Fantasy-Abenteuer mit doppeltem Boden
Finstere Mächte reißen den jungen Mark aus seinem beschaulichen Leben in einem einsamen Dorf hinter den Wäldern einer mittelalterlichen Welt. Da sind der mordgierige Wegelagerer Wat, die dämonische Mutter Clot und der unheimliche Mann aus dem Hügel. Sie zwingen Markt zu einer Entscheidung, jeder einmal treffen muss-auf welcher Seite in dem ewigen Kampf zwischen Gut und Böse soll er sich stellen? (Verlagsinfo)
Der Autor
Gene Wolfe ist einer der großen Stilisten der Science Fiction. Insbesondere seine Kurzgeschichten sind meisterlich feinsinnige Gratwanderungen zwischen Realität und Phantasie, die zum Nachdenken anregen. Zu seinen wichtigsten Story-Sammlungen gehören „The Island of Dr. Death and Other Stories“ (1980; s. meinen Bericht) sowie „Endangered Species“ (1989; s. meinen Bericht). Und natürlich das „Book of Days/Das Buch der Feiertage“ (1981; s. meinen Bericht).
Seine wichtigsten SF-Romane gehören den drei Zyklen um die Sonne an – die neue, die lange und die kurze:
1) Der Schatten des Folterers
2) Die Klaue des Schlichters
3) Das Schwert des Liktors
4) Die Zitadelle des Autarchen
5) Die Urth der Neuen Sonne
DAS BUCH DER LANGEN SONNE
1) Die Nachtseite der Langen Sonne
2) Der See der Langen Sonne
3) Der Caldé der Langen Sonne
4) Der Exodus aus der Langen Sonne
THE BOOK OF THE SHORT SUN (unübersetzt)
1) On Blue’s Waters
2) In Green’s Jungles
3) Return to the Whorl
Weitere SF-Romane:
1) Frees Vermächtnis
2) Operation Ares
3) Der fünfte Kopf des Zerberus
Wichtige Fantasyromane sind:
1) MYTHGARTHR 1: Der Ritter (dt. bei Klett-Cotta)
2) MYTHGARTHR 2: Der Zauberer (dt. bei Klett-Cotta)
3) Soldat des Nebels (dt. bei Heyne; Band 1 eines Zyklus’ aus bislang 3 Romanen)
4) Peace (unübersetzt)
5) Der Teufel hinter den Wäldern (Bastei-Lübbe)
Handlung
Der fahrende Händler hat gerade einen guten Handel abgeschlossen und erfahren, wo sich das Dorf mit der Quelle der hl. Agnes befindet. Allerdings trifft ihn kurz vor seinem Ziel ein Pfeil quer durch den Hals. Er ist sämtlicher Sorgen ledig, doch der Abbé des Dorfes und Hüter des Heiligtums findet, dass seine Sorgen erst anfangen. Am Grab des Fremden sind sich die Männer einig, dass Wat, der Wegelagerer, hinter dem dem ruchlosen Mord steckt.
Die Miliz
Am gleichen Abend noch ruft der Abbé eine Miliz ins Leben, die, wie er vorschlägt, sein schärfster Widersacher, der Flickschuster Philip, anführen soll. Es gibt allerdings zwei Gegenstimmen: Der Köhler Gil aus dem nahen Wald spricht für Wat, den Räuber, der sei ein guter Kerl. Und der Schankwirt will mit dieser Geschichte nichts zu tun haben. Also soll er auch nicht geschützt werden, findet Philip. Und Mutter Coot, die einzige Frau im Raum, enthält sich der Stimme.
Die Hexe
Mark, der Lehrling des Webers Gloin, ist in Josellen, die Tochter des Schankwirts, verliebt. Von ihr bekommt er das Nötigste zum Essen und viele Informationen, denn sie liebt es, solche Versammlungen zu belauschen. Heute Nacht schleift sie ihn direkt zu Mutter Coot, um Rat einzuholen. Mark hat nichts Gutes über die alte Frau gehört: Sie könne auf einem Besen fliegen. An einem großen Hügelgrab im Wald werden sie von der alten Frau überrascht. Sie setzt sich auf Marks Schultern und lässt sich durch die Ruinen der zerstörten Stadt Grindwall am Fluss entlang zu ihrem Baumhaus tragen. Dort befindet sich bereits Wat, der Räuber.
Der Räuber
Wat ist ein großer starker Mann mit blauen Augen. Mit seinem Schwert könnte er Mark jederzeit aufspießen, tut es aber nicht, sondern lässt sich von Mark helfen. So soll er etwa Mutter Coot aus ihrem Baumhaus zu Boden tragen. Wat ist über die Initiative des Abbé voll im Bilde, denn der Köhler Gil hat ihn ebenso informiert wie Mutter Coot selbst. Er schickt Josellen mit einer Botschaft an den Abbé in der St. Agnes Kapelle los: Er will einen Waffenstillstand.
Die Leiche
Anschließend begibt er sich mit Mark zu den Köhlern, die im Wald leben und dort illegal gesunde Bäume schlagen, gegen das Gesetz des Königs. Hier sieht Mark eine kleine hölzerne Statue einer Marienfigur. Das verwitterte Ding könnte auch etwas anderes sein. Zusammen mit Gil fahren Mark und Wat den Flusses hinunter, bis sie Grindwall erreichen. Gleich dahinter stoßen sie auf eine Leiche, die von einem Baum herabhängt. Es ist der Küster Paul, der Mann von Sue, die wiederum eine langjährige Freundin von Mutter Coot ist. Die beiden Frauen fragen Mark aus, der nicht zugibt, Paul tot gesehen zu haben. Mutter Coot wirft die Runen und sagt Mark eine schwere Entscheidung voraus.
Die Täuschung
Anschließend schickt sie ins Wirtshaus. Josellen wartet schon, sie war in Sorge. Nun soll Mark an der Beratung über den Waffenstillstand teilnehmen. Man hat ihn schon vermisst, und tatsächlich bringt Mutter Cloot, als sie verspätet mit Sue erscheint, schwere Anklagen gegen Mark vor: Er habe den Küster auf dem Gewissen. Wat und Gil sehen ihren Plan gefährdet, Mark für ein Vorhaben einzuspannen. Vorgeblich suchen sie noch Komplizen für den Überfall auf einen reichen Kaufmann, der als Pilger kommen soll.
Das Geheimnis
Doch als es Schlafenszeit ist und Wats Komplizen versammelt ist, eröffnet er ihnen, was er wirklich vorhat: Er will Philipps Geldschatz stehlen. All das Gedöns um den Kaufmann, der da kommen soll, sei nur Theater gewesen. Nun sieht sich Mark gezwungen, sich auf eine Seite zu stellen. Will er wirklich den Hauptmann der Miliz beklauen?
Mein Eindruck
Als dann auch noch brutale Soldaten mit einem noch brutaleren Hauptmann auftauchen, ist es mit dem Frieden im Dorf endgültig vorbei. Ein zungenfertiger „Königlicher Förster“ namens Ganelon kommandiert seinerseits die Soldaten herum und verhört Mark: Wer hat was zu welchem Zeitpunkt getan, will er wissen. Ganz am Schluss, nach mehreren tragischen Ereignissen, will das auch ein namensloser Mann, der in einem Lehnstuhl sitzt und alle anderen herumkommandiert, wissen. Endlich werden sämtliche Missverständnisse ausgeräumt, hofft der Leser. Falscher Irrtum! Noch mehr Auskünfte werfen nur noch mehr Fragen auf.
Zauberkunststück
Aber nun endlich erweist sich, dass die ganze Geschichte wie ein Zauberkunststück aufgebaut ist, dessen Effekt ein „Prestige“ ist: die Verblüffung, die Verwunderung (ähnlich wie im bekannten Film von Christopher Nolan). Wie konnte ich das bloß übersehen?, fragt sich der Leser und fasst sich an den Kopf.
Tatsächlich passiert sehr viel, denn es gibt eine Unmenge an Personal, das in mehreren Abschnitten für bemerkenswerte und vielfach tragische Begebenheiten sorgt. Im ersten Drittel kommt es zur Bildung einer Miliz und einem Mordplan, den Wat, der Räuber, umsetzen will. Der Plan spaltet die Bevölkerung, und der Leser muss aufpassen, wer auf wessen Seite steht.
Im zweiten Drittel sorgen die Soldaten, die Wat suchen, für viel Leid und etliche Verwirrung. Auch sie wollen wissen, wer auf wessen Seite steht. Und schließlich kommt es nach dem Abzug der Soldaten und Herrn Ganelons zu einer fieberhaften Suche nach Josellen und Gloin, die sich irgendwo im Dorf versteckt haben sollen. Doch der einzige Zeuge wurde von den Soldaten – oder einem Unbekannten – erschlagen.
Sherlock 2.0
Man kann schnell erkennen, dass Mark alle Hände voll zu tun hat, seine Geheimnisse und die vieler anderer zu verbergen. Anschließend muss er à la Sherlock Holmes herausfinden, wo sich Josellen versteckt hält. Ein Meisterstück des deduktiven Denkens, das er in einem langen Dialog mit dem Abbé zum Besten gibt. Es führt schließlich zum Erfolg.
Doch dies ist keineswegs der Schluss, denn nun taucht, wie von jedem Krimikenner erwartet, wieder der Schurke Wat auf und will abrechnen. Doch zu Marks Verblüffung scheint sich Wat unter einem magischen Bann zu befinden, der ihn glauben lässt, er befinde ich in einem Traum. Steckt da wohl die Hexe Cloot dahinter? Und der geraubte Schatz des Flickschusters Philip ist immer noch in seinem Versteck, oder?
Wie in einem klassischen Krimi à la Agatha Christie soll ein abschließendes Gespräch, eigentlich ein Verhör, alles aufklären. Die Schuldigen werden ausfindig gemacht, die Verleumdeten entlastet, Vorsorge für die Zukunft wird getroffen. In einem Epilog, der den Prolog wieder aufnimmt – alles ist ja nur eine Legende – wird alles heruntergespielt.
Die Übersetzung
Der Übersetzer ist Thomas Ziegler, mit bürgerlichem Namen Reiner Zubeil. Er war zu Lebzeiten selbst ein gefragter Autor, der v.a. für den Roman „Stimmen der Nacht“ bekannt ist.
Die Druckfehler sind zahlreich. Da findet sich beispielsweise „beben“ statt „leben“, und viele Buchstaben fehlen. Den richtigen Fantasyton trifft der Übersetzer, indem er viele starke Verben in der Vergangenheitsform verwendet. So steht da „glomm“ statt „glimmte“. Der heutige Leser, der an starke Verben wie „buk“ statt „backte“ nicht mehr gewöhnt ist, könnte das als Herausforderung empfinden.
S. 76: „müssen lediglich im Hintergrund st[ehe]n und Waffen tragen…“: Da fehlt wohl ein halbes Wort.
S. 93: „Er schloss die Tür wieder [e]inem Spalt.“ Das E fehlt.
S. 103: „so[l]ange Ihr frei seid.“ Das L fehlt.
S. 105: „Einmal s[t]olperte er in einen Bach…“: Das T fehlt.
S. 138: „Wasserspei[h]er“: Das H ist überflüssig.
S. 157: „Als sie ihm sie über das Gesicht gezogen hatten…“ Hier ist die Syntax durcheinander geraten. Korrekt sollte es heißen: „Als sie [Mark & Co.] sie [die Decke] ihm über…“
S. 186: „so konnte sie die alte Sue Glauben machen…“: „glauben“ muss hier kleingeschrieben werden.
S. 187: „wir werden [d]ie Schänke übernehmen…“ Das D fehlt.
Unterm Strich
So mancher Leser dürfte sich fragen, wo denn bitteschön hier die Fantasy zu finden sei. In der Tat hat die Geschichte mehr Ähnlichkeit mit einem historischen Roman, der im europäischen Mittelalter spielt, als mit irgendwelchen tolkienesken Phantasien von der Bekämpfung des Bösen und der Heilung der Welt.
Ein graues Universum
Doch das Universum von Gene Wolfe ist weitaus komplexer, denn es ist weder schwarz noch weiß, sondern grau. Wie schon sein überaus erfolgreicher Zyklus „Das Buch der Neuen Sonne“ (ca. 1982) gezeigt hat, weiß der junge Protagonist meist nicht, was gut und was böse ist. Nur was ihm sein Herz vorgibt, führt schließlich dazu, dass er selbst unwissend und unwillentlich der Agent des Guten wird. Ganz einfach dadurch, dass er „in seinem dunklen Drange“ (Goethe, FAUST) versucht, seine liebe Josellen zu retten, koste es, was es wolle.
Fantasy?
Auch Mark mag von einem sogenannten „Totenmann“ phantasieren und reden, einem Wesen aus einem großen Hügelgrab, das schon in der ersten Szene herausgefordert wird. Zählen Träume auch als „Fantasy“, mag sich der Leser fragen. Und dann ist da ja noch die Hexe Cloot. Über welche Kräfte mag sie wohl verfügen, fragt sich Mark zusammen mit seinem Verhörer. Man einigt sich auf eine vernünftige Erklärung für einige rätselhafte Phänomene.
Ein Clou
Der Clou, auf den kein Leser vorbereitet sein dürfte, ist jedoch die wahre Identität von Sir Ganelon. Sie darf hier nicht verraten werden. Mark hat sie bereits in echter Sherlock-Holmes-Manier durch deduktive Schlussfolgerung herausgefunden, doch der verblüffte Leser könnte sich veranlasst sehen, nun so manche Passage der Geschichte neu zu bewerten. Ist alles wirklich so schlüssig, wie es erzählt ist?
Mogelpackung?
Man mag also gern von einer Mogelpackung reden, die überhaupt keine „Fantasy“ enthalte, aber ich betrachte die Geschichte eher als Fingerübung für den nachfolgenden Zyklus „Das Buch der Neuen Sonne“. Viele Elemente und Motive finden sich dort wieder, aber die Rolle der Frauen und der verborgene Humor gehen weit über das vorliegende Buch hinaus, und dass aus Severian der Retter der Welt werden soll, würde sich aus dem Bild, das der Waisenjunge Mark abgibt, nicht als konsequente Weiterführung erschließen lassen.
Für die fehlerbehaftete Übersetzung gibt es Punktabzug.
Taschenbuch: 192 Seiten.
O-Titel: The Devil in a Forest, 1976
Aus dem Englischen von Thomas Ziegler
ISBN-13: 9783404200214
Der Autor vergibt: