Etteth, Shankar Ravi – Dorf der weißen Witwe, Das

Ein Diplomat der madagassischen Botschaft in Neu Delhi wurde in einem verschlossenen Zimmer mit einer nicht auffindbaren Waffe ermordet. Die Polizei schickt Anna Khan, die neue stellvertretende Kommandeurin, um den rätselhaften Mord zu lösen. In der Botschaft trifft Anna auf Jay Samorin, der von seinem Freund, dem madagassischen Botschafter, ebenfalls zur Klärung des Mordes gerufen wurde. Samorin ist Karikaturist im Ruhestand, der als selbsternannter Hobby-Profiler das Böse erforscht. Und auf mirakulöse Weise kann Samorin den Fall tatsächlich mit höchster Konzentration im Schnellverfahren lösen.

Bestanden zunächst einige Misstöne zwischen der Kommandeurin Khan und Samorin, entwickelt sich bald eine Liebesbeziehung zwischen den unterschiedlichen Ermittlern. Anna hat mehrere Jahren Polizeidienst in Kaschmir geleistet. Im Kampf gegen Terroristen, die ihren Ehemann ermordeten, hat sie dort im Einsatz 58 Menschen getötet. Als Top-Ermittlerin macht sie Karriere. Der feinsinnige Karikaturist Samorin, der ausgebildeter Kalari-Kämpfer ist und eine Fossa, eine seltene und überaus tödliche Wildkatze, als Haustier hält, hat sich vor einiger Zeit fast völlig aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen. Dennoch scheint die beiden mehr als die ‘Faszination am Bösen’ zu verbinden.

Während sich die Protagonisten näher kommen, lösen sie weitere, auf eigenwillige Art verstrickte Verbrechen um Leidenschaft, Untreue, Erpressung, Mord und Genmanipulation. Bei diesen Ermittlungen wird immer deutlicher, dass Samorin das Geheimnis seiner Kindheit lösen muss: den Mord an seiner Mutter, für den man seinen Vater erhängte. Und auch der berühmte Künstler Dhiren Das, den Samorin ebenfalls seit seiner Kindheit kennt, scheint bei all diesen Verbrechen eine seltsame Rolle zu spielen. Über allem schwebt das Böse, aber kann die Lösung aller Rätsel im Dorf der geächteten Witwen liegen?

Und kann derartiger Stoff funktionieren? Das moderne Delhi, mit seinen Bars, Ausstellungen und schillernden (Schwulen-)Szenen. Der Kaschmir-Konflikt, Kriege mit Pakistan, Terroristen. Zwei traumatisierte Protagonisten, die zu Superhelden stilisiert sehr menschlich agieren. Eine nymphomane Schwägerin, eine tödlich erkrankte Schwiegermutter, ein eitler Künstler, der Samorins alter ego zu sein scheint. Politik, Genmanipulation, Krishna. Indiens wechselvolle Geschichte voller Mythen und Legenden. Verstoßene Witwen in Brindaban, auf denen ein Fluch liegt und die man zur Prostitution zwingt.

Es schwant einem nichts Gutes. Und in der Tat wirkt „Das Dorf der weißen Witwe“, betrachtet man allein Handlung und Storyline, wie eine ungeschickt überladene Komposition. Aber Etteth spielt nicht nur mit allem, was zur Hand ist, mit allen Genres à la Bollywood-Kino, er karikiert und stilisiert nicht einfach, er zaubert auch auf mysteriöse, poetische Weise ein indisches Paradies voller Farben, Licht und Schatten, flirrender Hitze und Schwüle. Man hört, man riecht, man schmeckt ein Indien, das derart mit Exotika überladen scheint, dass es sich selbst entlarvt und doch als traumähnliche Vision erhalten bleibt. Vor allem die Kindheitserinnerungen Samorins sind von feinster poetischer Kraft, die in ihrer strahlenden Schönheit der Oberfläche gerade eben das Grausame darunter verbergen. So grandios und voller Zauber findet man selten Texte; wer z. B. die Romane der Hawaii-Trilogie von Susanna Moore kennt, kann sich eine Vorstellung von Etteths Sprachvirtuosität machen.

Als Krimi ist „Das Dorf der weißen Witwe“ jedoch besser nicht zu lesen, das könnte zu Enttäuschungen führen. Die Lösung des Diplomatenmordes ist eine Farce oder eine Parodie, und die vielen Wendungen des Romans verwirren zwar in ihrer Vielzahl, bleiben jedoch nie lange undurchschaubar, so dass sich wirkliche Spannung nicht einstellt.

Was bleibt ist Etteths Stil – von Licht und Schatten durchflutet, melancholisch schwebend, voll subtiler Details und prächtiger Schönheit. Bloß, was wollte Etteth sagen? Ich weiß es nicht. Aber das „Das Dorf der weißen Witwe“ könnte ein wahrer Bestseller sein, so kühn und intensiv wie Murakamis „Gefährliche Geliebte“. Vielleicht wollte der Autor, wie er es seinem Protagonisten Samorin in den Mund legt, ein Kritiker des Universums sein und hat sich dabei in seinem eigenen Text verzettelt. Das allerdings wohl nicht willkürlich, sondern eher mit reflektierter Methode, aber unergründlicher Absicht. Das ist schade, sollte aber nicht vom opulenten Lesegenuss abhalten!

© _Anna Veronica Wutschel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

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