War in „Die Leopardin“ Frankreich der Schauplatz der Ereignisse, so ist es diesmal das von Nazis besetzte Dänemark des Jahres 1941, in dem sich das Schicksal so mancher Agentin und manches Agenten erfüllt. Und ein unscheinbarer Oberschüler beginnt eine kriegswichtige Rolle zu spielen.
Der Autor
Ken Follett, geboren im walisischen Cardiff, wurde durch die Verfilmung seines Spionagethrillers „Die Nadel“ mit Donald Sutherland bekannt. Den internationalen Durchbruch erzielte er laut Verlag mit dem historischen Roman „Die Säulen der Erde“ (1990). Auch sein Roman „Der dritte Zwilling“ wurde verfilmt. Sein Roman „Mitternachtsfalken“ spielt mal wieder im 2. Weltkrieg.
Die Sprecher
Anja Moll studierte an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin/Rostock. Sie machte sich auf den verschiedensten Theaterbühnen, als Sprecherin beim Rundfunk sowie als Synchronsprecherin einen Namen. Sie verfügt über eine ähnlich tiefe Stimme wie Franziska Pigulla.
Philipp Schepmann erhielt nach seiner Schauspielausbildung zahlreiche Theaterengagements, ist seit vielen Jahren Sprecher in Rundfunk und Fernsehen und blickt auf viele Hörbuchproduktionen wie etwa „Der König von Narnia“ (Brendow, Moers) zurück. Die Wandlungsfähigkeit seiner Stimme erinnert an Rufus Beck.
Handlung
In Europa tobt im Jahr 1941 der Zweite Weltkrieg. In England, das von deutschen Bomberangriffen heimgesucht wird, fragt sich Hermia Mount, eine Agentin im Innenministerium, woher die hohen Verluste der britischen Bomberstaffeln rühren, wenn sie die deutsche oder dänische Küsten anfliegen. Haben die Deutschen vielleicht eine ähnliche Radartechnik wie die Briten entwickelt, obwohl die Auslandsagenten das Gegenteil behaupten?
Hermia Mount ist als Tochter eines Diplomaten in Skandinavien aufgewachsen. Aufgrund ihrer ausgezeichneten Sprachkenntnisse wurde ihr die Leitung der Auslandsgruppe Dänemark im Nachrichtendienst übertragen. Ihr Verlobter lebt im deutschbesetzten Königreich Dänemark: ein junger Pilot namens Arne Olufsen aus Jütland.
Aber Hermias Position in dem von Männern dominierten Geheimdienst ist keineswegs einfach. Als sie von dem Bruder eines britischen Piloten, Digby Hoare, erfährt, dass die deutschen Funksprüche eine Informationsquelle namens „Freya“ erwähnen, nimmt keiner ihren Hinweis ernst, das heißt: keiner außer Winston Churchill, dem Premierminister. Digby Hoare und Hermia sollen herausfinden, was „Freya“ ist. Doch Arne Olufsen lebt in Dänemark und alle Nachrichten an ihn oder von ihm werden von der deutschen Zensur durchgesehen. Hermia fliegt ins neutrale Schweden, in der Hoffnung, ihn treffen zu können: ein konspiratives Treffen, das für beide den Tod bedeuten kann.
Etwa zur gleichen Zeit, im Frühjahr 1941, stößt Arnes Bruder Harald, ein 18-jähriger Oberschüler, nahe seinem dänischen Elternhaus auf dem deutschen Militärgelände, an dessen Errichtung er selbst mitgearbeitet hat, auf ein neues unbekanntes Gerät: Es ist „Freya“, die neuartige, dreiteilige Radarantenne, mit der die deutsche Luftabwehr die anfliegenden Bomber der Briten frühzeitig entdeckt und den Gegenangriff koordinieren und lenken kann. Das weiß Harald natürlich zu diesem Zeitpunkt nicht.
Erst als er seinen Bruder Arne besucht, um Flugstunden zu nehmen, nimmt ihn Arnes Kollege Poul Kirke beiseite, um ihn über diese Radarstation auszufragen. Harald fertigt eine Positionskarte und eine Gerätezeichnung an. Er verfügt über großes technisches Verständnis. Doch Kirke gehört der Widerstandsgruppe der „Mitternachtsfalken“ an, die Hermia Mount in Dänemark aufgebaut hat. Kirke versteckt das Papier in seinen Bürounterlagen auf dem Fliegerhorst.
Doch leider hat die Pastorenfamilie Olufsen einen Feind, der sie befehdet: die Familie Flemming, die auf der gleichen jütischen Insel wohnt und wesentlich besser gestellt ist. Und Peter Flemming ist gar nicht gut auf Arne und Harald Olufsen zu sprechen. Eigentlich arbeitet er ja für die Verkehrspolizei in Kopenhagen, doch er wurde kürzlich von dem Nazi-General Braun und dem dänischen Polizeichef Juel der Sicherheitsabteilung zugewiesen.
Es dauert nicht lange und mehrere Hinweise führen ihn auf die Spur von Poul Kirke. Bevor er diesen festnehmen kann, riecht Kirke, was er vorhat und will im Flugzeug abhauen. Kaltblütig schießt Flemming den Flüchtigen mitsamt Flieger ab, so dass er brennend in den Boden donnert. Als Flemming kurz darauf in Kirkes Büro auf die Zeichnung der Radarstation stößt, fällt sein Verdacht auch auf Arne Olufsen, Kirkes Kollegen. Und über Arne führt Flemmings Weg, auf dem er eine blutige Spur von Leichen zurücklässt, zu Hermia Mount…
Werden die Briten jemals die Informationen über „Freya“ erhalten, um Hitler stoppen zu können, der gerade Russland überfallen hat?
Mein Eindruck
Dieser kurze Handlungsabriss kann lediglich andeuten, wieviel Action, menschliches Heldentum und spannende Agentenunternehmungen noch in diesem Buch stecken. Ich habe nur das erste Drittel skizzieren können. Die dreisträngige Handlung konzentriert sich besonders auf drei Paare: Hermia und Arne, Harald und dessen Freundin Karen Duchwitz sowie Peter Flemming und dessen „Kollegin“ Tilde Jespersen. Um jedes dieser Paare ist ein Kreis von Nebenfiguren angeordnet. So tauchen unter anderem die jeweiligen Familienmitglieder, aber auch Winston Churchill und – nur im Buch! – der König von Dänemark auf.
In einem fein gesponnenen Geflecht von Aktion und Gegenaktion, Spionage und Abwehr, Wiedersehen und Wiederverlieren bewegen sich die Figuren auf einen furiosen Höhepunkt auf dem Schloss derer von Duchwitz zu. Nicht jeder erreicht lebend diesen Handlungspunkt. Doch wenn Harald Olufsen es schaffen sollte, den alten klapprigen Doppeldecker der Familie Duchwitz flottzukriegen, dann haben er und Karen eine winzige Chance, die Freya-Informationen nach England zu Churchill zu schaffen. Leider sind ihnen die Nazis und Peter Flemming dicht auf den Fersen. Und falls sie den Start schaffen sollten, gibt es immer noch die deutsche Flak und Luftwaffe…
Mit „Mitternachtsfalken“ ist Follett wieder ein Volltreffer gelungen, der an seine großen Erfolge wie „Die Nadel“, „Nacht über den Wassern“ sowie „Die Leopardin“ erinnert. Die Zeit der Mittelalterschmöker à la „Säulen der Erde“ ist wohl endgültig vorbei, denn die Mode der „Name der Rose“-Kopien ist längst passé.
Unterschiede zum Buch
Es gibt einige gravierende Unterschiede zwischen dem Buch und der gekürzten Hörbuchfassung. Ich konnte zum Glück vergleichen. Wie bereits gesagt, taucht im Hörbuch der König von Dänemark nicht auf. Sein Auftritt im Theater von Kopenhagen, um sich nach der im Ballett gestürzten Karen Duchwitz zu erkundigen, trägt auch wirklich nichts zur zentralen Handlung bei, die zur diesem Zeitpunkt unter enormem zeitlichem Druck steht. Also flog der König raus – sorry, Majestät, aber wir haben’s eilig!
Follett geizt wirklich nicht mit erotischen Szenen. Wie schon in „Die Kinder von Eden“ schreckt er keineswegs vor der Erwähnung von Brüsten, Busen, Schenkeln und sogar heißen Liebesszenen zurück. Freunde solch deftigen Stoffes sollten beim Buch bleiben, denn im Hörbuch ist davon kaum noch etwas übriggeblieben. Ich dachte schon, es sei auf FSK 12 heruntergekürzt worden, da verblüffte mich eine Liebesszene zwischen Hermia und Arne, bei der es wirklich zur Sache geht.
Ansonsten ist wie so oft festzustellen, dass die Geschichte des Hörbuchs viel stärker auf die zentrale Handlung um Harald, Hermia und Flemming konzentriert ist als das Buch. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Ausdruck tiefer inniger Gefühle unmöglich oder unplausibel wirkt. Wenn der Pastor trotz seines christlichen Glaubens das erste Mal in seinem Leben lügt, um seinen einzigen überlebenden Sohn vor den Deutschen zu retten, so geht dies wirklich zu Herzen und wirkt nicht nebensächlich oder aufgesetzt.
Die Sprecher
Anne Moll spricht die Passagen von Hermia und Peter Flemming, Schepmann die Passagen, in denen Harald Olufsen und Karen Duchwitz im Mittelpunkt stehen. Beide Sprecher machen ihre Arbeit hervorragend. Besonders zeigt sich dies in der korrekten Aussprache der dänischen Eigennamen. So wird aus „Hansen“ ein gesprochenes „hensen“, aus „Peter“ ein „peddar“ und aus „Amalienborg“ ein „amalienbor“ (sic!). Lediglich die Städtenamen bleiben eingedeutscht, so etwa Kopenhagen (statt „Kobnhavn“). Interessant wirkt auch die Änderung der Tonhöhe, wenn der jeweilige Sprecher einer Figur des jeweils anderen Geschlechts die Stimme leihen muss. Da klingt Anna Moll beim Sprechen von Pastor Olufsen durchaus mal wie ein alter Preuße – da kommt die Stimme „aus dem Keller“.
Unterm Strich
Wie schon „Die Nadel“ und „Die Leopardin“ ist „Mitternachtsfalken“, der Name einer dänischen Widerstandsorganisation, ein spannendes Agenten- und Kriegsabenteuer, das jeden Leser, der etwas für diese Zeit übrig hat, mitreißen wird. Ich habe versucht, nach drei CDs eine Pause einzulegen, musste aber feststellen, dass eine Pause unmöglich war: Die Story ist viel zu spannend dafür. Man will einfach wissen, wie sie ausgeht. Ein deutliches Zeichen, dass dies ein gut geschriebenes Buch ist – hier stimmen auch die kleinen, scheinbar unwichtigen Details, die aber die Glaubwürdigkeit der Story perfekt machen. Und einige der geschilderten Ereignisse haben sich laut Autor wirklich zugetragen. So wird hier beispielsweise eine Erklärung für die englischen „Bomberströme“ geliefert: Sie hängen eng mit „Freya“, dem deutschen Radar, zusammen.
Das Hörbuch
Das Hörbuch ist noch spannender als das Buch selbst, weil es mehr Wert auf den Fortgang der zentralen Handlung legt. Die Sprecher sind kompetent, besonders in der Aussprache dänischer Eigennamen. Ein Vergleich mit der Schreibweise im Buch führt zu einigen Überraschungen.
CD: 390 Minuten auf 5 CDs
ISBN-13: 9783404771516
www.luebbe.de
Der Autor vergibt: