Gardner, Erle Stanley – Furien im Finstern

Bertha Cool, schwergewichtige Chefin einer kleinen Detektei, ist noch missgestimmter als üblich. Ihr Partner Donald Lam hat sie versetzt – so sieht Berta das – und sich der Marine der Vereinigten Staaten von Amerika angeschlossen: Die Welt befindet sich in diesem Jahr 1942 im Krieg, und Lam will seine Bürgerpflicht erfüllen.

Für solchen Idealismus hat Berta Cool kein Verständnis. Sie muss feststellen, wie sehr ihr der gewitzte Lam im Geschäft fehlt. Ihrer Geldgier tut dies keinen Abbruch, aber sie sieht sich gezwungen, jetzt wieder selbst auf der Straße Detektivarbeit zu leisten. Schlimmer noch: Der aktuelle Auftrag, der zunächst nach leicht verdientem Lohn aussah, übersteigt womöglich Bertas kriminalistische Fähigkeiten!

Der blinde Straßenhändler Rodney Kosling hat sie engagiert. Ihm ist ein merkwürdiger Unfall aufgefallen: Josephine Dell, eine junge Frau, mit der er regelmäßig an seinem Stand zu plaudern pflegte, wurde von einem Wagen angefahren und vom Unfallfahrer mitgenommen. Seitdem ist sie verschwunden. Kosling macht sich Sorgen und möchte die Frau suchen lassen.

Menschenfreunde sind Berta stets verdächtig. Trotzdem übernimmt sie den Fall, der sich rasch als heikel entpuppt. Zwar findet sie Josephine Dell, aber viel interessanter findet sie den plötzlichen Tod des alten Harlow Milbers. Der war Josephines Arbeitgeber und außerdem schwer reich. Er hinterlässt ein seltsames Testament, das seine Haushälterin und deren Familie begünstigt. Milbers einziger Verwandter, sein Neffe Christopher, ist darüber wenig erfreut. Ist das Testament gefälscht? Wenn Berta dies nachweisen kann, winkt ihr ein hohe „Gewinnbeteiligung“!

Aber es ist wie verhext: Was Berta auch einfädelt, es geht schief. Ständig stolpert sie über den undurchsichtigen Versicherungsbetrüger Jerry Bollman – und schließlich über dessen Leiche. Für den misstrauischen Polizisten Sellers ist Berta die Hauptverdächtige. Ihre Bemühungen, sich zu rehabilitieren und trotzdem ihren finanziellen Schnitt zu machen, setzen eine verhängnisvolle Kette kriminalistischer Verwicklungen in Gang, die Wahrheit und Lüge immer fester verstricken, bis Berta sich in diesem Netz unrettbar zu verstricken droht …

Privatdetektive sind üblicherweise taffe Burschen, die vielleicht hier und da irren (oder übers Ohr gehauen werden), aber spätestens im Romanfinale vom Holzweg auf die Straße der Wahrheit einbiegen. Sie verstehen ihren Job, lassen sich nicht schrecken oder bestechen, folgen unbeirrbar ihrer Spur.

Genau das geschieht hier eben nicht. „Furien im Finstern“ (den dümmlichen deutschen Titel verdankt das vorliegende Werk dem zeitgenössischen Ullstein-Drang zur „Originalität“) ist im Grunde eine 160-seitige Umkehr der meisten Detektivkrimi-Klischees. Hier beobachten wir eine Schnüfflerfrau, der es an Energie und Furchtlosigkeit nicht mangelt. Leider kann ihre kriminalistische Fachkenntnis da nur bedingt mithalten. Außerdem vernebelt ausgeprägte Geldgier das Gespür und übertüncht Anzeichen, die einen Philip Marlowe längst gewarnt hätten, dass da etwas faul ist.

Aber Bertha Cool will nicht Gerechtigkeit, sondern Bares. Mit dem Eifer und dem diplomatischen Geschick einer Abrissbirne fällt sie über ihre Klienten her. Sie ist sich keineswegs zu schade, mit windigen Betrügern um Prämien zu rangeln. Was ihr dabei entgeht: Sie reiht sich nahtlos in einen Reigen mehr oder weniger geschickter Betrüger und Erbschleicher ein.

Mit faszinierender Sicherheit spinnt Autor Gardner sein Netz. Gauner gegen Gauner, die Fronten ändern sich ständig. Finstere Pakte werden geschlossen und sofort gebrochen. Wer gestern noch gegeneinander kämpfte, tut sich heute womöglich zusammen – und umgekehrt. Berta Cool mischt da skrupellos tüchtig mit.

Der Witz an der Sache ist ihre Blindheit dafür, wie sie, die mächtig ihre Klienten, Zeugen und die Polizei manipuliert, selbst in diverse Intrigen verwickelt wird, ohne es zu bemerken. Da ist es nur gut, dass Donald Lam während eines kurzen Heimaturlaubs den kunstvoll verwickelten Fall aufzudröseln vermag.

Bis es so weit ist, hat der Leser einen Riesenspaß gehabt, denn er (und sie) ist zusammen mit Berta Cool tüchtig an der Nase herumgeführt worden. Die Mosaiksteinchen purzeln an ihre Plätze und enthüllen wider Erwarten ein logisches Gesamtbild. Wieder einmal bestätigt sich, dass die Cool/Lam-Romane so sauber geplottet sind wie Gardners Perry-Mason-Krimis. Trotzdem können sie womöglich noch besser gefallen, denn sie verfügen über eine angenehme Zusatzeigenschaft: Sie sind humorvoll. Damit ist nicht einmal der Slapstick-Witz der dampfwalzenartig auftretenden Bertha Cool gemeint. Vor allem weiß die ausgetüftelte Story zu gefallen, die den Namen „Krimikomödie“ verdient. Der Autor arbeitet zudem mit trockenem Wortwitz, der sogar die Übersetzung überlebt hat.

Mit Berta Cool ist Erle Stanley Gardner ein echter Klassiker gelungen, der sich ins Gedächtnis der Leser eingräbt. Selbstverständlich könnten politisch korrekte Spielverderber allerlei Einwände gegen diese Figur erheben: Berta ist ein wandelndes Klischee, zwar tüchtig, aber dick (= geschlechtslos), grob, laut und gierig. Grandios setzt sie ihren Fall in den Sand und muss von ihrem (männlichen) Partner gerettet werden, der selbst aus weiter Ferne zum Kern des Lügengespinstes durchdringt.

Wir sparen uns an dieser Stelle hochphilosophische Überlegungen darüber, ob Gardner sich eine selbstständige und erfolgreiche Frau etwa nur als Karikatur vorstellen kann. Nehmen wir stattdessen an, dass er einfach eine schräge Type entwarf, um seine Romane um die Detektei Cool & Lam möglichst interessant zu gestalten. Schließlich sind die anderen Figuren auch nicht gerade aus dem Leben gegriffen.

Außerdem kann Gardner einen dicken Pluspunkt kassieren: Seine Bertha Cool ist kein Engel mit goldenem Herzen, das sich unter der rauen Schale verbirgt. Bertha ist tatsächlich ein lupenreines Miststück, das zu Mitgefühl und Hilfsbereitschaft regelmäßig überlistet werden muss. Wenn sich ihr Geiz dann gegen sie wendet, stellt Gardner das nie als „gerechte Strafe“ eines moralinsauren Schicksals dar. Berta fällt der (blinden) Tücke des Objekts anheim, was sehr viel überzeugender wirkt.

Der eigentliche Kriminalist des Teams ist ohnehin Donald Lam. Berta Cool weiß trotz ihrer ewigen Verbalattacken sehr gut, was sie an ihm hat, ohne dass sie sich dadurch nachgiebiger zeigen würde. Lam nimmt Bertha wie sie ist, was wohl die einzige Möglichkeit für eine fruchtbare Zusammenarbeit bietet.

Normalerweise ist Lam wie gesagt für die eigentliche Detektivarbeit zuständig. Er ermittelt vor Ort, während Bertha Cool in der Regel im Hintergrund wirkt, um von dort regelmäßig nach vorn zu drängen, wenn die Handlung der humorvollen Auflockerung bedarf. „Furien im Finstern“ stellt insofern eine Abweichung von der goldenen Regel dar, nach der die Leser einer Serie Veränderungen des gewohnten Schemas hassen. Gardners Rechnung geht indes auf: Bertha Cool trägt „ihren“ Roman spielend. Man wünscht sich sogar mehr Geschichten mit ihr im Mittelpunkt.

Erle Stanley Gardner wurde am 17. Juli 1889 in Malden, Massachusetts geboren. 1909 begann er Jura zu studieren. Dass er kein Bücherwurm war, belegt u. a. die Tatsache, dass ihn die Valparaiso University im US-Staat Indiana wegen einer Schlägerei hinauswarf. Gardner liebte den sportlichen Kampf; er boxte und arrangierte sogar illegale Ringkämpfe.

1910 eröffnete er seine erste eigene Kanzlei in Kalifornien. Aber das Geschäft ging schlecht, so dass Gardner auch als Handlungsreisender arbeiten musste. Außerdem entdeckte er die „Pulps“, billige Magazine, die in den 1920er aufkamen und einen unstillbaren Hunger auf Science-Fiction-, Horror-, Western- und Kriminalkurzgeschichten entwickelten. Gardner verfasste unter Pseudonymen wie A. A. Fair, Carleton Kendrake oder Charles J. Kenny eine Flut von Storys, u. a. für das berühmte „Black Mask Magazine“. Jeden dritten Tag trug er eine neue Geschichte zur Post, zwischen 1921 und 1933 verfasste er durchschnittlich eine Million Wörter pro Jahr – kein Wunder, dass er sich 1932 ein Diktaphon zulegte und seine Geschichten nunmehr diktierte und abtippen ließ.

1933 verfasste Gardner seinen ersten Roman, der gleichzeitig das Debüt Perry Masons wurde. Dieser war erfolgreich und bildete den Auftakt einer insgesamt 82-teiligen Serie, die bis 1973 lief. Trotzdem war Gardner ständig in Geldnöten. Deshalb reaktivierte er 1939 das Pseudonym A. A. Fair und erfand das ungleiche Detektivpaar Bertha Cool und Donald Lam, die bis 1970 29 ebenfalls sehr beliebte Abenteuer erlebten. Außerdem verfasste er neun Folgen einer weiteren Serie

Als Jurist blieb Gardner weiterhin aktiv. 1948 gründete er den „Court of Last Resort“, der Personen unterstützte, die womöglich einem Justizirrtum zum Opfer gefallen waren. Tatsächlich verhalf diese Einrichtung einer ganze Reihe von Unglücklichen zu Freisprüchen.

Hoch geehrt und von seinen Fans weiterhin treu gelesen, verstarb Erle Stanley Gardner – bis zuletzt fleißig diktierend – am 11. März 1970 auf seiner Farm in Temecula in Kalifornien.