Fairstein, Linda – Leichenkeller, Der

Ist ihre Mandantin nun vergewaltigt worden oder nicht? Das fragt sich die New Yorker Bezirksstaatsanwältin Alex Cooper. Jedenfalls so lange, bis diese Mandantin eines Morgens mausetot aufgefunden und auf ihren potenziellen Vergewaltiger ein Anschlag verübt wird.

Die Zeichen stehen also nicht günstig für Alex‘ neuesten Fall, als aus einer ganz anderen Richtung wertvolle, wenn auch merkwürdige Hinweise die Ereignisse in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen. Die Spur führt zurück ins Jahr 1944, ins Märchenreich des ägyptischen Königs Faruk …

_Die Autorin_

Linda Fairstein, Jahrgang 1947, ist Absolventin des Vassar Colleges und promovierte an der University School of Law. Sie leitete über zwei Jahrzehnte die Abteilung für Sexualverbrechen der Bezirksstaatsanwaltschaft in Manhattan und wird in der Fachliteraur für ihre bahnbrechende Arbeit in den Gerichten New Yorks gelobt. Sie lebt mit ihrem Mann in New York City und auf der Insel Martha’s Vineyard. (Verlagsinfo) Beide Orte kommen im Buch mehrmals vor.

Von Fairstein sind folgende weitere Krimis erschienen: „Tod in Seide“ (Blanvalet 35372); „Das Totenhaus“ (35591); „Die Knochenkammer“ (35989).

Zum deutschen Titel: Eine wahrer „Geniestreich“ zur Irreführung des Käufers! Von einem Leichenkeller ist nämlich weit und breit nichts zu finden. Aber der Titel passt zu den oben genannten Titeln, die vermutlich einfach nur an die Krimis von Kathy Reichs und Patricia Cornwell erinnern sollen.

_Handlung_

Alexandra Cooper, Anwältin in der Abteilung für Sexualverbrechen der Bezirksstaatsanwaltschaft in Manhattan (wie die Autorin), ist Teil einer kleinen Clique von Gesetzeshütern, die in dem neuesten Fall eng zusammenarbeiten muss. Der Fall ist komplex.

Sie verteidigt Paige Vallis, eine junge Geschäftsfrau in Alex‘ Alter, Anfang 30. Vallis behauptet, von dem ehemaligen CIA-Agenten Andrew Tripping vergewaltigt worden zu sein. An Tripping wurden Paranoia und Schizophrenie festgestellt, aber das Besondere an dem Verbrechen ist, dass Vallis nicht selbst bedroht wurde, um sie gefügig zu machen. Vielmehr drohte Tripping damit, seinen Sohn Dulles, der ohnehin schon zahlreiche Verletzungen aufwies, noch stärker zu „bestrafen“.

Leider ist Alexandras wertvollster Zeuge, nämlich Dulles Tripping, seit Tagen verschwunden, wahrscheinlich ausgebüchst in seinen alten Heimatort. Mit Tripping selbst darf aber nur der Verteidiger Peter Robelon reden. Seltsam ist auch das Auftauchen von CIA-Agenten im Gerichtssaal. Einer davon, ein gewisser Harry Strait, legt Vallis am Tag vor ihrer Zeugenaussage nahe, zu schweigen. Das findet Alex Cooper nicht mehr witzig. Bei ihren Nachforschungen zeigt sich, dass der Name „Harry Strait“ einem Agenten gehörte, der schon lange tot ist …

Hat die CIA Interesse daran, den Prozess zu verhindern? Offenbar hat auch die Klägerin Paige Vallis einiges zu verbergen. Diese Frage erledigt sich aber von selbst, als sie ermordet wird. Die Verteidigung freut sich schon: Damit wäre Coopers Verhandlung wohl gescheitert.

Von ganz anderer Seite taucht aber der Name „Harry Strait“ wieder auf. In Harlem wurde eine 82-jährige ehemalige Tänzerin ermordet. McQueen Ransome hatte eine schillernde Vergangenheit: Sie spionierte während des 2. Weltkriegs nicht nur für die Aliierten, sondern war auch die Geliebte des sagenhaft reichen Königs Faruk von Ägypten. In dieser Zeit hatte sie wohl Kontakt zum Vater von Paige Vallis Victor, der als Privatlehrer für Faruk, aber wohl auch für den amerikanischen Geheimdienst arbeitete …

Ihre Wohnung ist verwüstet, doch ein paar Sammlermünzen findet Alex Cooper in Queenies Schrank. Was hatte die zurückgezogen lebende, alte Dame in ihrem Besitz, dass sie dafür ihr Leben lassen musste? Und was hatte ihr Harry Strait mit jenem „Harry Strait“ zu schaffen, der Paige Vallis unter Druck setzte? Viele Spuren führen zum Geheimdienst …

_Mein Eindruck_

Der Krimi lässt sich leicht in drei Abschnitte einteilen. Das erste Drittel vermittelt den irrigen Eindruck, hier handle es sich um ein „courtroom drama“ nach TV-Zuschnitt. Zwar werden auch menschliche Schicksale verhandelt, aber der Wahrheit kommt unsere Heldin Alex Cooper (nicht zu verwechseln mit dem Musiker Alice Cooper!) kein Stückchen näher.

Nachdem sie dann ihre Mandantin verloren hat und auch der Angeklagte stark beeinträchtigt ist, ja, auch der Hauptzeuge nicht herbeizuschaffen ist, da gerät Alex‘ Fall auf interessante Abwege. Im zweiten Drittel entwickelt sich der geschichtliche Hintergrund zur eigentlichen Triebkraft der Handlung. Was erfahren wir da nicht schöne und wundersame Dinge! Der Playboyprinz Faruk ließ sich zum Taschendieb ausbilden und stibitzte Churchill die Uhr aus dem Jackett, und sein Palast enthielt einige hundert Zimmer, die nur mit Reichtümern angefüllt waren. Blöd, dass nach dem Kriegsende die Dinge schlecht für den König liefen und er anno 55 von Nasser vertrieben wurde. Ohne seine heißgeliebte „Pornographiesammlung“ – in Europa würde man „Erotica“ sagen – musste er nach Italien ins Exil reisen, wo er ein schmähliches Ende fand.

Doch der amerikanische, der britische und der italienische Geheimdienst, womöglich sogar die Nazis waren hinter etwas ganz anderem und weitaus Wertvollerem her, das Queenie hatte mitgehen lassen – oder war’s Victor Vallis? Das soll hier nicht verraten werden, um die Spannung nicht zu zerstören.

Im letzten Drittel verschlingen sich die ausgelegten Fährten zu einem spannenden, actionreichen Finale. Nachdem sie einen Hurrikan auf ihrer Wohninsel und einen Einbruch in ihr Haus überlebt hat, sieht sich Alex in den mörderischen Klauen eines Größenwahnsinnigen … Leider ist dies genau der Bursche, der mir schon zu Beginn des zweiten Drittels so verdächtig vorkam, als ich dachte, der Typ müsse mindestens zwei Sparren im Oberstübchen locker haben. Man könnte also behaupten, dass der Plot in gewissem Sinne recht vorhersehbar sei.

|Der Stil|

Dies ist ein Krimi von einer gestandenen älteren Dame, die schon fast alles von der Welt gesehen hat. Abgeklärt erscheint uns ihre Heldin, aber nicht zu burschikos, als dass sich nicht Alex an die Brust eines tröstenden und befreundeten Mannes werfen bzw. kuscheln würde. Bei Mrs. Fairstein haben Lesben keine Chance. Die Welt der Miss Cooper ist die des Gesetzes. Und dieses gibt klare Grenzen legalen Verhaltens vor sowie deutliche Handlungsanweisungen. Schade, dass dies nicht auch für die Gegenseite gilt, denn so kommt es ständig zu interessanten Konflikten.

Dies wächst sich zu einem Katz-und-Maus-Spiel zwischen den drei tapferen Gesetzeshütern Cooper, Chapman & Wallace und diversen Finsterlingen aus. So ist ständig für Action und witzige Dialoge mit typischem New Yorker Humor gesorgt, und es vergeht kaum eine Seite, auf der Alex nicht einen Anruf bekommt, der eine überraschende Wende herbeiführt oder eine hilfreiche Enthüllung bedeutet – meist genau zum Ende eines Kapitels, so dass man unweigerlich neugierig wird und weiterlesen möchte. Sehr geschickt, Mrs. Fairstein.

Die Beschreibungen der Insel Martha’s Vineyard (ausgesprochen: winjahd) belegen, dass sich die Autorin hier genaustens auskennt. Sie weiß, wie sich die Einheimischen verhalten, wenn man mal knapp bei Kasse ist, wenn mal wieder ein Sturm zugeschlagen hat oder wenn mal eine imposante Luxusjacht in den Hafen reinschippert. In vielerlei Hinsicht erscheint dadurch die Insel wirklicher als das nebulöse Manhattan, die andere Insel.

|Die Übersetzung|

Manuela Thurner verfügt nicht nur über eine sehr gute Kenntnis des US-amerikanischen Englisch und der Gerichtssprache, sondern weiß auch das Deutsche stilistisch so einzusetzen, dass sich ein sehr lesbarer Text ergibt. Viele Romantexte leben ja von der Farbigkeit der Anspielungen und erzeugen witzige Effekte durch Wortspiele und dergleichen. Damit hat Thurner keine Probleme. Und auch wenn ich gewisse Wendungen anders übertragen hätte, so kann man sich doch immer über Varianten streiten. Thurners Version ist ebenso gültig, wie es meine gewesen wäre. Für einen Übersetzer ist letztendlich immer die Verständlichkeit oberstes Gebot. Dieses Gebot befolgt Thurner durchweg. Von Setzfehlern ist der Text fast völlig frei.

_Unterm Strich_

Wer sich trotz des irreführenden Titels (siehe oben) keinen bluttriefenden Thriller à la „Schweigen der Lämmer“ erwartet hat, der wird mit einem leidlich spannenden und solide gemachten Krimi aus dem Gerichtsmilieu Manhattans belohnt. Ich fühlte mich nicht gelangweilt oder genervt, sondern die humorvoll-ironische Intelligenz, die die Autorin an den Tag legt, unterhielt mich ausgezeichnet, so dass ich nach wenigen Tagen das actionreiche Finale genießen konnte.

Zudem habe ich das Gefühl, eine Menge über US-Münzen des Jahres 1933 und über den Märchenkönig Faruk erfahren zu haben. Dass eine europäische Autorin diesen Krimi ganz anders geschrieben hätte, dürfte klar sein. Aber so ist er auch ganz gut gelungen. Die Autorin hat ihr Buch Patricia Cornwell gewidmet. Das kann ich sehr gut verstehen: Sie will zeigen, dass sie a) bei einer Meisterin gelernt hat und b) dass weibliche Amis auch gute Gerichtskrimis zustande bringen.

|Originaltitel: The Kills, 2004
Aus dem US-Englischen übersetzt von Manuela Thurner|