Fred E. C. Culick/Spencer Dunmore – Den Himmel stürmen. Die Gebrüder Wright und der Wettlauf um den ersten Motorflug

Culick Dunmore Himmel Cover kleinDie Frühgeschichte der motorisierten Luftfahrt wird am Beispiel der beiden Pioniere Wilbur und Orville Wright rekonstruiert. Obwohl die Darstellung ein wenig zu US-zentriert ist, bietet das Autorenduo nicht nur einen informationsreichen, gut geschriebenen Text, sondern ergänzend moderne und zeitgenössische Fotos von ausgezeichneter Qualität: ein Bild- und Bildungs-Buch der Oberklasse.

Denkmal für zwei störrische Genies

Am 17. Dezember 2003 waren einhundert Jahre verstrichen, seit sich der Mensch zum ersten Mal in einem Fluggerät in die Lüfte erhoben hatte, das dabei nicht von monströsen Gas- oder Heißluftballons, sondern durch eine ausgeklügelte Maschinenkonstruktion getragen und durch Motorkraft angetrieben wurde. Die Brüder Wilbur und Orville Wright hatten das erste echte Flugzeug entwickelt und damit eine weitere Revolution der ohnehin an technischen Sensationen nicht armen Ära vor und nach 1900 in Gang gesetzt.

Bis es so weit war, verstrichen lange, mühselige und nur an Rückschlägen reiche Jahre für die Wrights. Ihren Weg in den Olymp genialer Erfindergestalten zeichnet der hier vorgestellte Prachtband nach, der damit Licht in ein bisher zumindest hierzulande wenig bekanntes Kapitel der Weltgeschichte bringt. Während die Urzeit des Automobils ausgiebig gewürdigt wurde und wird, da es schließlich in Deutschland erfunden wurde, gibt es über die Anfänge des Motorfluges weitaus weniger Informationen. Wie Fred Culick und Spencer Dunmore berichten, ist das nur zum Teil durch die üblichen national(istisch)en Vorurteile zu begründen: Die Gebrüder Wright waren arge Geheimniskrämer und Sturköpfe, die sich ungern von der stets lauernden Konkurrenz in die Karten schauen ließen, selbst (oder gerade) wenn diese aus dem eigenen Land kam.

Orville und Wilbur waren trotz ihrer Namen, die Walt Disney nicht besser hätten einfallen können, Erfinder und Pioniere eines Typs, der schlecht zur Verehrung und Verklärung taugt: Nüchtern und scheinbar humorlos, penibel und korrekt bis zur Pingeligkeit waren sie und gar nicht liebenswert verschroben und trotzdem genial. Ihren Triumph mussten sie sich hart erarbeiten, was die Geschichte des Wrights zum (für die Fun-Generation wahrscheinlich ungeliebten) Paradebeispiel für die alte Weisheit macht, dass Erfolg nicht vom Himmel fällt, sondern auf Erden mit viel Schweiß und – im Falle der Wrights – manchmal Blut zu erringen ist.

Der harte Griff der Schwerkraft

So hatten Culick und Dunmore ein schweres Stück Arbeit vor sich, als sie sich daranmachten, die wahre Geschichte des ersten Motorflugs aus einem Gewirr von Mythen und Halbwahrheit zu befreien. Glücklicherweise waren Wilbur und Orville zwar schweigsam, aber sehr genau beim Führen ihrer technischen Tagebücher. Und weil sie in den USA lebten, wo die Vergangenheit kaum zweieinhalb Jahrhunderte zurückreicht, hat man die kargen Monumente der stolzen Himmelsstürmer sorgsam bewahrt und pflegt sie als nationale Heiligtümer. Viele moderne, großformatige Fotos, oft historischen Aufnahmen desselben Motivs gegenübergestellt, ermöglichen eine ebenso informative wie faszinierende Zeitreise.

Heute machen sich die meisten Menschen kaum Gedanken darüber, wie unerhört kompliziert es ist, sich in der Luft zu erheben und dort auch zu bleiben: Die Regeln sind inzwischen bekannt, und wenn man sie beachtet, kann man auch Flugmaschinen von Schlachtschiff-Größe an den Start bringen. Aber viel von dem Wissen, auf das sich die Techniker heute blind stützen können, verdanken sie Pionieren wie den Gebrüdern Wright, die auf die harte Tour durch Versuch und Irrtum lernen mussten. „Den Himmel stürmen“ bietet auch einen Anfänger-Kurs in Sachen Flug-Physik – aber keine Sorge: Die Lektionen bleiben kurz und sind großzügig bebildert …

Schwerer taten sich die Autoren mit dem amerikanischen Hang zur Heldengeschichte. Nicht einmal der kaum verhohlene Versuch, Wilbur und Orville zu einer Art doppelten Jimmy Stewart zu stilisieren, kann verbergen, dass diese Männer nicht zu großen Gesten neigten, unnötige Risiken verabscheuten, sehr selbstbewusst auftraten aber gleichzeitig reserviert blieben, selbst als die Wogen des Erfolgs über ihnen zusammenschlugen. Eine echte Landjungens-zeigen‘s-den-arroganten-Stadtpinkeln-Story, wie sie die Amerikaner (und Hollywood) lieben, reicht es daher nicht. Wohl nicht ohne Grund gibt es Filmklassiker über Thomas A. Edison, Alexander Graham Bell oder Charles Lindbergh, aber nicht über die Wright-Brüder, die sich weigerten, am Sabbat zu fliegen, oder es – wie unamerikanisch – ablehnten, sich im sportlichen Wettkampf mit anderen Piloten zu messen.

Ein windiger Tag im Dezember 1903

Auch die Kulisse, vor dem das Geschehen spielte, war nicht gerade spektakulär: Kitty Hawk ist noch heute ein ödes, baum- und strauchlosen, windumtostes Loch irgendwo im abgelegenen North Carolina – auch dies ein Tribut an die Sache, ein Flugzeug in die Luft zu schicken, nicht mehr und nicht weniger, ohne Gedanken an den Nachruhm zu verschwenden. Den Höhepunkt des vorliegenden Bandes bilden trotzdem die Ereignisse des historischen Dezembers von 1903. Bis ins Detail rekonstruieren die Autoren diese aufregenden Tage und tun vielleicht sogar ein wenig zu viel des Guten: Die Wrights tasteten sich systematisch in den Himmel empor; Quantensprünge waren nicht vorgesehen und blieben daher aus, aber auch spektakuläre Katastrophen gab es nicht, weil Wilbur und Orville sich so nüchtern an ihre Pläne hielten.

Wirklich spannend wurde die Wright-Story eher später: Sobald die eigentliche Herausforderung gemeistert war, verselbstständigte sich der Motorflug, den die Brüder jetzt so gern für sich monopolisiert hätten, um die Früchte ihrer Arbeit zu ernten. Natürlich waren die Wrights beileibe nicht die einzigen Pioniere auf ihrem Gebiet. Culick und Dunmore schildern die motorlosen Flugaktivitäten wagemutiger Männer vor 1903 – mit Otto Lilienthal wusste auch das Deutsche Reich sein gewichtiges Scherflein beizutragen -, um dann auf eine hektische Entwicklung einzugehen, die von den Wrights zwar in Gang gebracht und in der ihnen trotzdem nur eine Rolle unter vielen neuen Mitspielern zugebilligt wurde.

Im richtigen Leben geht es selten gerecht zu, die Geschichte der Gebrüder Wright bildet da keine Ausnahme. Obwohl sie erst nach Kitty Hawk Flugzeuge zu konstruieren begannen, die auch heute noch den Laien durch ihre bis ins Detail ausgeklügelte und der Luftfahrt optimal angepasste Technik beeindrucken, sprechen heute nur noch Historiker von den Leistungen der Brüder nach 1903. Da war der Glanz längst verblasst. Die Wrights blieben auf dem festen Boden, ließen ihre Rechtsanwälte ausschwärmen und verwickelten echte und eingebildete Nachahmer und angebliche Patentdiebe in end- und fruchtlose, zermürbende und kleinliche Rechtshändel. Lange Jahre beschränkte sich die Rolle der Wrights in der jungen Fliegerei ihres Heimatlandes darin, andere Piloten per Gerichtsbeschluss am Start zu hindern.

Historie als Drama

1910 starb Wilbur Wright, gerade 45 Jahre alt – nicht in der Luft beim Erproben eines neuen Fliegers, sondern elend im Krankenbett am Typhus, vor dem in dieser Zeit die Medizin auch nationale Helden nicht retten konnte. Orville überlebte seinen Bruder um Jahrzehnte, aber auch ihm blieb wenig mehr, als sich im Alter als Pionier der Luftfahrt feiern zu lassen. 1947 ist er gestorben, zwar nicht reich geworden aber mit dem Schicksal und denen, die nach ihm kamen und ihn beiseite drängten, immerhin ausgesöhnt.

„Den Himmel stürmen“ ist nicht nur als Sachbuch, sondern auch als Hymne an eine historische Glanzleistung zu verstehen. Einen Blick auf die eher dunklen Seiten der Wright-Story wird man daher nur ansatzweise finden. Doch Wilbur und Orville waren wie gesagt keine Erfinder-Engel auf Erden, obwohl ihre Biografen dieses Bild sacht zu vermitteln suchen. Auch die USA-lastige Geschichte der frühen Luftfahrt kann durchaus irritieren. Culick & Dunmore konstruieren einen Bösewicht; die Rolle weisen sie den Franzosen zu, die sich angeblich weigern zu begreifen bzw. nicht anerkennen wollten, dass die Vereinigten Staaten die besseren Flieger und Flugmaschinen hervorbrachten. Schließlich gibt auch die weihevolle Schilderung der Jahre nach 1909 – dieses Datum markiert den Punkt, an dem die Wrights als Leitwölfe der Flugzeug-Technik vom Rudel überholt wurden – Anlass zum Stirnrunzeln: Orville dürfte die letzten vier (!) Jahrzehnte seines Lebens kaum als lebendes Denkmal des Triumphes von 1903 verbracht haben.

Das Bildmaterial ist großartig und tröstet über solche marginalen Einschränkungen hinweg. Die Autoren haben erstaunliche Fotodokumente zu Tage gefördert. Ihrer Publicityscheu zum Trotz war den Wrights klar: Jeder gute Forscher dokumentiert sein Arbeit, um sie nachprüfbar und damit nachvollziehbar zu machen. Die Fotografie war Anfang des 20. Jahrhunderts bereits eine bekannte und daher zu einiger Vollendung gebrachte Kunst, auch wenn sie uns heute recht umständlich vorkommen mag. Doch wenn man mit den sperrigen Kameras und empfindlichen Filmen umzugehen wusste, waren die Ergebnisse erstaunlich: Hier kann man Menschen dabei beobachten, wie sie Geschichte zu schreiben, und das macht dieses Buch sowohl zeitlos als auch aufregend!

Gebunden: 176 Seiten
Originaltitel: On Great White Wings. The Wright Brothers and the Race for Flight (New York : The Madison Press Limited 2001)
Übersetzung: Heinz W. Hermes
www.randomhouse.de/heyne

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