Um bei einem nuklearen Schlagabtausch einen subtilen Vorteil zu erzielen, haben amerikanische Militärs einen – wie sie meinen – ganz besonders schlauen Plan ausgeheckt: Im Ernstfall soll eine Atombombe in einem unterseeischen Vulkan bei Hawaii gezündet werden. Man will die ungeheuren Kräfte der Tiefe freisetzen und das Inselparadies in eine Hölle aus Asche und Lava verwandeln, mit – scheinbar – exakt kalkulierter Wirkung auf die gesamte Erde.
Rachel Chindler, eine Touristin, überlebt als einzige eine Flugzeugentführung durch hawaiianische Nationalisten. Sie weiß, wer die Täter waren, und könnte ihren Anführer identifizieren. Als die Terroristen durch Zufall in den Besitz des Zünders für die unterseeische Höllenmaschine gelangen, gerät Rachel Chindler zwischen die Fronten. Eine tödliche Jagd beginnt, denn ginge die Bombe hoch, würde sich das Antlitz der Erde verändern. (Verlagsinfo)
Der Autor
Der Werbefachmann, Autor, Literaturagent und Herausgeber Frederik Pohl, geboren 1919 in New York City, ist ein SF-Mann der ersten Stunde. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg gehörte er der New Yorker „Futurian Science Literary Society“ an, bei er seine späteren Kollegen Isaac Asimov und Cyril M. Kornbluth kennenlernte. Von 1940-41 war er Magazinherausgeber, wandte sich dann aber dem Schreiben zu.
Als er sich mit Kornbluth zusammentat, entstanden seine bekanntesten Romane, von denen der beste zweifellos „The Space Merchants“ (1952 in „Galaxy“, 1953 in Buchform) ist. Er erschien bei uns unter dem Titel „Eine Handvoll Venus und ehrbare Kaufleute“ (1971/2009). Darin kritisiert er auf bissige, satirische Weise die Ausbeutung des Weltraums. Ebenso erfolgreich ist seine Gateway-Trilogie, die zwischen 1977 und 1984 erschien und von denen der erste Band drei wichtige Preise einheimste.
Handlung
Rachel Chindler, eine ausgezeichnete Bibliothekarin, ist aus St. Louis nach Hawaii gekommen, um einer Einladung des hiesigen Bibliotheksleiters zu folgen. Doch sie kommt überhaupt nicht in die Stadt, denn finstere Kapuzenmänner haben das soeben gelandete Flugzeug gekapert. Ein Schuss fällt, und offenbar ist der Kapitän erschossen worden. Rachel versucht, sich ganz klein zu machen. Esther auf der anderen Seite des Ganges beginnt bereits zu riechen: Sie ist seit Stunden tot. Auch die Stewardessen machen sich klein, während die bewaffneten Männer immer genervter mit der Gegenseite verhandeln.
Offenbar wird die letzte Forderung ebenfalls abgelehnt. Einer der Terroristen – es scheint sich um Nationalisten aus Hawaii zu handeln, die für das Ende der amerikanischen Annexion von 1898 eintreten – erschießt jetzt alle Geiseln. Gerade als sich Rachel auf das Ende gefasst macht, wendet er sich um, denn das Flugzeug startet. Und zwar ohne Genehmigung. Der Flug ist nur kurz, endet aber nicht in einer Explosion, sondern auf einer anderen, kleineren Insel als Oahu. Das Flugzeug wird gestoppt, die Männer gehen von Bord und fahren mit Jeeps weg. Rachel haben sie vergessen.
Natürlich bleibt Rachel nicht unentdeckt. Sie wird verhört, darf aber in die Staaten zurückkehren. Aber sie muss zurück, um einen der „Terroristen“ zu identifizieren. Davor ist ihr nicht bange, und am Flughafen nimmt sie sogar ein alter Professor namens David Yanami in Empfang, um sich um sie zu kümmern. Die große Gastfreundschaft der traditionellen Hawaiianer darf sie ebenfalls genießen, denn Davids 96-jährige Großmutter Kushi – die keinen Tag älter als 60 aussieht und wie ein Bär gebaut ist – veranstaltet ein Silvester-Luau, und dabei gibt es für alle was zu futtern und zu saufen. Kushi durchschaut Rachel schon nach wenigen Sätzen: Nachdem die geschiedene Frau vor 18 Jahren einen Sohn namens Stephen geboren hat, will sie mindestens noch ein weiteres Kind. David fährt Rachel zurück zu ihrem Hotel.
Project Vulcan
Am nächsten Tag fliegt David Rachel über die Inseln. Dabei stoßen sie auf eine ganze Flotte von Schiffen, die eine Art Bohrinsel umgeben. Wonach wird hier wohl gebohrt, fragen sie sich, doch gleich steigt ein Hubschrauber auf, der sie mit gewagten Flugmanövern vertreibt. Offenbar ist die Aktivität an diesem Ort geheim. Was sie nicht wissen: Es handelt sich um „Project Vulcan“ des US-amerikanischen Militärs. Es besteht darin, eine Atombombe an der Flanke eines „jungen“ Vulkans zu platzieren, der sich derzeit noch 800 m unter der Meeresoberfläche befindet, aber, wie schon seine Vorgänger, immer weiter wächst. Der Jungvulkan trägt den schönen Namen Loihi und die A-Bombe soll quasi den Stöpsel über seiner Magmakammer abreißen.
Eine Simulation
Nachdem die Gegenüberstellung mit einem der Terroristen offenbar ein Flop geworden ist, macht David sie mit einem seiner Schüler bekannt. Frank Morford ist Geologe und hat sogar Kontakte zum „Project Vulcan“. Obwohl sie der Geheimhaltung unterliegt, hat er eine Simulation erstellt, die er nun Rachel zeigt, um sie zu unterhalten. Die Simulation zeigt, was passieren kann, wenn eine Atombombe in oder an einem Vulkan wie Loihi explodieren würde. Nach vier Jahren „nuklearem Winter“ ist praktisch alles Leben auf der Erde erloschen.
Rachel ist irgendwie weniger beeindruckt als erwartet. Nun muss er einen dringenden Anruf entgegennehmen, der ihm fast 400.000 Dollar an Forschungszuschüssen einbringen soll. Rachel verabschiedet sich – sie würde in Davids Auftrag abgeholt werden. Als David später eintrifft, weiß er jedoch von nichts. Rachel ist offenbar entführt worden.
Entführt
Das Project Vulcan beruht auf dem Entwurf von Arkady Bor, einem sowjetischen Überläufer. Bor stammt wie Stalin ursprünglich aus Georgien und hat viele seiner Verwandten in den Kriegen und Säuberungen verloren. Sein jetziger Plan wird zwar die Ernten der Sowjetunion durch nuklearen Winter vernichten, aber warum sollte die UdSSR nicht ein einziges Mal auch zum Frieden bereit sein? Der CIA beäugt ihn und befragt ihn auch schon mal kritisch. Wer steckt ihm diese kleinen Botschaften auf kleinen Zetteln zu? Was wollen diese ominösen anderen?
Als ob das nicht offensichtlich wäre. Die anderen, die vom KGB, die haben Bors Tochter in ihrer Gewalt, deshalb muss er ihnen selbst noch als Überläufer noch gehorchen. Als er schließlich eine KGB-Agentin in der Nähe von Honolulu treffen muss, verläuft die Begegnung anders als erwartet: Die Frau wird von einem bulligen Mann niedergeschlagen, Arkady selbst von zwei halbstarken „Beach Boys“ in einen Lieferwagen gezerrt. Offenbar sind das keine Terroristen, weder die Maui MauMau noch die Kamehameha Boys, sondern ein Geheimdienst. Die kurze Fahrt führt zu einer Anlage, die von amerikanischer Militärpolizei bewacht wird…
Mein Eindruck
Die bemerkenswerte Rachel Chindler ist nur eine von mehreren Hauptfiguren, aber sicher diejenige mit dem bemerkenswertesten Schicksal. Sicher, da sind auch nicht David Yanami und seine Großmutter, die 96-jährige Kushi, aber auch Arkadi Bor und alle um ihn herum spielen eine wichtige Rolle. Viele Aspekte kommen multiperspektivisch dadurch: hawaiianischer Nationalismus, Terrorismus, Vulkanismus und schließlich die A-Bombe am Fuße eines Baby-Vulkans.
Aber der Leser darf den Werdegang Rachels verfolgen, weil ihm dies der allmächtige Erzähler gestattet. Rachel verändert den Lauf der Geschichte, indem sie bei der polizeilichen Gegenüberstellung den Terroristen, der sich „Kanaloa“ nennt, NICHT identifiziert. Gefragt, warum sie das unterlassen hat, sagt sie, wie wisse es nicht. Aber es wird immer der Handlung immer deutlicher, dass sie es scheut, sich in eben diesen „Lauf der Geschichte“ einzumischen. Sie ist eine denkende, mitfühlende Beobachterin, aber genau dadurch wird sie leicht zu einem Opfer der Terroristen: Sie nehmen sie als Geisel, um dadurch die US-Militärs zu zwingen, die Bombe am Loihi, von der sie durch einen Spitzel Wind bekommen haben, zu deaktivieren.
So beachtet Rachel, dass der Begriff „Terror“ sehr viele Ausprägungen und Bedeutungen annehmen kann. Tatsächlich scheint die ganze Welt voller Terror zu sein. Ihre Geiselnehmer gehen alles andere als mitfühlend mit ihr um, als sie im Haus einer gesuchten Terroristin der „Weather Men“ versteckt wird. Und dieser „Kanaloa“ ist der schlimmste von ihnen. Rachels Entführer, der junge „Lono“, stellt sich ihm entgegen, um Rachel zu beschützen.
Das Stockholm-Syndrom
Worauf die Entführer hoffen, ist das Eintreten des Stockholm-Syndroms: Es besagt, dass entführte Geiseln Verständnis und Sympathie für ihre Entführer aufbringen und ihnen sogar bei Aktionen helfen, so wie es Patty Hearst einst bei der Symbionese Liberation Army getan habe. Doch Rachel zieht es vor, sich aus allem herauszuhalten. Dass sie mit Lono geschlafen hat, verschweigt sie lieber.
Arkady Bor, der Überläufer, wäre lieber das Gegenteil von Rachel, nämlich ein aktiv tätiger Wissenschaftler. Doch nachdem die A-Bombe am Loihi in einem Bohrloch platziert worden ist, gerät er ins Zwielicht von Verdächtigungen. Man verdammt ihn zur Untätigkeit in verschiedenen Arten von Zellen. Er ist gerade noch gut genug dafür, den Zündmechanismus der Bombe zu entschärfen. Ob ihm dies gelingt, darf hier nicht verraten werden.
Auch Kushi und ihr Enkel David sind so ein Paar aus Gegensätzen: Kushi ist direkt und aktiv, sie unternimmt es als einzige, Rachel Chindler zu suchen. David schaut lieber zu, und als Mann des Wortes labert er die ganze Zeit. Insbesondere dann, als Rachels 18-jähriger Sohn Stephen auf die Insel kommt und behütet werden soll. Stephen hat auf dem Festland eine Freundin und würde gerne wieder zu ihr zurückkehren, aber die herrschenden Mächte haben anderes mit ihm vor.
Showdown
Es gibt drei riesige Vulkane auf den Insel des Hawaii-Archipels: Mauna Loa, Mauna Kea und der sehr aktive Kilauea. Wie alle sachlichen Hintergründe wird auch der Vulkanismus in diesen drei Bergen detailliert vorgestellt. Der Erzähler weiß alles über Satelliten, A-Bomben, Captain Cooks Tod anno 1778 und natürlich die Geschichte von Hawaii. Das ist in jedem der eingeschobenen Hintergrundkapitel deutlich zu erkennen. Ich fühlte mich als Leser bestens informiert. Zwar auf dem Stand des Jahres 1985 (der Roman erschien ein Jahr später), aber der Autor geizt nicht mit Fakten, die mich in den Zustand leichten Grauens versetzten, etwa bei der Schilderung des Nuklearen Winters.
Mauna Kea ist derjenige Berg, auf dem nicht nur alle astronomischen Observatorien stehen, sondern auch der Showdown stattfindet. Rachel wird ebenso hinaufgefahren wie Stephen, ihr Sohn. Die Terroristen haben herausgefunden, dass sich ein Teil des Zündmechanismus für die Loihi-Bombe hier oben befindet. Wer diese Auseinandersetzung überlebt und vor allem, wer nicht, darf hier nicht verraten. Aber dieses Finale ist eines Spionage-Thrillers durchaus würdig. Und kein Jason Bourne weit und breit.
Die Übersetzung
Die Übersetzung ist sehr gut gelungen. Insbesondere die zahlreichen Fachausdrücke aus Geologie, Atomphysik und Politik, von hawaiianischen Eigenheiten ganz zu schweigen, wurden verständlich und korrekt ins Deutsche übertragen. Aber es gibt wie immer ein paar Fehler, denn ein Übersetzer von Taschenbüchern musste damals (ca. 1989) wirklich schnell und effizient arbeiten, um auf seinen Schnitt zu kommen.
S. 34: Ein Buchstabendreher: „[sie] akezptierte es…“
S. 37: “Sie schafften die Regentschaft der Könige [auf Hawaii] ab (die die [der] Amerikaner im Namen des Königs dafür übernahmen)“: Das Wörtchen „der“ fehlt. Diese Aussage des Erzählers weist übrigens schon auf die kuriosen Begleitumstände des Herrschaftswechsel von hawaiianischen Königen hinzu US-amerikanischen Gouverneuren der Republik hin.
S, 72: “nur wenige Augenblicke der Einbringung“: Es geht um Satelliten, die die Erdoberfläche abtasten. Aber was da genau „eingebracht“ wird, ist unklar.
S. 81: “Psikuschka“: wird nicht erklärt. Ein Hinweis findet sich auf Reddit: „Institution der Antipsychiatrie“. Der Überläufer Arkadi Bor verwendet ständig russische Begriffe, aber die wenigsten werden erklärt, sondern als bekannt vorausgesetzt.
S. 91: In dieser Passage legt der Erzähler den zeitlichen Ablauf der Entwicklung der Atombombe dar. Leider geht er dabei mit den Abständen zwischen Phasen sehr nachlässig um.
1913: Sachbuch „The World Set Free“ von H.G. Wells, gelesen von Leo Szilard.
„20 Jahre später“ = 1933: Szilard kommt zum Schluss, dass eine solche A-Bombe gebaut werden könnte.
„20 Jahre später“ 1953: Die erste A-Bombe wird gezündet.
Man sieht: die Zählung haut so nicht hin, denn bekanntlich wurde die erste A-Bombe im Jahre 1945 gezündet, in der Wüste bei Los Alamos. Oppenheimer musste wissen, ob der Entwurf – es gab zwei – auch funktionierte, also ließ er ihn testen.
S. 131: Hier fehlt ein Wort: „Tunnel, der unter [einem] ganzen Hektar Fläche beweglicher Spiegel…“ Das Wort „einem“ fehlt.
S. 225: “als er gera[d]e auf“: Das D fehlt.
S. 262: “im engli[s]chen Plymouth“: Das S fehlt.
Unterm Strich
Dies ist keiner der üblichen Spionage-Thriller, wie sie Randomhouse/Heyne dutzendweise verlegt hat. Erstens gibt es keinen Haupthelden, der die Welt rettet. Zweitens wird der Leser durch die multiperspektivische Erzählweise in die Lage versetzt, das Phänomen „Terror“ aus vielen Blickwinkeln zu beurteilen. Terror wird von den Nationalisten ebenso ausgeübt wird vom US-Militär. Die Generäle können sich stets auf das Kriegsrecht berufen, und schon sind ihnen alle Menschen ausgeliefert.
Die Generäle haben auch den teuflischen Plan ausgeheckt, den Sowjets mit einem Nuklearen Winter zu drohen. Eine Atombombe am Loihi-Vulkan würde die Vernichtung der meisten Ernten bedeuten, auch in Kanada. Die Pointe besteht darin, dass auch die Sowjets diese Idee haben, und so geht das Wettrüsten immer weiter.
Glücklicherweise ist all dies nur Hintergrundmusik, vor dem Figuren wie die rätselhafte Rachel Chindler, ihr Betreuer David Yanami, seine Großmutter und der sowjetische Überläufer versuchen, das beste aus ihrem Schicksal zu machen. Es lohnt sich, in diese Figuren Emotionen zu investieren, denn nur dann können sie sich in der Krise, die auf dem Mauna Kea stattfindet, bewähren. Der Autor ist schlau genug, die Erwartungen des Lesers zu unterlaufen; mich hat er jedenfalls ausgetrickst.
Wer Action wie bei Jason Bourne sucht, sollte woanders suchen. Wer jedoch eine kurzweilige, aber keineswegs flache Geschichte mit sympathischen Charakteren sucht, die sich in einer bedrohlichen Krise bewähren, der ist hier an der richtigen Adresse. Natürlich ist dies kein Weltentwurf, aber die Fakten, die der Erzähler auftischte, waren mir schon gruselig genug. Wer schon immer wissen wollte, wie eine Wasserstoffbombe funktioniert, wird hier verständlich informiert.
Taschenbuch: 284 Seiten
O-Titel: Terror, 1986
Aus dem US-Englischen von Ralph Tegtmeier .
ISBN 978-3453042865
www.heyne.de
Der Autor vergibt: