Vor den Toren des antiken Karthago entbrennt der Streit zwischen der Seerepublik und rebellierenden Söldnertruppen. Im Mittelpunkt des Konflikts steht die tragische Liebe zwischen der Priesterin Salambo, Tochter des umstrittenen Staatsmanns Hamilkar, und dem Söldnerführer Matho.
In der Verbindung von politischen und religiösen Themen schildert der französische Schriftsteller Gustave Flaubert in seinem historischen Roman die Grausamkeit der Vernichtung, die bis in intimste Bereiche vordringt. „Emma Bovary noch einmal, nur in barbarische Vorzeiten versetzt.“ Die FAZ.
Der Autor
Gustave Flaubert, geboren 1824 in Rouen, studierte 1842 bis 1844 Recht in Paris. Nach einem epileptischen Anfall zog er sich auf den Familienbesitz in Croisset zurück und widmete sich dem Schreiben. Er unternahm Reisen nach Korsika, Italien, Griechenland, Nordafrika und in den Orient. Sein erster Roman „Madame Bovary“ wurde ein Skandalerfolg und Flaubert zum Vorbild für die französischen Realisten. Weitere wichtige Werke waren „Salambo“ (1863) und „L’éducation sentimentale, histoire d’un jeune homme“ (1869, Erziehung des Herzens). Flaubert starb 1880 in Croisset.
Die Sprecher
Anna Thalbach: Priesterin Salambó
Hans Peter Hallwachs: Erzähler
Felix von Manteuffel: Rebellen-Feldherr Spendius
Michael Evers: Rebellen-Feldherr Matho, der Libyer
Peter Kaghanovitch: Rebellen-Feldherr Narr’Havas, der Numidier
Christian Redl: Karthago-Feldherr Gisco
Michael Habeck: Karthago-Feldherr Hanno
Matthias Habich: Karthago-Feldherr Hamilkar Barkas
u.v.a.
Die Bearbeitung erfolgte durch Joy Markert, die Dramaturgie besorgte Angela di Ciriaco-Sussdorff, die Regie führte Uwe Schareck. Da der Ton eine ziemlich bedeutende Rolle spielt, sollen auch die Tonbearbeiter Anna Effertz und Rudolph Stückrath erwähnt werden.
Das Hörspiel wurde 2004 vom Westdeutschen Rundfunk produziert, ist also fast nagelneu.
Handlung
Die erzählten Geschehnisse ereignen sich nach dem Ende des folgenreichen Ersten Punischen Krieges, den Karthago gegen Rom von 264 bis 241 v. Chr., also 23 Jahre lang, führten. Die phönizische Großmacht Karthago verlor die Oberherrschaft im Mittelmeer an die Römer und obendrein ihre Kornkammer Sizilien.
Doch auch die Jahre danach verliefen für Karthago alles andere als friedlich, denn von 240 bis 238 v.Chr. ereignen sich die hier erzählten Söldneraufstände mit zahlreichen blutigen Schlachten, einer Hungersnot und dem Ausbruch der Pest.
Feldherr Hamilkar Barkas hat sich zurückgezogen, seinen jungen Sohn Hannibal hält er versteckt. Seine Tochter Salambo dient als oberste Priesterin der alten Stadtgöttin Tanit (ausgesprochen: tinit). Tanit symbolisiert das weibliche Element der Fruchtbarkeit und Heilung, während Eschmun, der zunehmend populärer wird, das männliche Prinzip verkörpert. Salambos Aufgabe besteht darin, durch Rituale usw. für ein Gleichgewicht der Kräfte zwischen Tanit und Eschmun zu sorgen. Gelingt ihr dies nicht, wird der Gott Moloch die Oberhand gewinnen, der Kinderopfer verlangt … Sie ist auch die jüngfräulich bleibende Hüterin eines heiligen Schleiers, der das Symbol der Macht Karthagos darstellt. Der Schleier spielt eine zentrale Rolle in der Handlung.
Die Dinge geraten in Bewegung, als dem Heer der Söldner, das in Hamilkars Gärten im Vorort Megara lagert, zu Ohren kommt, dass ihnen vom Hohen Rat die Bezahlung verweigert wird. Die drei Feldherrn Matho, Spendius und Narr’Havas können nur zusehen, wie sich die Wut ihrer Leute am Tempelhain entlädt, in dessen Teichen juwelenbesetzte Fische schwimmen – aber nicht mehr lange. Matho verneigt sich entschuldigend vor der schönen Salambo, die um ihre heiligen Fische trauert. Als sie ihm verzeiht und Wein kredenzt, verliebt er sich unsterblich in die Schöne. Spendius heuchelt Verehrung, während sich Narr’havas wutschnaubend abwendet.
Noch lagert das Heer frustriert und tatenlos vor dem Tanit-Tempel. Der schleimige Spendius stachelt Matho zum Aufstand auf, da erscheint der karthagische Feldherr Hanno als Abgesandter des Rates, ein leprakranker Ränkeschmied: Er hat nichts zu geben außer leeren Worten. Als Erstes plündern die Rebellen sein Gepäck, er wird fast gesteinigt, die Stadt selbst angegriffen. Zunächst verbündet sich Narr’havas, der numidische Prinz, mit Matho, doch seine Treue soll sich als trügerisch erweisen.
Eine Vorentscheidung fällt, als es dem liebeskranken Matho mit Spendius‘ Hilfe gelingt, in den verbotenen Innenbezirk des Tanit-Tempels vorzudringen und den heiligen Schleier der Göttin an sich zu bringen. Die mantelgroße Reliquie umhüllt Matho wie einen Gott, als Salambo ihn erblickt. Als er ihr den Schleier verweigert, verflucht sie ihn, lässt ihn aber mitsamt Schleier entkommen.
Als der Verlust bekannt wird, gibt es für beide Seiten kein Zurück mehr. Der frustrierte Matho will Krieg, der eifersüchtige Narr’havas ebenfalls, und Spendius wollte schon immer vom Krieg profitieren. Die Schuld am wechselnden Schlachtenglück wird stets auf den Schleier geschoben. Bis die Lage in der Stadt durch die monatelange Belagerung so schlimm wird, dass Salambo zum letzten Strohhalm greift. Sie bietet sich selbst im Austausch für den Schleier an.
Mein Eindruck
Flaubert, der Autor von „Madame Bovary“ und „Erziehung des Herzens“, wandte sich gegen die Romantik ebenso wie gegen die dröge Bürgerlichkeit und suchte beides durch eine Konzentration auf Schönheit zu überwinden. Die Niederungen der Realität wie etwa die der Kriegspolitik und der menschlichen Niedertracht, finden man in „Salambo“ in rauen Mengen. Selten findet man in einem Antike-Roman so viele Intrigen, Überläufer und Intriganten. Der Rebellenführer Narr’havas selbst ist ein treuloser Gesell, der sein Heil bei den einstmals Bekämpften sucht – und findet. Das sagt schon einiges über die Ansichten des Autors über die menschlichen Natur aus.
Statt nach einer gedeihlichen Einigung zu suchen, knausern die Karthager Stadtväter mit ihrem Reichtum und schicken die Söldner, die sie in aller Herren Länder zusammengekauft haben, buchstäblich in die Wüste. Sollen sie sehen, wo sie bleiben. Dumm nur, dass die Söldner auch die Städte, die zuvor Karthago tributpflichtig waren, zum Aufstand anstacheln und so ihre Reihen auffüllen können. Die folgende Belagerung richtet verheerende Schäden an, wie es der 23-jährige Krieg gegen Rom nicht vermocht hat. So fällt die Dummheit und der Egoismus der Stadtväter auf sie und alle ihre Untertanen zurück. Moloch freut sich über die zahlreichen Menschenopfer, die man ihm bringt.
Ob Hamilkar Barkas, der geschmähte und wieder zurückgerufene Kriegsheld, helfen kann? Zunächst sieht es so aus, doch wie Julius Caesar wirft er sich zum Diktator auf, enteignet sogar die Priesterschaft. Er opfert Moloch einen Sohn – aber nicht etwa vom eigenen Fleisch und Blut (Hannibal), sondern von dem eines braven Bürgers. Immerhin gelingen ihm durch listenreiche Kriegsführung etliche Siege, die Spendius den Kopf kosten, so dass Narr’havas überläuft. Bleibt noch Matho – aber nicht für ewig. Mathos Spießrutenlauf durch die Straßen der siegreichen Stadt ist der Grauen erregende Höhepunkt eines an Brutalitäten nicht gerade armen Antike-Dramas.
Matho ist ein vergeblich Liebender, der in Kämpfe verwickelt wird. Er würde viel lieber seiner Liebe zur Hohepriesterin dienen, als zu Felde zu ziehen. Doch die Umstände der Zeit, sie sind nicht so. Seine Liebe zur Schönheit Salambos hat die Chance einer Schneeflocke in der Hölle.
Ähnlich ergeht es Salambos Dienst an Tanit. Je glückloser die Karthager im Krieg agieren, desto mehr fallen die Menschen vom Glauben an Tanit ab und wenden sich erst Eschmun, dann Moloch zu. Das Desaster mit dem Raub des göttlichen Schleiers ruft endgültig den Zorn der Bürger wie auch das Misstrauen ihres Vaters auf Salambo herab. Ihr letztes Mittel ruiniert sie vollends: Im Austausch für Sex erhält sie zwar den Schleier, doch ihre Jungfräulichkeit, das sieht Hamilkar sofort, ist für immer dahin. Sie kann keine Priesterin mehr sein, also verschachert er sie als Treuepfand an seinen Verbündeten Narr’havas. Fortan ist Salambo kein höheres Wesen, sondern lediglich ein besseres Tier. Ihr Schicksal ist dementsprechend tragisch.
Man sieht also, dass „Salambo“ ein durchweg pessimistisches Werk ist, das von Heroismus und romantischer Liebe kein Fitzelchen mehr übriglässt. Alle Ideale liegen am Schluss in Trümmern. „Madame Bovary“ lässt grüßen.
Die Inszenierung
Die Inszenierung versucht ein dialektisches Gleichgewicht zu wahren, was zum Eindruck führen kann, dass man sich nicht entscheiden konnte, was das Stück aussagen soll. Das Gegenteil ist richtig: Man hält sich an die Vorlage, ohne zurechtzubiegen, wie das Hollywood tun würde.
Folglich wechseln sich in regelmäßigen Abständen Szenen, in denen Schlachten geschlagen und im Rat Ränke geschmiedet werden, mit solchen ab, in denen die Göttin Tanit verehrt oder die Liebe Mathos geäußert wird. Außen und innen, Hass und Liebe, Vernichtung und Schönheit – dies sind die dialektischen Paare, die gegeneinander antreten.
Über die zwei Jahre der erzählten Zeit hinweg scheinen sie sich die Waage zu halten, als würden Tanit und Eschmun noch wirken, doch nach dem gut gemeinten „Sündenfall“ Salambos gewinnt Moloch die Oberhand: Der Vernichtung stellt sich nichts mehr entgegen, und das Ende von Liebe und Schönheit ist unausweichlich.
Musik und Geräusche
Die Tonkulisse spiegelt diesen Wechsel genau wider. Die Schlachtenszenen sind mit dem Sound des Aufruhrs und des Blutvergießens, mit Gebrüll und Rufen unterlegt. Oftmals sind Trommeln zu hören, um bedeutungsvolle Momente zu unterstreichen oder einen Schlusspunkt zu setzen.
Dem sind die Instrumente der Schönheit und Sanftheit entgegengesetzt: Flöten, Harfen und Celli, vor allem aber ein mystisch klingender, wortloser Gesang von Frauenstimmen. Diese Klangdimension übersteigt das tiergleich sich zerfleischende Leben auf den Straßen und Schlachtfeldern, hebt die Stimmung in Richtung auf das Gottähnliche im Menschen. Besonders stark findet sich diese Wirkung natürlich in allen Szenen, in denen Salambo auftritt, mit einer Ausnahme: Als sie im Finale mit Narr’havas ihre Hochzeit – und zugleich den Triumph der Stadt über Matho – feiern muss, erklingt festlich ausgelassene Musik. Kein Wunder, dass ihres Bleibens hier nicht lange ist …
Die Sprecher
Die männlichen Sprecher sind allesamt Profis, die ihre Rolle als Politiker in Krieg und Frieden ausgezeichnet zu spielen wissen. Auf Salambos Seite sind nur zwei Männer: der alte Mentor Shahabarim und der Sklave Tammus, der sie durch das Chaos zu Matho führt. Unter den Männer gibt es nur einen, der sonderbar heraussticht: Matho, gesprochen von Michael Evers. Stets strahlt er eine träumerische, etwas abgehobene Stimmung aus, so als befinde er sich durch die Liebe zu Salambo auf einer höheren Ebene.
Salambo, gesprochen von Anna Thalbach, bildet mit ihrer alten Amme und Lieblingssklavin Taanach (Barbara Nüsse), eine von dieser Gruppe völlig abgespaltene Einheit. Dementsprechend exponiert ist ihre Figur und auch die Beachtung, die sie erfährt. Kann die junge Thalbach dieser Anforderung gerecht werden? Sie spielt eine weltentrückte Hohepriesterin, die durch die Liebe eines „Barbaren“ in weltliche Niederungen gezogen wird, bis sie schließlich das Kennzeichen ihres heiligen Dienstes aufzugeben gewillt ist: ihre Jungfräulichkeit. Man denke daran, dass auch die heiligen Vestalinnen in Rom Jungfrauen sein mussten und der Verlust dieses Zustandes den Verlust des Standes als Priesterin bedeutete. Am Schluss ist Salambo verstummt, denn sie ist nunmehr standeslos und lediglich ein Spielball männlicher Interessen.
Der Schauspieler Hans-Peter Hallwachs führt als souveräner Erzähler durch die Irrungen und Wirrungen der Handlung, ohne dabei jemals aufdringlich zu wirken.
Unterm Strich
Mit seinem sehr um detailgetreuen Realismus bemühten Erzählstil erweckt der Autor eine längst versunkene Zeit – bekanntlich zerstörten die Römer 146 v.Chr. ihre alte Widersacherin sehr gründlich – wieder zum Leben und lässt sie ihren orientalischen Zauber auf den Leser / Hörer ausüben.
Doch romantische Nostalgie will nicht so recht aufkommen, denn Romantik – symbolisiert in der Liebe Mathos zu Salambo – wird schlicht und ergreifend durch die ebenso realistisch geschilderten Schlachten, Belagerungen, Seuchen und Gemetzel vernichtet. Symbol dieses Niedergangs ist der körperliche Verfall des von Lepra befallenen Feldherrn Hanno. Der Verlauf der Entwicklung spiegelt sich in der Anbetung unterschiedlicher Gottheiten wider: Am Schluss triumphiert Moloch … (Wer will, kann darin einen Kommentar des Autors auf Tendenzen seiner Zeit erkennen, in der sich ja auch die Völker die Köpfe einschlugen.)
Dies ist kein Text für zarte Gemüter, und man sollte über einen robusten Magen verfügen. Andererseits: Die Schlachtfelder des Irak, so etwa die Straßen Bagdads, halten heute ebenso große Gräuel bereit, und man sieht sie fast täglich in den Fernsehnachrichten.
Das Hörspiel erweckt sowohl Schönheit als auch Grausamkeit jener Zeit perfekt zum Leben. Die Handlung ist ziemlich übersichtlich auf drei Parteien aufgeteilt, und der Erzähler führt uns souverän durch die Wendungen des Schlachten- und Liebesglücks. Aufgrund seiner Fülle der Figuren und Ereignisse ist das Hörspiel „Salambo“ wert, mehrmals angehört zu werden, denn stets gibt es etwas Neues zu entdecken.
158 Minuten auf 2 CDs
Originaltitel: Salambo, 1862
Deutsch von Petra-Susanne Räbel