Francis Marion Crawford – Denn das Blut ist das Leben (Gruselkabinett Folge 160)

Blutdürstige Liebe

Süditalien, 1905: Der skandinavische Maler Holger besucht seinen Freund in dessen einsamem Turm nördlich von Kap Scalea. Als beide im Mondschein auf eine Anhöhe schauen, bemerken sie einen wie ein Grab anmutenden Erdhügel, auf dem ein Menschenkörper zu liegen scheint. Neugierig nähert sich Holger der Stelle, findet jedoch nichts vor, obwohl sein Gastgeber eindeutig eine neblige Gestalt beobachtet, die sich an Holger heranpirscht …

Der Autor

Der amerikanische Autor Francis Marion Crawford wurde 1854 in Italien geboren, lebte die meiste Zeit dort und starb im Jahr 1909. Obwohl er meist Romane über die Gesellschaft auf dem alten Kontinent schrieb, erinnert man sich seiner vor allem wegen der Erzählung „Die obere Koje“ (The Upper Berth) aus dem Jahr 1886. Es handelt sich nach Angaben der „Encyclopedia of Fantasy“ um eine der am häufigsten nachgedruckten Geistergeschichten überhaupt.

Insgesamt schrieb Crawford sieben Stories über das Übernatürliche, die in den „Uncanny Tales“ 1911 in Großbritannien zusammengefasst veröffentlicht wurden. Darunter sind erwähnenswert „Man Overboard“ (1903) und die Vampirerzählung „For the blood is the life“. Unter den Romanen sind „Mr Isaacs“ (1882), „The Witch of Prague“ (1891) und „With the Immortals“ (1888) zu erwähnen. „Khaled“ (1891) ist eine Arabische Phantasie und „Cecilia: A Story of Modern Rome“ (1902) eine leichte Romanze über Traumerfüllung und die mögliche Reinkarnation.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Rollen und ihre Sprecher:

George: Harald Dietl
Holger: Jean Paul Baeck
Cristina: Marie Bierstedt
Angelo: Markus Andreas Klauck
Philomena: Ursula Wüsthof
Neapolitaner: Valentin Stroh
Sizilianer: Louis Friedemann Thiele
Antonio: Ferdi Özten
Priester: Peter Weis

Die Macher

Regie führten die Produzenten Marc Gruppe und Stephan Bosenius. Die Aufnahmen fanden bei Titania Medien Studio und den Planet Earth Studios statt. Die Illustration des Covers trug Ertugrul Edirne bei.

Handlung

Im Jahr 1905 besucht Holger, ein Maler aus Skandinavien, seinen Freund George in Kalabrien, der in Kap Scalea seit zehn Jahren einen Turm bewohnt. Bei einem Glas Wein erzählt der Bewohner, dass solche Wachtürme seit dem 16. Jahrhundert hier stehen, um Piratenschiffe zu erspähen und die Bewohner der Umgegend zu warnen.

Nach Sonnenuntergang ändert sich die heitere Stimme, und Holger verspürt Einsamkeit in der Stille, die von einem kühlen Wind durchweht wird. Sobald der Mond aufgegangen ist, erspäht er auf einer nahen Anhöhe einen Grabhügel mit einem weißen Tuch darauf. „Was hat das zu bedeuten?“, fragt er George, doch der winkt ab. „Hat nichts zu bedeuten.“ Holger besteht darauf, nachzuschauen, um was es sich handelt. Wie sich zeigt, ist das „weiße Tuch“ eine geisterhafte Gestalt. Holger ist überrascht, als diese sich um ihn schlingt und sehnsuchtsvolle Laute ausstößt. Als Holger zu George zurückkehrt, ist es an der Zeit, alles zu erzählen, was hinter der Erscheinung steckt..

Wie alles begann

In Kap Scalea liegt der alte Alario im Sterben und will seinem Sohn Angelo ein renoviertes Haus hinterlassen und eine Mauer zu richten. Er heuert zwei Handwerker an, einen Neapolitaner und einen Sizilianer, die aber Nichtsnutze sind und auf etwas ganz anderes aus sind: Der alte Alario, so heißt es, habe aus Südamerika einen Schatz mitgebracht und diesen in einer Truhe unter seinem Bett versteckt. Diese Truhe wollen sie sich unter den Nagel reißen und verduften.

Alario hat indessen Probleme mit der Liebe. Cristina, eine Herumtreiberin und Tagelöhnerin, begehrt ihn zutiefst, doch sie wird wider Erwarten abgewiesen. Angelo ist nämlich bereits der hässlichen Tochter des reichsten Mannes in der Gegend versprochen. Cristina prophezeit ihm, er werde sich eines Tages noch nach ihr verzehren.

Als Alario stirbt, bittet der Pfarrer dessen Dienerin Filomena, Cristina in den nächsten Ort zu schicken, um einen Arzt zu holen. Als Filomena zurückkehrt, hat der Monsignore Alario bereits die letzte Ölung gegeben. Die beiden Handwerker reiben sich die Hände, und als der Pfarrer und die Dienerin von dannen gehen, fallen sie sofort über das Bett her. Tatsächlich: Da ist die Truhe und, wie gemunkelt, ist sie voller Goldmünzen und Preziosen. Weil sie mit so einem Schatz ziemlich auffallen würden, vergraben sie die Truhe lieber auf einer Anhöhe. Sie sind gerade mit dem Versenken der Truhe zugange, als Cristina, die ohne Arzt zurückgekehrt ist, sie dabei überrascht. Eine lästige Zeugin! Macht nix – sie erschlagen sie auf der Stelle mit einem Stein und packen sie mit in die Grube.

Die Rückkehr

Als Filomena am nächsten Morgen den Raub entdeckt, schlägt sie Alarm, doch die beiden Räuber können ihren Häschern entkommen. Nach der Beerdigung Alarios hat Angelo ein problem: Der Brautvater hat auf den Schatz spekuliert und da Angelo nun mittellos ist, löst er die Verlobung auf. Cristina ist nirgends zu finden. Weil die Bauarbeiter noch unbezahlt sind, hat Angelo auch noch Schulden. Er zieht auf ein Stück Land und beschließt, eisern zu sparen.

Als er spätabends auf die Anhöhe beim Wachturm steigt, vernimmt er eine weibliche Stimme. Es ist die Stimme Cristinas. Ihre Erscheinung in weißem Gewand verzaubert ihn, so dass er sich küssen lässt. Doch es bleibt nicht dabei. Auf einmal spürt er einen Schmerz im Hals: Sie hat ihn gebissen und beginnt sein Blut zu saugen…

Mein Eindruck

Zum Glück machen zwei Vampirjäger diesem üblen Spuk, der Angelo letztendlich das Leben kosten könnte, ein Ende. Weil die beiden Räuber nicht zurückkehren, sondern der Vampir „getötet“ wird, bekommt Angelo den Schatz zurück. Alles geht gut aus, oder? Es gibt nur einen klitzekleinen Haken, wie Holger klagt: Die Vampirerscheinung, die ihn geküsst hat, ist immer noch da…

Eine derart enge Verknüpfung von Geld und Liebe findet man in Vampirgeschichten selten. Der Autor hat die unersättliche Gier des Vampirs nach Blut mit der Gier der beiden Räuber nach dem Gold des Toten gekoppelt. Ist Cristinas Gier nach Blut, das für sie Leben und Liebe bedeutet, demnach keinen Deut besser als die Gier nach materiellem Reichtum? Keineswegs, denn der Reichtum vergeht jederzeit, doch Cristinas Liebe währt ewig, wie es scheint. Holger kann ein Lied davon singen, denn sie sehnt sich nach… seinem Blut. Der Skandinavier dürfte wohl schon von untoten Frauen gehört haben, etwa von Undinen und Rusalkas.

Ganz nebenbei erfährt der Hörer, dass die Provinz Kalabrien extrem arm ist und dass ihre männlichen Bewohner regelmäßig nach Übersee – hier Südamerika – gingen, um dort zu Wohlstand zu gelangen. Kalabrien ist, wie der alte Wachturm bezeugt, eine vielfach ausgeraubte Region. Früher waren es Piraten, heute sind es Handwerker aus Neapel und Sizilien, die selbst vor dem Tod keinen Respekt zeigen. Von mafiösen Strukturen der Ndrangheta erzählt der Autor nichts, aber in Kalabrien sind die Verhältnisse keinen Deut anders als in Sizilien (wo die Mafia erst durch den Einfluss der Amerikaner ab 1943 zu internationaler Verbreitung gelangte) oder Neapel, wo die Camorra zu herrschen pflegte

Angelo, der zwischen alle Fronten gerät und zwischenzeitlich zu Cristinas wehrlosem Opfer wird, setzt am Anfang auf materiellen Reichtum und verschmäht Cristinas reine, aber mittellose Liebe. Als sein Reichtum verschwindet, verliert er seine Braut aufgrund der Gier ihres Vaters. Doch die Erinnerung an Cristina lebt fort: in Gestalt ihrer Wiedergängerin, die – Ironie der Geschichte – zum Schutzgeist seines vergrabenen Reichtums geworden ist.

Angelos Rettung muss von außerhalb kommen. Der Wächter des Turms, dessen Herr nicht genannt wird, tut sich mit dem Vertreter der Kirche zusammen, um Angelo von seinem Fluch zu erlösen. Diese Wendung ist ziemlich unerwartet, setzt sie doch ehrenwertes Handeln nach hohen ethischen Prinzipien voraus. Diese wären in dem verarmten, ausgebeuteten Land nicht zu erwarten gewesen. Und George will die ganze Sache ebenso vergessen, wie es einst der Priester getan haben soll. Und so drückt Cristina, wenn sie nicht verschwunden ist, bis heute den Durst nach Leben aus, der die Bewohner der Region Kalabrien bis mindestens 1905 erfüllt haben muss. Die Ndrangheta ist inzwischen ebenfalls international tätig. Denn die Gier vergeht nicht.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher

Harald Dietl spricht einen arrivierten und distinguierten George, der aber blass bleibt. Auch Holger, gesprochen von Jean Paul Baeck, haut den Hörer nicht gerade vom Hocker. Beide sind nämlich von dem Hintergrund der dramatischen Binnenhandlung nur Nebenfiguren.

Marie Bierstedt hat als Cristina das erste und das letzte Wort. Sie ist die zentrale Figur des Stücks, eine vampirhafte Verführerin. Umso bemerkenswerter, dass sie die Unschuld spielt, das Opfer der beiden Schurken aus Neapel und Sizilien. Unschuldige Vampire sind selten, doch sie gehorchen ihrem eigenen natürlichen Bedürfnis. Kann man sie dafür verurteilen?

Angelo, gesprochen von Markus Andreas Klauck, ist die schwächste Figur des Stücks. Er wird hin und her geschubst, sowohl in der Liebe als auch in materiellen Dingen.

Ursula Wüsthof als Philomena legt die gleiche Gier nach Alarios Schatz an den Tag wie die beiden Handwerker. Dennoch spielt sie scheinheilig die treue Unschuld und schlägt als erste Alarm: „Haltet den Dieb!“

Der Neapolitaner, gesprochen von Valentin Stroh, chargiert genauso wie Louis Friedemann Thiele als der Sizilianer: Sie spielen die gierigen Räuber, die sich schon auf den Schatz freuen. Erst als Cristina sie beim Graben überrascht, geraten sie aus dem Konzept. Sie greifen nach der erstbesten Lösung, nämlich einem Stein, mit dem sie sie erschlagen. Nach ihrer gelungenen Flucht müssten sie eigentlich an den Ort der bösen Tat zurückkehren, um den Schatz zu holen, aber das geschieht leider nicht. Vielleicht schreckt sie der vampirische Schutzgeist ab.

Ferdi Özten spricht den Ehrenmann Antonio, der den Priester für die Vampirjagd einspannt. Peter Weis klingt genauso alt und jeder Jagd abhold, wie es man von einem alten Priester erwarten würde. Sein Priester vergreift sich lieber mal am Messwein statt an einem Eichenholzpfahl.

Geräusche

Eine Vielfalt von Geräuschen verwöhnt das Ohr des Zuhörers. Der Eindruck einer real erlebten Szene entsteht in der Regel immer. Nachtvögel, das obligatorische Käuzchen, das Rauschen des Meeres, das Seufzen des Windes – all diese Samples setzt die Tonregie zur Genüge ein, um einer Szene eine Fülle von realistisch klingenden Geräuschen zu vermitteln. Die Außenszenen kontrastieren mit intimeren Szenen, in denen George und Holger oder Angelo mit Cristina zusammen sind.

Die Pfählung des Vampirs läuft genauso ab, wie man das schon tausend Mal gesehen und gehört hat. Diesbezüglich hätte ich von der Regie mehr Einfallsreichtum erwartet.

Die Musik

Das Stück beginnt mit einer Melodie, die auf einem Akkordeon gespielt wird. Danach folgt eine Liebesszene zwischen Angelo und Cristina. Sie geht leider nicht erfolgreich aus.

Von einem Score im klassischen Sinn kann keine Rede mehr sein. Hintergrundmusik dient nur dazu, eine unheimliche, romantische oder angespannte Stimmung zu erzeugen, und zwar nur dort, wo sie gebraucht wird. Im Vergleich zu anderen Inszenierungen kommen hier aber noch etliche historische Klangmotive zum Einsatz, so etwa, als die beiden Handwerker das Sterbezimmer Alarios betreten. Auch im Intermezzo, bevor Angelo zum ersten Mal der untoten Vampirin in die Hände fällt, erklingt klassisch instrumentierte Musik. Dumpfe Trommeln und düstere Streicher untermalen seinen Beinahetod, als der Vampir ihn aussaugt.

Das Outro wird wieder von Cristinas sehnsuchtsvollen Seufzern bestritten, denn sie leidet weiterhin an unerfüllter Liebe (oder Gier). Eine traurige Geige begleitet sie, und eine Art Glockenspiel geleitet den Hörer zum Schluss. Und wenn sie nicht gestorben ist…

Das Booklet

Das Titelmotiv zeigt die Szene, in der Cristina auf einer Art Friedhofshügel steht, was keineswegs den Schilderungen im Hörspiel entspricht. Stilecht läuft ihr Blut aus dem Mundwinkel. Warum der Baum links von ihr einen Ständer aufweist, weiß wohl nur das Unterbewusstsein des Illustrators. Eine Kuss- und Saugszene zwischen Cristina und Angelo im Close-up hätte als Titelmotiv viel besser gepasst.

Im Booklet sind die Titel des GRUSELKABINETTS sowie der SHERLOCK-HOLMES-Reihe verzeichnet. Der Stand der Liste ist der Herbst 2020. Die letzte Seite zählt sämtliche Mitwirkenden auf.

Unterm Strich

Es ist eine recht kuriose Mischung, die in der Binnenhandlung geboten wird. der tragisch scheiternden Liebesbeziehung zwischen Angelo und Cristina steht eine komisch-aggressive Räuberposse gegenüber, in der die Sprecher nach Herzenslust chargieren dürfen. Das verbindende Thema ist Gier. Auf der Seite Cristina ist es Gier nach Leben (siehe Titel), die den Tod überdauert. Auf der Seite der Räuber hat materielle Not in ganz Süditalien eine solche Gier nach Geld und Schätzen erzeugt, dass sie ebenfalls einer Gier nach Leben entspricht. Auf der Anhöhe kreuzen sich die beiden Antriebe, und Cristina findet von der Hand der Räuber den vorzeitigen Tod.

Das Hörspiel

Es ist nicht allzu viel, das dieses Hörspiel aus der Masse der Vampirgeschichten herausragen ließe. Die Pfählung der Vampirin beispielsweise läuft exakt nach Handbuch ab: Weihwasser, Schreie, Pfählen, mehr Schreie, Stöhnen, Exitus. Ich hätte von der Regie etwas mehr Einfallsreichtum erwartet. Die Räubergeschichte wäre der Aufführung einer Commedia dell’Arte-Truppe würdig, mit Angelo in der Rolle des Harlekin, und dem Brautvater als Pantaleone. Dieser italienische Stil passt natürlich zum Ambiente. Diese Vampirstory hat jedenfalls nichts Viktorianisches an sich.

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen.

Die Sprecherriege für diese neue Reihe ist höchst kompetent und renommiert zu nennen, handelt es sich doch um die deutschen Stimmen von Hollywoodstars. Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für spannende Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, ja mitunter sogar humorvoll: Die beiden Räuber lachen sich bereits ins Fäustchen, bevor sie den Schatz in Händen halten.

CD: 45 Minuten
Originaltitel: For the Blood Is the Life (1905)
ISBN-13: 9783785781609

www.titania-medien.de

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