Garcia, Eric – Anonymus Rex

_Philip Marlowe, der Velociraptor_

Die Dinos sind unter uns! Das ist die Horrorbotschaft dieses Buchs. Beruhigend daher die zweite Botschaft: Sie haben die gleichen Probleme wie wir! Dazu gehört zum Beispiel, am leben zu bleiben, seine Brötchen zu verdienen (Joe Cocker ist ein Dino, wir haben’s geahnt) und Vergnügen mit dem anderen Geschlecht zu haben. Kompliziert wird’s nur, wenn dieses andere Geschlecht einer ganz anderen Gattung angehört: den Menschen.

Man merkt schon: Dieser klassische Detektivroman ist im Grunde eine menschliche Komödie im Dinogewand. Aber da es zuweilen eine schwarze Komödie ist, hat sie auch warnenden Charakter: Wer mit dem Erbgut anderer Gattungen herumspielt, braucht sich nicht zu wundern, wenn der Schuss nach hinten losgeht …

_Handlung_

Privatdetektiv Vincent Rubio hat einen schlechten Tag erwischt: Mrs. Ohmsmeyer lässt ihn ihren fremdgehenden Gatten beschatten. Bewaffnet mit einer Kamera, parkt Vince vor dem bewussten Haus, wo Mr. Ohmsmeyers Stelldichein stattfindet, dann zieht er sich erst einmal eine ordentliche Ladung Basilikum rein – ist eben gutes „Gras“ – und macht sich daran, die besten Fotomotive zu bekommen. Leider wird inzwischen sein Wagen von einem Wiederbeschaffungsunternehmer abgeschleppt und der vermeintliche Ehebrecher stellt sich als Mr. Ohmsmeyers Nachbar heraus. Kein guter Anfang.

„Was soll denn bitteschön daran besonders sein?“, fragt ihr wohl zu Recht. Nun, zum einen ist Vincent Rubio ein als Mensch verkleideter Velociraptor (ein solcher wie aus „Jurassic Park“, jawoll), der vermeintliche Mr. Ohmsmeyer ist ein Iguanodon, seine Partnerin ein Ornithomimus und der Repoman ein Compsognathus, kurz: Compy. Da haben wir ja einen schönen Zoo beisammen – und das alles im modernen Los Angeles?!

Entgegen anders lautenden Gerüchten leben die Dinos noch heute mitten unter uns. Allerdings sehen alle diese Dinos meistens aus wie normale Menschen, angetan mit täuschend echtem Latex, mit Kontaktlinsen und allem, was dazugehört. Doch die Dinos haben die gleichen Probleme wie wir: So ist beispielsweise der Chef von Vincents Agentur ein ungehobelter T. Rex, der ihn am liebsten feuern würde. Es ist eben keine perfekte Welt.

Als eine Dino-Disco in L.A. in Flammen aufgeht, bekommt Vince nach diesem schlechten Start noch eine allerletzte Chance vom Boss. Doch was zunächst wie ein simpler Versicherungsbetrug aussieht, wird bald zum spektakulärsten Fall in Vincents Laufbahn. Die Spur führt nach New York City, wo vor Monaten Vincents bester Kollege Ernie bei einem Autounfall umgekommen ist – was Vince natürlich keine Sekunde lang glaubt. In der Großstadt kommt er dem unorthodoxen Arzt und Geningenieur Dr. Emil Vallardo auf die Spur, der in einem stillgelegten Krankenhaus geheimnisvolle Experimente durchführt (wir können uns schon denken, woran!).

Und Judith McBride, eine junge Witwe, die mit Vallardo und der abgebrannten Disco in Verbindung steht, scheint mehr darüber zu wissen, als sie zugibt. Alls Vince endlich Vallardos Plan durchschaut, ist es bereits zu spät. Der Arzt arbeitet nämlich in Judiths Auftrag daran, Dinos und Menschen endgültig miteinander zu verschmelzen und Kreuzungen herzustellen. Natürlich ist es Vincents noble und heroische Aufgabe, die Welt zu retten und diesem Jünger von Dr. Mengele das Handwerk zu legen …

|Die andere Seite der Geschichte|

Es war einmal ein armer reicher Menschenjunge namens Roger Mcbride. Dem Waisenknaben erzählte seine Adoptivmama, dass es auf der Welt viele Dinos wie sie selbst gibt und erzog ihn wie einen. Roger lernte als junger Mann Judith in Kansas kennen, verliebte sich und heiratete sie. Natürlich erzählte er ihr von dem Leben, das er als einziges kannte: das eines Dinos.

Nachdem Roger sein umfangreiches Erbe angetreten hat, sollte eigentlich alles in Butter sein. Leider erstreckte sich sein sexueller Appetit nicht nur auf Judith, sondern auf einige Dutzend Dino-Sekretärinnen usw., darunter auch eine gewisse Jocelyn Holden. Diese Dame war jedoch schon mit Donovoan Burke liiert, einem Nachtclubbesitzer und gutem Freund der McBrides. Um sich an ihrem fremdgehenden Mann zu rächen, fing Judith eine Affäre mit Donovan an. Natürlich war auch Donovan ein Dino.

Bemerkenswert ist nun, dass sowohl Roger als auch Judith Kinder mit dem jeweils anderen Angehörigen der anderen Gattung in die Welt setzen wollten. Und hier kommt natürlich Dr. Emil Vallardo, den die McBrides finanzierten, ins Spiel, aber auch der Rat der Dinos. Ein solcher Rat existiert in jeder größeren Stadt und dient dazu, die Gesetze durchzusetzen: Dino-Arten dürfen nicht untereinander gekreuzt werden (sofern möglich), und für die Kreuzung mit Menschen gilt dieses Verbot natürlich erst recht. Daher mussten Vallardos Versuche in größter Heimlichkeit stattfinden.

Jedenfalls findet man Roger McBride eines Tages ermordet in seinem Blut. Vincent geht den gefälschten Beweisen vom Tatort auf den Grund: Es war ein Mord, den ein Dino verübt hatte. Und bald danach verschwanden drei Dinos von der Bildfläche: Jocelyn Holden im Untergrund; Donovan Burke übernahm Judiths Dino-Disco in L.A., die später abbrannte; und Detektiv Ernie Watson (!), der die Hintergründe des McBride-Mordes aufgedeckt hatte.

Wie weiland Philip Marlowe in Trenchcoat und Schlapphut, die Kippe im Mundwinkel, deckt Vincent Rubio hartnäckig, wenn auch pleite, die skizzierten Hintergründe auf. In einem furiosen Finale widerfährt den meisten Schuldigen Gerechtigkeit. Doch was wurde aus den gekreuzten Mischlingen? Nun, wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute und schicken Postkarten aus Costa Rica.

_Mein Eindruck_

|Eine Parodie|

Wie man schnell merkt, ist dieser Plot so was von altbacken, dass er nur noch als Parodie taugt. Zillionen von L.A-Schnüfflerstreifen liefern Vorbilder, gegen die der Autor lustvoll anschreiben kann. Nachdem aber nun vier „Jurassic-Park“-Filme Jung und Alt mit den Dinos auf Du und Du stehen lassen, bietet dieses Wissen eine ebenso gute Vorlage für eine zünftige Parodie.

Natürlich richtet sich die Parodie auch gegen diese Filme, insbesondere gegen den ersten. Der gute Vincent sieht in Spielbergs Darstellung der Velociraptoren seine eigene Art verunglimpft: „Schließlich, was sollte einen Raptoren mit einem Minimum an Selbstachtung dazu bringen, irgendwelche wildfremden Leute anzugreifen, die ihm nicht mal schmecken würden?! Es sei denn natürlich, so ein Raptor möchte aus seinem Käfig ausbrechen.“

|Schnüffler und Leisetreter|

Dass der Autor den guten alten Detektivroman als Schablone gewählt hat, um seine Story zu erzählen, verhilft dem Leser natürlich zu einem bekannten Bezugsrahmen. So kann er die abstruse, ein wenig verworrene Story leichter verfolgen und die notwendigen Querverbindungen zwischen den Akteuren ziehen.

Vincent ist im Gegensatz zu Humphrey Bogart alles andere als ein guter Detektiv, aber ein hervorragender „Schnüffler“. Denn während Großstadtmenschen schon längst ihren Geruchssinn weitgehend verloren haben, beobachtet Vincent (und die meisten anderen Dinos) die Welt in der Dimension des Geruchs. Dieser fundamentale Unterschied spielt auf vielerlei Weise eine große Rolle bei der Aufklärung der Verbrechen – ein Grund mehr, warum dieser Roman nicht nur witzig, sondern auch interessant ist.

|Karneval und Halloween|

Genauso, wie sich Dinos als Menschen kostümieren und umgekehrt Menschen (Judith & Roger) als Dinos agieren, genauso lassen sich Duftsignaturen fälschen und kaschieren. Das Thema der Verkleidung kann bis zur dritten Potenz getrieben werden: Dinos, die sich normalerweise als Menschen kostümieren, können zu Halloween, zu dem die Handlung spielt, als Dinos kostümieren, um Menschen zu erschrecken. Es ist kein Wunder, dass der Autor dem Thema der Verkleidung und ihren zahllosen Varianten großen Spielraum einräumt. Ein Karneval in Venedig ist nichts dagegen.

|Äkschn & Sätisfäkschn|

Die Äkschn kommt keineswegs zu kurz, wie vielleicht befürchtet wird. Ein Raptor weiß sich zu wehren! Da gibt es blutige Zweikämpfe in dunklen Hinterhöfen, Entführungen in das einsame New Jersey, vom feinen Finale und Zweikämpfen in den Bettlaken ganz zu schweigen. Allerdings hält sich die Gewaltrate auf sehr erträglichem Niveau.

|Die Sprache|

Eine Parodie lebt wie jede humorvolle Erzählung von ihrer Sprache, sonst wäre sie bierernste Kritik. Zu Anfang schien mir der Ton der Erzählung – Vincent erzählt von sich selbst und im Präsens – als zu beredsam und sich seiner selbst bewusst, also selbstgefällig. Dieser Eindruck verflog mit zunehmendem Tempo der Handlung.

Es ist vielmehr so, dass Vincent ein außergewöhnlich gebildeter Schnüffler seiner Zunft ist, obwohl er chronisch außerstande ist, seine Rechnungen zu bezahlen. Woher also diese Bildung? Der Autor verrät uns nur, dass die einzige Lektüre für Vincent in der TV-Zeitschrift besteht und er nicht mal weiß, wie man ins Internet kommt. Auch sein PC dient nur als Geschirrablage. Vince scheint keine Uni-Ausbildung zu haben, geschweige denn einen Highschoolabschluss.

Sobald man sich mit diesem Widerspruch abgefunden hat (wie mit so vielen in der Welt), bekommt man so richtig Spaß an Vincents Eskapaden. Die deutsche Übersetzung bringt diese vielseitige Ausdrucksweise richtig rüber, bis hinein in den Szenejargon, den wir an Film-noir-Filmen um Marlowe, Spade & Co. so lieben.

_Unterm Strich_

Eine sorgfältig aufgebaute Parallelrealität mit der Funktion, unsere menschliche Wirklichkeit zu kommentieren und den Leser zu unterhalten – mit einigen Seitenhieben auf Gentechnologie und anderen Frevel an der Natur.

_Der Autor_

Eric Garcia geht erst auf die 30 zu, stammt aus Miami und besuchte die renommierte Cornell University, wo er eine Comedy-Truppe gründete, die bis heute Erfolge feiert (wie uns der Verlag verrät). Anschließend studierte er an der Uni von Südkalifornien Drehbuchschreiben und Creative Writing. Dass Garcia mit seiner Frau in L.A. lebt, dürfte klar sein. Mittlerweile hat er schon den nächsten Vincent-Rubio-Roman fertig: „Casual Rex“ (ein Anspielung auf „casual sex“, beiläufiges Liebesspiel).

|Originaltitel: Anonymous Rex, 2000
Aus dem US-Englischen übertragen von Kristian Lutze|