „Howdidhedoit“. Wir folgen den ratlosen Queens durch eine Handlung, die in ihrer Klärung münden wird. Wie üblich lässt das Autorenduo seine Leser teilnehmen. Wir wissen immer so viel (oder so wenig) wie Ellery Queen. Wir können versuchen, mit ihm Schritt zu halten oder ihn zu übertrumpfen, d. h. Fall vor ihm zu lösen. Freilich geben Dannay & Lee sich alle Mühe, die Hinweise so zu verschleiern, dass sie einen Vorsprung halten. Ihre Kunst liegt darin, dies so geschickt zu tun, dass sie uns nicht düpieren und verärgern, denn letztlich wollen wir ja an der Nase herumgeführt und final überrascht werden.
Im Reich eines modernen Monarchen
Da dies allein nicht ausreicht, um die Leser bei der Stange zu halten, haben Dannay & Lee sich eine bizarre Kulisse für das detektivische Ermittlungsspiel einfallen lassen. Es findet auf einer Insel irgendwo im Ozean statt. Dorthin werden unsere beiden Detektive übrigens keineswegs entführt, wie der deutsche Titel suggeriert. Sie treten ihre Reise durchaus freiwillig an.
Bendigos Insel ist das verkleinerte Spiegelbild einer Welt, die ihre moralischen Standards einem zwiespältigen Fortschritt geopfert hat. „Detektive entführt“ zeigt Dannay & Lee recht kritisch und erstaunlich weitsichtig einer Globalisierung gegenüber, die bereits nach 1945 eingesetzt hatte. „King“ Bendigo ist der Repräsentant dieser neuen Ära, die weder politische noch moralische Grenzen respektiert. Bendigo stellt Waffen und Munition her. Er löst keine Kriege aus, aber er beliefert alle, die sie führen, solange sie ihn bezahlen. Die Regierung unterwirft sich seinen Forderungen, da er viel zu mächtig geworden ist, um zu Fall gebracht zu werden: Der Sturz des Königs würde jene mitreißen, die sich ihm verpflichtet haben.
Auf seiner Insel lässt sich Bendigo ohne Maske als uneingeschränkter Herr hofieren. Arroganz, Rücksichtslosigkeit und das mangelnde Interesse an den Folgen seiner wirtschaftlichen Entscheidungen lassen seinen Mörder aktiv werden. Selbst Vater und Sohn Queen müssen sich mehrfach daran erinnern, dass sie das Gesetz vertreten – ansonsten hätten sie kein Problem damit, Bendigo ermordet zu sehen. Als sie schließlich die Wahrheit über „King“ Bendigo erfahren, beschließen sie tatsächlich, den wahren Mörder – der nicht identisch mit dem Attentäter ist – zu decken: Dieser Fall steht außerhalb geschriebener Gesetze. Dazu passt der groteske Schlusspunkt: Bendigos Insel geht in einem gewaltigen Atompilz unter.
Planspiele und Mordrätsel
Realität ist sicherlich kein Muss für einen Kriminalroman. Dennoch sticht „Detektive entführt“ mit seiner aus Zeit und Raum quasi herausgefallenen Kulisse hervor. Die Queens treten als Vertreter der alten aber weiterhin ‚richtigen‘ Werte auf, wo sich die ‚Untertanen‘ ihrem ‚König‘ ansonsten beugen. Das versetzt sie in die Lage, hinter Bendigos Fassade zu blicken. Der König hütet düstere Geheimnisse. Außerdem ist er mit einer schwierigen Familie geschlagen. Wie Bendigos Insel haben Dannay & Lee eine vor allem dramaturgisch wirkungsvolle Sippe in die Welt gesetzt. Die ursprünglichen Namen der drei Bendigo-Brüder lauten Judas, Kain und Abel. Damit wurde ihnen die sich nun entwickelnde Tragödie buchstäblich in die Wiegen gelegt.
Nicht nur aus heutiger Sicht tragen Dannay & Lee dick auf. Schon die zeitgenössische Kritik monierte die Theatralik des Geschehens, dem ein Krimi-Rätsel gegenüberstand, dessen Auflösung wahrlich abenteuerlich war und angesichts der selbst forcierten Unmöglichkeiten sein musste. Die Erklärung ist stimmig, aber dafür müssen Dannay & Lee sich weit aus dem Fenster lehnen und ihr Konzept verraten. Zwischendurch reist Ellery Queen sogar zurück auf das US-Festland und dort nach in Wrightsville, wo der Detektiv zuvor vier seiner größten Fälle gelöst hatte. Damit nimmt das Autorenduo den Topf vom Feuer, statt die Queens konsequent auf die Insel zu beschränken.
„Detektive entführt“ wird nicht zu den besten Queen-Romanen gezählt. Das Alter hat ihm allerdings gutgetan: Was einst übertrieben und überzeichnet war, wird heute nostalgisch gemildert. Gerade der krude Plot, die schrägen Figuren und der seltsame Schauplatz sorgen für einen Unterhaltungswert, der hierzulande allerdings nur gewährleistet ist, wenn man nicht an die letzte, drastisch gekürzte Neuausgabe dieses Buches gerät!
Autoren
Mehr als vier Jahrzehnte umspannt die Karriere der Vettern Frederic Dannay (alias Daniel Nathan, 1905-1982) und Manfred Bennington Lee (alias Manford Lepofsky, 1905-1971), die 1928 im Rahmen eines Wettbewerbs mit „The Roman Hat Mystery“ als Kriminalroman-Autoren debütierten. Dieses war auch das erste Abenteuer des Gentleman-Ermittlers Ellery Queen, dem noch mehr als zwei Dutzend weitere folgten.
Dabei half die gut ausgeprägte Fähigkeit, die Leserschaft mit möglichst vertrackten Kriminalplots angenehm zu verwirren. Ein Schlüssel zum Erfolg war aber auch das Pseudonym. Ursprünglich hatten Dannay und Lee erfunden es, weil dies eine Bedingung des besagten Wettbewerbs war. Ohne Absicht hatten sie damit den Stein der Weisen gefunden: Das Publikum verinnerlichte sogleich die scheinbare Identität des ‚realen‘ Schriftstellers Ellery Queen mit dem Amateur-Detektiv Ellery Queen, der sich wiederum seinen Lebensunterhalt als Autor von Kriminalromanen verdient!
Anfang der 1930er Jahre waren die Vettern jung und energisch genug, um mit „Barnaby Ross“ ein zweites Autoren-Alias aus der Taufe zu heben. Wie geplant rätselte die zeitgenössische Leserschar über die wahre Identität dieses neuen Rätselkrimi-Autors – und kaufte dessen Romane, was die eigentliche Absicht von Dannay & Lee gewesen sein dürfte. Dennoch schlossen sie die Reihe um den Gentleman-Schauspieler und Hobby-Detektiv Drury Lane nach vier Bänden ab und konzentrierten sich fortan auf den ungleich erfolgreicheren Ellery Queen.
In den späteren Jahren waren hinter den Kulissen zunehmend andere Verfasser tätig. Lee wurde Anfang der 1960er Jahre krank und litt an einer Schreibblockade, Dannay gingen allmählich die Ideen aus, während die Leser nach neuen Abenteuern verlangten. Daher wurden viele der neuen Romane unter mehr oder weniger straffer Anleitung der Cousins von Ghostwritern geschrieben.
Wer sich über Ellery Queen – den (fiktiven) Detektiv wie das (reale) Autoren-Duo – informieren möchte, stößt im Internet auf eine wahre Flut einschlägiger Websites, die ihrerseits eindrucksvoll vom Status dieses Krimihelden künden. Vielleicht die schönste findet sich hier: eine Fundgrube für alle möglichen und unmöglichen Queenarien.
Taschenbuch: 151 Seiten
Originaltitel: The King Is Dead (Boston : Little, Brown and Company 1952/London : Victor Gollancz 1952)
Übersetzung: Lola Humm-Sernau
www.randomhouse.de/goldmann
Der Autor vergibt: