Andreas Eschbach – Ausgebrannt (Lesung)

Positive Utopie: durch Wandel und Läuterung

Markus Westermann aus Stuttgart will es in den USA schaffen. Der aufsteigende Softwareingenieur kreuzt den Weg eines spinnerten Österreichers, der über eine ungewöhnliche, weil nicht-akademische Ölsuchmethode verfügt. Sagt er. Mit seinem Erbe gründet Westermann mit Block eine Firma und bekommt sogar Risikokapital. Doch dann funken Saudis und CIA mit einem zwielichtigen Intrigenspiel dazwischen. Die attraktive Amy Lee Wang hängt sich an ihn – plötzlich scheint er es geschafft zu haben. Dann beginnen die Dinge schiefzugehen, und Westermann sieht sich in einem Ringen der Supermächte USA, Saudi-Arabien (Ölmonopol) und China als Zünglein an der Waage.

Der Autor

Andreas Eschbach, Jahrgang 1959, studierte in Stuttgart Luft- und Raumfahrttechnik, bevor er als Software-Entwickler und Berater arbeitete. Schon als Junge schrieb er seine eigenen Perry-Rhodan-Storys, bevor er mit „Die Haarteppichknüpfer“ 1984 seine erste Zeitschriftenveröffentlichung landen konnte.

Danach dauerte es noch elf Jahre bis zur Romanfassung von „Die Haarteppichknüpfer“, danach folgten der Actionthriller „Solarstation“ und der Megaseller „Das Jesus-Video“, der mit dem renommierten Kurd-Laßwitz-Preis für den besten deutschsprachigen Science-Fiction-Roman des Jahres 1998 ausgezeichnet und fürs Fernsehen verfilmt wurde.

Seitdem sind unter anderem die Romane „Eine Billion Dollar“, „Perfect Copy“, „Exponentialdrift“, „Die seltene Gabe“, „Das Marsprojekt 1-3“ sowie „Der Letzte seiner Art“ erschienen, einige davon zudem als Hörbuch. Auch das Sachbuch „Das Buch der Zukunft“ gehört zu seinen Publikationen. Eschbach hat mehrere Anthologien, darunter „Eine Trillion Euro“, herausgegeben und eine Reihe von literarischen Auszeichnungen erhalten. Heute lebt er mit seiner Familie als freier Schriftsteller in der Bretagne.

Andreas Eschbach auf Buchwurm.info:

„Ausgebrannt“ (Buchfassung)
„Der Nobelpreis“
„Die Wiederentdeckung“ (Hörbuch)
„Die Haarteppichknüpfer“
„Quest“
„Perfect Copy – Die zweite Schöpfung“
„Der Letzte seiner Art“
„Der Letzte seiner Art“ (Hörbuch)
„Die seltene Gabe“
„Eine Billion Dollar“
„Das Jesus-Video“ (Hörbuch)
„Exponentialdrift“
„Das Marsprojekt“
„Die blauen Türme“
„Die gläsernen Höhlen“
„Die steinernen Schatten“

Der Sprecher

Ulrich Noethen, geboren am 18. November 1959 in München, absolvierte sein Schauspielstudium an der Hochschule für Darstellende Kunst, Stuttgart. (Daher wohl seine nützliche Kenntnis des Schwäbischen.) Ab 1985 hatte er Engagements an Theatern in Freiburg i. B., Köln und Berlin. Nach Schließung der Staatlichen Bühnen Berlin ging er erst zum Fernsehen und spielte dann Kinohauptrollen, zum Beispiel in „Comedian Harmonists“, „Gripsholm“, „Das Sams“ und „Das fliegende Klassenzimmer“. Er wurde laut Verlag vielfach für seine Arbeit ausgezeichnet.

Noethen liest eine von Dr. Arno Hoven gekürzte Romanfassung von 576 Minuten Länge. Regie führte Kerstin Kaiser, die Aufnahme leitete Klaus Trapp. Die Musik steuerten Dennis Kassel und Dicky Hank bei.

Handlung

PROLOG

Markus Westermann sitzt in seinem Ford Mustang mit der defekten Tankuhr und versucht auf der Autobahn einen langen LKW zu überholen. Hinter ihm rast ein Drängler heran. Gleichzeitig befindet sich Markus in einem Handytelefonat mit dem Ex-CIA-Agenten Charles Taggart. Da geht der Motor aus und Markus bremst. Das scheint ein Fehler gewesen zu sein, denn gleich darauf kracht der Drängler in seinen Wagen.

Markus verliert das Bewusstsein und wacht erst tausende Kilometer entfernt in einer süddeutschen Klinik wieder auf. Unter falschem Namen. Monate später. Wie konnte es bloß dazu kommen, fragt er sich und versucht sich zu erinnern.

Haupthandlung

Markus Westermann trifft mit seinen europäischen Kollegen in der New Yorker Zentrale ihres Unternehmens Lakeside & Row ein. Alles ist für den Softwareentwickler imposant: die Wolkenkratzer, die Büros, der 96-jährige Firmenchef und Gründer Simon Row. Markus hat sich vorgenommen, es in Amerika, dem Land seiner Jugendträume, zu schaffen. Mit einer halben Million Euro – die er von seinem bei einem Unfall getöteten Vater geerbt hat – auf dem Konto fehlt ihm nur noch eine weitere halbe Million, um als Investor eine Aufenthaltsgenehmigung zu ergattern. Und dann kann’s richtig losgehen, schwört er sich. Oder er könnte eine Amerikanerin heiraten und sich einbürgern lassen. Das hat jedenfalls sein italienischer Kollege Silvio Damiano vor.

Doch erst einmal heißt es malochen, und zwar in der tiefsten Provinz. Er und seine Mannen sollen eine Bankensoftware zur Risikoeinschätzung für die europäischen Ländern lokalisieren, eine Heidenarbeit, bei der Markus unliebsame Bekanntschaft mit dem deutschen und österreichischen Steuerrecht macht. Währenddessen stellt er sich gut mit dem Filialleiter Nolan, bis ihm die Übernahme ins amerikanische Team winkt. Doch ein kleiner Schwindel mit seiner Visitenkarte („Mark S. Westman“ steht darauf) lässt diese Träume nach der Ablösung Nolans durch den bibeltreuen Murray platzen: Zwei Wochen Zwangsurlaub und die Rückkehr ins triste Europa lautet das Urteil.

Bei der Rückkehr aus Michigan muss Fortuna die Hand im Spiel gehabt haben, denn in einem Straßencafé unweit Chicago lernt er den österreichischen Ölsucher Karl Walter Bock kennen. Er nimmt den gestrandeten Beinahelandsmann mit. Auf der Fahrt nach Chicago, wo man Bock zu einem Vortrag erwartet, tauschen sie ihre Lebensgeschichten aus. Bock ist ein gewiefter und hartnäckiger Ölsucher mit einer eigenen Ölquelle in Steyr. Der Vortrag in Chicago öffnet Markus die Augen weiter, wie sein neuer Freund Bock auf die restliche Ölwirtschaft herabschaut: Er ist ein Außenseiter, aber ein erfolgreicher – und nur das zählt. Als Markus erfährt, dass Bock Investoren sucht, schlägt er ihm eine Partnerschaft vor. Sie formulieren einen Vorvertrag, danach wendet sich Markus an Simon Row mit der Geschäftsidee: eine neue Methode zur Ölsuche.

Bei den Verhandlungen mit den Investoren lernt Markus die attraktive Bankkundenberaterin Amy Lee Wang kennen. Sie zögert nicht, mit ihm ins Bett zu gehen, denn sie will alles über die neue Methode, die Milliardengewinne verspricht, erfahren. Das merkt der sexuell ausgehungerte junge Mann aber erst, als sie ihn bereits kokainsüchtig gemacht hat. Obendrein hat er sich total in Amy Lee verliebt und will sie heiraten. Bis ihm ihr Adressbuch in die Hände fällt.

Bock und er haben ein Startkapital erhalten, mit dem sie in Süd-Dakota Öl suchen. Das Medieninteresse ist immens, und die Reporter überschlagen sich, als Bock tatsächlich auf Öl stößt. Die Risikokapitalgeber rücken die erste halbe Milliarde Dollar heraus. Markus‘ Gehalt erreicht astronomische Höhen. Der Sieg ist zum Greifen nahe. Aber auch die Ölindustrie bleibt nicht untätig, denn Öl ist die Nadel, an der die Weltwirtschaft, ja, die moderne Zivilisation hängt. Und wer dieses Kräfteverhältnis verändert, lebt gefährlich. Das weiß auch Bock und weigert sich standhaft gegenüber den Investoren, seine Methode zu enthüllen. Sie ist seine Lebensversicherung.

Bocks und Markus‘ Firma erhalten „von höchster Stelle“ die Bitte der Saudis, ihnen bei der Ölsuche zu helfen. Mit „höchster Stelle“ ist der US-Präsident gemeint, wie der dritte Geschäftsführer erläutert. Bock überredet den sturen Kompagnon, der Bitte nachzukommen. Jeder weiß doch, dass die amerikanische Regierung einer der engsten Freunde der Saudis ist, und wer es bei den Saudis schafft, hat praktisch ausgesorgt. Bock gibt nach und setzt in Dahran nahe Kuweit seinen Ehrgeiz darein, seine Methode erfolgreich einzusetzen.

Doch später muss Markus erkennen, dass der Saudi-Auftrag ein schwerer Fehler gewesen ist. Als Erstes nehmen ihnen die Saudis die Fachleute weg. Spione der Monopolgesellschaft Saudi Aramco überwachen die Arbeiten, und eine der Bohrungen nach der anderen bleibt ohne Erfolg. Bis eines Morgens Karl Walter Bock spurlos verschwindet. Da erhält Markus die Einladung eines Mannes, der sich Jim nennt, Charles heißt, Steak brät, aber in Wahrheit für die CIA arbeitet. Endlich erfährt Markus von Charles Taggart (siehe PROLOG), was hier in Saudi-Arabien eigentlich gespielt wird. Er macht sich aus dem Staub.

Kaum hat er das Land verlassen, explodiert im Ölhafen Ras Tanura, der das wichtigste Ölfeld der Welt, Ghawar, versorgt, die Pipeline. Schnell wird Al-Kaida verantwortlich gemacht. Doch der fünfprozentige Ausfall der Ölproduktion hat eine schwerwiegende Folge: Die amerikanische Regierung sieht sich veranlasst, mit zwei Flugzeugträgern aufzumarschieren, „um ihre Interessen und die ihrer arabischen Freunde zu schützen“, wie sie behauptet. Die Besetzung Riads ist nur ein weiterer Schritt. Das wiederum finden die energiehungrigen Chinesen gar nicht witzig und drohen den Amis mit Sanktionen.

Unterdessen sieht sich Markus in den USA den dringenden Forderungen von Amy Lees Vater, einem Milliardär, gegenüber, der einfach sagt: „Du willst die Hand meiner Tochter? Dann verrate mir die Ölsuchmethode Blocks.“ Und da der verschwundene Block diese Methode nur im Ansatz beschrieben hat, steckt Markus nun wirklich in der Klemme.

Zwei weitere Handlungsstränge schildern das von diesen Vorgängen tangierte Leben von Markus‘ Schwester Dorothea und seines Bruders Frieder. Aber auch ein saudischer Prinz tritt auf, und zwar dann, als dessen Enkel in der gleichen Klinik wie Markus behandelt werden soll.

Mein Eindruck

Ist dies ein Science-Fiction-Roman oder was, mag sich mancher Leser fragen. Nun, jedenfalls spielt ein großer Teil des Romans in einer Zukunft, welche die meisten noch zu erleben erwarten dürfen. Noch wichtiger als Qualifikation ist jedoch meines Erachtens, dass der Roman einen globalen Wandel schildert, eine Veränderung der menschlichen Grundbedingungen, und zwar durch einen äußerst plausiblen Faktor: Energieknappheit.

Dass diese düster erscheinende Zukunft einleuchtet, kann sich jeder Ökonom ausrechnen, der sich den jetzigen Benzinpreis von 1,53 €uro anschaut (Diesel ist erstmals teurer als Benzin) und die Entwicklung auf zwei oder fünf Jahre extrapoliert. Eschbach zeigt die Entwicklung zu einem Benzinpreis von 5 €uro auf. Das ist genau die Marke, welche die Grünen schon seit Jahren fordern.

Schrecken des Wandels

Das wahrhaft Erschreckende für die Menschen, die im derzeitigen Energieparadies leben, ist nicht etwa, dass sie weniger Energie haben, denn sie können sich anpassen. Nein, was sie erschreckt, ist die enorme Geschwindigkeit, mit der sich der Wandel vollziehen wird. Das erinnert an das Verhalten jenes Frosches, dessen Wasser im Glas allmählich erhitzt wird. Er reagiert überhaupt nicht, doch wenn die Temperatur plötzlich stiege, würde er sofort sein Gefäß verlassen. Es ist die allmählich Gewöhnung, die den Frosch schließlich umbringt.

Fossile

Im Roman ist es Werner Dux, der den Frosch spielt. Der Programmierer bei einem großen Automobilbauer in Sindelfingen wirft sich wiederholt vor, dass er „schon früher hätte darauf kommen können“. Er verharrt zu lange in den alten Verhaltensmustern, während es seine durch den Tod ihres Vaters sensibilisierte Frau Dorothea, geborene Westermann, ist, die frühzeitig den Wandel kommen sieht und sich darauf vorbereitet. Am Ende ist sie es, die ihre Familie rettet. Es ist ihr Sohn Julian, der 30 Jahre später seinen Onkel Markus durch ein völlig verändertes Deutschland führt. Auch sein Onkel Frieder trägt wie Markus seinen Teil dazu bei, die Welt durch den Wandel zu geleiten. Seine Solarkraftwerke mildern den Ölschock.

Es ist jedoch an solchen Stellen, wo sich der Fachmann wundert und der Laie am Kopf kratzt. Können diese Projektionen wirklich stimmen? Sind diese Vorhersagen plausibel? Man kann sich jedoch bei einem Luft- und Raumfahrttechniker wie Eschbach darauf verlassen, dass er seine Modelle durchgerechnet hat. An einer Stelle tut er dies sogar explizit, selbst auf die Gefahr hin, den einen oder anderen Leser zu langweilen oder zu nerven. Das Beispiel betrifft die Frage, ob Methanol das Benzin ersetzen kann, ob also Westermanns Erfindung überhaupt eine Zukunft hat. Dieser wichtige Punkt entscheidet auch darüber, ob die implizite Behauptung des Autors, das der Wandel bewältigbar ist, zu belegen ist.

Wandel ist gut, oder?

Denn wie Eschbach schon in „Eine Billion Dollar“ gezeigt hat, ist der Wandel zwar mitunter unausweichlich, aber nicht notwendigerweise zum Schaden der Menschen. Das Öl fällt aus, na und? Es hat schließlich die Atmosphäre vergiftet (gestiegener CO2-Gehalt seit 1850: immerhin 0,8 Prozent!). Es kommt also darauf an, was die Menschen aus dem Wandel machen. Eschbach zeigt gute und schlechte Beispiele. Gut sind die Solaranlagen von Frieder Westermann, aber auch die Voraussetzung für deren Einsatz ist nicht die Technik, sondern der Wechsel der Regierung in Saudi-Arabien. Diese bringt das Ende der amerikanischen Besetzung und damit das Ende des Ölhungers.

Ein Negativbeispiel ist die autarke Kolonie Bare Hands Creek in Idaho. Hier findet Markus unverhofft Taggart wieder und erfährt die Wahrheit über den Tod seines Vaters (ein unglaublicher Zufall, wie ihn vielleicht nur die Fiktion produzieren kann). In dem fundamentalistisch geführten Dorf ist das tiefste Mittelalter wiederauferstanden. Kein Wunder, dass auch die Telefonleitung gekappt worden ist und das herrschende Triumvirat über das Informationsmonopol verfügt. Dieses Szenario erinnerte mich stark an den Endzeitfilm „Apokalypse 2024 – A Boy and his Dog“, in dem eine unterirdische Kolonie von Atomkriegüberlebenden in die fünfziger Jahre zurückfällt und dabei der faschistischen Diktatur eines „Komitees“ gehorcht.

Der Lebensweg Markus Westermanns führt wie in einem Roman von Thomas Hardy von einem gesellschaftlichen Zustand zum anderen, vom Paradies des Wohlstands über die Hölle des Exils und des Zusammenbruchs hin zu einer privaten, wenn auch bedrohten Idylle (seine Ehe mit Amy Lee). Doch der Kreis schließt sich, als Markus die Wirtschaft der USA durch seine (bzw. die seines Vaters) Erfindung vor dem totalen Zusammenbruch bewahrt. Dies ist der märchenhafteste Teil des Romans, aber warum soll es nicht gelingen? So wie der Zusammenbruch des Energieparadieses nur eine Frage der Zeit ist, so dauert es nach Eschbachs Credo auch nur eine gewisse Zeit, bis der rettende Strohhalm gefunden ist: der Westermann-Turm.

Metaphysik

Entscheidend für die Bewertung der Legitimität des Erfolgs dieser Erfindung ist in den Augen des Lesers Markus‘ innerer Wandel. Markus, der Held, wollte es von Anfang in den Vereinigten Staaten „schaffen“. Aber das wollte er nur für sich selbst als Erfolg verbuchen. Diese egozentrische Sichtweise der Welt verändert sich durch die Begegnung mit Amy Lee keineswegs, die einfach nur eine größere Egozentrikerin und bessere Spielerin ist als er.

Doch die Monate in Bare Hands Creek stellen ihn wie Harrison Ford bei den Amish People in „Der einzige Zeuge“ auf die Probe. Es ist die totale Gegenkultur zum New Yorker Highlife, das Markus in vollen (Kokain-)Zügen genossen hat. Hier muss er mit „bare hands“ um sein Überleben in der Gemeinschaft kämpfen, sich unterordnen und sich diverser, auch sexueller Versuchungen erwehren. Klar, dass er als Außenseiter als Erster in die Bredouille gerät, als die Schwangerschaft der minderjährigen Tochter des Reverends nicht mehr zu übersehen ist. Hier fährt der Autor ein paar Klischees zu viel auf, finde ich. Aber der Zweck der Übung wird erreicht: die Vertreibung des Helden.

Seine Prüfungen verschärfen sich. Auf dem Weg zum nächsten Etappenziel in Crooked River erlebt Markus in einem Zustand völliger Erschöpfung die unio mystica, das Gefühl des Einsseins mit der Schöpfung. Endlich merkt er, dass er nur ein winziger Teil von etwas viel Größerem ist und dass er diesem Größeren dienen kann. Falls er es schafft zu überleben. Aus dem Egozentriker ist ein Mystiker geworden, welcher der Gemeinschaft dienen will. Und es durch die Erfindung seines Vaters früher oder später auch kann.

Es ist der klassische Werdegang der Läuterung, wie ihn die Helden spätestens seit Goethes Bildungsromanen durchlaufen müssen, wahrscheinlich aber schon seit der Bibel. Man denke an die Geschichte von Saulus, der zum Paulus wurde. Selten zuvor hat Eschbach seinen Hang zur Metaphysik so deutlich gezeigt wie in der Entwicklung seines Helden. Aber die Passagen um die unio mystica sind sehr poetisch geschildert und durchaus erträglich.

Der Sprecher

Ulrich Noethen ist ein versierter Sprecher, der sich in seiner Rolle als Erzähler dezent im Hintergrund hält, aber bei den Dialogen seine Fähigkeiten besser unter Beweis stellt. Die Charakterisierung der Figuren ist zwar längst nicht so deutlich wie etwa bei Rufus Beck, aber dafür beherrscht er ziemlich viele Akzente und Dialekte. Und da dies quasi ein multinationaler Roman ist, kann Noethen seine Figuren Schwäbisch sprechen und mit österreichischem, italienischem, chinesischem und arabischem Akzent auftreten lassen.

Die Schwaben waren mir natürlich am sympathischsten. Zudem klingen sie durchaus authentisch, wenn dies auch dem Nichtschwaben Schwierigkeiten bereiten dürfte. Wenn eine alte Frau auf dem Lande Mundart spricht, so klingt sie vielleicht sogar wie eine Hexe aus dem Märchen. Aber das ist ganz im Sinne der Story: weg von der Globalisierung, zurück zur eigenen Scholle, von der man sich zu ernähren hat. Wie könnten da die Figuren hochdeutsch sprechen?

Noethen kann auch die Emotionen herüberbringen, um eine Situation zu charakterisieren. Nervosität und Erleichterung sind leicht darzustellen, aber einen Dialog über Bohrtürme erotisch zweideutig klingen zu lassen, ist schon etwas schwieriger. Ich habe diesen Dialog zwischen Markus und Amy Lee jedenfalls genossen. Er ist genau so gemeint, wie Markus sich zu glauben weigert.

Allerdings gibt es auch eine Schattenseite dieser Aufnahme. Zweimal stolperte ich auf den zwei letzten CDs auf wiederholte Sätze. Das weist auf eine schlechte Schnitttechnik hin, die möglicherweise durch Zeitdruck zustandekam. Noethen spricht den Namen „Crooked River“ falsch aus. Das ‚e‘ in Crookéd sollte deutlich zu hören sein.

Unterm Strich

Der Wandel der derzeitigen Welt ist häufig Thema von ernst zu nehmenden Zukunftsromanen, und „Ausgebrannt“ fällt sicherlich in diese Kategorie. Was bei den amerikanischen Autoren wie Niven/Pournelle (etwa in „Luzifers Hammer“) jedoch auffällt, ist die darwinistische Grundhaltung, wonach nur der Stärkste überlebt. Bei Eschbach überlebt immer der Klügste wie auch derjenige, der sich auch innerlich wandelt. Dem inneren entspricht der nachfolgende äußere Wandel.

Bei Eschbach gibt es Erlösung, bei den traditionellen Amis nur Verdammnis oder Transzendenz – beides nicht sehr verlockend, weder für den Leser noch für den SF-Kenner Eschbach. Nur wenn der äußere Wandel auch durch einen inneren herbeigeführt wird, ist er auch legitimiert. Denn nur dann sind Menschen in der Lage und vor allem willens, sich an ihn anzupassen statt in ihm unterzugehen.

Eschbach hat somit eine positive Utopie vorgelegt, die aber dennoch an vielen Stellen machbar und plausibel aussieht. Das liegt einerseits an den durchgerechneten Modellen, andererseits aber auch an der umfangreichen und verständlich dargelegten Kenntnis der wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen für den globalen Wandel. Allein schon die Fakten um das größte Ölfeld der Welt, Ghawar, sind von erstaunlicher Tiefe, und zwar auch in ihrer Interpretation.

So könnte sich der Laie beispielsweise fragen, wieso die Scheichs in Dubai und Bahrain auf einmal anfangen, Wolkenkratzer zu bauen. Sie brauchen ja selbst keine. Aber vielleicht sorgen sie schon mal für eine Zeit ohne Öl vor. Die Scheichs bzw. die OPEC wissen sicherlich mehr über den Zeitpunkt, wann ihr Öl nicht mehr die Nachfrage decken kann, als unsereins. Die Ölkrise beginnt nämlich bereits dann, nicht erst am Ende des Öls. Ob Spinner wie Karl Walter Bock uns retten können, stellt Eschbach doch sehr in Frage. Warum auf den Wünschelrutengänger warten, wenn man auch vorsorgen und den Verbrauch einschränken kann?

Das Hörbuch

Ulrich Noethen gestaltet die Lesung recht spannend, denn er lässt den Text im Vordergrund und stellt sich selbst zurück. Farbig wird sein Vortrag immer dann, wenn er einen fremden Akzent oder Dialekt benutzen darf oder wenn er Emotionen darstellt. Die Geschichte ist wie so oft bei Eschbach auch von ironischem, aber sympathischem Humor durchzogen. Auf eine Story mit echtem, gnadenlosem Biss darf man bei Eschbach wohl noch lange warten. Es entspräche einfach nicht seiner Weltsicht. Der einzige Thriller aus dieser Kategorie wäre bis dato „Solarstation“, eine Art „Stirb langsam“ in der Erdumlaufbahn.

Mehrere Satzwiederholungen sprechen jedoch nicht für die Qualität des Schnitts der Aufnahme. Vielleicht war der Zeitdruck schuld. Und Noethen sollte sein Englisch auffrischen, um seine Aussprache zu verbessern.

576 Minuten auf 8 CDs
ISBN 978-3-7857-3284-7
weitere Ausgabe 2008: 978-3-4047-7316-9
www.andreaseschbach.de
www.luebbe.de/luebbe-audio