Frank Herbert – Der Tod einer Stadt und andere Erzählungen

Ultimative Story-Sammlung zu Frank Herbert

Diese Sammlung von 30 Kurzgeschichten des Erfinders des „Wüstenplaneten“ bietet einen repräsentativen Querschnitt durch Herberts Werk als Ehrung und Erinnerung an ihn: Denn am 11. Februar 1986 starb der Science Fiction-Autor an den unerwarteten Komplikationen nach einer vorsorglichen Krebsoperation. Acht Jahre später veröffentlichte der Heyne Verlag diese Erzählsammlung. Die chronologische Abfolge veranschaulicht die stilistische Entwicklung des Autors.

Der Autor

Frank Herbert (1920-11.2.1986) wuchs im Nordwesten der USA auf, arbeitete als Reporter und Wahlkampfhelfer, bevor und während er ab 1952 seine ersten SF-Stories veröffentlichte, denen 1956 der erste Roman „Dragon in the Sea“ folgte. 1963 -1965 wurden seine Stories um den Wüstenplaneten Arrakis in „Astounding“ publiziert, doch um seinen daraus aufgebauten Roman „Der Wüstenplanet“ unterzubringen, musste Herbert erst 20 Ablehnungen kassieren, bevor es ihm 1965 gelang, den Verlag Chilton Book Co. zu gewinnen, der mehr für seine Autoreparaturratgeber bekannt war.

Die DUNE-Saga umfasste schließlich sechs Romane aus Frank Herberts Schreibfabrik, von denen die ersten drei verfilmt worden sind. Herbert schrieb neben 20 anderen SF-Romanen auch einen interessanten Non-SF-Roman namens „Soul Catcher“, der noch nicht übersetzt worden ist.

Die DUNE-Saga:

1) Der Wüstenplanet (1965)
2) Der Herr des Wüstenplaneten (1969)
3) Die Kinder des Wüstenplaneten (1976)
4) Der Gottkaiser des Wüstenplaneten (1981)
5) Die Ketzer des Wüstenplaneten (1984)
6) Die Ordensburg des Wüstenplaneten (1985)
7) Die Jäger des Wüstenplaneten
8) Die Erlöser des Wüstenplaneten

DIE ERZÄHLUNGEN

1) Suchen Sie was? (Looking for Something, 1952)

Paul Marcus ist ein bekannter Hypnotiseur. In der aktuellen Vorstellung vor vollem Hause wählt er die schöne Madelyne Walker zur Kandidatin, an der er seine Kunst demonstrieren will. Wie sich schnell zeigt, ist die junge Dame leicht in Trance zu versetzen.Als er sie glauben lästt, sich in einer vollbesetzten Straßenbahn zu befinden und sich entsprechend zu verhalten, kommt ihm eine ungewöhnliche Idee: Was, wenn alle Menschen einschließlich seiner Wenigkeit unter Trance stünden, um irgendwelche Handlungen auszuführen – für Hypnotiseure auf höherer Ebene? Als er Madelyne nach einem möglichen posthypnotischen Befehl befragt, stößt er auf eine schier unüberwindliche Sperre…

Die Gedankenüberwachung der Denebianer ist perfekt und schnappt auch diesen Einfall auf. Mirsa Wees, der Oberindoktrinator für Sol 3 und Umgebung, kann auch diesen Gedanken nicht zulassen und flößt Paul Marcus Todesangst ein, eine Angst, die Madelyne schon längst verspürt hat, als Marcus mit seinen Fragen die Barriere bloßlegte und angriff. Mirsa hat einen guten Grund, die hypnotische Barriere aufrechtzuerhalten, denn von den Bewohnern dieses Planeten ernten die Denebianer den Rohstoff Korad, mit dem sie ihre eigene Unsterblichkeit sicherstellen.

Mein Eindruck

Die Todesangst der unterworfenen Erdlinge stellt also das verlängerte Leben der Eroberer sicher. Mit welchen Methoden die Gedankenüberwachung erfolgt und wie die Hypnose aufrechterhalten wird, ohne selbst aufzutreten, verschweigt uns der Autor allerdings.

Entscheidend ist der Mechanismus der Unterdrückung. Schon die Idee, dass eine Gedankensperre für das unterwürfige Verhalten der Erdlinge sorgen könnte, erinnert an die Indoktrination in kommunistischen Staaten, mit denen die USA und ihre Alliierten damals im Krieg lagen. Der Faktor, der die Wirksamkeit der Gedankensperre gewährleistet, ist die Angst, bei Preisgabe des Geheimnisses sterben zu müssen. Das erfährt auch ein erfahrener Hypnotiseur wie Paul Marcus am eigenen Leib.

Nur in diesem Angstzustand, so scheint es, wie das für Denebianer so wertvolle Korad produziert. Sie ernten es, wie es später in DUNE die verschiedenen Herrscher auf Arrakis mit den Sandwürmern tun: Das SPICE muss fließen, genau wie das Korad. In einem ganz realen Sinne lässt sich Spice, der wertvollste Stoff im Universum, mit Erdöl und Erdgas im Hier und Jetzt gleichsetzen. Und wie wertvoll diese Energieträger sind, hat die westliche Welt im Winter 2022/23 am eigenen Leib erfahren.

Eine ähnliche Story erzählt Eric Russell in seinem Roman „Sinister Barrier“, auf Deutsch als „Gedanken-Vampire“ bei Ullstein veröffentlicht.

2) Zerhackersyndrom (Operation Syndrome; auch Nightmare Blues, 1954)

Dr. Eric Ladde erwacht in letzter Zeit aus einem Alptraum, den er nicht erklären kann. Er träumt von einer Sängerin, doch ihr Gesang verursacht ihm Schmerz und Furcht. Als Experte für Telesonden ahnt Eric, dass die Ursache damit zu tun haben könnte – die Seuche des Zerhackersyndroms geht inzwischen um die ganze Erde, doch er kennt keinen, der mit einer Telesonde solches Unheil anrichten könnte, beispielsweise die viele Selbstmorde.

Als er sich endlich aufraffen kann, einen Spaziergang am Puget Sund von Seattle zu unternehmen, traut er seinen Augen kaum: Die Frau aus seinen Träumen schreitet direkt vor ihm, um ebenfalls den Sonnenschein zu genießen. Er schafft es, ihr Misstrauen zu überwinden und erfährt ihren Namen: Colleen Lanai. DIE Miss Lanai, ihres Leichens weltberühmte Sängerin. Ihr Partner bei den Auftritten sei Pete, der das Musikron bediene. Auch davon weiß Eric nichts, wie er zerknirscht bekennt. Andererseits weiß Colleeen nichts von der Pandemie des Zerhackersyndroms.

Der Auftritt, den er auf ihre Einladung hin, in einem Hotelballsaal erleben darf, haut ihn um. Denn das Musikron dringt direkt in seine Gedanken und Gefühle, virtuos wird es von Pete bedient. Doch beim dritten Titel muss sich Eric die Ohren zuhalten, denn Pete Serantis, der neurotische Musikronist, ist ein obsessiver Charakter, der unter anderem Colleen als seinen persönlichen besitz betrachtet. Als Eric Colleen am Abend nach der Vorstellung küsst, ahnt er nicht, dass er von Pete durch Colleens Augen beobachtet wird.

Am nächsten Tag bringt ihm Colleen die Baupläne des Instruments, doch sie erweisen sich als gefälscht Als Pete eintritt und dem Pärchen eine Eifersuchtsszene macht, entscheidet sich Colleen aus Schuldgefühlen heraus für Pete und geht. Doch sie vertraut einem Hilfskellner die echten Baupläne an und Eric kann sie beschaffen. Nun erkennt er zwei neue Probleme: Sobald das Künstlerpaar abgereist ist, bleiben ihm – laut Reisebüro – nur 28 Stunden, bis das Syndrom auch Seattle erfasst – und um ein gegen-Musikron zu bauen, muss er schnellstens vor Ladenschluss die nötigen Bauteile beschaffen. Er bekommt unerwartete Hilfe durch Baldy, den Verkaufsassistenten eines Elektronikladens, der ihm zur Hand geht. Werden sie es rechtzeitig schaffen, bevor das Musikron als nächste Stadt London heimsucht?

Mein Eindruck

Diese interessante und packende Story verbindet auf ungewöhnliche Weise Psychoanalyse à la Jung mit der Elektronik von U-Booten: Die Wirkung des Musikrons beruht auf der Sonartechnik und Piezoelektronik. (Dass Herbert sich mit U-Booten auskannte, bewies er 1955 mit dem Roman „Dragon in the Sea“ [siehe unten], und wie seine Freunde Jack Vance und Poul Anderson fuhr er im 2. Weltkrieg zur See.) Die dabei erzeugten Schwingungen sollen angeblich das Unbewusste beeinflussen und das titelgebende Syndrom der Massenhysterie auslösen.

Dass Psychologie als Fachgebiet der SF die altgewohnte Ingenieurswissenschaft von Heinlein, Asimov und van Vogt ablöste, war eine wichtige Entwicklung, die das Genre in den 1950er Jahre durchlief. So wurde die feministische Wende um ca. 1969 ermöglicht und vorbereitet. Die Frauen, die hier noch auftreten, sind entweder patent und mütterlich Mrs. Baldy – oder emotional irregeleitet wie Colleen Lanai, die ihren Irrtum jedoch einsieht, bereut und nach Seattle zurückkehrt.

Die wichtigste Neuentwicklung, die der Autor hier vorstellt, ist die Vernetzung von menschlichen Bewusstseinen. Das Netzwerk verständigt sich mithilfe der neuen Telesonde, die Eric mit Baldy gebaut hat. Dieses Prinzip, dass im Netzwerk aus Bewusstseinen nicht nur Stärke, sondern Rettung liegen, wiederholt der Autor immer wieder, so etwa in DUNE. Wer überträgt das Prinzip auf das Schwarmphänomen von Insektenstaaten, so etwa in „Das Hellström-Projekt“ (siehe meinen Bericht) und in der Story „Insektenkrieg“ (1965) in diesem Band.

3) Die verschwundenen Hunde (The Gone Dogs, 1954)

Im 27. Jahrhundert sterben die Hunde an dem tödlichen Virus D-D aus. Hundefreunde sind untröstlich und suchen fieberhaft nach letzten, verstreut und isoliert lebenden Exemplaren. Der junge Biologe Varley Trent hat wie sein Mentor Professor Han-Meer erkannt, dass das Virus von Menschen übertragen wird. Er isoliert mehrere ältere Hunde und drei junge Hunde in einem geheimen Versteck in den Olympic Mountains nahe Seattle, nachdem er sie mit einer gewissen Mutation unterzogen hat.

Seit Jahren steht die Menschheit in Kontakt mit den Weganern, und einer der weganischen Wissenschaftler ist Trents persönlicher Freund geworden. Nur ihm gewährt er die Bitte, die drei jungen Hunde zum Wega-Planeten zu bringen, allerdings verstößt dies gegen die Quarantäne-Vorschriften. Als Trents Machenschaften ruchbar werden, wird er vor einen Senatsausschuss zitiert. Bevor er sich dem machthungrigen Senator Nathan stellt, kann sich Trent mit der Hilfe des Professors per Hyperraumrakete zur Wega absetzen. Dort erfährt verblüfft, was aus seinen kleinen Hunden inzwischen geworden ist…

Mein Eindruck

Obwohl das Thema des Aussterbens aller Hunderassen recht ernst ist, gelingt es dem Autor, daraus doch eine gewitzte Komödie zu gestalten. Als Beispiel kann die listige Expedition der hundelos gewordenen Frau eines Pelzhändlers dienen. In ihrer Verzweiflung heckt Madame Couloc einen Plan aus, mit dem die Sicherheitsbehörden, die ein umzäuntes Hundereservat in den Olympic Mountains bewachen, nicht gerechnet haben. Und die Patrouillenroboter sind zu tumb, um die psychotische Madame Couloc an der unwissentlichen Übertragung des tödlichen Virus hindern zu können. In Madames Taschen findet sich ein Brief an Senator Nathan…

Auch das Verhalten von Prof. Han-Meer zeugt von boshaftem Humor: Er sagt, er wisse von nichts, als die Polizisten von der Gesundheitsbehörde bei ihm aufkreuzen, um Varley Trent zu verhaften – dem der Prof kurz zuvor zur Flucht verholfen hat.- Nur der Auftakt der Story ist derart komprimiert, dass der Leser Mühe hat, die richtigen Zusammenhänge herzustellen. Sind diese Weganer nun gut oder böse, oder woher kommt das Virus D-D? Wie sich zeigt, sind die Weganer unschuldig. Im Gegenteil, sie sind die einzigen, die das Überleben von Hunden gewährleisten können, wenn auch anders, als von Trent erwartet – eine schöne Pointe.

4) Rattenrennen (Rat Race, 1955)

Welby Lewis ist der Leiter der Kripo unter dem Kommando von Sheriff Czernak, der für Recht und Ordnung in einem Ort in Kalifornien sorgt. Lewis hätte nicht erwartet, ein Alien in einem Beerdigungsinstitut vorzufinden. Aber als er das Johnson-Tule-Institut besucht, fallen ihm drei große Behälter auf, mal da sind und mal nicht. Und als er den Institutsleiter Johnson danach fragt, zieht der eine Pistole und schlägt ihn bewusstlos.

Sheriff Czernak hält große Stücke auf Lewis, auch wenn dessen Denkweise etwas gewöhnungsbedürftig ist. Wie auch immer: Er lässt mehrere Leute das Institut auf den Kopf stellen und stößt erst im Keller auf eine merkwürdige, gitterförmige Apparatur, von der keiner weiß, wozu sie gut sein soll. Den verschwundenen Johnson kann man nicht fragen. Lewis hat eine Ahnung, aber wer würde ihm schon glauben, dass es sich um ein Tor in eine andere Dimension handelt? Jedenfalls käme es mal auf einen Test an…

Mein Eindruck

Wenn es wirklich Aliens da draußen gibt, dann befinden sie sich möglicherweise in einem technischen Wettrennen mit der Menschheit. Doc Bellarmine, ein Chirurg, erklärt sich bereit herauszufinden, auf welchem Wissensstand die Aliens sein könnten, zumindest hinsichtlich der Medizin und Chemie. Er verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Das Wettrennen hat begonnen, konstatiert Lewis gespannt.

5) Besatzungsmacht (Occupation Force, 1955)

Die Aliens sind gelandet und haben in Boston bereits einen Mann entführt. Llewellyn, der Oberkommandierende der US-Gesamtstreitkräfte, wird morgens um zwei aus dem Schlaf gerissen, um ins Weiße Haus gebracht zu werden. Dort haben sich bereits zahlreiche Herrschaften versammelt, um zu beraten, worin die Reaktion der Erde auf diesen, äh, Besuch bestehen soll. Llewellyn gehört zum Lager der Falken und rät dazu, die BPOMBE einzusetzen. Aber die Tauben merken an, dass noch gar nicht klar ist, was die Fremden im Schilde führen.

Eine Alien-Fähren verschlägt es auf den Flughafen von Washington, D.C. (auf welchen der beiden, verrät uns der Autor allerdings nicht). In aller Eile wird die Rollbahn geräumt und Soldaten bringen die Zivilisten in Sicherheit. Llewellyn führt die Delegation der Erde an und begibt sich an den Fuß der ausgefahrenen Rampe. Der Luke entsteigen mehrere altertümlich gekleidete Männer in Frack und Zylinder, zuletzt aber auch Jones, der in Boston entführte Mann.

Der Sprecher der Alien-Delegation redet, aber Llwellyn versteht nur „Kolonialbehörde“. Was soll das? „Kommen Sie in friedlicher oder feindlicher Absicht?“, will er unmissverständlich wissen. Der Sprecher weist die Frage als irrelevant zurück. Schließlich sei dies der offizielle Besuch einer seit 7000 Jahren bestehenden Kolonie. Wie sonst ließe sich erklären, dass sowohl der Sprecher als auch der General menschliche Gestalt besäßen?

Mein Eindruck

In dieser Kurzkurzgeschichte (eine Form, die die US-SF-Leser lieben) wird eindeutig der Spieß umgedreht, ähnlich wie schon in H.G. Wells‘ Roman „Krieg der Welten“, allerdings auf friedliche Weise. Für Amerikaner besonders schmerzhaft: Sie waren ja einst selbst eine Kolonie und haben sich ihre Unabhängigkeit hart in zwei Kriegen gegen die englischen Kolonialherren erkämpfen müssen. Und nun das! –

Warum genau 7000 Jahre, mag sich der verwunderte Leser fragen. Der Zeitraum ist keineswegs beliebig gewählt. Vielmehr entspricht er ungefähr dem von Bibelexperten berechneten Alter des Bestehens der Erde, wenn man den Angaben der Bibel folgt. Statt der berechneten ca. 6600 Jahre hat der Autor diese Zahl ein wenig aufgerundet. Die Kreationisten nehmen die Bibel wörtlich und bestehen auf dieser Altersangabe, ganz gleich, was die „gottlose“ Wissenschaft sagt.

6) Der Drache in der See (Under Pressure, auch: Dragon in the Sea, 1955/56)

„Der Drache in der See“ ist die Vorlage zu Herberts erstem Roman „Atom-U-Boot 1181“. Darin geht es recht spannend um die Frage, wie ein Kapitän eines Schiffstyps mit solcher Vernichtungskraft ethisch angemessen oder rechtfertigbar handeln kann. Am Ende der Geschichte bricht der Spannungsbogen leider abrupt ab. Wer wissen will, wie es weitergeht, muss sich den entsprechenden Roman im Online-Antiquariat kaufen.

7) Der Nichts (The Nothing, 1956)

Die Mutanten sind die Norm in der amerikanischen Gesellschaft: Telepathen, Pyros, Teleporter und sogar Präkogs. Jean Carlysle, gerade 18 Jahre jung geworden, ist ein Pyro. Als sie die Bar betritt und diesen feschen jungen Mann erblickt, ahnt sie kaum, dass er ihr Schicksal wird. Denn Claude Williams ist ein Nichts, also einer ohne Psi-Kräfte. Die Cops nehmen ihn fest und sacken Jean auch gleich ein. Er ist aus dem Sonoma-Reservat für Nichts entsprungen.

Auf der Wache lernt Jean Claudes Vater Mensor kennen; er ist ein Präkog, ein Vorauswissender. Was hat er alles vorausgesehen? Mensor bittet Jean um ihre Hilfe, um den Genpool der Nichtser aufzubessern. Sie soll Claude heiraten und ihre Kinder würden wenigstens zu 70 Prozent Psi-Kräfte haben. Dann könnte sie auch ganz legal die Reservation verlassen. Das scheint Jean eine gute Aussicht für ihr Leben zu sein und lässt sich mit Claude trauen. Zum Schutz erhält sie eine Kopfabdeckung, die sie gegen Gedankenlesen abschirmt. Ihren Eltern sagt sie einfach, dass sie jetzt für die Regierung arbeite.

8) Feuer einstellen! (Cease Fire, 1958)

Ein sehr kalter Krieg wird in Alaska ausgefochten. In Beobachtungsposten 114 tut Corporal Hulser Dienst, der als Feigling verschrien ist. Als er Feindaktivitäten meldet, glaubt ihm zuerst keiner. Erst als der leere Panzer neben seinen Posten in die Luft fliegt, schreit er Zeter und Mordio. Bei diesem Zwischenfall ist ihm indes eine brillante Idee gekommen, die allerdings keiner ohne die nötigen chemischen Vorkenntnisse versteht…

Er wartet bereits aufs Kriegsgericht, als ein weiterer Chemiker bei ihm vorstellig wird, seinen Einfall versteht und ihm grünes Licht für das Projekt gibt. Sechs Monate später soll ein Test zeigen, ob Hulsers Fern-Detonator von Sprengstoffen und allem Entzündlichen wirklich funktioniert. Die Detonation ist sehr eindrucksvoll, jedenfalls genug, um den Geheimdienst auf die Idee zu bringen, von nun an alle Explosivstoffe (inklusive der nuklearen) der eigenen Streitkräfte durch bakterielle oder mittelalterliche Waffen zu ersetzen. Aber einen weiteren Krieg werde es dennoch geben, sagt der General. Und der müsste es ja wissen.

Mein Eindruck

Die Waffe, mit der sich alle Kriege beenden ließen, muss also erst noch gefunden werden. Diese Kalte-Krieg-Story ist zumindest mit viel sarkastischem Humor erzählt, der auf Kosten der bestehenden Ordnung aus Militär. Geheimdiensten und Politikern besteht. Der Gipfel des schwarzen Humors ist das Buch, das Hulser, dieser Friedensengel, zuletzt in die Hand gedrückt bekommt: „Der Fürst“ von Niccolo Machiavelli…

9) Das wandernde Haus (Old Rambling House, 1958)

Ted Graham ist ein misstrauischer Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Weil seine Frau Martha im siebten Monat schwanger ist, sucht er für die Nachkommenschaft ein Haus. Momentan lebt er aufgrund der hohen Immobilienpreise in einem Wohnwagen und ist froh, dass sich jemand dafür interessiert, den Wohnwagen für ein Haus einzutauschen.

Als das Ehepaar Rush endlich auftaucht, bietet es den Grahams eine Autofahrt zu dem fraglichen Haus an. Ted Graham fällt die unverständliche Sprache auf, die die beiden sprechen. Aber was kann es schon schaden, dieses ominöse Haus erst einmal unter die Lupe zu nehmen.

Das Design des großen, geräumigen Hauses ist nicht nur todschick, sondern enthält auch automatische Geräte, die den Grahams unbekannt, so etwa eine komplette Reinigung für die Wäsche. Graham wird noch misstrauischer, doch das Ehepaar Rush hat sich unter einem Vorwand aus dem Staub gemacht. Wie sie später realisieren, haben sie eine Kleinigkeit übersehen: das Baby in Marthas Bauch…

An ihrer Stelle taucht ein merkwürdig gekleideter, aber autoritär auftretender Mann aus, der eine unverständliche Sprache spricht. Durch einen Dreh an seiner Gürtelschnalle werden die Gehirne der Grahams in die Lage versetzt, ihn zu verstehen. Er stellt sich als ein Rojac vor und, nach einer kleinen Prüfung, erklärt er die Grahams für geeignet in seine Dienste zu treten. Ob sie wollen oder nicht, denn sie müssten nun die Stelle der Rushs einnehmen: als intergalaktische Steuereintreiber…

Mein Eindruck

Diese wendungsreiche Story beruht auf den vielfältigen Erfahrungen, die der Autor mit seiner eigenen, sich ständig vergrößernden Familie bei diversen Umzügen gemacht hat – nachzulesen in der Biografie „Dreamer of Dune“, die sein Sohn Brian veröffentlicht hat (und die immer noch der Übersetzung harrt). Das Motto könnte „Caveat emptor“ lauten: „Der Käufer sei gewarnt!“ Verlockende Angebote wie das der Rushs – ein 100.000-Dollar-Haus für einen 7000-Dollar-Wohnwagen – sollte man mit äußerster Vorsicht genießen. Da ist bestimmt irgendwo ein Haken dabei. Der Titel ist übrigens ein Wortspiel: „rambling house“ kann sowohl „weitläufig“ als auch „wandernd“ bedeuten.

10) Aufs Geschirr kommt es an (A Matter of Traces, 1958)

Auf der Siedlerwelt haben die Bauern das gleiche Problem wie überall im Universum: Wer zieht den Pflug? Die Siedler müssen den Boden von Kratzbüschen säubern und ständig vor der Hut vor gierigen Reißvögeln sein- Ochsen würden diese Zustände nicht aushalten. Daher lässt such Papa Gustin von einem cleveren Nachbarn dazu überreden, es mal mit einem Rollit zu versuchen. Den stellt man sich am besten als riesigen lebendigen Fleischklops vor. Immerhin: Er reißt mit Vorliebe Kratzbüsche aus, und auf Reißvögel setzt es sich einfach drauf. Aber kann er auch eine Furche ziehen?

Natürlich nur, wenn man das Riesenvieh in ein Geschirr einspannt. Da aber irdische Geschirre eher kleine, eckige Viecher entworfen wurden, muss man ein neuartiges Geschirr entwerfen. Das erfordert einige Versuche, von denen die meisten fehlschlagen. Schließlich aber hat Papa Gustin den Dreh raus. Tja, und seitdem nutzt alle Welt den Gustin-Rollitor, wie ein verblüfftes Anhörungs-Komitee herausfindet.

Mein Eindruck

Auf eine verschmitzte Weise präsentiert der Autor hier, wie Innovation wirklich funktioniert: durch Ausprobieren. Hier sind keine akademischen Forscher und Techniker am Werk, sondern bäuerliche Pioniere. Aber sie folgen dem alten Diktum: „Form follows function.“ Tja, und nach einer Weile kann sich keiner im Universum mehr vorstellen, wie man das Pflügen jemals anders hätte handhaben können. Das Anhörungskomitee, in dem auch ein gewisser Jorj McKie sitzt (aus „Das Dosadi-Experiment“), bekommt von Gustins Sohn eine Lektion in Graswurzel-Innovation erteilt.

11) Werben mit beschränkter Haftung (A.W.F. Unlimited, 1961)

Die Raumverteidigung der Erde sieht sich einem ernsten Problem gegenüber: Das weibliche Hilfskorps erhält keine Bewerbungen mehr und droht, in bestimmten Bereichen mangels Personal auszufallen. Das würde die Verteidigung und Sicherheit der Erde gefährden, was natürlich nicht akzeptabel ist. Der Kongress würde die finanziellen Mittel für mehrere Flottenprojekte streichen – und das würde nicht nur die von Frauen besetzten Stellen überflüssig machen. Das Problem ist offenbar der armierte Raumanzug, er wie ein Panzer alle weiblichen Reize verbirgt.

Also muss eine Werbekampagne her, und der Nachrichtendienst empfiehlt als beste Agentur jene, die von André Battlemont geleitet wird, die aber drei Besitzern gehört, die gerade auf Hawaii Urlaub machen. Battlemont ist charakterlich schwach, hat aber das Herz auf dem rechten Fleck. Dieses Herz gehört übrigens ganz und gar Gwen Everest, dem eigentlichen Kopf der Agentur. Die 48 Jahre alte Lady hat jedoch genug von ihrer Tätigkeit und denkt an Kündigung. Als die Militärs erscheinen, schaltet sie auf Rebellion um.

General Owling vertritt die Ingenieure der Raumflotte, Brigadier Finnister das weibliche Hilfskorps., das sie leitet. Gwen gelingt es mit einer raffinierten Taktik, aus Owling einen Anhänger und aus Finnister eine Gegnerin zu machen. Sie schlägt eine Entwicklungszeit von rund 20 Tagen für den Auftrag heraus. Nach 25 Tagen lädt sie zur Großen Präsentation ein. Battlemont befürchtet das Schlimmste und hofft das Beste. Wie vorauszusehen, geht Finnister auf die Barrikaden, während Owling mit sich reden lässt.

Gwen ist mit ihrem Latein am Ende, aber da springt Battlemont in die Bresche: Er werde die beiden Militärs mit einer anderen Agentur fertigmachen, sich für dienstunfähig erklären lassen und das Militärprojekt in einer Medienkampagne bloßstellen. Owling ist sofort klar, was das heißt: Arbeitslosigkeit! Dabei ist das Kunststoff-Modell, das Gwens Designer in Kooperation mit den Militäringenieuren entwickelt haben, von genialer Raffinesse, denn es enthüllt auf Wunsch der Insassin das, was an Reizen gezeigt werden soll, verbirgt aber, was unschicklich ist. Das Ding wird ein Knüller, da ist sich Battlemont sicher. Aber bevor die Werbekampagne losgeht, muss er dringend mit der deprimierten und von seiner Liebe verblüfften Gwen in Urlaub fahren…

Mein Eindruck

Eine der besten Erzählungen in diesem Band! Die weibliche Hauptfigur Gwen ist einprägsam und vielseitig, ihr Boss Battlemont eine furchtsame Maus, die beiden militärischen Gegner sind markant als gegensätzlich gezeichnet – und der Plot weist interessante Wendungen auf, die schließlich, wider Erwarten, zum Erfolg führen. Das alles ist mit beißender Ironie gewürzt, dass aus dem Text eine unterhaltsame Satire auf bornierte Militärpsychologie wird. Im Vergleich zu der Militärdoktrin der 1950er-Jahre brillieren die Vorschläge, die der Autor hier unterbreitet, mit subversiven Spitzen gegen bornierte Betonköpfe wie Brigadier Finnister, die offensichtlich nicht weiß, wie moderne Frauen ticken. Wie „echte“ Frauen ticken, weiß der Autor ebenfalls zu vermitteln. Sicherlich hatte er damals Schützenhilfe von seiner Frau Beverly, die ihm in allen Dingen eine unentbehrliche Stütze war. (Mehr über das Ehepaar Frank & Beverly in der Biographie „Dreamer of Dune“.)

12) Paarungsruf (Mating Call, 1961)

Die Alienbevölkerung der Rukusch hat den Sozioanthropologischen Dienst der Erde gebeten, ihr zu helfen, um ihrem Bevölkerungsrückgang entgegenzuwirken. Dessen Leiter Dr. Fladdis hat schwere Bedenken, die er gegenüber Dr. Laoconia Wilkinson äußerst. Wie ein zurückliegender Fall gezeigt hat, führt jede Art von Einmischung in die Kultur usw. einer fremden Zivilisation mitunter zu verheerenden Folgen. Dessen sei sie sich völlig bewusst, bestätigt Dr. Wilkinson, führt aber sogleich Zweifel an der von Fladdis vorgeschlagenen Begleiterin an. Marie Medill ist eine Musikwissenschaftlerin. Ja, und genau dies mache sie einer so wertvollen Ergänzung von Wilkinsons Arbeit: Wie könnte sich auch Musik auf Fortpflanzung bei Einheimischen auswirken? Dadurch umgehe er, Fladdis, den Buchstaben des Gesetzes zur Nichteinmischung.

Eine Reise und 28 Wochen später sitzen Wilkinsinson und Medill immer noch ergebnislos in ihrer zerlegbaren Hütte von drei mal vier Metern, die mit allerlei Gerätschaften und zwei Betten vollgestopft ist. Endlich lässt sich ihr einheimischer Kontakt blicken. Grafka ist ein zwei Meter großes Osterei, mit einer Sichthaube oben und Watschelfüßen unten. In einfachen Worten erlaubt „er“ den beiden Erdfrauen, am Großen Singen im Tal teilzunehmen. Sofort beauftragt Wilkinson Dr. Baxter im über ihren Köpfen kreisenden Raumschiff, eine Sonde auszuschicken, um die „Zeremonie“ vollständig aufzuzeichnen. Sie könne keine Gefahr erkennen, nein.

Das Große Singen ist ein wunderbares Erlebnis, findet die etwas schwärmerisch veranlagte Marie, es ist wie ein erhabener Chor, ein Kantate, ein Kanon. Danach gehen alle nach Hause, aber eine Idee wächst in Maries Hinterkopf, die ihr nicht behagt. Wenn es hier um Fortpflanzung geht, wieso findet dann keinerlei körperliche Berührung statt? Könnte es sich um Jungfernzeugung handeln?

Sie ahnt nicht, dass auch sie selbst, Dr. Baxter und sämtliche Frauen auf der Erde, die die Raubkopie dieses Gesangs hören, Teil des Rukusch-Fortpflanzungsplans sind…

Mein Eindruck

Fremdkontakt ist eben nie eine Einbahnstraße, sagt der Autor durch die Blume. Diesmal befassen sich zwei verschiedene Frauen mit den Aliens. Wilkinsons ist schon über das gebärfähige Alter hinaus und hat jeden Sinn für Romantik, Sinnlichkeit und Geheimnisse verloren, die pure Vernunft. Marie ist ihr Gegenteil: emotional, romantisch, sinnlich. Kein Wunder, dass für sie Grafka männlich sein muss. Ein verhängnisvoller Anthropomorphismus, wie sich zeigt. Denn Grafka ist ein Weibchen, das sich durch Jungfernzeugung fortpflanzt – ebenso wie alle, die den großen Gesang vernommen haben.

Das letzte Wort der Übersetzung lautet „Kopfschmerzen“, doch ich könnte schwören, dass im Original „splitting headache“ steht. Und „splitting“ nimmt in dieser Situation eine doppelte Bedeutung an…

13) Erinnert euch! (Try to Remember, 1961)

Die Aliens sind gelandet und haben der erschrockenen Erde eine Aufgabe gestellt: Sprecht mit uns oder sterbt! Die Versenkung des Eniwetok-Atolls und die Eliminierung sämtlicher Satelliten demonstriert eindrucksvoll, wozu die fünf froschähnlichen Außerirdischen fähig sind.

Also versammeln sich die fähigsten Sprachwissenschaftler und Korangelehrten in der Wüste des westlichen Nordamerika, um das kauderwelsch der Aliens zu entschlüsseln. Da es keine Frist gibt, haben sie es nicht sonderlich eilig, und die Monate gehen ergebnislos ins Land.

Francine Millar ist die Witwe des mit seinem Flugzeug verunglückten Sprachforschers Robert Millar. Als Angehörige des Indoeuropäisch-germanischen Teams besucht sie die morgendliche Konferenz. Sie wird beleidigt und frustriert, sogar an ihren toten Gatten erinnert, bis sie den Tränen nahe ist. Doch es kommt noch schlimmer: Nach einigen Winkelzügen muss sie entsetzt entdecken, dass General Speidel und seine linguistischen Handlanger von ihr erwarten, eine Bombe in das Raumschiff der Aliens zu schmuggeln – und sich selbst dabei zu opfern.

Benommen begibt sie sich auf die Fläche vor dem Raumschiff: Schüsse fallen, Explosionen krachen! Der Angriff der Russen ist in vollem Gange, angeführt vom russischen Linguisten Zakheim, mit dem sie noch Stunden zuvor heftig diskutiert hat. Er rennt genau in den Kugelhagel der amerikanischen Militärpolizei…

Mein Eindruck

Doch Francine gelingt ein mehrfacher kognitiver Durchbruch, bevor es zu dieser Katastrophe kommt. Sie realisiert zusammen mit ihrem japanischen Kollegen Ohashi, dass die Aliens nicht lügen. Sie verbinden nämlich verbalen Singsang mit körperlichem, tänzerischem Ausdruck, der ihre Emotionen ausdrückt. Was, wenn man die intellektuelle Ebene aus der menschlichen Sprache entfernen würde, dann könnten Menschen ebensowenig lügen?!

Sie erkennt zweitens, dass es sich wohl um eine konstruierte Sprache handelt. Dieser Ausdruckstanz hat nämlich irdische Vorbilder aus verschiedensten Weltregionen (anno 1961 gab es noch 2800 Sprachen; heute sind es viel weniger). Das bedeutet, dass die Sprecher der Aliens lediglich Übersetzer sind. Aber worin besteht dann die wahre Sprache der Besucher? Diese Frage kann nur eine körperliche Begegnung beantworten…

Der Text endet mit einer Fusion aus gesungener, erzählender Sprache in Gedichtform, wie wir sie aus alten Zaubersprüchen des Walisischen (Taliesin; siehe Robert Ranke-Graves) kennen. Das Gedicht endet mit einer dreimaligen Aufforderung: „Erinnert euch!“ Die linguistische Theorie dahinter findet sich in ausgefeilterer Form in allen DUNE-Romanen wieder, die F. Herbert selbst verfasste.

14) Gedankenfeld (Mindfield, 1962)

Nach dem Atomkrieg oder einer ähnlichen Katastrophen herrschen die Priester-Historiker über die wenigen Überlebenden. So herrscht beispielsweise der Oberpriester ò Plar über seinen rebellischen Neffen Saim. Der treibt sich in den Tunneln der alten Stadt bei irgendwelchen Ausgrabungen herum. Sehr ungehörig, findet sein Onkel und weist ihn zurecht. Zur Strafe soll Saim in die Kristallminen von Montana gehen. Jeglicher Widerstand wird von der geistigen Macht, die vom Stab des Oberpriesters ausgeht durch Angstimpulse im Keim erstickt.

Doch Saim denkt gar nicht daran, in den kalten Norden zu gehen und dort wie ein Sklave zu schuften. Er ist sehr auf Freiheit und Selbstbestimmung bedacht. Er trickst seine Eskorte aus und flüchtet ins Labor seiner Freunde Ren und Jeni. Jenis Schönheit macht plausibel, warum Saim sie liebt. Beide ahnen nicht, dass ò Plar Saim mit einer Art Peilsender ausgestattet hat.

Ren arbeitet als Wissenschaftler an einem Experiment zur Gedankenübertragung, aber nur einzelner Gedanken, sondern einer ganzen Sprache. Im Fall von Versuchsobjekt George handelt es sich um Altenglisch, eine sehr alte Sprache. Allerdings haben Ren, Jeni und Saim Angst vor George: Er könnte schlagartig gewalttätig werden.

Durch den Peilsender sind Saim und das geheime Rebellenlabor leicht aufzuspüren. Doch Jeni entdeckt den Peilsender und kann die anderen rechtzeitig warnen. Sie haben eine Fluchtmöglichkeit, einen Helikopter, der unter einer Betonplatte versteckt ist. Weil sich George zunehmend an seine Vergangenheit – vor tausend Jahren – erinnert, ist er in der Lage, sich an diesen Bunker und an die Bedienung eines Hubschraubers zu erinnern. Doch auf dem Flug nach Norden, wo die Rebellenpriesterin ò Katje lebt, übermannen die Erinnerungen George, so dass Saim übernehmen muss.

George war einmal Oberst George Kinder von der US Air Force. Von seinem Vorgesetzten erhielt er den Befehl, zwei Atomraketen zu starten, die Russland vernichten sollten. Das Militär hatte erkannt, dass ein Virenangriff mit Biowaffen im Gange war. Die beiden Atomraketen wären nur die Vergeltung. Saim schlägt George nieder, nachdem dieser Ren angegriffen hat. Die Priesterin ist über diesen Ausbruch von Gewalt entsetzt. Nun zeigt sich, dass ihre antrainierten und jedes Jahr erneuerten Hemmungen gegenüber Gewalt sie zur Untätigkeit verdammen.

Da Erscheinen von Oberpriester ò Plar ist nicht gerade hilfreich, denn er droht allen an, sie neu zu konditionieren, um dieses Gewaltpotential einzudämmen. Und dieses Simulacrum George ist eine Abscheulichkeit, die vernichtet werden muss. Aber der Priester ist sehr müde, denn er weiß, dass er im kommenden Konditionierungsritual wohl zum Tode verurteilt werden wird. Er berichtet, was der Virenangriff vor tausend Jahren bewirkte: Nur Kinder bis 14 Jahren konnten überleben – und eine Handvoll von im Bunker lebenden Buddhisten in Arkansas…

Doch Saim ist nicht mehr der kuschende, gehorsame Saim, den er bislang herumkommandiert hat. Dieser Saim berichtet, was nun passieren werde: er selbst werde die in ihren Silos wartenden Atomraketen starten. Denn die Menschen dort draußen seien so sehr gegen Gewalt konditioniert worden, dass sie kaum noch zum Überleben fähig seien: ein Tod im Leben…

Mein Eindruck

Diese Novelle ist nichts Geringeres als die Schilderung des Lebens nach dem Biokrieg, als die letzten Überlebenden entdecken, dass die Wahrheit über ihre Lage von einem Lügengebilde verborgen worden ist. Doch George, der Wiedergänger aus der zeit vor tausend Jahren, hat diese Lügengebilde mithilfe seiner Erinnerungen durchbrochen. Nun entscheidet Saim gegen das Establishment – und gegen dieses fadenscheinige leben von einer paar geistigen Zombies.

Die Handlung ist nicht leicht zu verstehen, schreitet aber zügig voran. Die üblichen Motive des Autors tauchen auf: lange Zeiträume, der letzte Krieg, Erinnerungen an lange zurückliegende Ereignisse, die zwanghaftes Handeln auslösen. Und eine Priesterkaste, die eine Lüge mit einem Tausendjahreplan aufrechterhält: Sie erinnern an solche Organisationen wie Asimovs „Foundation“, aber auch an die Bene Gesserit. In jedem Fall ist eine wichtige Geschichte in Herberts Werk: Hier rechtfertigt er die Existenzberechtigung und Notwendigkeit von Gewalt. Darüber ließe sich trefflich streiten

15) Unter Einschluss der Öffentlichkeit (Committee of the Whole, 1964)

Ein Viehbaron aus dem Mittelwesten möchte vor einem Unterausschuss des Senats des US-Parlaments eine Aussage. Alle gehen davon aus, dass es ihm um eine Gesetzesänderung hinsichtlich der Nutzung von Staatsland geht. Aber weit gefehlt. Vor den Augen des leitenden Senators Tilborough und begleitet von seinem Anwalt Wallace präsentiert Custer eine technische Vorrichtung, die er als unterbrechungsfreien Laserstrahler vorstellt.

Ist dies also eine Waffe, will der vorsitzende Senator alarmiert wissen. Schon ist ein Oberst der Marines zur Stelle, und Marines halten die Stellung, als die allgemeine Öffentlichkeit durch die Fernsehkameras von den Vorgängen im Saal der Anhörung erfährt. Keineswegs eine Waffe, behauptet Custer, aber seine Männer können damit Bäume fällen, Weidepfähle zurechtschneiden und vieles mehr. Also doch eine Waffe!

Custer beharrt darauf, dass diese Laser-Vorrichtung bereits patentiert und die Patentunterlagen bereits allgemein zugänglich seien, daher könne jeder diese Vorrichtung bauen. Das versetzt den Senator noch mehr in Aufregung, und Custer erklärt ihm, was sein, des Senators, Problem ist: Da jedermann Zugang zu dieser oder ähnlich gebauten Waffen haben könne, sei der Zugang dazu, der die Macht der Regierung sichere, nichtig. Eine wahrhaft demokratische „Waffe“ also…

Mein Eindruck

Die Story, die zuerst im SF-Magazin „Galaxy“ abgedruckt wurde, hätte sich ebensogut für das SF-Magazin „Analog“ geeignet: Sie hat einen detailliert beschriebenen Technik-Kern, doch die Konsequenzen sind politisch statt anwendungsorientiert, wie es etwa eine Rakete wäre. In dieser politischen Interpretation erweist sich der Autor als Heinleins und van Vogt („Der Waffenladen“) geistiger Erbe: Die politische Haltung ist libertär, denn der Apparat verleiht jedem Mann, der sie bauen kann, die Macht der Regierung über Leben, Tod, Freiheit und Würde.

16) Die Mary Celeste Umzüge (The Mary Celeste Move, 1964)

Der politische Berater Martin Fisk erstattet dem Politbürokraten Merrill in Washington, D.C., Bericht über das, was er Beunruhigendes über die Mary-Celeste-Umzüge herausgefunden hat. Sie sind benannt nach jenem Segelschiff, das einst auf dem Meer treibend gefunden wurde und dessen Besatzung verschwunden war. Auch diesmal geht es um verschwundene Menschen. Wie es scheint, waren alle diese Männer und Frauen Autofahrer.

Den Berichten zufolge fand die Umzugsarbeiter stets ein kürzlich verlassenes Haus oder Appartement vor, in dem noch halb verhungerte oder schon tote Haustiere lebten. Das weist auf eine Abreise hin, die nicht geplant war – die Bewohner wollten gleich wieder zurück sein. Auch die vielen Gebrauchtwagenverkäufe an den Enden der Autobahnzubringer seien ein Indiz: Dort strandeten diese Autofahrer, brauchten Geld und verhökerten ihr Vehikel für einen Appel und ein Ei. Die Verschwundenen werden immer mehr und fehlen der Wirtschaft ebenso wie der Wählerschaft.

Merrill hat eine Erklärung: „Diese unbedarften Autofahrer sind in ihrem Leben noch nie schneller als 240 gefahren und werden auf einmal von einem Expressway gezwungen, 450 oder 500 zu fahren. Klar, dass diese Erfahrung sie für den Rest ihres Lebens erschüttert – sie wollen nie wieder auf einen Freeway.“ Nervös denkt Fisk an seine eigenen Erfahrungen mit Free- und Expressways, etwa an Generäle, die einem die Spur schneiden…

Mein Eindruck

Das also könnten die Verkehrsprobleme der Zukunft sein, projiziert auf das längst überholte Jahr 1997. Immerhin aber machten sich Leute wie Frank Herbert, Alan Dean Foster („California Freeway“) und Richard Matheson („Duell“) Sorgen um die künftigen Zustände auf den Autobahnen des Landes. Herbert überspitzt die Zustände und sieht dabei nicht voraus, dass sich durch verbesserte Kommunikationsmittel wie E-Mails und Mobiltelefone die Situation radikal abschwächen würde. Und Flugzeuge würde natürlich die meisten Autobahnen überflüssig machen – das ist heute der Fall.

17) Der taktvolle Saboteur (The Tactful Saboteur, 1964)

Der hochrangige Saboteur Jorj McKie, bestens bekannt aus dem Roman „Das Dosadi-Experiment“, steckt in der Klemme. Sein Chef Watt will, dass er einen untergetauchten Saboteur namens Napoleon Bildoon aufspürt, der allerdings ein humanoider Alien ist, verbietet ihm aber gleichzeitig, die Steuerfahnder der Aliens, unter denen sich dieser Bildoon versteckt, irgendwie zu schädigen. Sie werden nämlich neuerdings vom Gesetz geschützt. McKie setzt bereits eine riskante Strategie um: Er sabotiert seinen Chef, indem er ihm ein Medusenhaupt aus Schlangen verpasst. Damit ist Watt als Minister für Sabotage untragbar worden.

Kniffliger ist es, Bildoon aufzuspüren. Die Rasse der Pan-Spechi hat nämlich die nervende Eigenart, sich in einer Fünfer-Gruppe ein Hauptbewusstsein zu teilen. Dabei gibt es ein schmutziges Geheimnis, das keinesfalls an die Öffentlichkeit der Erde geraten darf. Gleich als er von Panthor Bolin, dem Sprecher des Quintetts angesprochen wird, fällt ihm die Ähnlichkeit der Namen Bildoon und Bolin auf. Sein Verdacht erhärtet sich, als Bolin Ambitionen zeigt, als Oberster Steuerfahnder das nunmehr vakante Sabotageministerium zu leiten. McKie provoziert Bolin so lange, bis diesem nichts anderes übrigbleibt, als McKie zu verhaften und vor Gericht zu stellen.

Doch Richter Dooley, ein ansonsten aufrechter Mann, hat vom Präsidenten einen politischen Maulkorb verpasst bekommen und muss vorsichtig agieren: Die Steuerfahnder im besonderen sind ebenso unantastbar wie die humanoiden Pan-Spechi, die mittlerweile Menschen-Rechte genießen, im allgemeinen. Doch bald zeigt sich in diesem Gerichtssaaldrama, dass auch hier McKie allen anderen einen Plan voraus ist, der das Verfahren bzw. die Anhörung zu einer tragischen Offenbarung seitens Bolins steuert. Bolin muss in aller Öffentlichkeit die Hosen runterlassen und das schmutzige Geheimnis der Pan-Spechi zugeben und beim Namen nennen. Letzten Endes geht es um das gefestigte Vertrauen zwischen zwei Spezies…

Mein Eindruck

In einem klassischen Dreisprung nähert sich die Handlung dieser längeren Erzählung einem dramatischen Höhepunkt. Insofern ist sie für den mitdenkenden Leser, der über Empathie verfügt, recht spannend.

Für mich spannend sind zwei innovative Konzepte: Warum sind Saboteure so wichtig für ein funktionierendes Staatswesen? McKie erklärt dies detailliert im Dialog mit Bolin. Man ersetze „Saboteur“ durch „Investigativ-Journalisten“, „Whistleblower“ und „Kritiker“. Das zweite interessante Konzept ist das Gruppenbewusstsein mit wechselnder Identität. Es zu erklären, würde zu weit führen, aber es hat drastische Auswirkungen auf den Ausgang der Verhandlung.

Der Autor hat sich einen hübschen Insiderwitz erlaubt. Er hat seinen Schriftstellerkollegen Jack Vance hineingeschmuggelt. Jack Vance, der Schöpfer der „Sterbenden Erde“ und des Dämonenprinz-Zyklus, heißt bürgerlich John Holbrook Vance, aber das weiß natürlich kein Schwein. Deshalb konnte Herbert seinen Kumpel per Anagramm als den Staatsanwalt „Holjance Vohnbrook“ auftreten lassen.

18) Der Insektenkrieg (Greenslaves, 1965)

Am Rande des Siedlungsgebiets im Mato Grosso gehen unerklärliche Dinge vor sich. Nachdem die Siedler und ihre Grenzer, die Bandeirantes, den Insekten den krieg erklärt und sie mit einem ganzen Arsenal von Methoden bekämpft haben, mutieren die Viecher einfach und leben weiter. Das macht den Provinzpräfekten Don Martinho lächerlich, und das stinkt ihm. Nicht nur das – auch sein eigener Sohn Joao, ein Banderante, scheint mit der International Ökologische Organisation IOO unter einer Decke zu stecken. Joao bestreitet dies vergeblich, aber was kann man einem alten Mann schon an Wahrheiten zumuten?

Als ein Fluginsekt es wagt, in die gute Stube einzudringen, verfolgt Joao es bis einem Loch in der Außenwand der Hacienda. Die Löcher scheinen Don Martinho nichts auszumachen, aber sie versetzen Joao in Alarm. Denn wer kann sagen, was für Insekten sich hier breitmachen, obwohl sie ausgerottet sein sollten? Sie stoßen auf zwei schräge Gestalten, die sie auffordern, in Joaos Luftauto einzusteigen. Das ist zuviel für den alten Herrn: Er erleidet einen Herzinfarkt. Umso dringender erscheint es jetzt, dass Joao ihn ins Krankenhaus bringt. Er fordert von den beiden Fremden Hilfe. Sie sind dazu bereit, doch auf dem Flug macht Joao eine bestürzende Entdeckung: Es handelt sich nicht um Menschen, sondern um zwei Schwärme von Insekten, die so viel Mimikry beherrschen, dass sie einen Menschen nachahmen können. Sofort leitet Joao Maßnahmen ein, doch die Insektenmenschen haben auch ein paar Tricks auf Lager…

Mein Eindruck

Joao und seine Gefährten geraten in das Spannungsfeld, das sich zwischen neuartigen, intelligenten Insekten, einer IOO-Wissenschaftlerin und den Siedlern erstreckt. Während die IOO-Repräsentantin ihn für einen Verräter an der IOO hält, versucht Joao am leben zu bleiben. Doch wie sein zum Leben wiedererweckter Vater Martinho muss auch er anerkennen, dass die Tage der Menschen an der Grenze gezählt sind. Er glaubt, dass nun zum Sklaven der Insekten gemacht werde, doch die Insekten weisen diesen Vorwurf zurück. Es sei einfach nur eine unausweichliche Weiterentwicklung, die sie eingeleitet hätten.

Der Titel bildet eine Assoziation zu dem klassischen Folk Music Lied „Greensleeves“.

19) Der GG-Effekt (The GM Effect, 1965)

Ein US-Forschungsinstitut hat mithilfe eines Moleküls das genetische Gedächtnis entdeckt, das offenbar viele Menschen mit sich tragen. Dr. Sabantoce hat beispielsweise einen Söldner aus dem antiken Griechenland in seinen Erinnerungen entdeckt, aber das nützt ihm bei dem, was nun kommt, nicht viel. Prof. Latchley, der Institutsleiter, hat die Studenten und Dozenten seiner Fakultät einberufen, um ihnen die drohenden Konsequenzen aus dieser Entdeckung darzulegen.

Zu den Entdeckungen gehören verdrehte und verdeckte geschichtliche Fakten über die US-amerikanische Geschichte, so etwa die unrühmliche Rolle des Gouverneurs von Massachusetts bei der Boston Tea Party kurz vor dem Unabhängigkeitskrieg. Auch war Abraham Lincoln keineswegs eine Befürworter der Sklavenbefreiung, sondern das genaue Gegenteil.

Noch schwerwiegender ist die Entdeckung von Dr. Mormont, dass die Machteliten hinter der Fälschung und Verzerrung von historischen Fakten und Zusammenhängen stecken. Und wenn man vom Teufel spricht: Zwei Soldaten klopfen an der Tür des Versammlungszimmers und holen Latchley und Sabantoce ab, um sie in einem düsteren Keller zu erschießen, der Rest wird vergast.

Mein Eindruck

Das war zu erwarten. Und man kann den Wortführern Latchley und Sabantoce nur stümperhafte Naivität in Sachen Geschichtsschreibung bescheinigen. So ein „Chronoskop“ ist ein Dorn im Auge der Mächtigen, und sie tun alles, um den status quo zu erhalten und weiter zu bewachen, damit sie die Massen weiterhin ausbeuten und Steuermillionen einsacken können. (Man erinnere sich, das Eddard Stark in „Game of Thrones“ auf die Fälschung der Thronfolge stößt und dafür mit seinem Kopf zahlen muss.)

Die Vorstellung, dass in den Genen weitreichende Erinnerungen sowohl stammes- als auch individualgeschichtlicher Ursprungs gespeichert sein könnten, stammt nicht von Herbert, sondern, wenn ich es recht weiß, von Sheldrake. Nichtsdestotrotz verwendete Herbert diese Vorstellung auch in seinen DUNE-Romanen, so etwa bei den Bene Gesserit und beim Kwisatz Haderach, den sie herangezüchtet haben.

20) Jenseits der Dunkelwolke (Escape Felicity, 1966)

Roger Deirut ist einer der Erkundungspiloten, die die Erde aussendet, um ferne Welten zu finden, die sich zur Besiedlung oder wenigstens zur Ausbeutung eignen. Damit er nicht in Versuchung, eine solche Welt selbst für sich in Besitz zu nehmen, hat man ihm einen posthypnotischen Befehl eingepflanzt. Dieser „Schub“ sorgt dafür, dass er sich der Rückkehr zur Erde sehnt.

Am 95. Tag stößt er ans andere Ende einer dunklen Gaswolke vor und findet ein Sonnensystem aus drei Sonnen und zwei Planeten vor. Davon ist ein Planet der Erde sehr ähnlich, so dass er sofort darauf landet. Kurz darauf erscheint ein dampfgetriebenes Radfahrzeug auf dem Hügelkamm und beschießt seine Rakete. Der Bug mit allen elektronischen Messinstrumenten löst sich in Wohlgefallen auf.

Mit den eigenen Geschützen feuert Deirut den Einheimischen vor den Bug, so dass sie stoppen. Sie steigen aus und zeigen sich. Deiruts schlauer Bordcomputer warnt ihn vor der unbewaffneten Annäherung, als bewaffnet er sich bis an die Zähne. Schon nach wenigen Minuten macht er den Burschen klar, dass er nicht, wie sie glauben ein Gott sei, was sich als Fehler herausstellt. Sie überlisten ihn, zerbrutzeln seine Elektronik und löschen sein Gedächtnis…

Als er wieder aufwacht, befindet er sich in seinem völlig intakten Raumschiff auf dem Weg zurück zur Erde. Hat er alles nur geträumt?

Mein Eindruck

Wieder mal eine sehr ironische Story über einen Erstkontakt. Die Hauptfigur fühlt sich als Held, weil sie einen neuen Reiserekord aufgestellt hat, und als überlegen, weil sie über wirkungsvolle Waffen verfügt. Aber auf der geistig-emotionalen Ebene erweist sich der Held als den Aliens hoffnungslos unterlegen. Oder er hat alles nur geträumt. Wie auch immer: eine recht unterhaltsame Story, die voller Überraschungen steckt.

21) Streng nach Vorschrift (By the Book, 1966)

Ivar Norris Gump, genannt „Ing“, ist ein Troubleshooter der Haight Company, die den Auftrag hat, andere Welten zu terraformen und zu besamen. Zu diesem Zweck werden kleine Tierbehälter zu den fremden Welten übertragen, in denen sich schlafende Tiere befinden, die wiederum Embryonen von Menschen und Tieren tragen. Das Vehikel der Übertragung ist der Winkelraum-Strahl. Der von einer Mondstation abgeschossene Strahl durchquert den Winkelraum und überwindet so die große Zahl der Lichtjahre bis zu den Exoplaneten.

Allerdings gibt es Probleme mit dem Strahl. Schon sechs Troubleshooter wie Ing sind draufgegangen, und das Problem ist weder identifiziert noch behoben. Zusammen mit seinem Vorgesetzten und Kumpel Possible „Poss“ Washington macht sich Ing an die Arbeit. Von seinem gepanzerten Schutzanzug geschützt begibt er sich in 20 km lange Strahlenröhre. Schon bald erkennt er, dass es nicht ratsam wäre, nach Vorschrift vorzugehen. Andererseits hat das Haight-Handbuch immer recht…

Mein Eindruck

Eine typische ANALOG-Story: von Ingenieuren für Ingenieure. Wohl dem, der mit diesem Technojargon etwas anfangen kann. Der deutsche Übersetzer Ronald M. Hahn hatte 1985 wohl auch seine Probleme damit. Es ist auch nicht sonderlich hilfreich, dass die damalige deutsche Sprache inzwischen teilweise unverständlich geworden ist. Wer weiß denn noch, was „auf links drehen“ bedeutet? Es bedeutet „etwas umstülpen“, beispielsweise eine Jeanshose.

22) Jeder Floh hat seine Flöhe (The Featherbedders, 1967)

Das Schiff der Slorin ist über der Erde abgeschossen worden, aber nicht von den Erdlingen, sondern von einer unbekannten Macht, die die Erde bereits infiltriert hat. Nur vier Slorin überleben, darunter Smeg. Da sein wahrer Name sieben Silben lang ist, halten ihn seine Artgenossen für den weisesten und erfahrensten von ihnen. Folglich darf er sich fortpflanzen. Weil sie alle polymorph sind, können sie auch die Gestalt von Menschen annehmen. Smeg nennt seinen Sohn zur Tarnung „Rick“.

Smeg und Co. suchen nach anderen Überlebenden – und nach Kriminellen. Oberstes Gebot: Bloß nicht auffallen! Doch wie es scheint, hat ein anderer Slorin gegen dieses Gebot verstoßen: eine Gemeinde mit der Verbrechensrate null – kann das sein? Smeg und sein Sohn Ricky, getarnt als Landvermesser oder so, fahren nach Wadeville irgendwo in den Südstaaten, wo der Zustand der Straßen unter aller Kanone ist.

Im Gespräch mit einem Farmer namens Joshua Painter erfährt Smeg zu seiner Bestürzung, dass der hiesige Sheriff alle Bürger unter seine Kontrolle gebracht hat. Als Telepath beherrscht er ihre Gedanken, aber er geht noch weiter: Er nimmt die Angehörigen von Gesetzesbrechern als Geiseln.

Smeg wird schnell klar, dass er etwas gegen diesen selbstherrlichen Slorin unternehmen muss, der sogar Ricky unter seine Kontrolle bringen kann. Sein wahrer Name lautet Pzilimin – mickrige drei Silben. Noch dazu aus der tertiären Generation. Pzilimin hat gar nichts zu melden, als Smeg ihn verhört und zurück in die Zentrale bringt.

Zurück bleiben Joshua Painter, seine sehr blonde Tochter und diverse Bürger. Endlich sind sie diese dämlichen Slorins wieder los! Sie haben nämlich das Raumschiff der Slorins vom Himmel geholt, weil sie keine Konkurrenz auf der Erde haben wollten…

Mein Eindruck

Die Vorgänger der Slorins haben sich auf der Erde gemütlich eingerichtet, wie Flöhe in einem Federbett. Da kann man keine anderen Flöhe gebrauchen, denn das sorgt für Unruhe und Aufruhr. Aber offenbar hat Pzilimin sie mit seiner Gedankenkontrolle unterjocht und eine autokratische Herrschaft errichtet – bis endlich Smeg auftaucht und dieser Herrschaft eine Ende bereitet. Die Vorgänger der Slorins, die Painters usw., freuen sich über die wiedergewonnene Freiheit.

Die Story könnte eine Parodie auf die Paranoia während des Kalten Krieges sein, kommt dafür allerdings reichlich spät. Agenten wie die Rosenbergs sind bereits hingerichtet worden, Senator McCarthy ist entmachtet worden, und die Watergate-Affäre liegt anno 67 noch in der Zukunft. Dafür sind jedoch zwei Kennedys (1963 und 1966) ermordet worden. Es fällt schwer, zwischen dem Inhalt der Story und dem ganz realen Horror politischer Morde eine Verbindung herzustellen.

Die zentrale Figur, der scheinbar rechtschaffene Sheriff mit der Verbrechensrate null, ist in den USA von 1967 keine Kultfigur mehr, sondern ein Ziel von Hass und Häme. Hier erweist er sich als Agent einer fremden Macht, die nicht entdeckt werden möchte. Was, wenn der Gesetzeshüter selbst ein Kommunist wäre? Nicht auszudenken!

23) Die Denkbombe (The Mind Bomb, auch: The Being Machine, 1969)

Palos ist eine Siedlerwelt, die bei den Touristen sehr beliebt ist. Die Einheimischen sind irgendwie schräg drauf, und eine der Ursachen dafür ist das Wirken der Seinsmaschine. Diesmal baut die von der „Zentralen Solidarität“ installierte KI einen hohen Turm, der der lokalen Kultur gewidmet sein soll, später der Kommunikation. Das ist folgerichtig, denn die KI „redigiert“ die Gedanken und Gefühle ihrer „Untertanen“.

Auch der alte Wheat macht sich so seine Gedanken, ebenso seine am Webstuhl sitzende Frau. Was zum Teufel will die Seinsmaschine jetzt schon wieder mit der Erbauung dieses Turms, den eh keiner braucht, fragt er, und seine Frau fragt bang: „Was wird sie uns diesmal wegnehmen?“ Aus der Spitze des Turms erscheint ein greller Strahl, der an den Himmel Sätze schreibt. Leider entziehen sich diese Sätze dem menschlichen Verständnis.

Zornig eilt Wheat zu der Tür, die am Fuß des Turms zu sehen ist. Im Inneren findet er sich in einer Art Zelle – ohne Ausgang. Die KI versucht mit ihm zu kommunizieren, doch am Ende hält Wheat sie nur für wahnsinnig. Die KI entschließt sich, Wheat in seinen Bestandteile zu zerlegen und mit ihm eins zu werden. Als er wieder zusammengesetzt ist, versteht er zwar besser – aber dafür ihn seine Frau für verrückt und bringt ihn zum Arzt. Der findet zwei Herzen in seiner Brust.

Der Turm stürzt ein, denn der Zweifel am Obersten Gesetz, der in der KI gekeimt ist, als sie wie Wheat zu denken begann, bedeutet, dass sie all die Opfer, die sie den „Untertanen“ abgefordert hat, bereut. Sobald der Turm eingestürzt ist, verflüchtigt sich die Gedankenkontrolle. Die Menschen stürmen die Eingeweide der Maschine und bekommen ihr Gold zurück. Wheat aber ist unwiderruflich verändert…

Mein Eindruck

Die Handlung erzählt den Verlauf einer revolutionären Befreiung. Eine vollständig regulierte Gesellschaft, die sich in Homöostase – der „Zentralen Solidarität“ – befindet, wird in eine Gesellschaft gewandelt, die sich in ständiger Entwicklung befindet, weil sie sich ihrer eigenen Unvollkommenheit und Unvollständigkeit bewusst ist. Folglich hat sie einen steten Anreiz, ein Ideal anzustreben.

Voraussetzung für diese Wendung ist die Bewusstwerdung der regulierenden KI. Diese Bewusstheit ergibt sich erst aus der Verschmelzung, der maximalen Begegnung und dem intimsten Dialog, mit Wheats Bewusstsein. Nun erst kann die KI ihre eigene Programmierung hinterfragen und das in sich stimmige kybernetische System aus Befehlen und Gesetzen in Zweifel ziehen und ändern.

Es ist eine schöne Erzählung, doch in vielerlei Hinsicht zeigt sich die Kommunikation abstrakt bis zur Unverständlichkeit – mit voller Absicht. Wäre der Leser Wheat, würde er die Aussagen der Maschine unbegreiflich finden. Namen wie Jesus Christus würden nichts bedeuten, nicht nur weil dieser Mensch in ferner Vergangenheit gelebt hat, sondern weil auch er ein Befreier war – und die lehnen die Erbauer der Maschine grundsätzlich ab.

24) Saatgut (Seed Stock, 1970)

Schon seit drei Jahren existiert die menschliche Kolonie auf diesem namenlosen Planeten, doch nicht alles ist zum Besten bestellt. Die Techniker und Wissenschaftler wollen nämlich eine zweite Erde schaffen, ein Unterfangen, das immer wieder zum Scheitern ihrer Versuche führt. Die Saat geht ein, das Wasser ist oft giftig, nur die Luft ist halbwegs atembar.

Kroudar ist der hässliche Anführer der Fischer. Er hat als einziger daran gedacht, Boote zu bauten, Netze zu weben und die Trodi-Schwärme zu befischen. Diese sind jetzt eine wichtige Eiweißquelle. Aber bald werden die Schwärme weiterziehen, und was dann? Es ist Honadi sehr dankbar, dass sie ihn geheiratet und mit ihm zwei Kinder bekommen hat. Sie arbeitet als Hydroponiktechnikerin, züchtet also irdisches Gemüse. Zum Glück hören die Techniker mittlerweile auf ihre verständigen Ratschläge, denn sie kennt noch viel Wissen ihrer indianischen Vorfahren – und natürlich das von Kroudar.

Heute Nacht zeigt sie ihm ein Geheimnis: einheimischen Mais. Er sieht so hässlich aus wie ihr Mann, ist aber wenigstens genießbar – er hat das daraus gebackene Brot gegessen. Er verrät ihr auch ein Geheimnis: Er muss den Schwärmen acht Tage lang folgen. So lange war er noch nie draußen. Aber eines ist sicher: Entweder passen sich die Menschen an, oder diese Welt bringt sie um.

Mein Eindruck

Eine typische Story für das Magazin ANALOG: weltumspannend, technikorientiert, hoffnungsvoll. Der besondere Dreh, den der Autor beiträgt: Die technizistischen Utopien der ANALOG-Leserschaft werden allesamt scheitern, sagt er voraus. Denn die Techniker und Wissenschaftler können nie alle Eventualitäten vorhersehen und Bedingungen ausrechnen, auf die die Siedler treffen werden. Ein grundlegendes ökologisches Bewusstsein ist eben vonnöten – und die ultimative Öko-Welt, die Herbert beschrieben hat, ist Arrakis, der Wüstenplanet.

25) Komm zu mir, mein Mörder! (Murder Will In, 1970)

Das symbiotische Alien Tegas/Bacit hat den alten Körper von William Bailey bewohnt, doch jetzt ist Bailey durch ein Euthanasieprogramm der neuen Regierung getötet worden. Roboter wie die Gesetzniks streifen durch die Stadt, und weitere Computerprogramme suchen nach auffälligen Verhaltensmustern – sie sind dem Tegas auf der Spur. Da kein neuer Wirt in der Nähe, breitet sich in ihm Panik aus: noch fünf Minuten, bis der tote Bailey-Wirt zum Gefängnis wird!

Da, ein anderes emotionales Zentrum! Der Tegas wagt den Sprung – und landet in dem Körper des 71-jährigen James Daggett. Doch wer oder was ist Daggett? Wie sich herausstellt, ist auch Daggett ein Kandidat im Euthanasiezentrum und bald mausetot. In letzter Sekunde gelingt dem Tegas der Sprung auf einen gewissen Joe Carmichael, doch mit diesem Menschen hat es eine ganz besondere Bewandtnis: Er hat sein wahres Ich jahrelang unterdrückt und sieht nun in der Übernahme durch den Tegas eine Gelegenheit, sein Ich in einer Dreiergemeinschaft – zusammen mit dem Bacit – zu befreien.

Doch Carmichael ist nur der unterwürfige Untergebene des brutalen Gesetzeshüters Vincintelli. Der ist der Spur des Tegas gefolgt und vermutet ihn nun im Gehirn von Carmichael, den er von Gesetzniks abführen lässt. Doch statt den Tegas hervorlocken zu können, sieht sich Vincintelli schon bald selbst einem Angriff ausgesetzt. Zwar sind autoritäre, gefühllose Menschen gegen den auf emotionaler Ebene tätigen Tegas gefeit, doch der Tegas einen Weg, in den Gefühlspanzer Vincintellis eine Bresche zu schlagen…

Mein Eindruck

Obwohl der Text 1970 veröffentlicht wurde (und garantiert nicht in ANALOG), erinnert er doch durch den Aspekt der Alien-Invasion sehr an Philip K. Dicks und Heinleins Erzählungen und Romane über die „Invasion der Körperfresser“ bzw. „Die Marionettenspieler“. Diese beruhen auf der US-amerikanischen Paranoia vor den Kommunisten bzw. deren Spionen. Vincintelli steht hier also für die damalige Hexenjagd.

Doch sein Gegner ist auf emotionaler statt ideologischer Ebene tätig und daher sehr schwer zu fassen. Tatsächlich wird der Tegas sogar von emotional unterdrückten Menschen wie Carmichael willkommen geheißen. Die Handlung führt über Dick, Heinlein und Finney hinaus, indem die Verwundbarkeit des autoritären Alienjägers bloßgelegt wird…

Roboter werden hier als „Androiden“ bezeichnet, was nach Philip K. Dicks Definition von 1973 grundfalsch ist. Siehe auch „Blade Runner“, der auf Dicks Roman „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ aus dem Jahr 1968 beruht: Dort werden Androiden als Replikanten bezeichnet und sind weit entfernt von Isaac Asimovs programmierbaren Robotern.

26) Transit für einen Flügel (Passage For Piano, 1973)

Margaret Hatchell ist nervös: Ihr Mann Walter ist der Chefökologe auf dem Siedlerflug zum Planeten C. Da sein Vorgesetzter verunglückt ist, muss er nun die ganze Arbeitslast tragen und ist folglich selten zu Hause. Dabei könnte sie ihn dringend gebrauchen: Ihre größte Sorge gilt nämlich nicht ihrem Töchterchen Rita, einer begeisterten Insektenforscherin, sondern ihrem blinden Sohn David, der entmutigt und zurückgezogen auf die Aussicht, jahrelang zu einer fremden, weit entfernten Welt zu reisen, reagiert hat. Aber was ist der Grund dafür?

Sie lässt David von einem Psychologen des Raumfahrtunternehmens untersuchen. Dieser stellt ein ernstzunehmendes Problem fest: David ist ein Pianist, aber völlig auf den großen Flügel fixiert, den er von seinem Großvater Maurice, einem berühmten Konzertpianisten, geerbt hat. Es gäbe Abhilfe. Aber wie soll man einen Flügel, der eine halbe Tonne wiegt, an Bord eines Raumschiffes schaffen, auf dem jedem Siedler nur sieben Pfund an Gepäck gestattet sind? Aber wie soll Margaret das Walter beibringen, geschweige dies durchsetzen, selbst wenn Davids Leben davon abhinge?

Doch als sie sich insgeheim einer der anderen Siedler anvertraut, stößt sie unverhofft auf eine Komplizin, die sich dafür einsetzt, dass eine solidarische Aktion unter den Siedlern den Transport des Flügels (über 1400 amerikanische Pfund!) in Gang kommt. Schließlich hält aber einer der angefragten Siedler nicht dicht, sondern verrät die ganze Verschwörung an den Direktor. Der gibt natürlich als erstes Walter eins auf die Mütze, bevor er sich Margaret zur Brust nimmt.

Doch Margaret ist inzwischen vom Ingrimm einer Mutter erfüllt, die um eines ihrer Kinder bangt. Da beißt selbst der Herr Direktor auf Granit. Als dann auch noch David Zugeständnisse macht (Holz gibt es schließlich ja auch auf Planet C), wird die Verschwörung flugs legalisiert…

Mein Eindruck

Die Handlung demonstriert, dass Idee und Methoden der Ökologie bereits auf der Erde praktiziert werden müssen, soll dem Siedlerprojekt Erfolg beschieden sein. So wie auf Arrakis die Fremen hinsichtlich der ökologischen Bedingungen härteste Vorgaben seitens ihrer Umwelt erfüllen müssen, um überleben zu können, so sehen sich auch die Siedler des Raumflugs zum Planeten C gezwungen, ihre Eigeninteressen hintanzustellen, um auch dem scheinbar unbedeutendsten Teilnehmer ein Mitkommen zu ermöglichen. So etwas wie einen „Klotz am Bein“ gibt es für wahre Ökologen nicht. Die Fremen, die nur als Gemeinschaft überleben, indem sie harte Regeln befolgen, würde sich darüber einen Ast lachen.

Andererseits scheint mir die Prämisse auf tönernen Füßen zu stehen. Das Reisegewicht spielt nur dann eine ausschlaggebende Rolle, wenn man von der Erdoberfläche aus startet (wie es die Illustration zeigt). Heute wäre niemand mehr so blöd, ein Raumschiff nicht in der Umlaufbahn zu beladen. Ein paar Fährenflüge, und voll ist das Schiff. Es kann losgehen.

27) Der Spielautomat (Gambling Device, 1973)

Hal Remsen hat gerade Ruth geheiratet, ist aber falsch abgebogen und landet mit seinem Wagen nun vor dem „Desert Rest Hotel“. Es sieht nicht sonderlich einladend aus, aber es wird schon dunkel. Leider ignoriert er den Hinweis „Glücksspiel verboten“ und das wird ihn teuer zu stehen kommen. Seine Braut Ruth hat gleich ein ungutes Gefühl. Als der alte Hoteldiener ihr Gepäck nach oben in die vierte Etage bringt, entdeckt Ruth zu spät, dass der Türgriff auf der Innenseite der Zimmertür fehlt. Sie sind eingesperrt! Und ein Sprung aus dem hochgelegenen Fenster würde auch nicht helfen.

Da ertönt eine tiefe Stimme aus dem Off. Dieses Hotel sei der Prädestination gewidmet und Glücksspiel daher strengstens verboten. Vorherbestimmung, fragt sich Hal beklommen und denkt daran, dass er jetzt am liebsten in der Hotelbar einen Drink nehmen würde. Gesagt, getan: Die Zimmertür öffnet sich und der Lift bringt sie ins Foyer. Dort ist bereits eine große Menschenmenge versammelt – ein gelinder Schock. Die angsterfüllte Ruth krallt ihre Fingernägel in Hals Oberarm.

Jemand, der an Glücksspiel gedacht hat, sinkt leblos zu Boden. Ruths Fingernägel krallen tiefer. Hal sollte schnellstens eine Lösung des Problems einfallen lassen. Als professioneller Problemlöser seiner Firma fällt ihm was ein: Er wirft eine Münze, dann noch eine. Die Wirkung ist verblüffend…

Mein Eindruck

Eine augenzwinkernde Erzählung darüber, wie sich die mythische Macht der Vorherbestimmung austricksen lässt. Die Geschichte ist flott erzählt, endet mit einer feinen Pointe, und wenn man die Gefühle der Braut teilt, so ist die Handlung auch recht furchteinflößend.

28) Begegnung an einem einsamen Ort (Encounter in a Lonely Place, 1973)

Der Chronist sitzt mit dem alten Cranston auf einem verlassenen Dorfplatz irgendwo in Kalifornien. Unser Mann vor Ort liest gerade eine Fachzeitschrift über Außersinnliche Wahrnehmung, und Cranston nimmt dies zum Anlass, ihm eine Anekdote zu erzählen. Diese Erinnerung belegt, dass Cranston tatsächlich ASW nutzen kann. Nicht dass es ihm viel genützt hätte. Damals verjagte er mit der Demonstration seines „Gedankenlesens“ das norwegische Au-pair-Mädchen Olna.

Wenn man vom Teufel spricht: Da erscheint Olna, ein wenig älter und stämmiger, vor ihren Augen, um auf dem Postamt einen Brief abzuholen. Wieder macht Cranston einen ungeschickten Fehler: Er gibt der Frau seines Herzens Ratschläge, die auf dem basieren, was sie gerade in dem Brief gelesen hat. Sie gerät wieder in Panik und schimpft ihn einen Cottys – einen Dämon, der Jungfrauen verführt, um ihre Seelen zu rauben. Mit Nachdruck macht sie das altbekannte Fingerzeichen gegen das Böse, das Doppelhorn des Teufels.

Unser Chronist kommt zu dem Schluss, dass Cranstons Fähigkeit echt ist und publiziert gehört. Cranston nennt nun ihn einen Trottel und wehrt sich mit Händen und Füßen gegen dieses Ansinnen. Denn dann bekäme er sein Mädel nie wieder zu Gesicht…

Mein Eindruck

Eine melancholische Liebesgeschichte, verbunden mit dem Begriff der Telepathie bzw. der Hellseherei – daraus bezieht diese zarte Geschichte ihre emotionale Wirkung. Der Autor war damals schon über fünfzig Jahre alt und wusste sehr viel über Liebe, Familie und die Werte, die diese Beziehungen zusammenhalten. Dass Liebe eine sehr private Angelegenheit ist, macht Cranstons Gesprächspartner sehr deutlich.

Der Autor hat nur selten über seine tiefe Liebe zu seiner Frau Beverly gesprochen, wie seiner Biografie „Dreamer of DUNE“ entnehmen kann. Aber Sie war eine eminent wichtige Mitarbeiterin, wenn es darum ging, zentrale Ideen etwa in den „DUNE“-Romanen auszuarbeiten und zu formulieren.

29) Der Tod einer Stadt (Death of a City, 1973)

Der Stadtarzt ist mit seiner Auszubildenden Mieri auf diese Welt gekommen, um die zu behandelnde Stadt zu begutachten. Zufällig (oder auch nicht) stammt Mieri aus der schönen Stadt, die sich selbstgefällig an der Meeresküste ausbreitet. Zufällig ist sie mindestens genauso schön wie ihre Heimatstadt. Und das ist das in den Augen des Arztes ihr Problem: Als Ärztin sollte sie sich nicht mit dieser Stadt identifizieren, sondern ein Mindestmaß von Objektivität bewahren. Mit geschickten Fragen und Bemerkungen führt er Mieri zu diesem Ziel.

Und was nun? Sollen sie dies Stadt auslöschen lassen? Dazu fällt Mieri etwas Besseres ein, und sie beginnt, sich ihrer lästigen Kleider zu entledigen…

Mein Eindruck

„Make love, not hate“, könnte man die Aussage der Geschichte zusammenfassen. Die Dialogform erinnert stark an Isaac Asimovs schwafelnde Figuren. Das Fehlen einer Handlung wäre ein Grund, sich zu langweilen, wenn da nicht die Spannung zwischen dem Stadtarzt – eine ganz neue Berufsbezeichnung! – und der jungen, voreingenommenen Mieri wäre. Zudem erzeugt die Frage, ob die Stadt zerstört werden soll, eine gewisse Spannung.

Worin besteht das Verbrechen der braven Stadtbewohner, fragt sich der Leser verwundert. Es ist die Selbstzufriedenheit, die in Fremdenhass ausgeartet ist, die die jungen kreativen Leute veranlasst hat, sie zu verlassen. Diese Heuchelei wird auch in Ursula Le Guins umstrittener Geschichte „The Ones Who Walk Away From Omelas“ angeprangert: Die selbstgerechten Omelasaner sind stolz auf sich, doch die Andersdenkenden verschmachten in ihren Kerkern. Hass vs. Liebe – was ergibt sich daraus? Make love, not hate.

30) Frösche und Forscher (Frogs and Scientists, 1985)

Zwei Frösche sitzen an einem Teich und betätigen sich als scharfe Beobachter der menschlichen Zweibeiner. Als eine junge Frau sich ihrer „zweiten Haut“ entledigt, um in dem Teich zu baden, ist dem älteren Frosch völlig klar, dass sie dies nur tut, um ein Männchen anzulocken, das sie bestimmt gerade beobachtet. Es liegt auf der Hand, oder?

Mein Eindruck

Die kleine Szene nimmt die induktive Logik von Beobachtern auf die Schippe, die sich als „Forscher“ bezeichnen: Nur weil sie in einen simplen Vorgang etwas hineingeheimnissen, muss diese Theorie noch längst nicht stimmen. Außerdem maßen sich die Amphibien an, über eine ganz andere Spezies, nämlich Menschen, zu urteilen und deren Beweggründe zu kennen. Doch, das einzige, was sie erkennen, sind sie selbst, nämlich weitere Beobachter. Eine der schlauesten Geschichten des Meisters.

Die Übersetzung

Da die Übersetzungen von neun verschiedenen Personen angefertigt wurden, kann man keinem davon eine besondere Schuld an den vielen Fehlern zuweisen.

Ich fand Fehler auf folgenden Seiten: 12, 31, 94, 95, 99, 106, 122, 171, 328, 428, 735, 736, 867. Weitere Fehler zählt meine Besprechung zum Erzählband „Auge“ auf.

S. 122: „sie brauchte die ganze Nacht, um in Sicherheit des Zaunes zu kommen…“: gemeint ist aber nicht „in Sicherheit“, sondern „in Sichtweite“! Das erklärt das Fehlen des bestimmten Artikels „in DIE Sicherheit“.

Unterm Strich

Die 30 Geschichten selbst sind von unterschiedlicher Qualität und oftmals von politischer Thematik. Sie stellen den Autor, der ja lange Jahre als Reporter gearbeitet hatte, als vorausdenkenden Mann dar, der den Finger am Puls der Zeit hatte. Anfangs spielen die Geschichten vielfach vor dem Kalten Krieges, dessen verdrehte Logik demontiert wird.

In den sechziger Jahren kommen Ideen wie Ökologie auf, denn 1963 konnte der Autor endlich das komplette DUNE-Manuskript verkaufen. Dennoch versuchte der Autor, seinem Stammblatt ANALOG treu zu bleiben und Ingenieure als Leser zu halten.

Das engte ihn aber thematisch stark ein, wie die späteren Storys zeigen: Im „Magazine of Fantasy and Science Fiction“ fand der Autor einen viel passenderen Publikationsort, und hier konnte er sogar Humor und menschliche Wärme vermitteln. Ohne seine eigenen, sehr intensiven Familienerfahrungen – die von seinem Sohn Brian in „Dreamer of DUNE“ berichtet werden – hätte Herbert eine Erzählung wie „Transit für ein Piano“ nicht glaubwürdig schreiben können.

Für wen sich das Buch eignet

Zweifellos handelt es bei diesem Buch um ein Sammlerstück, das nicht nur für DUNE-Fans einen hohen Wert besitzt.

Taschenbuch: 889 Seiten
Originalausgabe.
Aus dem Englischen von diversen Übersetzern.
ISBN-13: 9783453079533

www.heyne.de

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