Ford, G. M. – Erbarmungslos

Wer mein Arbeitszimmer beguckt, muss mich mittlerweile für einen arg morbiden Menschen halten. Aus jeder Ecke lugen Serienkiller und wetzen ihre vom menschlichen Hang zum Perversen determinierten Mordinstrumente. Das Blut von tausend Opfern müsste längst die Regalhölzer aus fester Eiche brutal aufgeweicht haben, die Todesschreie müssten mir in den Ohren gellen, während ich doch scheinbar ach so ruhig diese Zeilen schreibe. Dabei läuft es mir kalt den Rücken runter – warum sind so viele Menschen begierig, derlei Romane zuhauf aus den Buchläden zu schleifen und sich einem blutdurstigen Mörder in die Arme zu werfen …

Diese Frage erörtere ich hier natürlich nicht – ich höre bis zu meinem Schreibtisch das Aufatmen! -, aber es ist doch bezeichnend, dass Jahr um Jahr in die breite Phalanx profilierter und frisch hineingewachsener Autoren und Autorinnen neue Epigonen eine Schneise schlagen und sich am Schnitzel-Handwerk versuchen wollen. G. M. Ford (Ein Name wie zwei Automarken! Wenn seine Romane nicht rasant sind, dann weiß ich’s nicht …) ist eines dieser aufstrebenden Jungtalente (das wage ich einmal ohne nähere Verifizierung zu schreiben, denn der Verlag hält sich ungewohnt bedeckt bei Fords Vita: „G. M. Ford unterrichtete einige Zeit Creative Writing in Washington, heute lebt er als freier Schriftsteller in Seattle …“ Ford könnte also auch ein Pseudonym für Irgendwen sein oder raschen Schrittes auf die Hundert zugehen). Mit „Erbarmungslos“ (recht frei übersetzt aus dem Original: „Fury“; der Titel „Wut“ hat eine gewisse Bedeutung) legt er sein Erstlingswerk vor.

Ein vor den Augen der Öffentlichkeit (und somit auch möglicher Arbeitgeber) in Ungnade gefallener Journalist namens Frank Corso steigt in einen alten Fall ein, der ihn vor einigen Jahren bereits in Atem gehalten hat: Der als „Müllmann“ in Seattle und Umgebung bekannt gewordene Serienvergewaltiger und Killer ließ seine acht Opfer allesamt auf Müllbergen zurück. Der Fall schien 1998 aufgeklärt, als Walter Leroy Himes hinter Gitter gebracht werden konnte; die Beweise waren sogar stichhaltig genug, um die Todesstrafe in wenigen Tagen vollstrecken zu können.

Da meldet sich eine Zeugin von damals, die ihre Aussage vor den Leuten der Seattle Sun widerruft; ein Fall für Corso, dem eine letzte Chance vor die Füße gelegt wird. Er nimmt an und greift die losen Fäden auf, die ihn bereits vor Jahren an der Täterschaft von Himes zweifeln ließen. Gemeinsam mit der Fotografin Meg Dougherty, die ihm auf Schritt und Tritt folgen wird, auch wenn sie sich anfangs recht widerwillig geriert, hängt er sich an die wagen Spuren. Dabei darf er nicht auf die Unterstützung der örtlichen Polizei zählen, im Gegenteil, Densmore ist ein richtig schmieriger Polizist, der Corso am liebsten in hohem Bogen aus der Stadt werfen würde. Also forscht Corso auf eigene Faust weiter, was dem notorischen Einzelgänger sicherlich auch sehr nahe liegt.

Na ja, ganz so einzelgängerisch ist Corso nicht, Dougherty (wie sie liebreizend genannt wird) kommt ihm näher; oder war es umgekehrt? Jedenfalls bleibt ein solches koitales Intermezzo natürlich nicht aus, zudem Corso sich seiner haarigen Ex-Frau mit Händen und Füßen erwehren muss. Das alles gestaltet sich zaghaft turbulent und nimmt etwa in der Mitte des Buches, so bei Seite 200 von 386, etwas Fahrt auf, ohne dass der Thriller dem vorbelasteten Namen des Autors alle Ehre machen würde.

Zum Ende hin, als Himes mehr oder weniger errettet wird, nimmt die Handlung noch eine durchaus logische Wendung, denn ein Mitläufer hat sich in die Serienmorde eingeklinkt und möchte unauffällig an der fremden Täterschaft partizipieren. Corso ist der Einzige, dem ein Lichtlein aufgeht, die Polizei dagegen ist bequem und mit dem Erreichten zufrieden (eigentlich auch wieder nicht, denn Ford stellt es so dar, dass wohl alle Himes gerne hingerichtet gesehen hätten – nur Corso will Gerechtigkeit …)

Da hinterlässt uns Ford ein zwiespältiges Buch: Die Spannung ist ja doch vorhanden, aber der Einstieg in die Handlung will nicht so recht marschieren. Das dümpelt stattdessen fade dahin, wenn Corsos Werdegang in Ansätzen aufgedröselt wird – wen interessiert’s, fragte ich mich irgendwann, trägt es doch weder zur Geschichte entscheidend bei, noch verleiht die maue Fehlleistung von Corso ihm so viel Profil, dass sein Charakter an Schärfe gewinnt. Er bleibt blass. Und reiht sich damit in die Gruppe derjenigen ein, die uns Ford ansonsten noch präsentiert: Meg Dougherty – okay, ein nettes Mädchen, aber grau im Teint und schmal hinter Corsos Rücken versteckt. Die übrigen Statisten sind eben nur Randfiguren, deren Leben für den Leser unscheinbar, unnahbar bleibt. Austauschbare Figuren in einem von Corso dominierten Spiel. Wenn dem aber so ist, dann hätte Corso eine kräftige Persönlichkeit sein müssen. Dazu fehlen ihm die Klasse, das Charisma, die Lebensgeschichte, standfeste moralische Grundsätze.

Er ist beliebig, auch wenn ihm Ford an einer Stelle ein starkes Stück in den Mund legt, als die Sprache auf den elektrischen Stuhl kommt und ein Opfer, dem die Flammen zwanzig Zentimeter aus den Ohren schossen: „Lasst die Kids ein paar Dutzend Mal zusehen, wie Kriminelle sich als Bunsenbrenner präsentieren, dann kreuzen garantiert sehr viel weniger von diesen kleinen Scheißern mit Kanonen in der Schule auf … Weil Sachen wie intellektuelle Gewissheit, moralische Entrüstung und rechtschaffene Empörung die Motoren der Gesellschaft sind. Selbstzufriedene Toleranz hat noch nie irgendetwas bewirkt, außer den Blick auf das zu vernebeln, was falsch und was richtig ist.“ Hoppla, starker Tobak und gar nicht politisch korrekt, Mister Ford. Derart verkürzt unters Volk geschleuderte philosophische Exzerpte aus dem Bauch eines Thrillerautoren sind natürlich gefährliches Brot, weil sie ohne nachgehende Erläuterung gar nichts erklären, sondern nur ein brüchiges Statement abgeben. Damit ist niemandem gedient, das sind Stammtisch-Parolen auf gediegenem Niveau, mehr nicht.

Möchte ich G. M. Ford das noch durchgehen lassen, so muss ich ihm den aus verschiedenen Versatzstücken des Krimilehrbuchs erstellten Roman ankreiden: Es wirkt wie bessere Flickschusterei, aus dem Schubfach mit den Motiven nehme ich den psychopathischen Serienmörder, das Fach mit den Hauptdarstellern bevorratet einen beziehungslosen, halbwegs gescheiterten Schnüffler (oder Journalist, was in der propagierten Form auf dasselbe hinausläuft), die Schublade der Begleitpersonen hält eine erst einmal distanzierte, geziemend forsche Frau bereit, und so weiter. Sodann verkürze ich die Sprache, sobald Tempo die Erzählung vorantreiben soll: „Wald ließ den Umschlag los. Corso ließ ihn gegen sein Bein fallen. Wald öffnete den Mund, um etwas zu sagen, überlegte es sich anders. Drückte auf den Knopf.“ Wenn dieses stilistische Mittel gekonnt eingesetzt wird, fühlt sich der Leser in den Sog der Geschichte hineingezogen. Bei Ford liest es sich dagegen aufgesetzt, weil er wahllos damit hantiert.

Sind das Auswirkungen des „Creative Writing“? – Könnte sein. Dann sollte Ford aber schnellstens einige seiner eigenen Kurse selbst belegen, um sich noch den letzten Schliff zu verpassen.

Ach, und wenn man schon irgendwie hip sein will, dann sollte ein US-Autor wie Ford nach all den Jahren auch kapiert haben, dass sich |Lynyrd Skynyrd| so und nicht anders schreiben. Aber man kann natürlich auch zusammengeschaufeltes Second-Hand-Wissen als eigene Schlaumeierheiten verkaufen – blöd nur, wenn man sein Unwissen dann durch Fehler selbst offen legt. (Okay, als Uralt-Fan reagiere ich hier wahrscheinlich etwas überreizt …)

„Erbarmungslos“ ist für einen Thriller-Erstling nicht schlecht, aber das Sujet hat bessere Kriminalromane gesehen, mit tafferen Ermittlern und Serienmördern mit mehr Kontur. G. M. Ford muss beim nächsten Buch einen Zahn zulegen, um nicht gleich nach der ersten Runde abgehängt zu werden.

|Originaltitel: Fury
Aus dem Amerikanischen von Marie-Luise Bezzenberger|

_Karl-Georg Müller_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|