Philip José Farmer – Fleisch. Drei Romane

„Fleisch“, ein Sammelband aus drei Romanen, enthält zwei Episoden um den Detektiv Herald Childe, der einer Horde grausamer Außerirdischer anheimfällt, sowie die Abenteuer eines gewissen Peter Bock, dem „Sonnenhelden“. Die Romane gelten als die „enfants terribles“ unter den Science-Fiction-Romane der sechziger Jahre. In Deutschland wurden sie zunächst nur vereinzelt und dann zusammengefasst in dem Band „Fleisch“ bei |Heyne| veröffentlicht. Das |Area|-Buch ist eine Neuausgabe dieser |Heyne|-Fassung: nun als „Fantasy“ statt „Science Fiction“!

Der Autor

Philip José Farmer wurde bereits 1918 in North Terre Haute, Indiana, als Nachkomme von deutschen, niederländischen und irischen Vorfahren geboren. 1946 verkaufte er eine Kriegserzählung an das Magazin „Adventure“, sein erster Roman „The Lovers“ (Die Liebenden) erschien 1952 in „Startling Stories“ und brachte zum ersten Mal das Thema Sexualität in die (eher prüden) Science-Fiction-Magazine seiner Zeit ein. Danach galt er als Tabubrecher. Viele seiner Werke zeichnen sich durch unterhaltende Themen und Erzählweise sowie durch Ideenreichtum aus. Das gilt auch für „Fleisch“, den vorliegenden Sammelband.

Hintergrund

Der Sammelband enthält die drei Romane „Die Verkörperung des Bösen“ (The Image of the Beast), „Außer Atem“ (Blown) und „Fleisch“ (Flesh). Er stellt einen zusammengehörigen „Exorzismus“ dar, der mit den drei Büchern in drei „Ritualen“ ausgeführt wird. Man fragt sich allerdings, was denn hier exorziert werden soll.

Nach der Liberalisierung der amerikanischen Zensurgesetze Ende der 60er Jahre gab der Verlag |Essex House|, der sonst Pornos veröffentlichte, Farmer den Auftrag, drei erotische Fantasy-Romane zu schreiben. Der erste gelieferte Roman, „The Image of the Beast“ (1968), ist eine wirkungsvolle Parodie auf die Detektivgeschichten und Schauermärchen seiner Zeit. „Blown, or Sketches among the Ruins of my Mind“ (1969) ist die obligatorische Fortsetzung dazu und zeitlich ein Jahr später angesiedelt. Beide wurden 1979 zusammengelegt und in einem Band herausgegeben.

Das dritte Exorzismus-Buch, „Traitor to the Living“ (1973), wurde nicht von |Essex House| veröffentlicht. Vielmehr wurde der Vertrag mit dem Verlag durch die Lieferung von „A Feast Unknown: Volume IX of the Memoirs of Lord Grandrith“ (1969) erfüllt. Der Essex-Deal half Farmer dabei, wieder Vollzeitschriftsteller zu werden – das erste Mal seit 1961, der Veröffentlichung von „The Lovers“ und dessen Fortsetzung „Timestop“ (Story 1960 als „A Woman a Day“, als Buch 1968/1970).

Wie man sieht, ist „Flesh“ nicht im originalen „Exorzismus“ enthalten! Es erschien im Original bereits 1960, in Deutschland zuerst in einer stark gekürzten Fassung 1971 unter dem Titel „Der Sonnenheld“ bei Heyne, übersetzt von Birgit Reß-Bohusch. Diese Fassung wird dem Original keineswegs gerecht.

Handlungen

„Image of the Beast“

Los Angeles leidet seit Tagen unter Smog; er ist so übel, dass kaum etwas zu sehen ist, wenn man eines der wenigen erlaubten Autos fährt, z. B. als Detektiv Herald Childe. Durch seine Kontakte bei der Polizei bekommt er einen Film vorgeführt, in dem einem Polizisten das Geschlechtsteil abgebissen wird. Ein Dracula-Typ tut sich ebenfalls an ihm gütlich. Es gibt weitere Opfer, so etwa einen reichen Geschäftsmann. Childe soll diesen Fall klären. Er recherchiert bei einem Horrorfan namens Woolston Q. Heepish (er taucht auch in „Blown“ wieder auf). Der Tipp führt zu Barons Igescus gut bewachter und weitläufiger Villa in Beverly Hills, in der eine tote Mexikanerin spukt. Außerdem gibt es Werwölfe und andere Gestaltwandler. Baron Igescu ist bereit, ein Interview zu geben, doch Childe wird ein Opfer der sexuellen Gelüste der Hausbewohner, zum Beispiel des Gespenstes. Igescu erklärt, dass die Gestaltwandler ursprünglich aus einer anderen Dimension bzw. Parallelwelt kommen und auf Erden eine ihnen genehme Form angenommen haben. Childe treibt es mit mehreren Bewohnern, bringt einige davon um – darunter Igescu – und setzt die Villa in Brand. Auf der Flucht bemerkt er drei schwarz gekleidete Männer, die zur Villa fahren. Der Smog verschwindet.

„Blown“

Es regnet seit Tagen in LA – Überschwemmungen, Erdrutsche sind an der Tagesordnung. Die drei schwarz gekleideten Männer stellen sich Childe als Angehörige einer mit Igescus Leuten konkurrierenden Alienspezies, der Toc, vor, die ebenfalls erdübliche Körper akquiriert haben. Childe ist mittlerweile Student an der Uni. Als seine verschwundene Ex-Frau Sybil wieder auftaucht, wird er misstrauisch. Sie stellt sich als Angehörige der Toc heraus, als Childe von den Gegnern der Toc entführt und mit Sybil zusammengesperrt wird.

In der Zwischenzeit vermisst der berühmte amerikanische Sammler von SF- und Fantasy-Memorabilien Forrest J (ohne Punkt) Ackerman sein neu erstandenes Dracula-Porträt. Er findet es in der Nachbarschaft bei seinem Konkurrenten Woolston Q. Heepish, bei dem sich ein paar Außerirdische einquartiert zu haben scheinen. Forry schließt sich den Toc an und unternimmt mit ihnen einen Überfall auf das Hauptquartier des Gegners. Er kommt genau rechtzeitig, um die Hauptzeremonie zu stören, in deren Verlauf Herald Childe, ein, wie sich herausstellt, Alienabkömmling, den Gral wiederherstellen soll, mit dessen Hilfe die Aliens wieder nach Hause kommen. Doch auch die Toc wollen den Gral. Chaos entsteht, als ein Erdrutsch das Haus wegreißt. Forry und Childe überleben, aber der Gral ist unter Tonnen von Schlamm begraben. Dumm gelaufen!

„Flesh“

Jeder kennt das Szenario von „Planet der Affen“: Eine Raumschiffcrew kehrt nach Hunderten von Jahren der Raumerkundung zu einer völlig veränderten Erde zurück. So auch hier. Nach 800 relativen Jahren kehrt Peter Bock (Stagg im Original; engl. stag: männl. Hirsch) an die amerikanische Ostküste zurück. Nach einer Reihe von globalen Katastrophen, die nur wenige Völker überlebt haben, ist die meiste Hochtechnologie verloren gegangen, aber Biotechnik funktioniert gut, zum Beispiel in der Medizin.

Antike Fruchtbarkeitriten wurden eingerichtet, um das Bevölkerungswachstum anzukurbeln. Die Große Weiße Mutter Columbia (eine satirische Anspielung auf den „Großen Weißen Vater“ der Indianer, der in Washington regiert) setzt jedes halbe Jahr einen „Sonnenhelden“ ein, der auf einer Tour durch das Territorium von „Dici“ (= D.C.) zahlreiche Jungfrauen zu schwängern hat. Die Staatsreligion ist in der weiblichen Priesterschaft und ihren Unterorganisationen sowie in den Totem-Stämmen für die Männer organisiert. Unfruchtbaren Frauen – sie sind demzufolge besonders unglücklich – stehen entsprechende Tempel zur Verfügung, wo sie versuchen können, von den männlichen Besuchern schwanger zu werden.

Durch ein ihm aufgepflanztes Geweih wird Peter Bock zu einem wahren Sexprotz. Leider kann er nicht damit aufhören, selbst wenn er es wollte, da die Hormone, die das neue Geweih produziert, ihn zu höchster Geilheit zwingen. Am Ende seiner Tour soll er der Todesgöttin geopfert werden, erfährt er. Er macht sich aus dem Staub und wird entführt.

In der Zwischenzeit heiratet Churchill, einer seiner Offiziere, die Tochter eines erfolgreichen Dici-Geschäftsmanns. Seine ironische Belohnung: Er soll Schweinezüchter werden. Auf dem Flitterwochenausflug wird er Opfer von Piraten aus Karelien; deren Chef kann er aber überlisten, so dass er sein Raumschiff wiederbekommt, seine Kameraden befreien und den entführten und umgekommenen Peter Bock wiederbeleben und mitnehmen kann. Die Crew fliegt weiter, mitsamt der neuen – mehr oder weniger freiwillig – gewonnenen Frauen.

Leider hat es der fundamentalistisch eingestellte Christ Sarval aus Bocks Mannschaft nicht geschafft, mit dem Dici-System zurechtzukommen: Seine Bekehrungsversuche zur Keuschheit waren nicht gerade willkommen, und die Einwohner knüpften ihn kurzerhand an einem Laternenpfahl auf. Im „Nachspiel“ treten die drei Hexen aus Shakespeares „Macbeth“ auf: die Jungfrau, die Matrone und die Todesgöttin/Hexe. Offensichtlich sind es ihre Organisationen, die das Schicksal der neuen Männer bestimmen werden.

Mein Eindruck

Während sich die Sexszenen in den ersten zwei Romanen in Ausführlichkeit und Deutlichkeit, wenn auch nicht in Häufigkeit gefallen, so gibt es sie in „Flesh“ praktisch nicht. Im Gegenteil: Peter Bock und seinen Mannen legen sich zahlreiche Hindernisse in den Weg, bevor sie ihrer Lust frönen könnten: moralische Tabus ebenso wie wild gewordene Baseballspieler.

Farmer hat in den zwei ersten satirischen Romanen Detektive, SF-Sammler, Schauermärchen und Gralsucher auf die Schippe genommen. Selbst erotische Frauen fallen auseinander, wenn Childe ihnen zu nahe kommt. In „Flesh“ attackiert er dann den heiligen Nationalsport Amerikas: Baseball. Er zeigt, wie unglücklich sich die Umstände für die christlichen Fundamentalisten ändern können. Das Kapitol, die Hochburg der Priesterinnen, weist nun zwei busenförmige Kuppeln auf – eine Entweihung der Hauptstadt der Nation. Dreimal darf man fragen, welche Form der Obelisk des Washington Monuments hat. Dass in den Straßen barbusige, aber verschleierte Frauen auftauchen, reißt den an moderne Kost gewöhnten Leser nicht mehr vom Hocker.

Das Titelbild

… stammt von Boris Vallejo, einem der bekanntesten Illustratoren der Welt. Als Modell dient ihm meist seine Lebensgefährtin Julie, die selbst ebenfalls illustriert. Sie haben eine wunderschöne Website, auf der sie ihre Werke anbieten und verkaufen: http://www.imaginistix.com (ohne Gewähr).

Unterm Strich

Sicherlich sind die drei Romane Geschmackssache, und der ändert sich erstens von Mensch zu Mensch und zweitens von Epoche zu Epoche. Pornographie sind sie nach heutiger Definition nicht, eher schon Science-Fantasy mit einem satirischen Rundumschlag auf liebgewordene Klischees und SF, Fantasy, Sexualität und amerikanischem Nationalismus.

Hinweise

Der Preis von knapp zehn Euro erscheint mir für heutige Verhältnisse recht preisgünstig. 1989 kostete der |Heyne|-Sammelband stolze DM 16,80. Inzwischen haben sich die Preise für Taschenbücher mindestens verdoppelt. Dennoch erhält der Käufer den gleichen Gegenwert wie damals.

Auch so mancher andere Titel aus der Reihe „Area Fantasy“ im März 2005 ist einen Blick wert. Bekannte Zyklen von Poul Anderson („Das Schwert des Nordens“) und Alan Dean Foster („Bannsänger“) sowie Roger Zelazny („Die Prinzen von Amber“), die längst Kult sind und lange vergriffen waren, finden nun ihren Weg wieder auf den Markt.

Originaltitel: Image of the Beast/Blown/Flesh, 1968/69/60
Aus dem US-Englischen übersetzt von Ronald M. Hahn
ISBN-13: 9783899964370

http://www.area-verlag.de/

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 1,00 von 5)