Eric Van Lustbader – Any Minute Now. Action-Thriller

Der Kampf gegen die Chimära: spannend & actionreich

Greg Whitman arbeitet als Söldner in dem Black-Ops-Team RED ROVER. Bei seinem jüngsten Einsatz in Pakistan gerät er mit seinem Team in einen Hinterhalt. Ein Mann stirbt, ein zweiter wird schwer verwundet. Wer hat RED ROVER verraten? War es sein Auftraggeber oder dessen Auftraggeber, die NSA, oder noch jemand?

Whitman rekrutiert eine Ersatzfrau, die Waffenexpertin Charlize Daou, die sich drei Jahre zuvor von ihm getrennt hatte. Auch der verwundete, Felix, stößt wieder zum Team, doch ist er seltsam verändert. Was haben die Typen von der NSA mit ihm gemacht? Beim nächsten Einsatz, der entgegen den Instruktionen erneut in Pakistan stattfindet, sollen es Whitman und Charlize auf die harte Tour herausfinden…

Der Autor

Eric Van Lustbader, geboren 1946, ist der Autor zahlreicher Fernost-Thriller und Fantasyromane. Er lebt auf Long Island bei New York City und ist mit der SF- und Fantasylektorin Victoria Schochet verheiratet. Sein erster Roman „Sunset Warrior“ (1977) lässt sich als Science Fiction bezeichnen, doch gleich danach begann Lustbader, zur Fantasy umzuschwenken.

1980 begann Lustbader mit großem Erfolg seine Martial-Arts & Spionage-Thriller in Fernost anzusiedeln, zunächst mit Nicholas Linnear als Hauptfigur, später mit Detective Lieutenant Lew Croaker: The Ninja; The Miko; White Ninja; The Kaisho usw. Zur China-Maroc-Sequenz gehören: Jian und Shan; selbständige Werke sind: Black Heart; French Kiss; Angel Eyes und Black Blade. Manche dieser Geschichten umfassen auch das Auftreten von Zauberkraft, was ihnen einen angemessenen Schuss Mystik beimengt.

Die Kundala-Trilogie ist Fantasy: „Der Ring der Drachen“, „Das Tor der Tränen“ und „Der dunkle Orden“. Da diese Fantasy ebenfalls in einem orientalisch anmutenden Fantasyreich angesiedelt ist, kehrt der Autor zu seinen Wurzeln zurück, allerdings viel weiser und trickreicher. Kürzlich hat er noch einmal eine Wendung vollziehen und schreibt nun die Thriller seines verstorbenen Kollegen Robert Ludlum fort, so etwa „Die Bourne-Verschwörung“. 2007 erschien der Mystery-Thriller „Testamentum“ in der Art von Dan Browns „The Da Vinci Code“. Danach veröffentlichte Lustbader Fortsetzungen von Robert Ludlums BOURNE-Serie.

Handlung

RED ROVER ist das schwärzeste aller schwarzen Operationsteams, so dass es nur übelste Ultra-Geheim-Operationen ausführt. Doch in ihrer jüngsten Mission geht etwas fürchterlich schief: Als sie in Pakistan nur zu dritt einen Saudi-Terroristen aus seiner Wüstenvilla entführen wollen, fallen ihnen dort die Sicherheitssöldner in den Rücken. Sofortiger Rückzug ist angesagt, doch einer ihrer wichtigsten Männer, der Waffenmeister, beißt ins Gras. Gerade als ein Panzerwagen aufkreuzt und mit seinem Maschinengewehr zu feuern beginnt, holt der Helikopter sie zur vereinbarten Zeit ab. Aber Orteño ist verwundet und muss sofort ins Hospital.

Greg Whitman, der Chef, und Felix Orteño, sein Funker, sind stinksauer, doch ihr Auftraggeber King Cutler löst RED ROVER kurzerhand auf. Whitman will wissen, wer seine Leute ans Messer geliefert hat, doch Cutler hat nur gemauert und erklärt, dass die NSA, sein größter und zahlungskräftigster Kunde, gesagt hat, der Saudi sei längst über alle Berge. Das nächste Ziel liege im Libanon.

Charlie

Whitman und Orteño leben in einer Schattenwelt, in der sie niemandem trauen können. Sie tun sich mit der Amazone Charlize Daou zusammen, einer genialen, talentierten Waffenexpertin, deren Vergangenheit sich einst mit der von Whitman kreuzte, bis sie vor drei Jahren Schluss mit ihm machte. Aber Charlie hat eine Achillesferse: Sei leidet unter Krankheit der Blutgefäße, die sie unvermittelt ins Koma fallen lässt. Nachdem er Charlie aus einer solchen Notlage gerettet hat, ist sie ihm verpflichtet und tritt dem neuen RED ROVER bei.

Stühlerücken bei der NSA

King Cutler hat bislang bei der NSA mit Omar Hemingway zu tun gehabt, der das Projekt Möbius vorantreibt: Dieses verfolgt das Aufputschen von Kämpfern durch ein Opium-Derivat. Leiter der Möbius-Forschung ist der schüchterne Asperger-Autist Paulus Lindström. Als ein NSA-Manager namens Luther St. Vincent dieses Projekt an sich reißt, befiehlt er Lindström, den Wirkstoff an Menschen zu testen. Lindström ist zwar wie gelähmt vor Angst, doch er gehorcht. Allerdings vertraut er sich Valerie an, der engsten Mitarbeiterin Omar Hemingways. Die beruhigt ihn, um immer auf dem Laufenden darüber zu sein, was St. Vincent treibt. Als erstes Versuchskaninchen präsentiert ihm St. Vincent einen Kämpfer, der gerade aus dem Krankenhaus kommt. Es ist kein anderer als Felix Orteño.

Julie Regan

Charlie wird von King Cutler ohne Whitmans Wissen beschattet, doch sie spürt den Beschatter sofort auf und bricht ihm beinahe das Kreuz. Whitman merkt bald, dass man auch ihn selbst beschattet: Omar Hemingway hat seine kleine Sekretärin auf diese gefährliche Mission geschickt. Ist der Mann naiv oder fies? Julie Regan, ausgestattet mit einer Polizeimarke, schafft es, mir Sydny, einer Striptänzerin im Rotlichtviertel von Washington, D.C., Kontakt aufzunehmen.

Julie ist mit einem schwulen Mann verheiratet, der stets auf Reisen ist. Sie würde einen Orgasmus nicht mal erkennen, wenn er sie in den Hintern beißen würde. Das merkt auch Sydny schnell und verspürt Mitleid mit dem armen, unerfahrenen Kätzchen. Dann holt sie Whitman, ihren besten Kunden und Freund, um Julie auszufragen. Whitman wirkt auf die schüchterne Julie sehr verständnisvoll. Um sich zu revanchieren, verrät sie ihm, dass der Saudi-Terrorist, an dem RED ROVER dran war, gar nicht untergetaucht ist, wie Cutler ihm erzählte, sondern immer noch in Pakistan lebt. Diese Enthüllung trügt nicht gerade dazu bei, dass sich Whitmans Adrenalinpegel senkt.

Die Alchemisten

Luther St. Vincent, Deckname „Washington“, gehört zu einem Geheimzirkel namens „Die Alchemisten“, der derzeit nur aus sieben Männern und einem Führer besteht, der im Verborgenen die Fäden zieht. Dieser Mann, der sich „Preach“ nennt, hat den Zirkel ins Leben gerufen. Unter den Decknamen der ersten zehn US-Präsidenten haben sie das Möbius-Projekt gestartet und überwacht, das Superkämpfer heranzüchten soll, die sich nicht für ihre Gräueltaten verantwortlich fühlen.

Doch in der heutigen Sitzung tauchen die Schatten der Vergangenheit auf, als der Vorsitzende, Deckname „Madison“, vorschlägt, die aufgegebene Einrichtung namens The Well (Der Brunnen) zu reaktivieren. Dort pflegten die Alchemisten einst fremdländische Terroristen zu foltern. Für das Knacken des einzigen ISIS-Kämpfern, den sie fangen konnten, waren die Fähigkeiten von Greg Whitman nötig, der sich seitdem nur höchst widerwillig an The Well erinnert. Der Grund für die Reaktivierung: Die neuartigen Kämpfer werden mental beschädigt zurückkehren. Man muss sie unschädlich machen, bevor sie der Öffentlichkeit Schaden zufügen können…

Krieg

Der neue RED ROVER macht sich auf die Reise, sobald Charlie Greg und Felix bewaffnet hat und Felix wieder einsatzbereit ist. Ziel ist offiziell der Libanon, doch insgeheim hat Whitman Vorkehrungen für ein anderes Ziel getroffen: Er will den ursprünglich angepeilten saudischen Terroristen aufspüren und eliminieren. Mal sehen, wer ihn diesmal daran hindern will.

Doch vielleicht gelangt das Team nicht einmal nach Pakistan, denn Felix hat sich auf merkwürdige Weise verändert. Er schaut seinen Teamkollegen nicht mehr in die Augen und schluckt heimlich ein Medikament, das eine Apotheke hergestellt hat, die nicht existiert, wie Whitman herausfindet. Allmählich beginnen Whitman und Charlie misstrauisch zu werden. Sie ahnen nicht, mit welchen Schrecken sie es zu tun bekommen werden…

Mein Eindruck

Der Leser erwartet angesichts der Einsätze, die Whitman und Charlie unternehmen, einen Militär-Action-Thriller reinsten Wassers. Doch das erweist sich nur als kleiner Teil der Handlung. Stufenweise wagt sich die Handlung die Hierarchie empor, die zu diesen illegalen und riskanten Einsätzen geführt hat. Da ist zunächst die Universal Security Agency, kurz „USA“, die von King Cutler geführt wird. Cutler hat Dreck am Stecken und ist obendrein einem üblen Manager der NSA hörig: Luther St. Vincent.

St. Vincent ist Mitglied einer weiteren Hierarchie, nämlich der der „Alchemisten“. Das sind skrupellose Wirtschaftskapitäne, Agenten, Militärs und Politiker. Doch mit den Geheimbündler ist noch nicht Schluss. Der Bund wurde von einem Mann geründet, der allgemein „Preach“ genannt wird, aber in Wahrheit Desmortieres heißt und aus de Bayous von Louisiana stammt. Dieser unheimliche und unnatürlich alte Visionär scheint über schwarzmagische Kräfte zu verfügen. So kann er etwa mit einem Fingerschnippen einen menschlichen Körper zerfallen lassen. Sein schattenhafter Begleiter ist eine Krähe, die ihm angeblich die Fähigkeit der Vorhersage verleiht. Die Zukunft, die er jetzt für die Welt vorgesehen hat, ergibt sich aus Preachs Macht: Alle sollen ihm untertan werden.

Das Mittel zum Zweck könnte teuflischer nicht sein. Es sind Söldner ohne Gewissen oder Mitgefühl. Felix Orteño ist solch ein künstlich erzeugter Söldner. Mithilfe einer Opiatdroge, die die Alchemisten aus China via Pakistan in die USA geschmuggelt haben, macht Luther St. Vincent mithilfe eines Verfahrens, das Lindström entwickelt hat, aus jedem Mann eine solche Kampfmaschine. Was mit Frauen dabei geschieht, kann man sich leicht vorstellen: Sie werden zu Sexsklavinnen umfunktioniert. Der Saudi hat in seiner pakistanischen Villa bereits zwei amerikanische Mädchen versklavt, mit genau diesem Verfahren.

Der Widerstand

Man sieht also, dass Wissenschaft, Militär und Geheimdienste durch Korruption einen unheiligen Pakt mit schwarzer Magie geschlossen haben, die kein Gewissen hat, sondern abgrundtief böse ist. Das Dingsymbol dafür ist der Brunnen ohne Boden, einen Zenote wie aus Yukatan, in den die wehrlosen Opfer geworfen werden. Das Pikante daran: Sowohl Whitman als auch Felix‘ Schwester Lucia haben eine ganz besondere Beziehung zu diesem Brunnen. Whitman warf die Opfer seiner Folter hinein, und nun ist es an Lucia, auf Preachs Befehl hin neue Opfer zu finden..

Um Preach Widerstand zu leisten, müssen Whitman und Charlie nicht nur die Befehlskette der skizzierten Hierarchie brechen, sondern auch die Hierarchie selbst eliminieren. Leichter gesagt als getan. Doch sie bekommen unerwartete Hilfe, indem sich Menschen, die an Schlüsselstellen sitzen, radikal zu ihren Gunsten verändern. Dazu gehört als erstaunlichstes Beispiel Julie, die bisher ihrem Boss Omar Hemingway sklavisch ergeben war. In einer einzigen Nacht, die sich in Gesellschaft Sydnys verbringt, wandelt sie sich zu einem Wesen, das nur noch seiner eigenen, neuentdeckten Wahrheit gehorcht.

Das Symbol der Chimära

Auf dem Titelbild des Buches ist das Symbol eines Dreiecks mit einem Ringelschwanz abgebildet. Es ist das alte Alchemistensymbol für Schwefel. Eine ältere Bedeutung ist diese: Es ist die Chimära, die Schimäre, die aus drei Tieren besteht: vorne Löwe, in der Mitte Ziege, hinten Schlange. Das Untier, das mit seinem feurigen Atem das Land verwüstet, wird in der Sage vom Helden Bellerophon aus Korinth erschlagen. (Euripides schrieb ein Drama darüber.)

Mehrfach verweist der Autor auf die „Odyssee“, in der Homer mehrere Monster der Legende auftreten lässt. (S. 295, 335, 341). In diese Liga reiht sich die Chimära ein. Als deren physisch-psychische Vertreter greifen Whitman, Charlie und noch jemand den Sitz der Alchemisten an. Hier darf nicht verraten werden, wer am Schluss die Oberhand behält. Auch auf das Ungeheuer Cthulhu wird an einer Stelle verwiesen (S. 266).

All diese Monster verkörpern die Schrecken, die Preach und seine Verschwörer bereithalten, also mehr oder weniger das Ende der Welt und des Menschseins. „This is the end, my beautiful friend“, singt dazu Jim Morrison von den DOORS. Der Song ist ein Verweis auf die antike Ödipus-Sage, in der ein Sohn, aus der Fremde kommend, unwissentlich seinen Vater erschlägt und mit seiner Mutter schläft. Die Welt ist aus den Fugen geraten, und der Codex der Altvorderen gilt nicht mehr – ausgehebelt von Wissenschaft, Magie, Machtgier und Korruption. Es ist ein düsteres Porträt der gegenwärtigen Welt – und ein Menetekel für jene Welt, die da noch kommen könnte.

Textschwächen

S. 118: „I don’t meant to.“ Korrekt müsste es heißen: „I didn’t mean to“ oder „“I don’t mea nto“.

S. 142: „the timber of her voice“: Korrekt müsste es „timbre of her voice“ heißen, den „timber“ bedeutet „(gefälltes) Baumholz“.

S. 198: „as if warn down by the day’s heat“. Statt „warn“ muss „worn“ heißen.

S. 220: „on his way out of the veil of tears“. Gemeint ist wohl das „Tal der Tränen aus den biblischen Psalmen, doch dann müsste es statt „veil“ (Schleier) doch „vale“ (Tal) heißen. Lustbaders Bücher weisen diesen Fehler mehrfach auf.

S. 241: „It fact“ statt „In fact“.

S. 262: „should he require[d] them“: Das D ist überflüssig.

Unterm Strich

Ich habe das Buch in San Francisco gekauft und gleich auf dem Flieger gelesen. Ich konnte es nicht mehr aus der Hand legen, bis ich es wenige Tage später fertiggelesen hatte. Der routinierte Autor sorgt für viel Abwechslung, in dem er die Schauplätze häufig wechselt. Zudem enthüllt er die Vergangenheit der zahlreichen Figuren nur nach und nach, bis sie runde Figuren mit einer vollständigen, meist komplizierten Vergangenheit sind. Hinzukommt die oftmals erstaunliche Weiterentwicklung mancher Figuren, so etwa die von Julie, Felix und Lucia.

Uralte Geheimnisse, magische Aktivitäten und militärisch-politische Machenschaften wechseln sich Actionszenen ab, in den Charlie Daou erstaunliche, selbstgebaute Waffen zum Einsatz bringt. Doch wer wird es am Ende mit Preach, dem unheimlichen Magier aus den Bayous, der aus Soldaten Zombies machen kann, aufnehmen können? Das darf nicht verraten werden.

Genremäßig lässt sich „Any Minute Now“ im Grenzgebiet zwischen einem JASON-BOURNE-Thriller und Lustbaders an Dan Brown erinnernden Mystik-Thriller „Testament“ verorten. Hinsichtlich der Aussage des Romans lässt sich feststellen, dass er eine klare Warnung vor dem nächsten Schritt im Rüstungswettlauf enthält. Wer wie die NSA bzw. die Alchemisten einfache Menschen durch chemische Gehirnwäsche zu gewissenlosen Kampf-Zombies umwandelt, ist zu den schlimmsten Verbrechen fähig und muss unbedingt aufgehalten werden. Wie dieser Widerstand aussehen könnte, zeigt der Verlauf der Handlung. Auch den Showdown fand ich sehr zufriedenstellend.

Schade, dass in dem offensichtlich für ein US-Publikum geschriebenen Thriller so viele Druckfehler zu finden sind. Die Jason-Bourne-Thriller, die sich an ein internationales Publikum richten, sind viel sorgfältiger ediert und enthalten kaum solche Anspielungen und Jargon-Ausdrücke, wie sie hier häufig zu finden sind. Aber wer die „Odyssee“, Lovecrafts Cthulhu-Mythos und die DOORS kennt, wird sich auch hier zurechtfinden.

Taschenbuch: 435 Seiten
Sprache: Englisch

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