Gabaldon, Diana – Meer der Lügen, Das

Diana Gabaldon dürfte eigentlich jedem Büchernarr zumindest vom Namen her ein Begriff sein, denn ihre Highland-Saga um Claire Randall und James Fraser schuf Millionen begeisterter Fans und erreichte eine Auflage von über drei Millionen Exemplaren allein in Deutschland. Gabaldon, 1952 in Williams, Arizona, geboren, war vor ihrer Schriftstellerkarriere Honorarprofessorin für Tiefseebiologie und Zoologie an der Universität von Arizona. Sie schrieb den ersten Band der Saga, „Feuer und Stein“, eigentlich nur zum Üben, konnte nach dessen Erscheinen allerdings das Schreiben zum Beruf machen.
Während ihre Anhänger auf den sechsten Band warten, präsentiert sie inzwischen mit „Das Meer der Lügen“ – das seine Weltpremiere in Deutschland erlebt – den Auftakt zu einer neuen Romanreihe. Die Hauptfigur ist ein alter Bekannter: Lord John Grey, ein treuer Freund und langjähriger Briefpartner von James Fraser. Jedoch sei schon mal vorweggenommen, dass es sich nicht um den Beginn einer neuen Schottland-Saga handelt, sondern der Leser hier in einen äußerst verzwickten Kriminalfall hineingerät.

Wir treffen auf Lord John Grey im Jahre 1757 in London, kurz nach seiner Rückkehr aus dem schottischen Zwangsexil. Genauer gesagt, kommt er gerade in den zweifelhaften Genuss, bei dem Verlobten seiner Cousine Joseph Trevelyan während eines intimen Bedürfnisses Syphilis zu entdecken – oder diese Krankheit zunächst einmal zu vermuten. Verständlich, dass diese Vermutung ihre Bestätigung verlangt, was jedoch nicht das Einzige ist, was Grey das Leben schwer macht.
Denn außerdem ist einer seiner Soldaten bei einer Rauferei zu Tode gekommen und bei dem pflichtgemäßen Witwenbesuch macht ihn das merkwürdige Verhalten der Frau stutzig, noch dazu die Tatsache, dass sie von ihrem neuen Freund Finbar Scanlon bereits seit fünf Monaten schwanger ist und dieser seine Nervosität nicht verheimlichen kann. Grey wird von seinem Vorgesetzen auf den Fall angesetzt und erfährt, dass der verstorbene Tim O´Connell für einen Spion gehalten und ihm Jack Byrd als Überwacher auf den Hals gehetzt wurde. Außerdem ist Byrd ein Hausdiener von Trevelyan und passenderweise seit dem Mord spurlos verschwunden.
Bei seiner zweigleisigen Ermittlung steht ihm auch ausgerechnet der Bruder von Byrd tatkräftig zur Seite, was die ganze Sache nicht gerade erleichtert. Und die ist schon kompliziert genug. Auf der Spur der Mörder gerät er in einen Streit um die Leiche, denn sowohl die Witwe als auch die Geliebte des Verstorbenen sehen jeweils das Recht zur Beerdigung auf ihrer Seite, und so wird Grey fast selber Opfer einer Prügelei.
Auf der Spur der Syphilis hingegen landet er zuerst in einem Bordell, was seiner Neigung nun überhaupt nicht entspricht, und dann in einem gewissen Männer-für-Männer-Club, was seiner Neigung wiederum voll entspricht.
Doch in beiden Fällen türmen sich Rätsel auf: Sind die Verwandten der Witwe oder der Geliebten die Mörder? Oder war es doch der unbekannte Auftraggeber, der seinen Spion lieber komplett zum Verstummen brachte?
Was tut Trevelyan in einem Herrenclub, noch dazu mit einer Dame? Und wer ist die Dame, wegen der eine unglaubliche Diskretion herrscht? Hat Trevelyan nun Syphilis oder haben Greys Augen ihm einen Streich gespielt?
Der Fall wird noch mysteriöser, als die gewisse unbekannte Dame tot aufgefunden wird, das Gesicht völlig unkenntlich gemacht, – und Grey feststellen muss, dass diese Dame doch ein Herr ist.

Diana Gabaldon versteht sich einfach auf’s Schreiben. Sie bleibt auch bei ihrem neusten Buch ihrem Stil treu, der eine Riesenportion Humor, eine lockere und flüssige Schreibweise sowie äußerst lebendige und interessante Charaktere beinhaltet. Natürlich kann man diesen Roman nicht mit den dicken Highland-Schwarten vergleichen – an deren Komplexität kann ein Krimi gar nicht herankommen – aber Gabaldon hat damit bewiesen, dass sie nicht nur ein Genre beherrscht.
„Das Meer der Lügen“ saugt den Leser sofort in sich auf und wenn dieser nicht ertrinken will, sollte er schleunigst miträtseln. Genau das trifft es: Es ist eine Freude, Grey auf seiner Spurensuche zu folgen, jedem Charakter misstrauisch gegenüber zu stehen und die kleinen Überraschungen während der Ermittlung zu genießen.
Gabaldon-Fans werden dem Buchhändler ohnehin die Exemplare aus den Händen reißen, doch auch diejenigen, die noch nicht in den Genuss der Schottland-Saga gekommen sind, sollten hier mal testen, erst Recht, wenn sie auch noch Krimi-Liebhaber sind. Verwirren können allerdings die eingestreuten Hinweise auf James Fraser, dazu sei den ’neuen‘ Lesern gesagt: Nicht beachten, sie sind für die Story nicht wirklich wichtig! Und wenn ihr Muße und Zeit habt, holt euch die anderen Bände!
Fazit: Ein Gabaldon eben! Bleibt nur noch das Warten auf den nächsten Band.

Homepage der Autorin: http://www.dianagabaldon.com