Eric Frank Russell – Gedanken-Vampire

Jenseits der Barriere der Wahrnehmung

„Irgendjemand, irgendetwas hat es auf die Wissenschaftler der Erde abgesehen. Sie müssen sterben, weil sie einer unheimlichen Bedrohung auf die Spur gekommen sind: den Gedanken-Vampiren… “ (Verlagsinfo) Doch Bill Graham, ein Regierungsagent, kommt den Zusammenhängen auf die Spur und entdeckt die Barriere der Wahrnehmung, hinter der sich die Aliens verbergen. Nun macht er sich an die Arbeit, ein Kampfmittel gegen die Schmarotzer zu finden, die sich den Geist der Menschen untertan machen…

Der Autor

Eric Frank Russell (* 6. Januar 1905 in Sandhurst; † 28. Februar 1978) war ein englischsprachiger Science-Fiction-Autor, welcher einige der humorvollsten Geschichten seiner Zeit geschrieben hat. Er nutzte auch die Pseudonyme Duncan H. Munro, Maurice A. Hugi, Niall(e) Wilde und Webster Craig für Kurzgeschichten.

Er wurde in Sandhurst (Surrey, UK) in eine militärische Familie geboren und diente während des Zweiten Weltkrieges bei der Royal Air Force. Nach einer kurzen Tätigkeit als Ingenieur widmete er sich ganz dem Schreiben und wurde ein aktiver Verfechter der Nachkriegszukunftsromane und Mitglied der Fortean Society ((s.u., https://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Fort)) 1955 gewann er einen Hugo Award für seine Kurzgeschichte „Allamagoosa“ ((https://de.wikipedia.org/wiki/Allamagoosa)).

Russell war ein Mann, welcher die Überheblichkeit und die übertriebene Selbstdarstellung der verschiedensten menschlichen Organisationsformen verabscheute. Sein Witz zielte besonders auf verschiedenste Arten von staatlicher Autorität, ständig wiederkehrende Zentralpunkte seiner Geschichten sind Militär und Bürokratie. Seine Texte nehmen diese Aspekte der Gesellschaft mit feinem Spott und Ironie unter die Lupe und zeigen positive und negative menschliche Beweggründe ohne den Leser zu belehren.

Mit „The Great Explosion“ prägte er auch „Myob!“, die Abkürzung des Ausspruchs „Mind your own business“ (Kümmer dich um deinen eigenen Kram!). (Quelle: Wikipedia.de) Laut Heyne SF-Lexikon war Russell der Lieblingsautor von Alan Dean Foster.

Inspiration: Charles Fort

Charles Fort (Charles Hoy Fort; * 6. August 1874 in Albany, New York; † 3. Mai 1932 in New York City) war ein US-amerikanischer Autor und ein Pionier der Beschäftigung mit unerklärten Phänomenen.
Fort schrieb zehn Romane, von denen nur einer veröffentlicht wurde. „The Outcast Manufacturers“ (1906) wurde von Kritikern gelobt, er sei seiner Zeit voraus, verkaufte sich allerdings schlecht. Erst mit seinem The Book of the Damned (1919) (dt. Das Buch der Verdammten) stellte sich zusehends Erfolg ein.
In diesem Werk behandelte er eigentümliche Phänomene, die er als von der Wissenschaft „Verdammte“ bezeichnete. Es folgten „New Lands“ (1923) (dt. „Neuland“), „Lo!“ (1931) (dt. „Da!“) und „Wild Talents“ (1932) (dt. „Wilde Talente“), die sich alle mit Paranormalem beschäftigten, aber unterschiedliche Themengebiete umfassten. Die meisten der aufgeführten Berichte wurden zuvor in naturwissenschaftlichen Magazinen veröffentlicht und von Fort in der Stadtbibliothek von New York City und im Britischen Museum ausfindig gemacht. Zu jedem Ereignis oder Phänomen wurde die jeweilige Quelle angegeben.

Forts Bücher ab 1919 übten eine nachhaltige Wirkung aus, die so weit ging, dass sich im Bereich der Parawissenschaft der Ausdruck Forteana für unerklärliche Phänomene etablierte. Zu seinen Verehrern zählten u. a. Ben Hecht, John Cowper Powys, Sherwood Anderson, Clarence Darrow und Booth Tarkington. Auch wurde er von H. P. Lovecraft in einer Kurzgeschichte erwähnt. Schon 1931 wurde auf Initiative des Schriftstellers Tiffany Thayer die Fortean Society unter dem Vorsitz von Forts Freund Theodore Dreiser gegründet. Allerdings weigerte sich Charles Fort, dieser beizutreten, da er es ablehnte, als Autorität betrachtet zu werden, und fürchtete, eine solche Gesellschaft werde Spiritisten und andere Esoteriker anziehen, mit denen er nichts zu tun haben wollte.

==>Fort spekulierte schon 1919 über außerirdische „Besucher“, deren „Eigentum“ die Erde sei, und kann somit als ein Vorläufer der Prä-Astronautik und der Ufologie gelten. Zu beachten ist jedoch, dass Fort ausdrücklich betonte, nicht an seine Theorien zu GLAUBEN, die er ad hoc zur Erklärung der von ihm gesammelten Phänomene aufstellte. (Quelle: Wikipedia.de)

Handlung

Die Serie von Todesfällen unter internationalen Wissenschaftlern beginnt am 17. Mai 2015 mit dem Schweden Peder Bjornsen. Am 30. Mai erliegt Professor Sheridan in London anscheinend einem Herzinfarkt. Wenig später ruft Dr. Hans Luther gerade einen befreundeten Lokalredakteur an, als er mitten im Satz verstummt – für immer. Den Tod von Prof. Mayo erlebt Bill Graham jedoch selbst mit: Vor ihm klatscht plötzlich ein menschlicher Körper mitten auf den Gehweg. Eine dicke Frau kreischt auf und kippt um. Das Gesicht des Toten ist bis zur Unkenntlichkeit entstellt.

Graham hat im Weltkrieg Schlimmeres gesehen, ihn haut eine Leiche nicht um. Doch kaum hat er die Visitenkarte aus der Jacke des Toten gefischt, kommt Bewegung in ihn: „Professor Walter Mayo!“ Er begibt sich die 16 Stockwerke empor, bis er zu Mayos Labor-Räumen gelangt. Ein chemischer Versuch sollte hier ausgeführt werden, mit unbekannten Kräutern. Er informiert seinen Boss Sangster. Der arbeitet für die Regierungsstelle, die Forschungsaufträge an Wissenschaftler vergibt, die Graham dann zu prüfen und zu überwachen hat. Mayos Tod bedeutet den Verlust von Steuergeldern. Das darf nicht publik werden.

Dr. Webb

Sangster berichtet ihm, dass mit Dr. Irwin Webb ein weiterer gesponserter Forscher gestorben sei. Webb habe in die Luft geschossen, bevor er einen Herzinfarkt erlitt. Vor Ort lernt Graham den Polizeileutnant Wohl kennen, der mit ihm schon bald eng zusammenarbeiten wird. Wohl vermutet in Webb einen Drogensüchtigen. Sie finden zwei Hinweise auf einen Forscher namens Bjornsen, doch auch dieser erweist sich kurze Zeit später als tot. Webbs Notizen verweisen auf Zusammenhänge, die an den Haaren herbeigezogen wirken. Graham hat das Gefühl, beobachtet zu werden, sieht aber nichts.

Im Geheimdienst

Weil die Zusammenhänge zwischen den Todesfällen zu komplex werden und Graham nicht genügend Befugnisse hat, um tiefer zu graben, ernennen ihn Sangster und ein Militäroberst namens Leamington zum Geheimagenten. Er arbeitet jetzt auf Augenhöhe mit Lt. Wohl und kann sogar dessen Hilfe anfordern. Ein Anruf beim Smithsonian Institute, mit dem viele Wissenschaftler arbeiten, ergibt eine Liste, auf der bereits viele Namen zu Toten gehören: Nach Mayo und Webb nun auch der Schwede Bjornsen und der Deutsche Hans Luther.

Liebesinteresse

Dr. Harmony Curtis ist bzw. war die Stiefschwester von Irwin Webb. Sie sieht zum Anbeißen aus, findet Graham, sträubt sich aber gegen seine Annäherungsversuche. Sehr ungewöhnlich, dass sie ihre schwarzen Haare kurz trägt. Dafür ist ihre Figur mit den großen schwarzen Augen umso attraktiver. „Irwin hat sich seit etwa einem Monat etwas merkwürdig aufgeführt“, berichtet sie. „Er hatte vor etwas Angst, seit sein britischer Freund Sheridan an einem Herzinfarkt gestorben war.“ Noch einer, murmelt Graham. Er fragt nach einem Namen, den er in Webbs Notizen fand, Dr. Fawcett. Der ist der Leiter der Staatlichen Nervenheilanstalt, weiß Curtis.

Von Furien gehetzt

Wohl holt ihn im Helikopter ab. Er soll Graham zu prof. Dakin bringen, der mit Webb und Mayo zusammenarbeitete. Die hätten übrigens beide ihre Arme mit Jod bestrichen, als hätten sie die Krätze gehabt. Graham hat keine Erklärung dafür, nur eine Ahnung, dass Chemie im Spiel ist. Als sie sich Dakins Wohnung nähern, entdecken sie den Forscher in einem Wagen, der extrem schnell beschleunigt. Sie jagen ihm hinterher, bis sie sehen, dass sie sich einer gefährlichen Kreuzung nähern. Ein Heli der Verkehrspolizei nimmt ebenfalls die Verfolgung auf. Beide kommen zu spät. Dakins Wagen schießt über die Brüstung der Schnellstraße hinaus und stürzt in die Tiefe. Graham geht Dakins angstvolles Gesicht nicht mehr aus dem Sinn. Als sei er von Furien gehetzt worden.

Unsichtbarer Feind

In Dakins Labor findet sich eine Phiole mit Jod, ähnlich wie bei Mayo und Webb. Dr. Fawcett von der Irrenanstalt berichtet, Webb habe sich nach Leuten mit Jodmangel erkundet – die gebe es hier nicht. Wohl liefert Graham das Ergebnis der zwei Obduktionen an Mayo und Webb: Sie waren vollgepumpt mit Meskalin und Methylenblau. Offenbar arbeiteten sie mit Dr. Bjornsens Formel. Aber Webb wandte sich an den kürzlich verstorbenen Dr. Reed, seines Zeichens Augenchirurg (und mittlerweile Nr. 19 auf der Todesliste). Er arbeitete an einer Klinik in Brooklyn.

Die schöne Dr. Curtis berichtet Graham von Prof. Beach in Silver City, Idaho. Nachdem er von Mayos, Dakins und Webbs Tod gehört hatte, rief er sie. Er habe wertvolle Informationen für sie. Graham und Wohl fliegen mit der nächsten Maschine nach Idaho. Doch sie kommen zu spät: Über der Stadt erhebt sich eine gigantische Wolke aus Asche und Rauch, kein Atompilz. Der unsichtbare Feind – wer auch immer er sein mag- ist ihnen schon wieder zuvorgekommen.

Jenseits der Barriere

Beach ist verschwunden, aber der einzige Überlebende von 3000 Mitarbeitern weiß zu berichten, dass die Beach-Kamerawerke an einer speziellen Silbernitratlösung arbeiteten, die tief in den Infrarotbereich „sehen“ können sollte. Als sie durch eine spezialbehandelte Linse schauten, entdeckten sie kleine, energiegeladene Kugeln über der Werkshalle schweben. Sie schossen herunter, vereinten sich und es kam zu der Explosion.

Doch wo befindet sich Dr. Beach jetzt? In seinem abgeschieden gelegenen Domizil, erfährt Graham. Er fährt mit einer Spezialbrille hinaus in die Pampa – und entdeckt die Energiekugeln. Mein Gott – sie sind überall! Doch was wollen sie bloß von den Menschen? Es dauert nicht lange, bis die Alien-Kugeln auch ihn entdecken…

Mein Eindruck

Schon 1919 vermutete Charles Fort (siehe oben), dass die wahrnehmbare Realität nicht die eigentliche sei, sondern eine von Fremdwesen eingeschränkte. Am 19.4.1943 entdeckte der Deutsche Albert Hofmann (am sog. „Bicycle Day“), als er Fahrrad fuhr, die psychedelische Eigenschaften von Lysergsäurediethylamid, kurz LSD. ((https://de.wikipedia.org/wiki/LSD)) 1954 veröffentlichte Aldous Huxley, der Autor der Dystopie „Schöne neue Welt“ (1932) sein Buch „Die Pforten der Wahrnehmung“, in dem er u.a. den meskalinrausch beschrieb. Mehr Anreiz brauchte die Beat- und Hippie-Generation, die von Timothy Leary ((https://de.wikipedia.org/wiki/Timothy_Leary#Learys_Wirken )) aufgeklärt wurde, nicht.

Doch Eric Frank Russell stützte sich ganz auf Charles Fort, bevor er 1939 die Erstfassung seines Romans „Sinister Barrier“ bei John W. Campbell jr. ablieferte, bevor er die Endfassung 1948 veröffentlichte. Man kann die hinzugefügten Kapitel leicht als Füllsel entdecken. Campbell war so begeistert, dass er für diese Novelle ein neues Magazin gründete: das kurzlebige „Unknown“.

Für ihn kam die Story genau recht: wissenschaftliche Entdeckung mit einer Warnung vor einem unsichtbaren Feind. Dass die Aliens den Verstand von Menschen wie etwa Japanern kontrollieren, führt dann zur Invasion der USA durch den Asiatischen Bund. Der ultimative Atomkrieg scheint der letzte Ausweg zu sein, doch dann gelingt es Grahams Leuten – natürlich erst in letzter Sekunde! -, das Gegenmittel zu finden, das den Aliens den Garaus macht.

Mit dieser Story hofften Campbell & Russell offenbar ein paar Leser aufrütteln zu können. Pearl Harbor wurde 1941 trotzdem unvorbereitet vom Überfall der Japaner getroffen. Dieses folgenschwere Ereignis konnte dann Russell post factum für seine Romanfassung von 1948 ausschlachten.

So liest sich der Roman nicht nur wie ein Spionagethriller, sondern zunehmend auch wie eine prophetische Vision vom Weltuntergang. Allein die Wissenschaft – und die schöne Dr. Curtis – können die Aliens aufhalten. Dreimal darf man raten, wer am Ende knapp mit dem Leben davonkommt und von Dr. Curtis einen Kuss bekommt.

Die Übersetzung

Entgegen den Angaben zum Copyright des Ullstein-Verlags, das 1972 angibt, handelt es sich hier um die allererste deutsche Übersetzung des Delta-Verlags, die Otto Kühn anno 1953 anfertigte. Dementsprechend altertümlich ist die Ausdrucksweise. Zum Jahr 1953 passt auch Kühns Sprache aus seiner Militärzeit. Er redet positiv von „Kameraden“ und sehr negativ und aggressiv vom „Feind“, auf den man „feste draufhalten“ müsse.

Der Ullstein-Verlag gibt als Originaltitel SINISTER BANISTER statt „Sinister Barrier“ an.

S. 9: „für einen chemikalischen Versuch“: Heute würde man „chemischen Versuch“ sagen.

S. 14: „Was mochte das wohl [sein]?“ Ein Wort fehlt.

S. 17: „nach wir vor einen guten Namen“. Statt „wir“ müsste es „wie“ heißen.

S. 47: „(das) törichte kopernikanische Weltbild der Astronomie“, das angeblich Galilei über den Haufen warf. Ein Blick in die Wikipedia belehrt uns eines besseren: Gemeint ist in Wahrheit das ptolemäische Weltbild, das Kopernikus korrigierte und Galilei erweiterte bzw. bewies.

S. 65: „An der Unterseite der Stummeltragflächen waren flammende Sonne[n] als Nationalitätszeichen zu erkennen.“ Das N fehlt. Der Hinweis auf japanische Hoheitszeichen ist eindeutig.

S. 85: „Vielleicht haben Sie es sogar mit der Angst bekommen.“ Das große S müsste klein geschrieben sein.

S. 96: „Schach[t]decke“. Das T fehlt.

S. 116: „Wohl spä[h]te zum Himmel…“ Das H fehlt.

S. 129: „Nur mit der Polarisation wird sich’s spießen!“ Der Sinn dieses Ausdrucks ist mir leider unbekannt.

S. 136: „Silvernitratmoleküle“. Das V müsste ein B sein.

Unterm Strich

Die titelgebende Barriere ist optischer Natur, denn die Aliens sieht erst tief im Infrarotbereich sichtbar. Doch sie werden erst gefährlich, wenn man entdeckt, dass sie sich an den Gefühlsausbrüchen der Menschen, ihrem Vieh, weiden wie Schmarotzer. Von daher ist der deutsche Titel „Gedanken-Vampire“ grundfalsch. Nicht Gedanken wollen die Aliens fressen, sondern die Energie von Gefühlsausbrüchen. „Ein schnelles Ende droht der Kuh, die als erste gegen das Gemolkenwerden protestiert.“ Die Tiere von George Orwells „Animal Farm“ können ein Lied davon singen.

Was will uns der durchaus intelligente Autor also sagen? Im Einklang mit H.G. Wells in „Krieg der Welten“ (1898) könnte die Botschaft lauten, dass derjenige, der sich frei wähnt, es noch lange nicht sein muss, solange unsichtbare Mächte ihn überwachen, kontrollieren und ausbeuten. Neu ist indes die Barriere der Wahrnehmung, die uns die Freiheit verwehrt, und deren Beseitigung oberstes Gebot sein muss. Vielleicht strebte Russell wie Huxley, Orwell (1948, also im gleichen Jahr) und L. Ron Hubbard (Scientology alias Dianetik) unter dem Eindruck des Faschismus und der Atombomben nach einem neuen Denken, das die Beschränkungen und Risiken des alten, gescheiterten Denkens überwindet.

Mir ist jedenfalls die Lektüre des Textes leicht gefallen, besonders in den dramatisch inszenierten Kapiteln am Anfang und am Schluss. Die Mitte ist sichtlich gestreckt worden. Die deutsche Übersetzung mit ihrer altertümlichen, kaum noch verständlichen Diktion (s.o.) erschwerte die Lektüre. Sie trägt zum Punktabzug bei.

Taschenbuch: 141 Seiten
Originaltitel: Sinister Barrier, 1939/48;
Aus dem Englischen von Otto Kühn
ISBN-13: 9783548310435

www.ullstein.de

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