Lene Gammelgaard – Die letzte Herausforderung

Seit der Lektüre von Jon Krakauers Buch „In eisige Höhen“ übt das Thema Mount Everest und insbesondere die Katastrophe vom Mai 1996, bei der mehrere Menschen während eines Unwetters in Gipfelnähe erfroren sind, eine gewisse Faszination auf mich aus. Inzwischen sind bereits einige Bücher zu diesem Thema von weiteren Bergsteigern erschienen, die die Katastrophe ebenfalls miterlebt haben. Die bekanntesten dürften neben der Veröffentlichung von Krakauer die Berichte von Anatoli Boukreev, Beck Weathers und auch von Lene Gammelgaard sein.

Auf zum Gipfel

Die Dänin Lene Gammelgaard erreichte als erste Skandinavierin den Gipfel des Mount Everest und war auch schon zuvor eine leidenschaftliche Kletterin. Im Frühjahr 1996 plant ihr guter Freund Scott Fisher mit seiner Firma „Mountain Madness“ eine Expedition zum Mount Everest, bei der Bergsteiglaien für viel Geld zum Gipfel geführt werden sollen. Als Fisher auch Lene Gammelgaard fragt, ob sie mitkommen wolle, zögert sie nicht lange und sagt schnell ihre Teilnahme zu. Anschließend macht sie sich auf die Suche nach zahlreichen Sponsoren, die ihr diese Tour finanzieren würden. So bricht Lene Gammelgaard mit einigen Notizbüchern und Werbeflaggen im Gepäck gen Himalaya auf, um regelmäßig für eine Zeitung zu berichten und auf dem Gipfel verschiedene Fotos für ihre Sponsoren machen zu lassen.

Die Vorbereitungen sind langwierig und schwierig, denn nur das allernötigste Gepäck darf mitgeschleppt werden. Außerdem müssen körperliche und geistige Fitness auf Vordermann gebracht werden. Für ihre Gipfeltour nimmt Lene Gammelgaard einige Kilo zu und übt sich intensiv im Tai-Chi, um auch mental der Herausforderung und großen Belastung des Bergsteigens gewachsen zu sein.

Die Expedition ist penibel geplant und vorbereitet: Für den 23. März 1996 steht der Abflug nach Katmandu (Nepal) auf dem Programm, die eigentliche Gipfelbesteigung ist für den 7. Mai vorgesehen. In den Wochen dazwischen soll der Körper durch weitere Bergtouren auf die extremen Höhen und den Sauerstoffmangel vorbereitet werden.

Lene Gammelgaard beschreibt detailliert sämtliche Vorbereitungen und Touren zwischen den verschiedenen Lagern, berichtet von Fällen der Höhenkrankheit und Begegnungen mit anderen Expeditionen, doch am Ende des Buches steht noch die eigentliche Besteigung des Mount Everest auf dem Programm, die mit einer Katastrophe enden wird …

Die letzte Herausforderung – eine einzige Katastrophe?

Nach dem packenden Buch von Jon Krakauer erwartete ich mir von Lene Gammelgaard einen ebenfalls spannenden Bericht über ihre persönliche Gipfelbesteigung und ihre eigenen Probleme und Ansichten, doch wurde diese Erwartung maßlos enttäuscht, da Gammelgaard kein Buch über die Katastrophe schreibt, sondern eher über die gesamte Expedition, die sich über Wochen hinzieht. Insgesamt umfasst das Buch 245 Seiten, doch werden der Schilderung der tragischen Ereignisse nur etwa 30 Seiten eingeräumt, während eine eher langatmige Beschreibung der Märsche und Kletterei zwischen den einzelnen Lagern den Großteil der Erzählung einnimmt. Der Tag der Katastrophe scheint hier nur ein lästiges Anhängsel zu sein. Von einem Spannungsbogen kann somit keine Rede sein, da man aufgrund der langatmigen Beschreibungen kaum noch eine wirkliche Erwartungshaltung aufzubauen vermag.

Gähnende Langeweile

Ein Punkt, der mich sehr gestört hat, war der oftmals fehlende rote Faden, an dem ich mich durch das Buch hätte hangeln können. Lene Gammelgaard und die anderen Teilnehmer ihrer Expedition wandern von einem Lager zum nächsten und wieder zurück, sodass ich zwischendurch manchmal den Überblick darüber verloren habe, wo und warum sie nun wieder hingezogen sind. Für mich war keinerlei Spannungsaufbau zu entdecken oder auch nur ein Gedankengang, der sich kontinuierlich durch das Buch zog. Das einzige, das voranschreitet, ist die Zeit, die während der Besteigung vergeht. Die Seiten werden lediglich damit gefüllt, dass Gammelgaard recht oberflächlich die anderen Expeditionsteilnehmer vorstellt und ihren Gesundheitszustand beurteilt (der im Übrigen grundsätzlich schlechter ist als ihr eigener …), ihr Equipment erklärt, das für die Besteigung notwendig ist, und ähnliche Nebensächlichkeiten. Viele Dinge wiederholten sich immer wieder und machten die Lektüre dadurch noch langweiliger als ohnehin schon. Der x-te Fall von Höhenkrankheit ist nicht mehr ganz so spektakulär, wenn man doch eigentlich etwas über die eigentliche Katastrophe lesen möchte, die der Untertitel des Buches immerhin ankündigt.

„Abflug morgen früh. Ich bin aufgeregt und muss mein Gepäck neu verteilen. Drei Taschen mit Höhenausrüstung brauche ich erst im Basislager, also schicke ich sie mit dem Yak-Transport. Eine Tasche packe ich voll mit allem, was ich für die Wanderung hinauf brauche, dazu kommt der Rucksack mit meinen beiden Kameras, einer Nikon F90X und einer Nikon FM2, und reichlich Filmmaterial.“

„Verbringe den Tag damit, die Sauerstoffmasken und Regler auszuprobieren und zu packen. Ich packe die Nikon FM2-Kamera für die Gipfelfotos zu meinem Daunenanzug und der Wollunterwäsche. Ich nehme einen Vorrat an Reeloade, einem konzentrierten, gelartigen Energieschub, mit. Es schmeckt wie Scheiße, und seine Konsistenz lässt mich würgen (falls ich das nicht schon wegen der Höhe oder der Überanstrengung tun muss), aber die kleinen Folienpäckchen sind eine bequeme Art, sich auf die Schnelle mit Nahrung und Energie zu versorgen, besonders, wenn man sowieso nicht das Bedürfnis fühlt, richtiges Essen zu sich zu nehmen.“

Das Buch ist voll von diesen langatmigen Beschreibungen von Lene Gammelgaards Tagesablauf, der teilweise minutiös geschildert wird, auch wenn er noch so uninteressant anmutet. Für mich als Nicht-Bergsteigerin waren diese Abhandlungen einfach nur unnötig und lästig, sodass ich das Buch stellenweise quer lesen musste, um überhaupt weiterzukommen.

Sprachliche Holpersteine

Die Sprache ist mehr als simpel, meist schreibt Gammelgaard nur stichpunktartig, als würde sie eine schnelle Notiz für ihr privates Tagebuch schreiben. Dieser Eindruck verstärkte sich während der Lektüre dieses Buches immer mehr, da auch einige Kraftausdrücke wie „scheiße“ oder „leck mich am Arsch“ verwendet werden, die ich in einem Bericht sonst nicht erwarten würde. Gammelgaard berichtet sogar von einem Moment während des Abstiegs, als sie sich in ihren eigenen Daunenanzug pinkelt, weil sie zu erschöpft war, ihn sich auszuziehen. Von einem gedruckten Buch erwarte ich sprachlich allerdings etwas mehr als nur kurze Hauptsätze und verworrene Gedankenfetzen, die aufs Papier geworfen worden sind. Manchmal habe ich mich wirklich gefragt, ob das Machwerk überhaupt durch ein Lektorat gegangen ist!

„Die Nacht vergeht, und der Sturm tobt weiter. Es wird früher Morgen, und es stürmt noch immer. Später – keine Besserung. Wenn der Sturm bis mittags nicht ein wenig nachlässt, sind meine Chancen, zum Gelben Band hinauszuklettern, gleich null und mein Plan, den Gipfel ohne Sauerstoff zu besteigen, wird erheblich gefährdet. Der Wind weht weiter. Dale geht es schlecht. ‚Trink Dale. Du musst deinen Kreislauf in Schwung bringen.‘ ‚Leck mich. Lass mich in Ruhe. Ich bin in Ordnung. Ich muss mich nur etwas ausruhen.‘ Nun, ich fühle mich auch beschissen.“

Dieser Absatz voll kurzer, aneinandergereihter Hauptsätze ist bezeichnend für den simplen Schreibstil der Gammelgaard, der dazu führte, dass ich mich durch das Buch quälen musste. Dadurch handelt sich Gammelgaard stilistisch jedenfalls einige Abzüge in der B-Note ein. Vielleicht hätte sie sich an einen Koautoren an Bord holen sollen, der das Ausformulieren ihrer Erlebnisse übernommen hätte.

Charakterliche Leere

Kaum eine der dargestellten Personen gewann an Farbe, lediglich Anatoli Boukreev (der bei Jon Krakauer sehr negativ charakterisiert wurde) bekam ein wenig Profil und wurde einem sympathisch durch seine Heldentaten während der Katastrophe und auch seine beschriebenen Charaktereigenschaften. Lene Gammelgaard dagegen wurde mir im Prinzip von Seite zu Seite unsympathischer, da sie auf keiner Seite ein wenig Kritik an sich selbst übt und Anzeichen von Schwäche und Höhenkrankheit grundsätzlich nur bei den anderen Menschen sieht. Sie möchte auf Teufel komm raus den Gipfel ohne Sauerstoff besteigen und ist beleidigt wie ein kleines Kind, als ihr dies verboten wird. Eine Gipfelbesteigung ohne zusätzlichen Sauerstoff ist für einen ungeübten Kletterer allerdings sehr riskant, darauf geht Gammelgaard an keiner Stelle ein, sie erwähnt nur ihren eigenen Frust, den sie an Scott Fisher auslässt. Als Gammelgaard kurz vor dem Ziel auch Husten bekommt, wird dies nur kurz am Rande erwähnt, weil sie ja ach so stark ist. Dieses Eigenlob stinkt teilweise stark gen Himmel.

Gewünscht hätte ich mir mehr persönliche Erfahrungen und Eindrücke während des Unwetters am 10. Mai, bei dem Menschen ums Leben kamen, die den Gipfel besteigen wollten. Krakauer schildert in seinem Buch detailliert die Katastrophe, klagt andere Menschen aufgrund ihrer Fehlentscheidungen an und berichtet von seinen eigenen Erlebnissen, doch erfährt man in „Die letzte Herausforderung“ praktisch gar nichts darüber. Der Name Krakauer taucht in Gammelgaards Buch gar nicht auf, obwohl diese meist an Boukreevs Seite war, über den Krakauer sehr viel zu berichten weiß. Somit ist die hier geschilderte Perspektive nicht nur einseitig, sondern unvollständig.

Als Tatsachenbericht über eine Himalaya-Expedition mag das Buch ganz nett sein, als Katastrophenbericht taugt Gammelgaards Erlebnisbericht leider gar nichts. Immerhin wird das Buch in der Mitte durch einige Fotoseiten aufgepeppt, auf denen meist Gammelgaard auf dem Weg zum Gipfel zu sehen ist. Beeindruckend sind die Bilder vom Berg und den Schnee- und Eislandschaften, doch leider sind alle Bilder lediglich in schwarz-weiß abgedruckt. Am Ende findet sich ein Glossar, das leider aber nur wenige Bergsteigervokabeln beschreibt und somit nicht zum vollständigen Verständnis des kompletten Reiseberichtes beitragen kann. Es tauchen zwischendurch immer noch nicht erklärte Vokabeln auf, die einem Bergsteig-Laien nicht bekannt sind.

Herausforderung nicht gemeistert

Insgesamt war ich sehr enttäuscht von dem Buch, da keinerlei Spannung aufgebaut wird, der rote Faden fehlt und die eigentliche Katastrophe vom Mount Everest nur lieblos und am Rande geschildert wird. So liegt der Schwerpunkt doch eher auf den Expeditionsvorbereitungen und der Akklimatisierung des Körpers hinauf in Höhen von mehr als 8000 Metern als auf einer packenden Darstellung der Tragödie. Da mich „Die letzte Herausforderung“ auch sprachlich nicht überzeugen konnte, kann ich es insgesamt nicht weiterempfehlen. Leser, die sich für die Ereignisse vom 10. Mai 1996 auf dem Mount Everest interessieren, sollten zu Jon Krakauers Buch greifen.

Taschenbuch: 243 Seiten
Originaltite: Climbing High
www.ullsteinbuchverlage.de